Eine Tour durch Tschernobyl

Horatio d'Val

Ritter der Kokosnuss
Nein, keine humorige Einlage meinerseits diesmal, sondern ein ernstes Thema.

18 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl ist diese mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Zwar redet man hin und wieder mal drüber, über die Verstrahlungen und Evakuierungen dieser Tage, aber Bilder dieses Ereignisses und dessen Folgen sind im großen und ganzen Unbekannt.

Eine junge Frau aus der Ukraine hat sich mit ihrem Motorrad und einem Begleiter auf die nicht ganz ungefährliche Reise durch die sogenannte Todeszone von Tschernobyl begeben (bewaffnet mit einem Dosimeter) und beeindruckende Bilder des verlassenen Gebietes gemacht. Es ist zum Beispiel gänzlich unbekannt, daß 3500 Menschen später in diese Zone zurückkehrten - meist aus Heimweh - und nur noch knapp 400 davon leben.
Ich fand die Bilder und den Bericht beeindruckend und hochinteressant - aussagekräftiger also so manchen Artikel in einer Zeitung.

Den entsprechenden Reisebericht in 27 Kapiteln (in einem akzeptablem Englisch) und die Bilder findet ihr auf dieser Seite:

http://www.angelfire.com/extreme4/kiddofspeed

* Je nach Anzahl der Besuche kann es zu Problemen beim Aufrufen der Seite kommen*
 
Die Seite hatte ich mir heute morgen schon angeschaut, nachdem Telepolis einen kleinen Artikel dazu gebracht hat.

Sehr interessant, aber auch teilweise ein bißchen gruselig. Die Fotos von den leeren, fluchtartig verlassenen Städten sind recht beeindruckend. Oder die Tatsache, daß dort tatsächlich noch Menschen in der Gegend leben.

Und das große Teile der Bevölkerung damals tagelang nichts von der Katastrophe erfahren haben... puh...


Craven
 
habs mir grad angeschaut und durchgelesen. beeindruckende reportage.

ich fands echt schlimm wie verlassen die stadt aussieht. schon verwunderlich das da die leute wieder hingezogen sind trotz der katastrophe...
 
Ich kann mich noch gut an den Tag der Katastrophe erinnern (damals sollte man bei Regen nicht mal mehr aus dem Haus gehen) und interessiere mich noch heute dafür.
Ich habe den Text bis jetzt nur überflogen, aber die Bilder haben mich wirklich erschaudern lassen. Das ist realer Horror. Vor allem die Bilder aus dem Kindergarten sind ein Schlag. Kinderschuhe am Fenster und dazwischen eine Gasmaske. Und dann noch die ganzen verlassenen Laster und Hubschrauber, die Feuerwehrwägen.... auch die Bilder vom Wald waren bedrückend. Man muß sich das mal vorstellen: Der Wald leuchtete damals im dunklen! Das war mir zwar schon bekannt, aber es erschreckt mich immer wieder. Die Rückkehr von 3500 Bewohnern war mir aber auch neu, ebenso wie deren trauriges Schicksal. Wirklich realer Horror. Beeindruckend und verstörend.
 
Ich errinnere mich an eine Reportage zum 10 Jahrestag der Katastrophe.
Dort wurde erklärt,daß nach der Räumung der Todeszone die Aasgeier kamen,und alles stahlen,was nicht Niet und Nagelfest war,und dies in der ganzen UDSSR verkauften.
Nun hat wohl einer in Moskau ein schönes Kaffee-Service stehen,wird verstrahlt,und weiß es nicht einmal.
 
Auch wenn ich das Werk der Autorin nicht herunterspielen will, betrachte ich das ganze vom Standpunkt der ABC-Abwehr:
1) Um ehrlich zu sein, ich würde dieses gebiet nicht ohne Schutzmaske, abdichtbare Kleidung und Gummihandschuhe betreten. Von der Umgebungsstrahlung her hat sie sich nicht in Lebensgefahr gebracht, aber radioaktiver Staub, den man einatmet ist um Potenzen gefährlicher.
2)Sie verwendet noch die alte Einheit Röntgen statt Sievert, was aber nicht wirklich wichtig ist. Allerdings gibt sie für die normale Hintergrundstrahlung Werte an, die ungefähr ein Zehntel von dem sind, was sie sein sollten... Was mich doch sehr verwundert.
Weiters schriebt sie oft Dosis, wo sie eigentlich Dosis pro Zeit(Dosisleistung) meint, was zu Missverständnissen führen kann.
3) Die Aussage "500 R in 5 Stunden sind tödlich" ist nicht wirklich richtig. Bei einer Dosis von 500 R sterben ca. 60-70% der Opfer, aber noch nicht alle, was erst bei 700 der Fall wäre. Und es spielt keine wirkliche Rolle, ob diese 500 R in einer Stunde oder 2 Tagen aufgenommen werden.
4) Mir fehlt die Einheit der Dosisleistung zur Karte, wahrscheinlich dürfte es sich um Mikroröntgen handeln.
5) Noch dazu muss man für brauchbare Messergebnisse das Dosimeter immer in der selben Position und Höhe ablesen, was sie scheinbar nicht gemacht hat.

