[Fiktion] Laeria

Conquistador

There's no school like the old school
Laeria – Eine Einführung

Chuttle.jpg

Angeregt von einigen Usern, erstelle ich hiermit einen gesonderten Thread für mein Weltenbauprojekt.

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Von uns durch Raum und Zeit getrennt liegt Laeria, eine unserer Vergangenheit nicht unähnliche Welt, doch werden dort die Regeln des Möglichen manchmal aufgebrochen und diese Welt durch übernatürliche Kräfte verändert.

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Bei Laeria handelt es sich um ein Weltenbauprojekt, dass ich nun schon seit gut sechs bis sieben Jahren verfolge; mal mehr, mal weniger intensiv.
Hier im PSW dürfte es ja am wahrscheinlichsten durch meine Bilder bekannt sein.

Dabei handelt es sich um eine klassische Fantasy-Welt, allerdings mit starkem Einfluss der weltlichen Historie, wo durch sie recht mundan ist und das „Magische“ eher eine außerordentliche Rolle spielt. Die phantastische Inspiration kommt hauptsächlich aus dem Genre der Low-Fantasy bzw. Sword and Sorcery, Geschichten von Fritz Leiber und Robert E. Howard (wobei der Milius-Conan-Film auch einen nicht unerheblichen Teil beitrug), aber auch aus der klassischen Sagenwelt der Antike.

Der Weltenbau findet hier in drei Arte statt:

Durch meine Zeichnungen möchte ich einen visuellen Eindruck der Welt schaffen. Durch simple Daten stecke ich die den Rahmen von Umwelt und Kultur ab und durch die interaktive Geschichtenerzählung des Pen and Paper-Rollenspiels, füllt sich die Welt mit leben, werden Details ausgearbeitet und Daten ergänzt.

Die Zusammenführung dieser drei Arten kennt ihr auch bereits, da ich als Nebenprojekt langsam aber stetig ja eine Illustrierte Enzyklopädie erarbeite, die man in der Mediathek des PSW finden kann.

Ansonsten erwarten euch hier die Geschichten, die wir in dieser Welt erspielen von @Minza festgehalten und manchmal auch Kurzgeschichten verschiedener Mitwirkender sowie ein paar Zeichnungen.

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Ich möchte mich bei allen Mitgestaltern und Interessierten bedanken, da ohne euch dieses Projekt schon lange versandet wäre.
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Zuletzt bearbeitet:
Ich bin nicht der Schöpfer dieser Welt, aber ein kleiner Mitgestalter, der sein Bestmöglichstes tut, um das Projekt immer wieder mit Brennstoff zu versorgen. Hin und wieder einen Funken gebend. Die Flamme auch zu formen, wenn es meine Aufgabe ist.
Ich habe das erste Mal Laeria betreten, als @Conquistador und ich ein Crossover mit meiner Welt Emmergens initiierten...

Dadurch entstanden neue Möglichkeiten und eine ganze Laeria Rollenspielgruppe, die ihre Abenteuer immer weiter webt. Ein Zeitstrang wurde erarbeitet (und glaubt mir, @Conquistador hat sich da wirklich Mühe gegeben und Zeit investiert, damit es für ihn stimmig war) und nun haben wir eine kleine Sammlung an Geschichten, die wir hier präsentieren wollen.

Zwei Anmerkungen:
Ich werde die Kapitel nicht unbedingt in der Reihenfolge ihrer Entstehung veröffentlichen. Das Laeria/Emmergens Crossover "Die drei Federn" spielt weiter hinten in der Timeline, ich würde hier aber mit kleineren Kurzgeschichten anfangen, um die Sache rund zu halten.
Und eine Kurzgeschichte werde ich vorerst nicht hier posten, da sie für einige User etwas verstörend sein könnte (sie ist aus der Sicht einer psychisch vollends neben der Spur stehenden Figur geschrieben). Vielleicht ändern wir noch unsere Meinung aber vorerst bleibt "Gier" im PSW unveröffentlicht.

So... und nun zum Zeitstrahl, damit ihr nen kleinen Überblick über die Sache bekommt:


Die Zeitalter von Laeria



Ära der Götter

Die Magie ist stark.

Zeit der Schöpfung und Wunder



Ära der kalten Sonne

Die Magie ist schwach.

etwa -4.000 - Ein gewaltiger Vulkanausbruch verdeckt die Sonne für hunderte Jahre und eine Eiszeit beginnt, die die junge Menschheit auf die Probe stellt.

-1.573 - "Gier"



Ära der Heroen

Die Magie ist stark.

ab -1.217 - Heroen und magische Wesen durchstreifen die Länder.

-747 - "Biaron"

- 663 - "Issor muss fallen!"



Ära der Menschen

Die Magie ist schwach.

Die meisten Monster und magischen Wesen verschwinden.

0 - Beginn der Zeitrechnung

um 300 - Die Königreiche im Süden und die Handelsstädte am Binnenmeer erblühen.

321 - "Die drei Federn"

431 - Beginn der Ilsmerischen Expansion

442 - "Futter für die Fische"

454 - Gründung des Pyrmesischen Bundes und Beginn des Kalten Krieges

459 - Ende der Ilsmerischen Expansion

463 - "Gischt des Wahnsinns"

466 - "Der Zeh des Eremiten"

467 - Brand von Amovis
"Eine taghelle Nacht"
Verrat von Ioph
"Wilde Gewässer"
 
Zuletzt bearbeitet:
Als erstes und damit schonmal was zum Lesen da ist, würde ich hier die Kurzgeschichte "Biaron" posten, die ich in enger Zusammenarbeit mit @Conquistador geschrieben habe... die heldenhafte Figur Biaron ist seine Erfindung, ich wollte sie für dieses Experiment in ein anderes Licht als gewohnt stellen.

Wir laben uns an den in der Morgenkälte dampfenden Eingeweiden eines frisch gerissenen Schafes. Das Jungtier aus seinem Bauch hat sich bereits die Nestmutter einverleibt. Zart und glitschig. Nie würde sie mit jemanden teilen. Dünn und wehrlos. Unseren Schnäbeln und Zähnen nicht gewachsen.

Blut befleckt die Mäuler meiner Geschwister und wir krächzen Sonne entgegen, dass es uns gut geht.


***


Ich segle über das weite Land, das unser großes und wunderbares Nest umgibt. Unter mir die trockenen Höhen, auf denen die Schafe der Erdengänger leben, die mit ihren dünnen Stöcken und schwachen Fingern nach uns schlagen, verzweifelt in ihrer hässlichen Sprache rufen.

Doch heute ist keiner von ihnen zu sehen und auch keines ihrer Schafe und so fliege ich weiter, bis ich den Rauch ihrer Steinnester sehe.


Schon bald sieht mich einer stolz am Himmel schweben und die irritierenden Rufe beginnen. Sie laufen. Holen Stöcke.

Ihre zahmen Wölfe beginnen zu bellen, doch was sollen sie mir tun? Sie können nicht fliegen. Nicht so hoch springen.

Einer der Stöcke der Erdengänger kommt mir entgegen, fällt aber schon nach der Hälfte des Weges wieder zu Boden.

Ich krächze amüsiert und lasse Sonne wissen, dass ich ihren Humor verstanden habe.


Ein neuer Name für die Erdengänger kommt mir in den Sinn: Kriecher.

Ich muss dies meinen Geschwistern mitteilen. Das Nest wird krächzen. Kriecher...


Ich kehre um. Die anderen werden mit mir zu den Steinnestern kommen. Ich werde ihnen erzählen, dass es heute leichte Beute zu schlagen gibt. Ich werde von den dünnen Stöcken und saftigen Schafen erzählen. Von den Küken der Kriecher und ihrem zarten Fleisch. Der köstlichen Füllung ihrer Knochen.

Die Laute verklingen hinter mir und ich spüre den Wind in meinen Federn. Meinem Gesicht.

Ich bin frei.

***


Wir krächzen und strecken unsere blutigen Schnäbel zu Sonne, damit sie von unserem Festmahl weiß. Gleich zwei Küken der Kriecher konnten wir mit unseren Krallen packen. Nach meinem Flug rechneten sie nicht mehr damit, dass ich heute zurückkehren werde. Mit meinen Geschwistern.

Zwei Küken. Zart und fleischig. Nicht mit einem schönen Flaum wie unsere Küken. Nackt. Köstlich. Saftig.


Wir füllen unsere Mägen. Verschlingen Fleisch und Knochen. Laben uns an den Kriechern und wir wissen, dass sie neue Küken bekommen werden. Wie immer. Und wenn wir keine Schafe mehr essen wollen, werden wir wieder die kleinen Kriecher jagen. Wie heute.

Was für guter Tag. Das Nest ist mächtig.


***


Rufe vom Rand des Nestes. Die Erdengänger stehen von unseren Mauern aus Ästen und Knochen und sie haben Feuer mitgebracht. Ein großes Männchen steht vor ihnen und er hat einen Stock aus kaltem Mondlicht.

Meine Geschwister haben sich hoch oben an der Mauer verschanzt und kreischen den Erdengängern warnend entgegen. Zu den Füssen des großen Männchens liegt eine meiner erschlagenen Schwestern. Ihr Kopf ist vom Hals getrennt und nur noch selten geht ein Zucken durch ihren Körper.


Das Männchen deutet mit seinem Mondstock auf uns und brüllt uns entgegen und die Erdengänger hinter ihm rufen immer und immer wieder ein Wort, das sich in unseren Gedanken einbrennt.


"Biaron"


Er antwortet ihrem Ruf und einer der brennenden Stöcke trifft die Nestmauer. Flammen und Rauch schlagen uns entgegen. Zorn und Verzweiflung mischt sich in die unzähligen Stimmen unseres Nestes und einige meiner Geschwister erheben sich schön und anmutig in die Lüfte.


Dann treffen die dünnen Stöcke die Körper meiner armen Geschwister und tot fallen sie in das Feuer, das unter ihnen tobt und sich dem Gelege nähert. Federn sind an die Stöcke gebunden worden und so können sie weiter fliegen und uns fangen, unser Leben beenden.

Dutzende sterben, während ich panisch zu unseren Küken springe und sie zu beruhigen versuche.

Als ich aufblicke, sehe ich das große Männchen und seine Begleiter, wie sie aus dem Rauch über den Rand der Nestmauer klettern. Nicht wie die Erdengänger aus den Steinnestern. Geschickt und gefährlich.


Ich flattere zurück und spüre einen scharfen Schmerz, als mich ein gefiederter Stock trifft und mein Bein durchbohrt. Flammen und Schmerz. Wut und Furcht. Alles verschwimmt, als ein weiteres Männchen der Erdengänger mit einem gebogenen, langen Stock auf mich zielt.


Ich schlage mit meinen Flügeln und schnuppere nach dem Duft des Kükens, welches aus dem von mir gelegten Ei gekrochen war. Es sitzt Angst erfüllt schreiend zwischen den anderen und öffnet gerade in diesem Moment zum ersten mal seine Augen. Ein schweres Gefühl breitet sich in meiner Kehle und meiner Brust aus und ich greife mit meinem gesunden Fuß nach dem Küken, spüre seine zerbrechliche Form zwischen meinen Krallen.


Der Stock schnellt an mir vorbei und ich schlage kräftiger mit meinen Schwingen. Der Rauch wirbelt über den heißen Flammen und der große Männchen schlägt mit dem Mondstock zwei meiner Geschwister die Köpfe ab, während sich die Nestmutter auf drei der anderen Erdengänger stürzt.


Blut fließt und Kriecher schreien. Ein Auge fließt zwischen die Äste des Nestes. Dann fällt der tote Körper der Nestmutter zwischen die Küken.


Ich fliege schneller und schneller und sehe nicht mehr zurück.


***


Ich sitze auf einem Stein und blicke ins Tal. Neben mir liegt mein totes Küken. Seine Augen sind halb geschlossen und sein Flaum ist mit den letzten Flüssigkeiten verklebt, das es von sich gab. Der Stock in meinem Bein schmerzt aber die Schmerzen machen mir nichts. In meinen Gedanken bin ich im Nest. Im Feuer. Bei meinen Geschwistern.

Sie haben uns vertrieben und soweit ich weiß, fliege nur noch ich zwischen den Wolken. Sonne wird mein Nest nicht wieder sehen.


Ich berühre den Stock in meinem Bein mit meinem Schnabel und der Schmerz wird schlimmer. Weißer Schleim mischt sich zu dem Blut, das zwischen meinen Zehen auf den Stein läuft. Ich fühle, wie die Schwäche in meinen Knochen stärker wird und gegen meine Gedanken kämpft.


Kurz schließe ich die Augen, dann nehme ich das Küken vorsichtig mit meinen Zähnen hoch. Ich versuche es ganz zu verschlingen. Jeden Tropfen seiner Kraft in mir aufzunehmen. Wenn ich Glück habe, finde ich ein anderes Nest.

Lebe solange, um andere vor den fliegenden Stöcken zu warnen. Die Nacht umschließt mich langsam und die Kälte der Sterne schließt mich ein.




...diese Geschichte wird seit Generationen in einigen Harpyien Nestern der Donnerhöhen erzählt und weitergetragen. Biaron aus dem Lande Moschg hat seither noch viele Nester dieser Wesen zerstört. Sein Name wird in den Legenden dieses Volkes noch lange überdauern.
 
Nun folgt die erste Geschichte, die wir je in Laeria gespielt haben: "Die drei Federn"... sie spannt die Brücke zu einigen Emmergens-Charakteren, die im Emeralder Volksmuseum ein altes Figürchen aus dem Sternsee stahlen und ihre Seelen so in diese andere, weit entfernte Realität flossen. Darum kommen auch immer wieder seltsame Visionen zum Tragen, die während dem Spielen den Spielern zwar merkwürdig vorkamen, sie aber erst gegen Ende wirklich drauf kamen, dass sie ein Crossover gespielt hatten.

Bei Fragen zu unverständlichen Aspekten einfach melden ;)

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Spaceball, Lain, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza


Der Herbst war ins Talahische Königreich eingekehrt und in Talah sammelten sich Menschen aus allen Teilen des Landes, um das Erntefest zu feiern. Aus den entlegenen Siedlungen und den kleineren Städten vom Fuße der weiten Gebirge und aus den weiten Heiden und Flusstälern kamen sie herbei und brachten Wagenladungen von Früchten und anderen Erträgen der Erde mit sich.

Und während die schmalen Straßen und kleinen Plätze der Hauptstadt mit Leben pulsierten, fanden sich auch Reisende in den dunklen Schankräumen der mit Schatten durchzogenen Tavernen ein. Halunken und Tagelöhner tranken hier das schales Bier, doch andere waren in den kühlen Hauptraum der Taverne "Drei Federn" untergekommen, um einer göttlichen Spur zu folgen. Sie hatte es in das Karawanenviertel von Talah geführt, weil sie eine Vision hatten:



Tenkan, ein Heiler aus den umliegenden Siedlungen hatte sich vor wenigen Tagen noch um die Kranken und Sterbenden gekümmert und am Sterbebett eines alten Mannes hatte er einen Talisman erhalten, der drei geschmiedete Federn zeigte, die am Schaft zusammen lagen und dann wie Sonnenstrahlen nach oben auseinander gingen. Tenkan hatte das Amulett lange angesehen und war dann nach Talah aufgebrochen, um am Feste teilzunehmen und als er im Karawanenviertel die Taverne mit genau diesen drei Federn gefunden hatte, hatte er sie sogleich betreten.



Litri, Tochter der Sera, hatte ihr ganzes Leben lang in Talah gelebt. Als Priesterin des Tempels der Abendsonne hatte sie sich um das Seelenheil der Menschen gekümmert und als sie vor der Stadt für die gerade exekutierten Männer gebetet hatte, die immer noch an ihren Pfählen angebunden in der Sonne hingen, waren Aaskrähen aufgeflogen und vor ihr waren drei Federn zu Boden gesunken, die ein Muster ergaben. Sie hatte sich zur Taverne mit diesem Zeichen aufgemacht, fest davon überzeugt, dass dies ein Zeichen des Sonnengottes gewesen war.



Bana kam aus einem der Steppenstämme aus dem Süden des Landes. Während die Bewohner des Talahischen Königreiches die Hautfarbe von dunkler Erde hatten, war Bana beinahe schwarz. Groß war er gewachsen, kein Haar hatte er am Kopf und helle Zähne blitzten hervor, wenn er den kantigen Mund öffnete. Vor vielen Jahren hatte König Sarlon II. den Stamm der Benutu beinahe ausrotten lassen, doch hatten einige der großen Krieger überlebt und nun war Bana in die Stadt gereist, um hier sein Schicksal zu finden. Vor den Mauern Talahs hatte er Streit mit einigen Einheimischen begonnen und während er sich mit den Männern geschlagen hatte, war im eine Tätowierung am Arm von einem der Städter aufgefallen... drei Federn. Als er später am Abend ein Gasthaus zum Übernachten gesucht hatte, war ihm die Taverne "Drei Federn" aufgefallen und neugierig hatte er den Schankraum betreten.



Katiah war eine Kriegerin aus einem fernen Land, das über dem schmalen Meer lag, dass das warme Land vom kühleren Norden trennte. Sie war ein Beover, Mitglied eines wilden Reitervolkes und wenn sie mit ihrem Pferd durch Talah ritt, sahen die Menschen ihr mit großen Augen nach. Hell war ihre Haut und blond ihr Schopf, der an den Seiten ihre Kopfes kurz geschoren und am Hinterkopf zu einem langen Schwanz zusammen gebunden war, und ihr Akzent erinnerte an das Reiben von Steinen und das Gurgeln eines Baches. Bei einem ihrer Ritte um die Mauern Talahs hatte sie drei Federn auf dem Boden gesehen und auch sie kannte die Taverne und sie war neugierig, was ihr dieser Fund denn nun sagen wollte, glaubte sie doch nicht an die Götter; weder an die himmlischen, die sich nicht um die Geschicke der Menschen kümmerten, noch um die irdischen Götter, die sich in Wald und Quell und Moos versteckten und die von so manchem Stamm angebetet wurden.



So stand Katiah nun mit einem Krug Bier und einem Stück Brot an einer der Stützbalken des Schankraumes und beobachtete das Kommen und Gehen in der Taverne, als ihr ein riesiger, schlaksiger Mann mit Ebenholz farbener Haut auffiel, der sich ebenso im Raum umblickte. Beinahe drei Köpfe war er höher als sie und von ihm ging etwas wildes aus, das sie schon lange nicht mehr gesehen hatte.

Ihre Augen trafen sich, dann sah der Riese wieder zu einem anderen Punkt in der Schenke: ein runder, flacher Tisch, an dem eine in weite Gewänder und ein farbenprächtiges Kopftuch gehüllte Priesterin saß, die beinahe meditierend wirkte. Sie sah frustriert aus. Als wenn sie nicht finden würde, wonach sie gesucht hatte.

Der große Mann setzte sich zu ihr und kramte einige kleine Steinfigürchen heraus, die er auf die Tischplatte setzte. Kleine Stammesgötter, dachte sich Katiah und schmunzelte. Sie verstand Leute nicht, die ihr Schicksal an imaginäre Gestalten flochten, die sie nie gesehen hatten. Der Mann murmelte etwas und warf dann Knochensplitter auf den Tisch, begann sie konzentriert zu betrachten.

Die Priesterin öffnete kurz ihre Augen, sah das Schauspiel an und lächelte fast nicht wahrnehmbar, aber durchaus freundlich. Sie war jung. Ungefähr so jung wie sie selbst, schätzte Katiah. Der schwarze Mann wirkte nur wenige Jahre älter.



Dann wurde Katiah hellhörig, als sich ein weiterer Mann an den Tisch setzte. Er hatte die normale, dunkle Hautfarbe dieser Region und dichte Koteletten eines Junggesellen. Auch er hatte vermutlich um etwas mehr als zwanzig Sommer erlebt und er war in Trachten gekleidet, die ihn als Landbewohner verrieten.

Prüfend sah der Neuankömmling den Riesen und die Priesterin an und grüßte sie höflich, doch danach sprach keiner mit dem anderen. Sie wirkten, als wollte sie etwas sagen, trauten sich aber nicht so richtig.



Schon wollte Katiah näher an den Tisch heran treten, als sich ein verschwitzt und verwirrt wirkender Mann aus der Menge löste und auf den Tisch zukam. Er war gut gekleidet und hatte zuvor mit anderen Grüppchen im Schankraum geredet, soviel hatte Katiah mitbekommen.

Mit seinem Weinbecher setzte er sich nun im Schneidersitz auf eines der Bodenkissen vor den Tisch und fing an, auf die drei Fremden einzureden, während Katiah neugierig näher rückte.



Der Mann stellte sich als Tuvok vor und er behauptete, im Kontakt mit dem Königshaus zu stehen. Er musste etwas wichtiges erzählen, niemand hier wollte ihm aber wirklich zuhören. Von einem Komplott gegen den König war die Rede und vom Verrat des amtierenden Schatzmeisters. Während der Feierlichkeiten sollte der Putsch durchgeführt werden und bisher hatte keiner den Worten Tuvoks Glauben geschenkt. Alle hielten ihn für verrückt.



Litri kannte das Königshaus gut, war sie doch ein Mitglied des Tempels der Abendsonne und war die Königsmutter selbst eine Priesterin dieses Tempels. Und als sie schon ihren Mund öffnete, um Tuvok gut zuzusprechen, legte Katiah ihre kleine Hand auf die Schulter des erschrockenen Tuvok und flüsterte ihm Akzent geschwängert zu, dass hier nicht der richtige Ort für solche Reden war.



Litri sah die Ausländerin freundlich an und meinte ruhig, dass Tuvok mit ihr über alles sprechen könnte, doch Katiah blieb bei ihrer Meinung: die Öffentlichkeit war kein guter Platz für solche Gespräche. Die beiden Frauen sahen sich herausfordernd an, während Tuvok vor sich hin murmelte und die beiden anderen Männer verwirrt von einer zur anderen blickten. Bana kannte solches Aufbegehren von Frauen nicht. Er war andere Sitten aus seinem Stamm gewohnt und leicht beschämt packte er seine Knochen und Figürchen ein.

Tenkan sah prüfend in die Runde. Er fragte sich, ob die Federn ihn wegen diesen Leuten hier hergeführt hatten. Dies konnte ein doch recht aufregendes Erntefest werden, stellte er fest und nickte nur zustimmend, als Tuvok allen anbot, ein Hinterzimmer für weitere Unterredungen zu besorgen.



Auch die anderen stimmten zu und während der seltsame Mann zum Wirten ging und andere Gäste der Taverne ihm belustigt nachschauten, entspannte sich die Stimmung bei den Vieren am Tisch. Alle wollten Tuvok helfen. Und wenn er nur ein verwirrter Tropf war, der sich Dinge einbildete. Was nicht alle glaubten, hatten sie doch die Federn hier her geführt. Wieder schmunzelte Katiah amüsiert. Sie musterte Tenkan genau. Nicht schlecht sah er aus, vielleicht sogar etwas zu zahm und normal. Das Ende seines Kopfbandes verriet aber genauso wie seine Gesichtsbehaarung, dass er unverheiratet war und sie lächelte ihn an.



Nun stellten sich alle vor, hatten sie doch das Gefühl, nun mehr mit einander zu tun zu haben und als Bana von den Benutu erzählte, horchte Tenkan erstaunt auf. Schon lange hatte er nichts mehr von diesem Stamm gehört und grimmig erzählte Bana vom Feldzug des Königs gegen die Steppenkrieger. Still hörten sich Litri und Katiah das Gespräch an und als Tuvok wieder zu ihnen stieß und sie informierte, dass er ein Zimmer besorgen hatte können, standen alle auf.



Sie machten sich auf ihren Weg zum anderen Raum und während sie sich durch die Menge drückten, zog Tenkan den Talisman unter seiner Tracht hervor. Kurz sah Litri die geschmiedeten Federn an, dann fragte sie die anderen nach ähnlichen Erscheinungen und Visionen. Bana nickte und nur Katiah verriet nichts von ihrer Begegnung, glaubte sie doch immer noch an einen seltsamen Zufall. Sie war skeptisch, auch wenn sie dies alles hier amüsierte. Nur Bana murmelte etwas vom Wind und dem Sand seiner Heimat und dass sich alles noch früh genug enthüllen würde.



Im Hinterzimmer angekommen fing Tuvok wieder sofort an, sich mit Worten zu überschlagen. Wieder erwähnte er den Schatzmeister, einen gewissen Haruk, der den König mit einem magischen Gegenstand stürzen wollte. Immer noch klang er verwirrt und hilflos, stotterte und wusste oftmals nicht mit seinen Worten umzugehen.

Mit leiser Stimme und einer leichten Berührung an der Schulter Tuvoks versuchte Litri den Mann zu beruhigen und wieder meinte Bana, dass der Wind sich auch drehen könnte und die Wolken aufreißen würden. Katiah lachte zynisch und Bana sah sie wütend an.

Der gerade noch etwas zur Ruhe gekommene Tuvok begann erneut, nervös zu stammeln und Litri flüsterte den beiden Streitenden beherrscht zu, dass sie sich zügeln sollten.



Tenkan stimmte Litri zu und meinte, dass schließlich die Götter sie mit den drei Federn hier hergeführt hatten. Er meinte nicht die himmlischen Götter, die mal mehr und mal weniger über die Menschen wachten. Er meinte die Götter der Natur, denen er gelegentlich kleine Opfer erbrachte, damit sie seinen Patienten wohlgesonnen waren.