Ok, aber dafür dass sie keine Expertin darin ist und keine militärische Ausrüstung hat, war es doch eine gute und vor allem mutige Leistung.
 
ich beschäftige mich auch heute noch mit der Sache und schaue oft Dokus über die heutige Lage um Tschernobyl...
die ganze Sache hat mich damals beinahe in den Wahnsinn getrieben und meine (derzeit öko-fanatische) Mutter hat das Übrige getan.
Die ganze Sache ist heute noch einfach der blanke Horror und ich verstehe nicht, wie man in einem solchen Gebiet ernsthaft leben kann. Das ganze Thema ist eines der Punkte in meinen Gedanken, die ich drehen und wenden kann und immer noch (nach so vielen Jahren) keine direkte Verarbeitung gefunden habe...

(kommt übrigens auch bald ein PC Spiel dazu raus, das mir jetzt schon Gänsehaut bereitet o_O als Critter-Jäger im verseuchten Umland gegen Staats-Sicherheit und ähnliches vorgehen... das Spielteam hat alle Gebäude und jeden Baum nach direkten Recherchen ins Spiel eingebaut)
 
Zuletzt bearbeitet:
Original geschrieben von Minza
(kommt übrigens auch bald ein PC Spiel dazu raus, das mir jetzt schon Gänsehaut bereitet o_O als Critter-Jäger im verseuchten Umland gegen Staats-Sicherheit und ähnliches vorgehen... das Spielteam hat alle Gebäude und jeden Baum nach direkten Recherchen ins Spiel eingebaut)

Auf Stalker warte ich auch schon gespannt. Ich hatte auch schon einige Bilder der Geisterstadt gesehen, die von dem Entwicklerteam bei ihrem Besuch gemacht wurden. Aber die waren nicht ganz so gruselig und bedrückend.
Das Spiel wird auf jeden Fall sehr interessant werden.


Craven
 
die ganze Sache ist aber nicht im gerinsten so bedrückend und angsteinfösend wie Livebilder aus der Gegend... einfach furchtbar wies da aussieht und wie jegliches Leben in dieser Zone vor sich hinvegitiert/mutiert... wenns ein SciFi Film wäre würde ich ihn als übertrieben bezeichnen o_O

und das ist kein SciFi sondern die Wirklichkeit... einfach schlimm...
 
Ich muß ganz ehrlich sagen, daß mir die ganze Geschichte ziemlich an die Nieren geht.
MK und Minza haben zu dem Thema vieles bereits gesagt. Ich kann mich ihnen nur anschließen, ich bin ziemlich erschüttert.
Es fällt schwer, ob solcher Geschichten keinen Hass auf die Menschheit im Allgemeinen zu entwickeln.
 
Ich bin 87 geboren, also weiß das meiste nur durch Höhrsagen oder Dokumentationen, aber auch mir wird bei dem Thema leicht schwindelig.

Wenn ich dran denke das Leute, die Jünger sind als ich, an Nachfolgen von etwas sterben das sie nicht miterlebt haben, und für das sie nichts können... das ist schlimm, und sehr, sehr traurig.
 
ja... das ist so ne Sache :/

ich weiß nicht, wies bei euch damals war... bei mir wars so, daß wir noch im Grundschuhlhof im Regen spielten und am nächsten Tag kam die erschreckende Meldung, daß diese ganze Sache passiert ist. Meine Mutter ist damals wirklich ausgetickt (hat heute noch Probleme, die ihren Ursprung da haben) und hat mich und meinen kleinen Bruder halb totgeschrubbt... war so schlimm. Alle haben versucht uns das so schonend wie möglich aber trotzdem realistisch zu erklären und da scheiterte die ganze Sache auch schon: wie will man kleinen Kindern beibringen, daß tausende Leute elendig gestorben sind, weitere Millionen das noch vor sich haben und selbst wir das abbekommen haben. Damals habe ich wieder angefangen, beim Autofahren die Minuten bis zum nächsten Bunker zu zählen... falls mal was hier passieren sollte.
Meine Mutter hat dann angefangen nur noch hyper-vorsichtig einzukaufen, uns ja nicht dreckig werden zu lassen und hat uns Bücher geschenkt wie "Die Wolke", die in dieser Zeit die Buchhandlungen überfluteten. Ein Buch für eine 10 jährige, in der die Hauptfigur ihren toten Bruder ins Maisfeld kippen muß um mit der Flüchtlings-Masse mitzukommen... einfach grauenhaft für mich gewesen... ich habe damals oft geweint.