Bana blickte den Heiler lange an und gab dann zu bedenken, dass die Götter vielleicht auch wollten, dass sie König Sarlon II. töteten. Tenkan deutete auf die lederne Tasche des Stammeskriegers und schlug vor, seine Knochen zu befragen. Doch Bana schüttelte nur den Kopf und erklärte, dass die Knochen ihm solche Fragen nicht beantworten würden.

Ächzend verdrehte Katiah ihre Augen, warf ihre Hände gen Decke und meinte nur, dass sie dies natürlich nicht beantworten würden; es wären Knochen und nicht mehr. Immer aufgeregter sprach Tuvok nun zu sich selbst und verknotete dabei seine Finger, während Litri ihn weiter zu beruhigen versuchte und die anderen vernichtend ansah.



Dann versteifte sich Tuvok plötzlich und Litri machte alarmiert einen Schritt nach hinten. Der ältere Mann sah die vier so ungleichen Menschen an, als würde er sie das erste mal wirklich sehen und sprach mit fester, deutlicher Stimme: er war der Sohn des Kämmerers von Sarlon II. und er hatte ein Gespräch zwischen Geron, dem Sohn des Leibwächters von Schatzmeister Haruk und dem Schatzmeister persönlich mitbekommen. Die Zeit des Königs würde am Erntefest sein Ende finden und eine neue Dynastie würde anbrechen. Solok und andere dunklere Gottheiten des Verrats und ähnlicherer Aspekte wären erwähnt worden und während Tuvok dieses erzählte, wurde er zittriger und seine Stimme überschlug sich erneut.

Tenkan griff in seine Tasche und holte einige ledrige Kräuterblätter hervor, die er Tuvok zum Kauen gab und der beruhigte sich umgehend.



Bana hatte sich die Geschichte still angehört und auf einem Streifen Trockenfleisch herum gekaut. Er bot Tenkan gerade ein weiteres Stück der zähen Wegzehrung an, als Litri alarmiert Bana und Tenkan fragte, was sie nun unternehmen sollten. Die Götter hatten sie auf jeden Fall aus diesem Grunde an diesen Ort geführt... sie mussten handeln.

Litri hatte gezielt nicht Katiah angesehen, die nur lächelnd an der Wand gelehnt stand und mit ihrer hellen Haut und ihrem kleinen, kompakten Körperbau wie ein Geist wirkte. Litri konnte die fremde Frau nicht einordnen. Sie verwirrte sie zutiefst.



Dann drangen Stimmen von draußen.

"Ist er wieder hier?"

"Ja, Herr."

"Wo ist er dieses mal? Zeigt es uns."

Katiah und Litri, die anscheinend als einzige die lauten Stimmen mitbekommen hatten, sahen sich fragend an und als Katiah durch den Vorhang des Hinterzimmers schaute, erblickte sie mehrere Wachen, die am Wirten vorbei auf sie zukamen. Der vorderste der Männer trug die rote Schärpe eines Offiziellen und sofort wusste die kleine Frau, dass dies Ärger bedeutete.

Sie nickte Litri mit finsterem Blick zu und als die Priesterin den anderen mit ruhiger Stimme erklärte, dass es anscheinend Probleme geben würde, lockerte die Beover schon ihre Handat und auch Bana nahm die für einen Stammeskrieger eher untypische Katshoi Axt in die Hand, die nach den Feldzügen des Königs im Besitz seiner Familie war.



Entsetzt sah Litri die Bewaffneten an. "Nicht so," befahl sie mit autoritärer Stimme.

"Steckt sofort die Klingen weg!"

Dann wendete sie sich an Tuvok und fragte ihn leise, ob er in akuter Gefahr wäre. Der Mann schaute nur verwirrt an ihr vorbei, begann aber sichtbar zu zittern. Litri entschied sich, dass sie handeln musste. Sie ging mit festen Schritten auf den Durchgang zum Schankraum zu, während Katiah nur zur Seite trat und sie passieren ließ. Gleichzeitig warf Tenkan seinen weiten Mantel über die Schultern Tuvoks und schlang einen Arm um ihn, während draußen Litri schon die vorderste Wache, den hochrangigen Beamten, konfrontierte. Sie verbeugte sich höflich und ihrem Priesterstand entsprechend und meinte dann lächelnd, dass der Gesuchte bereits draußen wäre. Sie würden hier nichts mehr finden. Der Offizielle sah sie Stirn runzelnd an und schüttelte dann seinen dunklen Kopf. Er deutete auf das Hinterzimmer und meinte, dass sich der Orden nicht einzumischen hatte.

Nun trat aber Bana hinter dem Vorhang hervor und stand hoch über allen anderen Anwesenden im Raum. Seine schwarze Haut wirkte wie ein Leuchtfeuer in der Schenke und alle Blicke wanderten erneut zu ihm. Verwirrt schauten die Wachen den hochgewachsenen Steppenmann an.



Dies nutzte Tenkan, um Tuvok fester zu umfassen und ihn schnell aus dem Hinterzimmer hinaus und an den Gästen der Taverne und den Wachmännern vorbei zu geleiten. Er hatte den Stallknecht bereits bezahlt, damit er sich um seinen Esel Gari sorgte, solange er in Talah war und sobald er dies alles überstanden hatte, wollte er das treue Tier wieder hier abholen. Unschlüssig sah der Offizielle wieder zum Wirten, der deutete abermals auf den Vorhang und nickte zuversichtlich. Mit einem tiefen Grunzen umrundete der Offizielle Litri, die betend die Augen schloss und er rief mit fester Stimme Tuvoks Namen.

Tuvok stockte in seiner Bewegung, wurde dann aber weiter von Tekan mitgezogen und aus der Schenke "Drei Federn" geführt, wo sie schnell die Straße hinunter eilten.



Eilig machte sich Bana auf, den beiden hinter her zu kommen und rempelte dabei den Offiziellen an, der den großen Mann mit seinem Lederschild zur Seite stieß und ihn böse an funkelte. Leise entschuldigte sich Bana in gebrochenem Katshoii für seine Tollpatschigkeit und eilte dann auf die Straße, wo er gerade noch Tenkan und den verhüllten Tuvok in eine schmale Seitengasse biegen sah.

Litri stand immer noch mitten im Schankraum und atmete erleichtert aus, als sich die Wachen an ihr vorbei zum Hinterzimmer drängten. Dort stand Katiah, immer noch gelangweilt an eine Wand gelegt, und sah die gerüsteten Männer herab schätzend an. Litri trat neben den Offiziellen und meinte freundlich, dass sie doch gesagt hätte, dass hier niemand für die Männer sei. Nur ihre Geschäftspartnerin und sie würden das Hinterzimmer in Anspruch nehmen.

Ohne ein weiteres Wort machten die Wachen wütend kehrt und der Wirt sah zuerst ihnen und dann Litri und Katiah verwirrt nach, als sie ebenfalls die Schenke verließen.



Immer noch nichts von den drei Federn der Beoverin wissend, flüsterte Litri der Kriegerin zu, dass sie zwar nicht wüsste, wie sie in die Sache verstrickt wäre, aber dennoch sollten sie nun ihren neuen Bekannten hinter her, um dieses Rätsel zu lösen. Genervt grinsend scherzte Katiah, dass irgend jemand die Federn höchst wahrscheinlich absichtlich verteilt hatte und Litri schüttelte nur traurig den Kopf. Warum die Frau nicht das am naheliegenste sehen wollte, war ihr nicht klar. Sie liefen ins Freie und sahen sich um.

Nach wenigen Augenblicken deutete Katiah auf einen großen, schwarzen Kopf, der über den vielen Passanten heraus ragte, die noch zu später Stunde im Karawanenviertel zugegen waren.

Er bog in eine Seitengasse ein und verschwand aus dem Blickfeld der beiden Frauen und schnell drängten sie sich durch die Menge, dem Riesen nach.



Als sie an einer schmalen Häuserschlucht vorbei kamen, in der Körbe und alte, zerbrochene Tonwaren standen, hörte Katiah Stimmen in ihrer Heimatsprache, die aufgeregt mit einander diskutierten. Lauter und angeregter wurde der Streit und als sie kurz ihren Lauf unterbrach und sich Litri fragend nach ihr umdrehte, sah Katiah nur mehrere kleine Schatten, die in der Gasse in die Dunkelheit huschten. Katzen waren es gewesen und mit einem besorgten Gesichtsausdruck machte sie sich wieder daran, der Priesterin zu folgen. Hatte sie ihren Verstand verloren? Seit wann konnten Katzen sprechen?



Dann bogen die beiden Frauen in die Gasse ein, in der auch Bana verschwunden war. Sie führte zum Rückgebäude der Taverne "Drei Federn" und hier waren auch Tenkan und Tuvok, die sich an die weiß verputzte Wand des zweistöckigen Gebäudes drückten.

Kurz atmeten alle erleichtert durch, dann legte Tenkan Tuvok die Hände auf die zitternden Schultern. Leise und langsam fragte er, warum Tuvok dachte, dass bei dem Putschversuch Magie im Spiel war. Wirr sah ihn der andere Mann an und Tenkans Hoffnung sank, dass er noch etwas Brauchbares aus dem Kämmerersohn herausbringen würde. Stotternd erklärte Tuvok, dass die Rede von Göttern gewesen sei. Und die schenkten den Menschen nun mal die Magie.

Tief sah Tenkan dem stammelnden Mann in die Augen und forschte nach einem Funken Verstand... einem kleinen Rest Glaubwürdigkeit. Forschend schaute Tuvok von einer Seite zur anderen, dann fokusierte er auf den Blick des Heilers.



Mit einem tiefen Seufzen wandte sich Tenkan den anderen zu und nickte dann erschöpft. Er glaubte Tuvok. Auch wenn er sichtlich verrückt war. Aber er glaubte ihm.

Seine Begleiter sahen ihn nur akzeptierend an und als Litri langsam an Tuvok heran trat, flüsterte dieser, dass er müde wäre und nicht mehr weiter konnte. Gütig nickte die Priesterin ihm zu, doch wollte Tenkan die Sache noch nicht ruhen lassen: wann der Anschlag auf den König geplant war, wollte er von Tuvok wissen und stockend erklärte der, dass es während des Festes am morgigen Tage geschehen sollte. Alle sahen sich hilflos an. Die Eröffnungszeremonie war traditionell der meist besuchte Teil des tagelangen Festes. Wie sollten sie dort etwas in diesem Ausmaß verhindern?



Schließlich ließ Litri geschlagen ihren Kopf hängen. Gerade hatte es keinen Sinn, in einer Gasse im Karawanenviertel Pläne zu schmieden, während die Schergen eventueller Verschwörer einen verwirrten Tuvok suchten. Mit sanfter Stimme fragte sie die anderen, wo sie ihn unterbringen könnten. Im Tempel war er zumindest nicht gut aufgehoben.

Katiah schüttelte nur schnell den Kopf und erklärte, dass sie lediglich ein sehr kleines Zimmer in einem Gasthaus hatte. Bana war gerade erst heute in Talah angekommen und genauso ging es Tenkan. Litri seufzte und meinte dann, dass ihr alle folgen sollten. Einige kleinere Straßen gingen sie so entlang, zwischen den rechteckigen, meist zwei- oder dreistöckigen und rot oder weiß gefärbten Häusern entlang, bis sie vor einer kleinen Herberge standen.

Litri führte sie hinein und sprach dann leise mit dem alten Pärchen, das das Haus führte. Sie versprachen ihr, auf Tuvok aufzupassen und meinten, dass sie ihn und seine seltsam verwirrten Streifzüge durch die Nachbarschaft bereits kannten. Die Priesterin gab den Alten zwei Silberstücke und bedankte sich für ihre Mühen. Dann verabschiedete sie sich vom bereits in sein gemietetes Zimmer taumelnden Tuvok und verließ schließlich mit den drei anderen die Herberge.



Wieder auf der Straße angekommen fragte die Priesterin, ob sie sich zusammen zum Tempel der Abendsonne aufmachen wollten. Dort würden sie neue Kraft schöpfen und Pläne schmieden können. Alle waren einverstanden.

Die Nacht war vollends über das Königreich herein gebrochen und überall waren Menschen in den vielen Gassen der Stadt, um schon an diesem Abend zu feiern und sich auf den morgigen Tag vorzubereiten. Es wurde gelacht und getanzt, musiziert und gestritten.

An einem größeren Platz, an dem die ungleiche Gruppe vorbei kam, war eine Truppe Akrobaten dabei, eine gewagte Darbietung zu geben und während einige die angrenzenden Häuserwände einige Meter nach oben rannten, nur um sich abzustoßen und mit einem Salto wieder auf dem Boden zu landen, wirbelten andere mit der Hilfe ihrer Kameraden durch die Luft, balancierten auf wankenden Seilen und sprangen von Fenstersims zu Fenstersims. Die Zuschauer johlten und klatschten und das Gelächter war groß, doch Litri wurde in ihren Schritten langsamer und sah den Gauklern entgeistert zu. Sie fühlte den Wind auf ihrer Haut. Sah die Höhe und die Schluchten zwischen den Häusern. Sah vor ihrem Inneren Auge, wie sie selbst die Sprünge wagte und über die seltsam schrägen Dächer jagte, die Nacht um sie fließend wie ein zweites Gewand.

Dann stand sie wieder zwischen den Feiernden und Tenkan sah sie prüfend an. Litri lächelte unsicher und ging dann weiter die Straße in Richtung ihres Tempels, Bana und Katiah hinterher. Tenkan schritt ihr besorgt nach.



Als sie vor den Stufen des großen Gebäudes standen, blickte Litri noch einmal fragend nach hinten, wo sie die Akrobaten vermutete, dann sprang sie aus dem Stand die Stufen hinauf, was die anderen stutzen ließ. Als Katiah sich räusperte und dann herausfordernd mit dem Kinn auf die Treppe zeigte, schüttelte Litri nur erschöpft den Kopf.

"Es ist, als wenn ich das schon einmal erlebt habe," flüsterte sie.

Tenkan trat zu ihr und fragte besorgt: "Was? Was habt Ihr schon erlebt?"

Sie sah ihn lange an. "Alles... dies ist mir alles auf eine seltsame Art und Weise bekannt."

Der Heiler blickte Hilfe suchend zu den beiden anderen, die unschlüssig vor den Stufen standen und meinte dann forschend: "Habt Ihr schon einmal Drogen genommen? Dies könnte solche Dinge erklären."

Sie sah ihn lange Augenblicke eindringlich an. Dann drehte sie sich zum Eingang des Tempels und schritt mit einer Priesterin gebührenden Schritten darauf zu. "Ich kenne Euch alle. Irgendwoher kenne ich Euch."

Tenkan zuckte nur mit den Schultern, als er Katiah und Bana anschaute und betraten ebenfalls das Gotteshaus.



Litri benetzte ihre Hände und ihr Gesicht mit dem geweihten Wasser aus einem steinernen Becken, das an der Pforte stand und auch Tenkan beugte sich der Tradition. Leise fragte er die Priesterin, ob sie eventuell eine Vision bewirken könnte, wie es viele Priesterinnen der Abendsonne vermochten. Sie verneinte. So sehr konnte sie ihre wachsenden Kräfte noch nicht kontrollieren. Der Heiler grinste sie verlegen an und meinte, dass er ihr Kräuter geben könnte, die ihr helfen würden. Schnell lehnte Litri diesen Vorschlag ab. Es musste andere Möglichkeiten geben. Keine vorschnellen Handlungen, die sie und ihre Lehrer später bereuen könnten.



Wieder beugte sich Tenkan über das Wasserbecken, um die rituelle Waschung zu vollenden, als er entsetzt inne hielt. In der Spiegelung des Beckens sah er die Umrisse eines anderen Mannes, groß und muskulös. Viel konnte er nicht erkennen, doch reiche dies, um ihn auf ächzend zurück weichen zu lassen.

Er tastete sich zu einer der Bänke, die an der Seite des großen Tempelraumes standen, zischte der Priesterin zu, dass er einen Mann im Wasserbecken gesehen hatte und setzte sich, immer noch leicht verstört. Litri sah ihn erstaunt an und fragte, ob es die Spiegelung von Bana gewesen sei, doch sicherte ihr Tenkan zu, dass dem nicht so war. Dann schloss er die Augen und begann zu meditieren.
 
Neugierig beugte sich Bana über das Becken und blickte in die immer noch aufgewühlte Oberfläche des Wassers, doch sah er nur sich und er grinste breit. Er versenkte beide Hände bis zu den Gelenken und wischte sein Gesicht mit der erfrischenden Flüssigkeit ab.

Dann trat er zu Litri und Katiah und die Priesterin meinte zuversichtlich, dass die Götter ihnen schon weitere Zeichen schicken werden. Schließlich hatten sie ihnen auch die Federn gesandt, da war sie sich sicher. Bei diesen Worten blickte sie prüfend die beovische Kriegerin an, doch die wollte immer noch nicht zugeben, dass auch sie ein solches Zeichen gesehen hatte.



Was sollten sie also unternehmen? Am kommenden Morgen Schatzmeister Haruk aufsuchen? Obgleich er im Beamtenviertel den Schutz der Stadtwachen genoss und einen Leibwächter hatte? Sie entschieden sich, dass es die beste Herangehensweise an den Fall war: die Bewachung konnte im Notfall geschickt umgangen werden und das Risiko lohnte sich, bedachten sie, was auf dem Spiel stand.

Katiah sah Litri und Bana streng an. Sie sollten nicht allzu großen Ärger verursachen, bat sie eindringlich, woraufhin sie Litri musterte. Natürlich würden sie sich zurückhalten, meinte die Priesterin; schließlich war die eine Vertreterin ihres Tempels und würde in Talah leben. Sie hatte kein Interesse daran, sich dies alles durch unüberlegte Handlungen zu verderben.

"Gut," war das einzige, was die Kriegerin darauf lächelnd antwortete. Litri verdrehte ihre Augen.



Was genau wollten sie beim Schatzmeister heraus finden, wollte Bana nun wissen. Ein weiteres Zeichen der Götter, schlug Litri vor. Oder eine neue Vision. Sie sah bei diesem Satz gezielt und provokativ Katiah an, die sich nur ungläubig grinsend abwandte.

Müde von seiner tagelangen Reise und von den ständigen Diskussionen der beiden Frauen legte sich der große Steppenbewohner auf eine der Bänke der Tempelhalle und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Schon wollte Litri ihn auffordern, doch bitte wieder aufzustehen, als ein alter Tempeldiener herbei geeilt kam und sich vor ihm positionierte.

"Mein Herr..." fing er an, doch hier öffnete Bana schon seine Augen, schwang sich seufzend auf seine Beine und stand auf. In seiner ganzen Größe thronte er nun über dem alten Mann und der fügte merkbar beeindruckt hinzu, dass sich der Gast doch bitte einen Meditationsraum suchen sollte.

"Dem Wind kann man keine Richtungen vorgeben," kam die Antwort des großen Kriegers und der Tempeldiener schwieg erstaunt.



Dann mischte sich Litri ein. "Er gehört zu mir," war alles, was sie herausbrachte und der alte Mann ging düster drein blickend seinen Weg, während Litri seufzend Bana musterte. Was war mit diesem unzivilisierten Riesen nur los? Machte er das alles absichtlich? Wollte er sie in den Wahnsinn treiben mit seinen seltsamen Sätzen und seinen Knochen? Doch fand sie ihn in seiner unfassbaren Art auch faszinierend und im Stillen betete sie zu den Göttern, dass sie diese Prüfung meistern könnte.

Sie wurde von Tenkan aus ihren Gedanken gerissen. Er hatte seine Meditation beendet und fragte sie nun nach einer Räucherschale, die er für seine Kräuter verwenden konnte. Abgelenkt griff sie in ihre lederne Tasche und zog ein schön verziertes Gefäß hervor. Er nahm es entgegen und machte sich daran, es mit getrockneten Blättern zu füllen, während Katiah entschied, dass es schon spät genug geworden war. Sie versprach, am Morgen wieder vor dem Tempel zu sein und verabschiedete sich. Dann wanderte sie in die lärmende Stadt hinein und war schnell zwischen den feiernden Menschen verschwunden.



Kurz sah Litri der bleichen Kriegerin nach, dann machte sie sich auf die Suche nach der Tempelvorsteherin. Sie fand die alte Dame nicht, dafür aber ihre Stellvertreterin. Stumm blieb sie neben der betenden Frau stehen, bis diese die Anwesenheit der jungen Priesterin mit Beachtung quittierte.

Mit größtem Respekt fragte Litri, ob es möglich war, zwei Reisende für eine Nacht im Tempel übernachten zu lassen. Sie erklärte, dass ein enges Band der Götter sie mit diesen Leuten verband und ohne zu Zögern willigte die andere Frau ein.

Litri bedankte sich und kehrte zu der Bank zurück, auf der Tenkan im Rauch seiner Kräuter saß und bei der Bana nun wartend stand und in die Nacht hinaus blickte. Sie erklärte lächelnd, dass sie eine Unterkunft für sie besorgt hätte und Bana nickte ihr stumm dankend zu. Nur Tenkan hörte nichts davon, denn er war tief in eine Vision eingetaucht, die von den berauschenden Düften der glühenden Pflanzen herrührte...



Fünf Umrisse sah er im dichten Nebel vor sich stehen. Fünf Schatten ihm unbekannter Personen, unterschiedlich in Größe und Körperbau. Seltsam sahen sie mitunter aus, verzerrt wirkte eine Gestalt. Und dennoch wirkten sie vertraut und als er sich im Nebel umsah, erkannte er die engen Gassen Talahs. Nein, nicht Talah. Eine andere Stadt, exotisch in Architektur und Straßenverlauf. Zu hoch waren die Fenster und zu sehr waren die Wände der Häuser mit Streben und seltsamen Verzierungen durchzogen.

Die fünf Schatten hatten sich bewegt, bemerkte Tenkan und als er ihnen nachschaute, verschwanden sie schnell in einer gewundenen Gasse. Er kannte diese Szene. Er kannte diesen Ort.



Mit einem Ruck riss er die Augen auf und atmete scharf ein. Vor seinem Gesicht war das von Litri und sie blickte ihn besorgt an. Der Heiler versicherte ihr heißer, dass es ihm gut ginge und kramte dann erschöpft in seiner Tasche. Er zog drei Pasteten hervor, die er in seinem Dorf als Bezahlung von Patienten bekommen hatte und hielt zwei davon seinen beiden Begleitern hin. Dankend nahm Bana eine und Litri griff lächelnd die andere.

Lange saßen sie noch dort, während der schwere Duft des Räucherwerks langsam vom leichten Luftzug im Tempel davon getragen wurde, und genossen die Kühle der Nacht und den Geschmack des gebackenen Fleisches in den Pasteten. Schließlich führte Litri die beiden Männer zum hinteren Teil des Tempels und in ein Nebengebäude, in dem die Diener des Tempels untergebracht waren. Still zeigte sie ihnen die schmalen Abteile, in denen sie sich auf sauberen Strohmatratzen ausruhen konnten und ging dann zu ihrem eigenen Gemach, während es sich Tenkan und Bana bequem machten.



Lange lag der groß gewachsene Krieger noch wach, während das leise Schnarchen des Heilers schon zu ihm drang. Durch seinen Kopf wanderten die Erlebnisse seiner Reise... der lange Weg aus der Steppe ins bergige Hochland... der Kampf mit den streitlustigen Männern vor den Stadtmauern... die drei Federn, die auf die Haut des einen gestochen waren... die Schenke und das Treffen mit diesen seltsamen Fremden... das Abenteuer, auf das er sich nun eingelassen hatte. Er lächelte in die Dunkelheit hinein und schloss zufrieden die Augen.

Dann erschrak er, als sich eine zierliche Hand auf seine Lippen presste. Er erkannte die Umrisse von Litri, die über ihm im Finsteren hockte und sich dann langsam auf ihn setzte. Mit einem leisen, genussvollen Ächzen ließ er sie gewähren und versank in ihrem Schoß.



Am nächsten Morgen warteten die drei bereits vor dem Tempel, als Katiah die Straße herauf schlenderte. Neugierig sah sie sich das Gotteshaus an, das von Tempeldienern feierlich mit Fähnchen und Girlanden geschmückt wurde. Neugierig wollte Litri wissen, ob jemand der Anwesenden in der vergangenen Nacht noch eine Vision gehabt hätte und hoffte inbrünstig, dass Bana nichts von ihrer gemeinsamen Schlafstätte verraten würde. Sie lehnte sich angespannt auf den Priesterwanderstab, den sie aus ihrer Kammer mitgenommen hatte. Doch der große Krieger schwieg.

Stattdessen berichtete nun Tenkan von seinem Erlebnis mit dem Räucherwerk und als alle nach seiner Erzählung gedankenverloren schwiegen, fragte der Heiler vorsichtig, was diese Vision zu bedeuten hatte. Waren die fünf Gestalten sie? Zusammen mit Tuvok? Und was hatte es mit der seltsamen Stadt auf sich, durch die diese Schatten so gekonnt gehuscht waren?



Keiner von ihnen wusste eine Antwort und so machten sie sich auf, um Tuvok in der Herberge der beiden Alten abzuholen. Doch dort angekommen mussten sie feststellen, dass der verwirrte Mann nicht mehr in der Obhut der beiden Herbergsbetreiber war. Sie erklärten, dass in der Nacht die Männer des Kämmerers gekommen waren und sie hatten den Beamtensohn mitgenommen.