Als ich älter war und die Sache etwas besser betrachten konnte nahm mich meine Mutter in eine Kinovorstellung mit, in der ein Film einer ukrainischen Frau gezeigt wurde, der sich direkt mit den Folgewirkungen des Unfalls beschäftigte: 1.5 Stunden harte Realität, Bilder von Abgängen... komplett entstellt und deformiert. Sterbende Leute die aus allen Körperöffnungen bluten und alles in Orginalton mit Untertitel... da war ich 12 (glaub ich) und alles kam wieder hoch von damals...

erst mit 15 habe ich begonnen, das ganze sachlich zu betrachten, mich mehr mit den Zahlen und Fakten zu beshäftigen und erst da wurde mir eigentlich auch klar, wie tragisch diese ganze Sache war... wieviele Menschen durch die Unfähigkeit anderer wirklich grausam sterben mussten. Aber wenigstens konnte ich es da mit einem mentalen Abstand betrachten... nicht mit der Angst eines Kindes, daß nächste Woche das AKW um die Ecke das selbe macht :(


ich weiß nicht... jedesmal wenn ich diese Bilder wieder im Fernsehen sehe ist es einfach ein Schlag ins Gesicht. Kein Horrorfilm kann so widerlich sein, so erschreckend. Und das wirklich schlimme ist, daß unsere Leute das immer noch nicht gelernt haben. Sie schießen stolz mit Uran-Muni auf Kinder, produzieren atomaren Müll in Massen und wenn man sich die Sicherheit einiger KWs anschaut... aua o_O

bin wirklich "gespannt" wann das nächste mal sowas passiert... und wen es dann erwischt :/
 
Miterlebt habe ich davon auch ncihts, zumindest nicht bewusst. Ich weiß nur, dass meine Eltern riesen Angst um mich hatten... irgendwo verständlich.

Aber das ist schon erschreckend, wenn man die Bilder da so sieht.. Schlimmer als jeder Film... da kann man nur hoffen, dass soetwas nicht nochmal vorkommt, aber die Menschheit lernt nunmal nicht dazu...
 
@Minza: In Japan ist schon 2-3 mal was in Reaktoren passiert, da sind dann auch Menschen gestorben die dann in ziemlich soliden Särgen begraben werden mussten... wenn sie es überhaupt sind.

Eine Bekannte meiner Mutter war gerade im 5. Monat oder so schwanger, als das passiert ist, und du kannst dir denken wie das war- du hast Angst, das du mit jedem Bissen den du isst dein Kind vergiftest. Sie hat dann das einzig gute gemacht: ist zum Supermarkt, hat Milch in Massen eingefroren, Gemüse, etc... und sich dann davon ernährt. Mein großer Bruder war ein Baby, der hat nur noch Milchpulver bekommen.


Eine Klassenkameradin von mir hat "Die Wolke" in der Schule vorgestellt, und das ist so ein schlimmes Buch... wie alt warst du als du das gelesen hast?
 
Als es passierte, war ich 12 Jahre alt. Natürlich war es das Gesprächsthema innerhalb der Familie und in der Schule. Es war seltsames, wirklich furchteinflößendes Gefühl. Lehrer klärten uns über die Gefahren auf, laufend konnte man Reportagen und Diskussionen im Fernsehen sehen. Es kamen allerhand Fragen auf, z. B. wegen der Milchkühe, die verstrahltes Gras aufnehmen könnten. Wenn es regnete, durften wir bis auf weiteres nicht mehr auf den Schulhof, der Sportunterricht fand nur noch in der Halle statt. Auf keinen Fall sollte man auf Gras herumtollen. Man beobachtete ständig den Wetterbericht, um auf dem Laufenden zu bleiben, wohin der Wind der Strahlung bringen würde. Ich wohne in Bayern, und Teile davon haben einiges abbekommen. Selbst heute sind z. B. Waldpilze noch belastet.
Und die Folgen werden allgemein wohl unterschätzt oder vergessen. Nach Tschernobyl stiegen auch in Deutschland die Zahlen, was Todgeburten angeht. Gab es bei Neugeborenen in Westberlin normalerweise 2-3 Fälle von Downsydrom pro Monat, stieg die Zahl neun Monate nach der Katastrophe auf 12. In der Ukraine und Weißrußland ist die Anzahl der u. a. Schilddrüsenerkrankungen und Leukämie bis heute abnorm groß (ersteres ist um das 30fache angestiegen).
Das sind nur ein paar Beispiele und Fakten. Deshalb ist ein Anschlag auf ein AKW der einzige Terrorakt, den ich wirklich fürchte.
 