Da der Kämmer aber auch höchst persönlich dazu gekommen war, um Tuvok abzuholen, hatten sich die beiden Alten nichts dabei gedacht. Sie meinten, dass Tuvok froh war, seinen Vater zu sehen und er freiwillig mit dem Kämmerer gegangen war. Dann kümmerten sie sich weiter um ihre Geschäfte.

Besorgt sahen sich die vier Stehen gelassenen an. Sollten sie nun direkt zum Schatzmeister gehen, wie Katiah es vorschlug? Litri nickte. Wenn sie Glück und Unglück zugleich hätten, würde Tuvok dort schon auf sie warten...


Also gingen sie los und durchquerten zuerst das Karawanenviertel, dann andere Teile der Stadt, die nun vollends von den Vorbereitungen für das Fest mitgerissen wurde und letztendlich erreichten sie den Rand des Beamtenviertel, das im Gegensatz zum Rest Talahs fast schon verlassen und ruhig unter der Frühherbstsonne lag.

An einigen Wachen kamen sie vorbei, die sie höflich grüßten und die wiederum der Priesterin ihre Hochachtung erwiesen und als sie schon die schönen Häuser der Aristokraten und Beamten sahen, löste sich eine krumme Gestalt aus dem Schatten einer kleinen Sackgasse.

Ein ärmlich wirkender Mann mit schmutzigen Haaren und knochigen Fingern wankte auf Bana zu und ihn von oben bis unten musternd tat der große Krieger einen Schritt nach hinten. Doch der ärmlich wirkende Kerl ließ sich nicht abhängen und breitete seine dürren Arme aus. Bana bemerkte das seltsame Kleidungsstück, das der Mann trug: wie ein Teppich mit einem Loch in der Mitte, durch das der arme Schlucker seinen Kopf gesteckt hatte. Er schaute ungläubig seine Mitstreiter an, die schienen diese Gewandung aber gar nicht wirklich zu bemerken.



Über die vielen Ausländer beschwerte sich der seltsame Mann und er schimpfte weiter, dass ständig solche Leute hier aufkreuzen würden. Bana sah ihn nur ruhig an und warnte, dass der Wind manchmal zum Sturm werden könnte.

Neugierig mischte sich Tenkan ein und fragte den Unbekannten, ob hier öfters Männer aus fremden Ländern vorbei kommen würden. Vielleicht, so dachte der Heiler, könnte dies ein neuer Hinweis auf einen Umsturzplan sein. Doch der Mann schüttelte nur sein zotteliges Haupt und verlangte nun ein Kupferstück für seine Mühe, krakelte dann laut, dass nun auch alle das Weite suchen könnten. Er hatte keine Lust mehr auf sie, zeterte er.

Tenkan kramte eine Münze aus seiner Tasche hervor und legte sie dem ungepflegten Mann in die Hand. Nun fragte Bana, ob er schon einmal einen Mann wie ihn hier gesehen hatte. Vielleicht war einer der Verschwörer ein Überlebender des Benutu Volkes, das am König Rache üben wollte? Doch der Fremde verneinte jegliches Treffen mit anderen Menschen aus Banas Stamm vehement.

Dann, als er sich zum Gehen umdrehte, murmelte er etwas von drei Pappeln in seinen wilden Vollbart und trotte dann davon, hinkend und vor sich hin meckernd.



Besorgt sah Tenkan ihm nach und meinte dann seufzend, dass er schon einmal solches Verhalten erlebt hatte, als das Trinkwasser eines ganzen Dorfes verseucht worden war. Damals war der Brunnen die Quelle allen Übels gewesen und nun wollte er wissen, woher Talah sein Wasser bezog. Litri erklärte abwesend und immer noch dem Alten hinterher blickend, dass die Stadt aus verschiedenen Bächen und tiefen Brunnen schöpfte, die das klare Grundwasser des Vorgebirges anzapften. Niemand würde die Möglichkeit haben, so viele Bewohner Talahs gleichzeitig zu vergiften. Die seltsamen Marotten mussten also einen anderen Hintergrund haben. Vielleicht war dies alles ein neues Zeichen des Himmels...

Weiter gingen sie in das Beamtenviertel hinein und eine Anhöhe empor. Sollten sie hier wirklich nach drei Pappelbäumen suchen?



Sie sahen sich kurz um und gingen dann die Straße hinauf, vorbei an weiteren Wachen, die sie aufmerksam grüßten und als ihnen ein gehetzt wirkender Zulieferer entgegen kam, hielt Litri ihn an. Sie fragte ihn nach den gesuchten Bäumen und mit einem höflichen Lächeln deutete er weiter die Straße hinunter. Vermutlich meinten sie die breite Allee, die weiter im Westen durch das Viertel führte und die von Pappeln gesäumt war. Er verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung von der Priesterin, erfreut an einem solchen Tag eine Vertreterin der Götter gesprochen zu haben und ging dann seiner Wege, während Katiah die kleine Gruppe weiter nach Westen führte.

Schließlich bogen sie in die Allee ein, in der die hohen Bäume in den blauen Himmel ragten. Zweistöckige Häuser waren hier erbaut worden, die überaus prunkvoll wirkten.

Sie kamen an einem gerade seine Pforten schließenden Teeladen vorbei, dessen Besitzer ihnen zulächelte und kurz blieb Tenkan verführt stehen und sah sehnsüchtig auf die kleinen Säckchen voller köstlicher Mischungen, die noch auf den Verkaufstischen lagen.

Doch hatten sie keine Zeit dafür und der heiler nahm sich vor, später noch einmal hier vorbei zu kommen, um seine private Sammlung zu erweitern. Freudig tätschelte er seine Ledertasche, die an seiner Seite hing und ging dann den anderen nach.



Minuten lang gingen sie die beinahe menschenleere Straße entlang, bis sie drei auffällig nahe zusammen wachsende Pappeln entdeckten, die vor einem großen und schönen Haus standen. Im vorderen Teil des Gebäudes befand sich ein derzeit geschlossener Laden für Schmuck und andere Schmiedewaren und ein ummauerter Hof an der Seite führte zu einer großen Eingangstüre.

Wollten sie es wagen? Bana nickte nur stumm und sah die anderen erwartungsvoll an und Litri flüsterte ihnen noch einmal zu, dass sie ihre Sinne offen halten sollten. Die Götter könnten ihnen erneut eine Vision schicken. Drei Möglichkeiten gab sie zu bedenken: sie würden den Schatzmeister konfrontieren, eine andere Spur finden oder die ganze Angelegenheit würde sich als komplettes Hirngespinst eines geistig verwirrten Mannes heraus stellen. Dann bogen sie in die kleine Seitengasse ein, die zum Tor des Hofes führte.



Stimmen drangen vom Gebäude her. Eine Frau sprach lautstark im Hinterhof.

"Halon... wo ist dein Onkel?" Eine Herzschläge Ruhe. Dann: "Er benimmt sich komisch, dein Onkel."

"Ich habe keine Ahnung. Und ich muss zum Markt. Ich habe keine Zeit für solcherlei Unsinn." Die Stimme eines jungen Mannes, der vermutlich gerade mal das Kindesalter hinter sich gelassen hatte.

Dann öffnete sich das Tor zur Straße und ein junger Bursche in einfacher Tracht stand vor ihnen, sah sie eindringlich an. "Was wollt Ihr hier?"

"Verzeiht," begann Litri, den anderen mit der Hand ein Zeichen gebend. "Aber wer wohnt in diesem Haus?"

Der Bursche stockte und antwortete dann: "Schatzmeister Haruk lebt hier. Und Ihr verschwindet hier besser. Ihr habt hier nichts zu suchen!" Mit einem warnenden Blick schloss er das Tor und ging dann die Gasse in Richtung des großen Marktplatzes davon.



Litri lächelte die anderen an. "Ein Wink der Götter, fürwahr."

Tenkan nickte und deutete auf die Pappelbäume vor dem Haus. "Deutlicher kann es nicht sein, da habt Ihr Recht."

"Und was wollen uns die Götter nun genau sagen," mischte sich Katiah ein, immer noch skeptisch und von der Idee solcher Sachverhalte irritiert.

"Dass wir uns auf dem richtigen Pfad befinden." Litri zwinkerte ihr zu.

Katiah verdrehte ihre Augen. Genervt seufzend drehte sie sich von der Priesterin weg, wandte sich ihr dann wieder zu und meinte: "Die drei Federn, die ich fand, waren zufällig am Boden vor den Hufen meines Pferdes gelegen. Das hat nichts zu sagen. Es liegen überall Federn herum. Darum habt auch Ihr welche gefunden..."

Mit weit aufgerissenen Augen sah Litri die kleinere Frau an. Also hatte doch auch sie das Zeichen erhalten. Die Priesterin nickte Katiah wissend zu und wieder verdrehte die Beoverin ihre Augen.



Tenkan wollte diese Diskussion nicht noch einmal mit anhören und schlug vor, dass sie weiter der Spur nachgehen sollten. Entweder würden sie so dem König helfen können oder aber einem kranken Tuvok. Dies war sicher der Wille der Götter, um welche es sich nun auch handeln würde.

Beleidigt murmelte Katiah vor sich hin. "Wenn diese Götter so allmächtig sind, dann sollen sie das alles auch genauer gestalten und nicht nur Andeutungen in die Welt streuen..."

"Der Wind bringt viele Samenkörner mit sich, die er auf seinem Weg aufgesammelt und nun in die Welt gestreut hat." Bana sah Katiah ernst an. Sie grunzte.



Nun still und leicht bedrückt warteten die vier vor dem Hoftor. Sollten sie klopfen? Sich zu Erkennen geben? Oder lieber weiter im Geheimen ermitteln? Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen, als eine alte Frau das Tor von innen aufzog und sie griesgrämig anschaute. Dann fiel ihr Blick auf die Priesterin und ihr Gesicht hellte sichtbar auf.

Sie hätte jemanden zum Tempel geschickt, erklärte sie. Aber nun wäre ihnen die Arbeit abgenommen worden und man könnte den Schrein gleich hier und jetzt weihen. Sie bat Litri herein und die drehte sich nur kurz zu ihren Begleitern um und meinte, dass ihre Helfer sie begleiten müssten. Sie zwinkerte und die anderen nickten der Alten zu. Die hielt allen das Tor auf und führte sie dann durch reich geschmückte Gänge in das Atrium des Stadthauses.

Dort stand ein typischer Hausaltar der Katshoi mit all seinen Gottesfiguren, Schalen und kleinen, alltäglichen Opfergaben.

Die Alte deutete darauf und meinte, dass der Junge wäre mit den Gegenständen zum Tempel gegangen und während Litri das einfache Ritual vorbereitete, erzählte die Frau von ihrer Anstellung als Haushälterin des Herren Haruk und ihren Altersbeschwerden und gesundheitlichen Mißständen.



Tenkan trat an die Haushälterin heran und bat ihr an, sich ihre Leiden genauer anzusehen, wäre er doch ein ausgebildeter und erfahrener Heiler und die Augen der Alten leuchteten erleichtert auf. Litri meinte, dass sie die Zeremonie auch alleine durchführen könnte und fügte hinzu: "Macht es Euch etwas aus, wenn meine Diener die anderen Räume des Hauses von negativen Energien säubern würden?" Sie nickte den beiden konspirativ zu.

Die Haushälterin hatte nichts dagegen und während sie mit Tenkan in der reich ausgestatteten Küche verschwand, nahmen Bana und Katiah jeweils eine Räucherschale aus Litris Tasche und gingen damit los, um sich in den Räumen so umzusehen. Irgendetwas mussten sie finden, was einen Hinweis auf Haruks Pläne geben könnte...

Leise in ihrer Heimatsprache Witze erzählend ging Katiah den Weg zurück, den sie vom Hinterhof gekommen waren und Bana sang im schweren Stammesakzent alte Lieder aus der Steppe und so streiften sie durch die Gänge und blickten in die unverschlossenen Räume. Als sie an einer steilen Treppe ins Obergeschoss angekommen war, vernahm Katiah das recht wilde Spiel eines Saiteninstrumentes und neugierig schlich sie langsam die Stufen empor.



Sanna hieß die Haushälterin und sie klagte über schmerzende Knie und Hüften, trockene Haut und schwache Augen. Sie bot ihm ein Stück kalten Ziegenbraten an und als er dankend annahm und sie ihm den schön getöpferten Tonteller mit der Scheibe Fleisch reichte, roch er plötzlich nicht mehr das strenge Aroma der Ziege, sondern verbranntes Menschenfleisch.

Er schüttelte seinen Kopf. Sanna sah ihn verständnislos an und er blickte zurück auf den Teller. Ziegenbraten. Er roch Ziegenbraten. Mit einem tiefen Seufzen nahm er einen Bissen.

Katiah lauschte an der Türe, die vor ihr lag. Die Musik kam nicht aus diesem Raum und so betrat sie vorsichtig die Schreibstube. Schriftrollen und Tafeln waren in Regalen aufgereiht und neben einem großen Tisch stand ein gut verpacktes Bündel, das sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Von dem Bündel ging eine unheilige Magie aus, die beinahe schon zu vibrieren schien.

Mit unsicherer Hand griff sie danach und streifte die Stoffumhüllung ab. Es war eine mit Goldeinlagen verzierte Schale, die sie nun hielt, und auf der Schale blickte ihr das kunstvoll gestaltete, groteske Gesicht eines Meerestieres an. Tentakel hingen unter den großen, suchenden Augentrauben und Klauen und Scheren waren in den Linien zu erkennen. Angewidert packte Katiah die Schale wieder und steckte sie unter ihre Weste. Sie schüttelte sich unwohl und eilte dann leise wieder ins Atrium, wo Litri noch mit ihrem Ritual beschäftigt war, wo auch schon Bana, der seinerseits nichts interessantes gefunden hatte, geduldig wartete.



In der Küche wollte Tenkan, während er die Gelenke der alten Senna untersuchte, nun wissen, wo Meister Haruk war. Sanna meinte, dass Haruk bei den Vorbereitungen des Erntefestes beteiligt war und vermutlich nicht so schnell heim kommen würde. Dafür aber, so fügte sie hinzu, als ob Tenkan über die Verhältnisse in diesem Haus aufgeklärt wäre, sollte bald Geron zurück sein und der Junge ebenfalls. Vermutlich meinte sie Halon, den sie zuvor gesehen hatten, mutmaßte Tenkan.

Sanna meinte mit einem deutlich hörbaren Tadel in ihrer Stimme, dass auch Salzfinger bald wieder hier sein müsste. Tenkan stutzte kurz. Salzfinger? Auf seine Nachfrage hin erklärte die alte Haushälterin, dass Salzfinger der Koch des Hauses sei und Halon - der Kammerdiener Haruks - sein Neffe war. Er kam ursprünglich aus den Landregionen um Talah und hatte seinen Namen nur allzu sehr verdient. Der Heiler schmunzelte.

So lustig fand Sanna die Sache nicht und beschwerte sich nun ausgiebig über das Verhalten des Koches: er würde fast nur noch auf seinem Instrument spielen und das seit Tagen. Meister Haruk störte das nicht sonderlich, aber Sanna kostete das ihre letzten Nerven, erklärte sie.
 
Wie lange Salzfinger schon im Hause angestellt war, wollte Tenkan nun wissen und kurz überlegte die Alte. Ein Jahr sollte es nun schon geworden sein, sprach sie in Gedanken verloren und fügte dann wieder konzentrierter hinzu, dass dies aber auch nicht entschuldigen würde, dass er jetzt so seltsam war. Seine Lieder und Gedichte waren irritierend, sonst nichts.

Tenkan sah sie genau an. War Salzfinger besessen, wollte der Heiler wissen und Sanna antworte ihm mit leiser Stimme: "Vielleicht..."

Litri sah Katiah fragend an. Die nickte nur und deutete dann in Richtung der Haustüre. Die Priesterin lächelte zufrieden. Während sie die letzten Handgriffe der Zeremonie durchging und sich Bana Trockenfleisch knabbernd schon in den Hinterhof begab, wo er sich ruhig umsah, ging Katiah in die Küche, wo Tenkan die Haushälterin mit seiner leicht magisch unterlegten Kunst an Knie und rheumatischen Gelenken behandelte und beide, dass das Ritual bald abgeschlossen war.

Sanna bedankte sich für die Arbeit des Heilers und zusammen gingen sie zum Atrium. Litri hatte ihre heiligen Amulette und Schalen bereits wieder eingesteckt und wünschte der Haushälterin noch ein harmonisches Fest, dann verließ sie mit den anderen das Haus des Schatzmeisters.



Immer noch waren die Straßen wegen des anstehenden Festes in diesem Viertel beinahe vollkommen leer und auch die nahen Geschäfte hatten nun geschlossen. Kurz sahen sie sich um, dann zog Katiah die anderen in eine dunklere Gasse. Verschwörerisch holte sie die eingehüllte Schale hervor und als die Beoverin das Diebesgut auspackte, begriff Litri erst, was die Kriegerin im Haus des Schatzmeisters genau gemacht hatte. Mit geschlossenen Augen um Verzeihung betend wendete sie sich gen Sonne und wurde entnervt von Katiah angesehen.

Tenkan erwähnte kurz von seiner Vision, die er in der Küche gehabt hatte. Von dem Geruch nach verbranntem Menschenfleisch. Bana sah ihn nur stumm und mit gerunzelter Stirn an und der Heiler seufzte, dass es schade war, dass sie nur einen solchen Hinweis von den göttlichen Mächten erhalten hatten.

Schließlich nahm Litri die gestohlene Schale aus den Händen der Kriegerin und sah sie mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck an. Sie drehte sie einige male und nickte dann angespannt: dies war wahrlich ein mächtiges Artefakt, soviel konnte sie jetzt schon sagen. Es hatte eine Aura der Dunkelheit um sich und auch das goldene Meerestier, das sie anstarrte, ließ sie angeekelt erschaudern.



Kurz konzentrierte sie sich auf den unheiligen Gegenstand und ließ gebündelte Energie durch sich und die Schale fließen. Göttliches Licht erfüllte ihren Geist, als es kurz gegen die Aura ankämpfte, dann gab es eine Erschütterung im Machtgefüge der näheren Umgebung.

Litri sah sich in den Schatten einer fremden Stadt stehen, vier weitere Gestalten bei ihr lauernd. Alles wirkte vertraut. Bekannt. Wie ein Teil von ihr.

Mit zitternden Händen ließ sie die Schale beinahe fallen und Bana stützte sie besorgt, als sie ins Wanken kam. Erschöpft sah sie ihre Begleiter an. Was sollten sie nun machen, hatten sie doch immer noch nichts genaues herausgefunden? Sollten sie den König auf dem Erntefest aufsuchen und versuchen, ihn zu warnen? Oder Haruk hinter her jagen und hoffen, dass Tuvok nicht doch einfach ein verwirrter Irrer war? Und was sollten sie mit der Schale machen, die spürbar mächtig war und eventuell als Waffe eingesetzt werden konnte?

Verzweifelt standen sie in der kleinen Gasse des Beamtenviertels, während die warme Mittagssonne am Himmel strahlte.



Bana griff in die Richtung der Schale und erklärte Litri, dass er sie halten wollte. Als sie sie ihm gab, blickte er sie kurz an, dann ließ er sie auf den Boden fallen. Doch die Schale nahm keinen Kratzer. Keine Beule war zu sehen und die anderen sahen den großen Stammeskrieger entgeistert an. Er wollte sie zerstören, meinte er Achseln zuckend. Sie wüssten nicht, ob es sich vielleicht wirklich um eine Waffe handeln würde und Katiah hob die Schale seufzend auf.

Sie blickte sie eindringlich an und Tenkan flüsterte nur mit Achtung in der Stimmung, dass dunkle Götter auf dem seltsamen Objekt abgebildet seien. Der Tintenfischkopf blickte wortlos zurück und spiegelte im Sonnenlicht. Katiah sah Tenkan an.

"Welcher Gott soll das denn sein?" Sie hob eine Augenbraue.

Litri mischte sich ein: "Vielleicht eine Gottheit aus dem fernen Westen?"

"Fragt doch in Eurem Tempel nach, da muss sich jemand mit solchen Dingen auskennen," schlug Kathia vor und als Litri sie nur skeptisch anblickte, fügte sie hinzu: "Oder im Tempel Eurer spirituellen Konkurrenz."

Dies erntete nun wirklich einen giftigen Blick der Priesterin, wollte sie doch nichts vom Orden der Morgensonne wissen. Katiah grinste vergnügt.



Bana schlug vor, zum Palast zu wandern, der in der Nähe des Beamtenviertels war, um dann den Weg der bevorstehenden Prozession rückwärts vom Tempel des Sonnengottes abzugehen. Vielleicht konnten sie hier etwas entdecken.

Doch was sollten sie mit der Schale machen, fragte Katiah und bevor jemand antworten konnte, nahm Litri der Beoverin die Schale wieder aus den Händen und steckte sie in ihre lederne Tasche. So konnten sie den Weg wagen und wenn die Götter ihnen eine weitere Vision schicken würden, könnten sie neue Schritte unternehmen.

Auf dem Weg zum gesicherten Palast kamen ihnen einige Palastdiener entgegen und kurz fragte Litri hoffnungsvoll nach dem Schatzmeister des Königs, doch wussten die geschäftigen Männer nicht, wo er sich genau befand. Vermutlich am Tempelplatz, um das den Beginn des Festzuges zu überwachen, wurde ihr gesagt und so bedankte und verabschiedete sie sich und als sie bei den Palastwachen ankamen, die vor den hohen Toren des Zaunes standen, meinten diese, dass an diesem Tage keine Audienzen gegeben würden.



Sie lächelten der Wache zu und machten keine Anstalten, länger als notwendig auf dieser Straße zu verweilen. Langsam und mit offenen Sinnen zogen sie in Richtung des Tempels. Nach einigen Minuten und wieder in der Nähe der Allee mit den Pappeln wurden ihre Schritte langsamer.

Sie hörten seltsame Klänge, wie von einem fremden Saiteninstrument, das in schnellem Takt gezupft wurde und das hektische Spiel schien die Menschen auf der Straße nicht zu bewegen. Suchend schauten sie sich um, doch konnten sie keine Richtung ausmachen, von welcher die Musik wehen könnte. Ein seltsames Gefühl grub sich in ihre Bäuche, dass dies mit ihrer Suche zu tun hatte und als Litri eine vorbei spazierende Frau fragte, wer hier diese Melodie spielen würde, sah die Unbekannte sie nur fragend an und meinte dann, dass sie keine Musik hören würde.

"Vielleicht ist das wieder eine dieser Banden von Fremden, die mit ihren Auftritten Geld von ehrlichen Bürgern erbetteln wollen," schimpfte sie und zog dann weiter.



Ein anderer Passant wurde angesprochen, doch hörte auch dieser nichts von den beschriebenen Klängen und ein dritter meinte, dass er auch keine Musik hörte, aber wenn, dann wäre sicher dieser Taugenichts von Koch dafür verantwortlich. Seit Tagen würde dieser Störenfried die Nachbarschaft beschallen. Ein letzter Angesprochener stob mit einem kurzen "Ich höre nichts!" sofort weiter, musste er doch noch einige Botengänge für seinen Herren erledigen.

Verzweifelt sahen sie sich an, dann hielt Katiah sich prüfend die Ohren zu. Die Klänge waren nun dumpfer. Also bildete sie sich dies alles nicht nur ein, die Musik war wirklich zu hören... aber warum nur für sie und den Rest der kleinen Gruppe?

Litri schloss die Augen und atmete tief durch. Immer noch konnte sie keine Richtung erkennen. Sie schüttelte enttäuscht und als sie sich den anderen zuwenden wollte, wurde die Musik leiser und immer leiser. Dann verstummten die Klänge ganz.

Katiah lachte leise auf. Jemand wollte sie ärgern, davon war sie überzeugt und das sagte sie auch. Sie würden dem Scherzbold nur eine Freude tun, gingen sie weiter auf den Streich ein und so schlug sie vor, weiter zum Tempelplatz zu gehen.


Sie gingen durch das Geschäftsviertel und hier waren wieder mehr Menschen zugegen. Die meisten gingen ebenfalls weiter gen Tempel des Sonnengottes, doch andere kauften noch in den hier geöffneten Läden ein, standen in kleinen Gruppen zusammen oder genossen einfach den Tag. Talah pulsierte voller Leben und als sie durch eine breite Straße wanderten, spürte Bana einen schmerzhaften Stich in seiner Seite, wie wenn ihn jemand mit zwei spitzen Gegenständen attackiert hätte.

Er hielt inne, tastete an die schmerzende Stelle und erkannte, dass dort nichts war und so sah er sich irritiert um, während die anderen die Verwirrung des Kriegers mitbekamen und ebenfalls stehen blieben. Doch war in der Straße nichts zu sehen. Nur ein kleiner Verkaufsstand fiel Bana auf, der an einer Hausseite aufgeschlagen worden war und an dem ein alter Händler gebratenes Ziegenfleisch auf kleinen Spießchen anbot. Mit einer langen Fleischgabel winkte er dem starrenden Steppenbewohner zu.



Der schritt zum Essensstand hinüber und sah den Händler eindringlich an. Hatte er ihn mit der Gabel gestochen? Nein, zu Weit war die Distanz gewesen. Aber was hatte dies alles zu bedeuten? Eine erneute Botschaft der Götter? Immer noch redete der Händler auf Bana ein, der aber schüttelte den Kopf. Er hatte nicht genügend Geld dabei, um sich auch noch den Bauch voll zu schlagen. Doch Tenkan trat neben ihn und bestellte zwei der köstlich riechenden Spießchen und breit lächelte ihn Bana an.