Ich war da noch in der Grundschule.
Es war sehr beängstigend damals... ich erinnere mich, daß wir ermahnt wurden, auf keinen Fall unter Bäumen zu stehen, aber unser ganzer Pausenhof war voll davon... Wir sollten keine Pilze essen, überhaupt Gemüse und alles was aus dem Boden wächst war böse... Man hat plötzlich ganz viele möglichst alte Tiefkühlkost und Dosen gegessen... Im Sandkasten spielen galt eh als Todesurteil...

Aber wenn ich erst daran denke, daß die Leut in Tschernobyl selbst erst zwei Tage danach überhaupt etwas erfahren haben, wird mir ganz anders. Sie wurden huschhusch in kürzester Zeit auf Militärfarzeuge verfrachtet und weggebracht.
Was wirklich geschehen ist, hat ihnen wahrscheinlich nie jemand gesagt...

Und heute wird einfach immer und immer wieder das ganze Ding einbetoniert, weil sie sich nicht anders helfen können. Der Sarkophag leckt und wieder ne Schicht Beton... ich freß nen Besen, wenn das Ding nicht auch nach unten leckt, wo man kein Beton hinkippen kann... Die Mutationen in der Gegend in der Tierwelt sprechen Bände.
 
Ich verstehe nicht, wie man nach dieser Katastrophe noch für Kernenergie sein kann....

Die Befürworter kommen immer mit dem Argument: "Unsere AKWs sind sicher, es wird nichts passieren!"

Ich frage mich, wie lange wir noch sicher sind, besonders zu Zeiten des Terrorismus....

Es wäre so einfach für Terroristen: Sie müssten gleichzeitig ca. 5-10 AKW-Reaktoren zur Explosion bringen und schon ist die ganze westliche Zivilisation verstrahlt und ohne Strom! So etwas ist kein (unmögliches) Problem für Terroristen...
 
oh gott... ich hab gerade den Bericht durchgesehen. Schon alleine die Bilder aus dem Park: die aus den 80er Jahren und wie es dort jetzt aussieht *schluck*
das ist lächerlich... das ist einfach nur krank, wie so etwas wirklich und wahrhaftig passieren kann. Normal sieht man solche Bilder nur in übertriebenen Computerspielen und Anime.

Die Berichte über die weitermutiernde Flora und Fauna ist ebenfalls mehr als surreal... ich habe letztens Bilder gesehen aus dieser Region, wo Blinky und Co. wirklich nichts dagegen sind. Frösche mit 6-8 funktionierenden Beinen und Augen auf Rücken und Gelenken, Hunde ohne Zähne und verschleimter Hautschicht...

ich weiß nicht, wie man soetwas als Biologe auch nur annähernd ignorieren kann (und das tuen sie mittlerweile einfach) und wie man (die Radioaktivität an sich mal ausgenommen) überhaupt noch an einem solchen Ort leben kann...


EDIT: und die ganzen Bilder in den ausgestorbenen Städten von lachenden Männchen, die den Weg zur Küche weisen, von spielenden Kindern und den Bekenntnissen an den Staat. Die Liebeserklärungen, die an Wände gesprüht oder gritzt wurden... alles in dieser Umgebung...

@Syal: ich war damals 9 oder 10 o_O
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kann nur noch einmal betonen, daß es schwer fällt, angesichts solcher Tatsachen optimistisch in die Zukunft zu blicken. Gerade heute im Angesicht des Terrorismus muß man eine solche Katastrophe einkalkulieren, auch in good ol' Germany. Ehrlich gesagt gestaltet sich mein Leben eigentlich nur noch rund um Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind; mein Studium und mein späterer Beruf. Nichts ist mir wichtiger als der Umgang mit Menschen, der Austausch von Gedanken und Gefühlen.
Diese Bilder vermitteln ein Gefühl von Endzeitstimmung, im Grunde genommen zeigen sie die Welt nach einem dritten Weltkrieg, nach einem Atomkrieg.
Ich habe keine Sehnsucht nach dem Tod. Diese Bilder stimmen mich nachdenklich.
 
@figurehead: mir gehts genauso... ich arbeite im sozialen Bereich und wohne in München; Garching is keinen Tagesmarsch entfernt o_O

einfach nicht drüber nachdenken und sich auf Gersfeld freuen o_O
 
Zurück
Oben