Katiah und Litri sahen sich prüfend um. Die Häuser waren hier zwei und manchmal sogar drei Stockwerke hoch und die hohen Dächer und als Sonnenschutz gespannten Tücher warfen Schatten. Der Lärm der Straße umfloss sie. Katiah berührte die Priesterin kurz am Arm und deutete auf Bana, der kauend das Haus hinter dem Essensstand umrundete und prüfend alle Fenster und die rau verputzte Wand beäugte. Dann verschwand der Riese in einer Seitengasse.

Die beiden Frauen sahen zu Tenkan hinüber, der kam aber nur Ziegenfleisch essend auf sie zu.



Bana hatte immer noch das Gefühl, hier etwas nicht ganz gesehen oder verstanden zu haben. Das Haus war eine Spur auf ihrer Suche und der geisterhafte Stich hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Da war er sich sicher. Die Soße von seinen kräftigen Fingern leckend schlenderte er weiter die kleine Gasse hinunter und machte nur kurz Platz, als ein nur etwas kleinerer Mann in der Tracht der Katshoi Krieger ihm entgegen kam.

Doch kurz sah er keinen Katshoi, als der sich an ihm vorbei drängte. Er sah einen hellhäutigen Kämpfer in Leder und Fell gekleidet, mit geflochtenen, goldenen Haaren und einem langen Vollbart, wie er hier zu Lande nur von Gelehrten getragen wurde. Entsetzt sah Bana den Mann an, doch wirkte er wieder normal und mit für die Gegend üblicher dunkler Haut.

"Was willst du?" grollte er Bana provozierend zu und als Bana schweigend einen Schritt zurück machte, funkelte der Katshoi ihn noch einmal kurz an. "Wilde," fluchte er und ging dann weiter durch die Gasse. Bana blickte ihm mit offenem Mund nach.



Schleunigst eilte er zurück auf die breitere Straße und erzählte sich überschlagend von der Vision vom bleichen Mann, doch als Tenkan fragte, ob es sich um einen Beover wie Katiah hatte handeln können, verneinte der große Mann. Er hatte noch hellhäutiger gewirkt, noch goldhaariger.

Bana wollte nun von Tenkan und Litri wissen, ob das Talahnische Königreich jemals gegen den Norden gekämpft hätte, doch weiter als die in nahen Berge waren die Soldaten des Reiches nie in den in diese Himmelsrichtung vorgedrungen. Auch Katiah kannte keine Geschichten aus ihrem Land, in denen Krieger aus dem Süden einen Krieg begannen.

Der Heiler überlegte kurz und erwägte, dass die Schale einen nordischen Gott zeigen könnte. Doch Katiah war kein Gott bekannt, der wie ein solches Meerestier beschrieben wurde und ungeduldig deutete Bana in die Richtung der kleinen Gasse, in der er den Krieger gesehen hatte. Sollten sie sich doch selber ein Bild von der Sache machen.

Kurz blickte Tenkan in die Häuserschlucht und zuckte dann mit den Achseln. Hier war nichts zu sehen, außer ein paar spielende Kinder und als Bana genervt ebenfalls wieder den Schatten zwischen den Gebäuden betrat, sah er wahrhaftig nur zwei Jungen, die mit kleinen Messern Figuren in den schmutzig weißen Wandputz kratzten. Er erkannte eine Katze mit menschlichem Körperbau und eine Art Ratte mit langer Schnauze und flauschigem Schwanz.

Eine Querstraße weiter war der Krieger auch nicht mehr zu sehen und so kehrte Bana seufzend zu Tenkan und den beiden Frauen zurück.



Litri hatte die Zeit leicht genervt abgewartet und einen kleinen Stand mit tönernen und steinernen Götterfiguren betrachtet und sie war froh, als sie endlich weiter durch die Straße gingen. Der Pfad zwischen den Häusern wurde breiter und breiter und schließlich mündete er auf einem weiten Platz vor dem großen, eckigen Tempel des mächtigsten Gottes dieses Reiches. Hier waren hunderte Menschen aus Talah und Umgebung versammelt, sangen und lachten schon ausgelassen.

Ein Teil des Platzes war von Wachen abgesperrt worden und dort waren Beamte und Diener des Palastes und des Tempels damit beschäftigt, letzte Vorbereitungen für die Prozession zu treffen. Eine Gruppe Priester brachte gerade eine Statue des Sonnengottes aus den heiligen Hallen und platzierten ihn auf einem Holzpodium.

Sie platzierten sich in der Nähe der Wachmannschaft und belauschten neugierig einige Beamte, während Katiah einige vorsichtige Schritte in Richtung eines Offiziellen machte, der gereizt mit einem Diener schollt. Schon wollte sie die anderen auf dieses Gespräch aufmerksam machen, als Bana unsanft angerempelt wurde. Erzürnt drehte er sich um und sah noch, wie ein junger Kerl durch die Linie an Wachen schritt und einen kleinen, dicklichen Beamten mit einem prominenten Kinnbart ansprach.



Litri trat an seine Seite.

"Ist dies Halon? Der Kammerdiener des Schatzmeisters?"

Bana nickte nachdenklich. "Ich glaube..."

"Dann habe ich einen Plan." Mit diesen Worten schritt Litri auf die Beamten zu und Bana ging ihr mit kräftigen Schritten hinterher.

Doch sofort stellte sich ein Wachmann in ihren Weg und erst als Litri meinte, sie wollte mit Meister Haruk und Meister Halon sprechen, ließ sie der Bewaffnete passieren. Nur Bana durfte keinen Schritt weiter auf die kleine Gruppe zugehen und musste stehen bleiben, was dem großen Krieger nicht gefiel.

Sie verneigte sich ihrem Stand als Priesterin entsprechend vor dem vermuteten Schatzmeister. "Meister Haruk?"

Der dicke Beamte sah sie prüfend an, blickte kurz zu seinem Schreiber, der ebenfalls neben ihm stand und fragte dann mit hörbarer Ungeduld in seiner Stimme: "Ihr seid wegen der Planung des Festes hier, habe ich Recht?"

Also war es tatsächlich Schatzmeister Haruk und sollte Tuvok die Wahrheit gesagt haben, war er es, der eine Gefahr für den König darstellte. Litri überlegte schnell und verneigte sich erneut.

"Lasst uns das unter vier Augen besprechen, Schatzmeister." Sie deutete auf eine freie Stelle zwischen den Beamten und den Wachen.



Wieder tauschten der Schreiber und Haruk skeptische Blicke aus, dann meinte der Schatzmeister, dass er nur kurz reden könnte. Einige Schritte ging er mit der Priesterin, dann schaute er sie erwartungsvoll an. Die um einiges jüngere Frau beugte sich lächelnd zu ihm und als er sich ebenfalls ahnungslos zu ihr beugte, sagte sie leise: "Wir wissen, was Geron und Ihr vor habt."

Haruk zuckte zurück und sah sie verwirrt an. Dann schlich sich Zorn in seine Augen und er räusperte sich, während er sich von Litri weg drehte.

"Verzeiht, Schatzmeister," fuhr die Priesterin fort. "Aber wir werden Eure Pläne vereiteln."

Haruk entfernte sich mit hoch erhobenen Kopf von ihr und Litri nahm einen tiefen Atemzug. Würde sie sich nun verschätzen, bedeutete dies einen ganzen Haufen Probleme für sie und ihre neu gewonnenen Kameraden.

"Wir haben die Schale." Die Worte waren leise, doch Haruk blieb wie versteinert stehen. Mit vernichtendem Blick wirbelte er zur Priesterin herum und starrte sie mehrere Herzschläge lang hasserfüllt an. Dann eilte er schnellen Schrittes zu den anderen Beamten zurück.



Litri atmete erleichtert aus. Haruk hatte sich verraten. Die Schale hatte mit seinen Plänen zu tun und dies alles war nicht nur eine Einbildung des verwirrten Tuvoks. Nun konnten sie sich überlegen, was sie als nächstes unternehmen wollte. Sich nichts anmerken lassend, spazierte sie zu den anderen.

Ruhig und beinahe schon flüsternd erzählte sie ihnen von der Offenbarung des Schatzmeisters und als sie erwähnte, dass sie den Besitz der Schale zugegeben hatte, sah Katiah sie entsetzt an. Sie hatte den Diebstahl zugegeben? Sie hatte ihren Trumpf verraten? Den Übeltätern gesagt, dass sie die Waffe gegen den König in ihrem Besitz hatten? Leise in ihrer harten Heimatsprache fluchend sah sie auf den Boden. Litri sah sie nur ruhig an.

Bana fragte mit tiefer Stimme, ob sie den Schatzmeister nun beseitigen sollten. Doch war dieser Schritt der Priesterin zu extrem und sie schüttelte energisch den Kopf. Auch Tenkan sah unglücklich drein und so wollte Katiah wissen, ob sie sich nun besser aufteilen sollten, war Haruk schon über ihr Wissen informiert. Sie entschieden sich, vorerst noch zusammen zu bleiben und sich erst zu trennen, wenn sich Wachen eindeutig auf sie zu bewegen würden.



Bana wollte gerade etwas sagen, als sein Blick über die Menge wanderte und er Sanna entdeckte. An ihrer Seite tanzte ein junger Bursche, der pfeifend mit ihr Schritt hielt und die Haushälterin des Schatzmeisters sichtlich damit nervte. Ihr Weg führte sie anscheinend zu Haruk und den anderen Beamten und er stupste Tenkan an, um ihn und schließlich die beiden anderen auf sie aufmerksam zu machen. War dies der erwähnte Salzfinger? War es möglich, dass die Götter eine neue Spur gelegt hatten?

Erneut setzte sich Litri in Bewegung. Sie schnitt Sanna und ihrem Begleiter den Weg ab. "Herrin Sanna... Meister Salzfinger?" Eher eine Frage, als eine Begrüßung.

Während Sanna nun erfreut auflachte und sich vor der Priesterin verbeugte, erstrahlten die Augen des Dieners neben ihr mit Erkenntnis. Kein Wort brachte er heraus, doch wanderten seine Blicke von Litri zu den anderen, die der Priesterin gefolgt waren. Ohne erst einmal auf die Haushälterin einzugehen, fragte Litri erneut: "Salzfinger?"

Der Mann nickte und begann zum Erstaunen aller zu singen: Von fernen Ländern kam ich her, der Priester tanzt im brennenden Haus. Der Frosch gebraten in der Suppe... und im Haus auch der Esel vom Donner überrollt."



Alle sahen sich irritiert an und Sanna verdrehte tief seufzend ihre alten Augen. An irgendjemanden erinnerte der Koch sie, doch wussten sie nicht, an wen. Er hatte die selbe Art von Vertrautheit um sich herum, wie die Visionen der letzten Stunden. Aber welche Rolle spielte der seltsame Geselle? Sie sahen Sanna fragend an, die warf aber nur die Hände gen Himmel und jammerte, dass er seit Tagen solchen Irrsinn von sich geben würde.

Tenkan lächelte die Haushälterin beruhigend an und wollte wissen, seit wann genau Salzfinger diese Schübe des Wahnsinns hatte. Etwa drei Tage, gab die alte Frau zurück. Seit dem würde er dichten, singen und allerlei Instrumente spielen, die er zuvor noch nie in die Hand genommen hatte. Kopfschüttelnd gab sie zu, dass sie gerade ernsthaft erleichtert war, ihn ohne Instrument aus dem Haus bekommen zu haben. Tenkan schmunzelte verständnisvoll.



Als Katiah ohne Vorwarnung anfing, die seltsame Melodie zu summen, die sie zuvor in den Gassen des Beamtenviertels gehört hatten, wussten ihre Begleiter sofort, was sie vorhatte, Salzfinger sah sie aber nur verständnislos an. Bana versuchte nun ebenfalls, dem Koch mit dem gesummten Lied eine Reaktion zu entlocken, aber erst als Litri es mit gespitzten Lippen pfiff, lachte Salzfinger laut auf.

Erfreut schrie er "Mein Ode!" und Tenkan fragte neugierig, worum es in diesem Stück gehen würde.

"Leidenschaft!" erklärte Salzfinger. "Die brennende Leidenschaft, die zur Feuersbrunst heranwächst!"

"Welche Leidenschaft?" wollte der Heiler wissen.

Mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck erhob Salzfinger einen Finger. "Musik, Geld und... Ruhm." Er zwinkerte Tenkan zu.



Verzweifelt hielt sich Sanna die faltigen Hände vor die Augen und flüsterte ein Stoßgebet. Mit beruhigender Stimme fragte Litri, ob die alte Haushälterin den Koch für eine kurze Zeit entbehren könnte. Sanna sah sie kurz unschlüssig an, dann winkte sie ab. Ihr Herr Haruk hatte ihr zwar aufgetragen, auf Salzfinger aufzupassen, aber so war sie wenigstens für einige Augenblicke von ihm befreit. Kopfschüttelnd und erneut die Götter anrufend humpelte sie auf die den Schatzmeister zu, während Katiah den treu lächelnden Salzfinger mit den anderen schnell zum Rand des Platzes führte.

Dort schob sie den immer noch breit grinsenden Koch in eine dunkle Gasse und als sich die anderen zu ihnen drückten, fragte Litri, ob auch er seltsame Dinge gesehen hatte. Visionen von ihm unbekannten Orten und Menschen? Drei Federn? Eine Schale mit dem Abbild eines monströsen Meerestieres?



Salzfinger nickte eifrig und meinte, er hätte eine böse wirkende Schale im Hause des Schatzmeisters gesehen und beim Rupfen eines Huhnes waren drei schwarze Federn im sonst weißen Federkleid des toten Tieres zurückgeblieben und hatten sich mit aller Kraft gegen das Herausreißen gewehrt.

Litri sah die anderen erleichtert an und erklärte dann, dass die fünfte Gestalt in der Vision von Tenkan wohl wirklich nicht Tuvok gewesen wäre. Es war Salzfinger, soviel stand nun fest. Als sie dies aussprach, wurde es dunkel in der Gasse, wie wenn sich eine Regenwolke vor die Herbstsonne geschoben hätte und die Geräusche der Stadt um sie herum wurden dumpf und wirkten weit entfernt...



...sie waren in einem riesigen Raum, dessen Wände sie nicht wirklich ausmachen konnten. Dunkelheit waberte wie Nebel um sie herum und sie wussten, dass sie zwar nicht hier her, dafür aber zusammen gehörten. Sie kannten sich. Sie vertrauten aufeinander.

Dann standen sie wieder in der kleinen Gasse am Rande des Tempelplatzes.



Besonnen schloss Tenkan die Augen und forschte mit seinen Erinnerungen und Empfindungen nach genaueren Details. Was hatten die göttlichen Energien ihnen sagen wollen? Der Raum hatte so gewirkt, als wäre er nicht der Wirklichkeit entsprungen. Fremd. Auf eine seltsame Art verdreht und künstlich. Kein Architekt bei Sinnen würde so bauen.... und dennoch war es vertraut. Tenkan kannte all dies.

Litris Frage, ob alle das selbe gesehen hatten, holte ihn ins Hier und Jetzt zurück. Auch er nickte erschöpft und sogar Salzfinger bejahte leicht eingeschüchtert. Der Heiler blickte den Koch lange an, dann fragte er, ob er wüsste, was ihre Aufgabe sei, die die Götter ihnen gegeben hatten.

Salzfinger flüsterte verschwörerisch, dass sie dorthin zurück kehren mussten, wohin sie gehören würden. Dies war kein Angriff gegen Katiah und Bana, machte sich Tenkan bewusst. Salzfinger meinte nicht die Fremden in der kleinen Gruppe. Er meinte etwas anderes und dies machte dem Heiler Angst.

"Wohin gehören wir?" wollte er leise wissen und Salzfinger schüttelte nur traurig den Kopf.

"Ich weiß es nicht... nicht hier her."
 
Mit einem ungeduldigen Grunzen unterbrach Katiah das kurze Schweigen. Sie tat diese Schauermär des Kochs und die gemeinsame Halluzination als Schattenspiel der Schale ab, die eindeutig dunklen Einfluss auf sie hatte. Doch Tenkan wollte nicht locker lassen. Er sprach den Koch auf den bevorstehenden Anschlag auf König Sarlon II. an, aber auch darüber wusste Salzfinger nichts hilfreiches zu sagen.

Seufzend zog Litri die Schale aus der Tasche und alle sahen angewidert auf die vielen Augen, die ihnen aus dem Krakengesicht entgegen starrten.

Tenkan sprach als erster: "Hat Bana Recht? Sollten wir es einfach zerstören und so die Gefahr bannen?"

Litri sah die anderen an und nickte. Dann stellte sie die Schale an die Wand der Gasse und trat einen Schritt zurück. Der großgewachsene Steppenkrieger zog seine Axt, holte aus und schlug mit der schweren Klinge gegen das dunkle Artefakt.



Funken schlugen nach allen Seiten und mit einem lauten Scheppern sprang die Schale in den Staub der Gasse. Schlagartig war es Nacht um sie herum und hohe Häuser türmten sich zu allen Seiten in den Sternenhimmel. Fremdartig. Kantig. Und immer noch vertraut. Dann war alles wieder normal. Der Lärm vom Platz wehte zu ihnen herüber und die Schale lag vor ihnen in der Gasse. Doch keine Schramme und keine Delle war im dünnen Material zu sehen.

"Magie schützt die Schale vor Zerstörung," murmelte Tenkan. "Was wir brauchen ist eine andere Art von Kraft." Er blickte zu Litri.

Die schüttelte nur ihren Kopf. "Nein. Meine Macht wird nicht ausreichend, um einen solchen Fluch zu bannen." Sie stützte sich schwer auf ihren Stab.

"Dann," flüsterte Tenkan: "müssen wir eine andere Lösung finden. Behalten wir die Schale vorerst in unserem Besitz und schützen wir sie vor dem Schatzmeister."

Die anderen willigten stumm ein.



Die Musik und Rufe vom Festplatz wurde lauter und als sie aus der Gasse spähten, sahen sie, wie die Feier langsam begonnen wurde. Überall waren Menschen aus Talah und anderen Städten und sie johlten und lachten, beteten und tanzten.

Katiah schlug vor, dass sie aus der Ferne den König und Haruk im Auge behalten sollten. Zudem sollte Litri die Schale weiter aufbewahren und alle würden die Priesterin schützen, so gut es ginge. Mit dieser Taktik könnte man unschöne Überraschungen verhindern. Keiner hatte einen bessere Idee und so schob Litri die Schale erneut in ihre Tasche.

"Dort ist Geron," hörten dann alle Salzfinger sagen und als sie seinem Blick folgten, sahen sie einen muskulösen Mann mit Glatze und buschigem Schnauzbart, der fünf voll gerüstete Wachen genau in ihre Richtung führte. Zornig zusammen gepresste Augen funkelten sie an.

Anscheinend hatte die Haushälterin mit Haruk gesprochen und der hatte seinen Verbündeten, den Sohn seines Leibwächters losgeschickt, um die lästigen Unruhestifter zu beseitigen.



Sie gingen tiefer in die Gasse hinein. Zuerst langsam, dann immer schneller und schließlich eilten sie davon. Dann drückten sich Katiah und Litri in die Schatten, die Beoverin zwischen einige große Vasen, die dort abgestellt waren und die Priesterin an die Seite einiger ahnungsloser Passanten, die sich angeregt unterhielten.

Tenkan und Bana, die verzweifelt versuchten, Salzfinger weiter in Sicherheit zu ziehen, wurden jedoch von den nahenden Männern gesehen und laut befahl Geron, dass sie sofort stehen bleiben sollten. Mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck blickte Tenkan über seine Schulter, winkte verlegen grinsend und stieß Salzfinger nur fester vorwärts.

Die bewaffneten Männer liefen schneller und ein Ruf durchschnitt die Gasse: "Bleib stehen, Benutu!"

Mit einem tiefen Grollen in der Kehle hielt Bana an und drehte sich langsam um, während sich Tenkan und Salzfinger hinter ihn drückten. Mit angespannten Muskeln wartete er auf die vorsichtig mit auf ihn gerichteten Speeren und vor sich gehaltenen Langschilden zukommenden Wachen.

Die Passanten entfernten sich schnell aus der Gasse und die Geräusche des Festes wirkten nun fehl am Platze.



Ihr Gesicht nach unten gerichtet, das Kopftuch tief über ihre Augen gezogen und an die Wand gelehnt, atmete Litri schnell und flach. Was sollte sie machen? War dies das Ende dieses Abenteuers? Das Ende ihrer gemeinsamen Suche? Der Untergang von König Sarlon II.?

Nein, entschied sie. Hier würde es nicht enden. Niemand würde ihnen das nehmen können, niemand könnte sich ihnen in den Weg stellen und damit Erfolg haben. Ein Gefühl der Allmacht durchfloss sie und sie erinnerte sich an die Bilder, die ihr im Kopf herum gespukt waren, als sie am gestrigen Abend die Tänzer und Akrobaten gesehen hatte. Waren das alles ihre Gefühle? Ihre Gedanken?

Ja...



Sie sah zur Seite und nur eine Armeslänge entfernt schritt einer der Wachen an ihr vorbei, schwitzend auf Bana konzentriert und seinen Schild angespannt vor seinen Körper gehoben. Ohne einen weiteren Augenblick zu verschwenden schlug sie mit ihrem Priesterstab in die Richtung des überraschten Mannes, traf aber nur den hohen Lederschild. Flüche und Beschimpfungen, die alle entsetzt aufschauen ließen, stieß sie aus und mit einem kraftvollen Sprung erklomm sie das niedrige Dach des Hauses, an dem sie gestanden hatte. Wie in ihrer Vision rannte sie über den harten Lehm und sie fühlte sich frei und lebendig. Wie wenn sie es ohne ihr Wissen seit Gedenken vermisst hätte...

Geron bellte den Wachen Befehle zu und zwei begannen, ihr um das Haus herum durch die Gasse zum Platz zu folgen und sich durch die Menge zu wühlen. Sie wollten ihr den Weg abschneiden und wussten nicht, ob und wann sie wieder vom Dach in die Häuserschluchten herabsteigen würde. Ein lautes Lachen unterdrückend sprang Katiah auf eine der Vasen und schwang sich dann ebenfalls auf das Dach.

Sie hatte die Priesterin wirklich unterschätzt. Schnellen Fußes jagte sie ihr hinterher.



In der Gasse hatte sich ein Stillstand entwickelt: Bana stand aufrecht und stolz im Wege der Speerträger, von denen nur zwei nebeneinander zwischen den rauen Wänden Platz fanden. Die vorderen beiden wagten nicht, dem kahlen Mann näher zu kommen, der ihnen regungslos entgegen starrte und Geron funkelte den Stammeskrieger vernichtend an.

Dann wagte einer der Wachen einen weiteren Schritt und stieß seinen Speer nach vorne. Bana packte den Schaft der Waffe und zog daran. Doch der andere Mann konnte seinen Griff festigen und entriss den Speer der kräftigen Hand.

Mit einem Schwung löste Bana Schild und Axt aus den Schlaufen seines Gürtels und hielt sie kampfbereit in den Händen. Er schrie seinen Gegnern animalisch zu und sie wichen eingeschüchtert zurück.

Wieder ein testender Schritt der Wache und ein Stoß in Banas Richtung und dieses mal streifte die Speerspitze die Schulter des Benutu. Er grunzte schmerzerfüllt, als Haut und Blut aufgerissen wurde. Mit einem zornigen Ausruf sprang er nach vorne und hieb auf den Kopf des angreifenden Wachmannes. Mit einem Übelkeit erregenden Knirschen spaltete Bana der Wache den Schädel und leblos sackte der Körper zur Seite. Mit einem breiten Grinsen blickte Bana zu den letzten beiden Wachen und Geron. Die wichen unsicher zurück.





Dann, ohne eine Vorwarnung, schoss ein anderer Speer nach vorne und durchbohrte den Oberarm des überrascht aufschreienden Kriegers. Ohne sein Zutun wich alle Kraft aus seinen Fingern und die blutige Axt fiel ihm aus der Hand und klingend auf den harten Boden.

Siegessicher rückten die Wachen nach.

Doch Bana wollte noch nicht aufgeben und mit einem durch Schmerz gespeisten Sprung landete er direkt zwischen den Speerspitzen der beiden vordersten Männer und hieb sein flaches Schild in das Gesicht des einen, der konnte sich aber gerade noch hinter seinem eigenen in Sicherheit bringen und dumpf prallte gehärtetes Leder auf gehärtetes Leder. Wieder schrie Geron Befehle und während nun die eine Wache in einen Zweikampf der Körperkräfte mit Bana gebunden war, manövrierte die andere so, dass sie einen weiteren Angriff wagen konnte.



Doch Bana war darauf vorbereitet und als der Speer nach ihm gestoßen wurde, ließ er die mit ihm ringende Wache nach vorne kippen, zog seinen kleineren Schild nach oben und wehrte die auf ihn zu schnellende Waffe ab. Schon wollte er nachsetzen und den Männern in der schmalen Gasse keinen Spielraum für weitere Angriffe lassen, als plötzlich Tenkan neben ihm auftauchte. Er rief dem Benutu Krieger zu, dass dieser laufen sollte und öffnete dann seine geballte Faust. Zerriebene Kräuter waren darinnen, vermutlich aus seiner Heilertasche, schätzte Bana.

Der kleinere Mann hielt sie den kurz erstaunt zögernden Wachen entgegen, dann pustete er die feinen Pflanzenteilchen mit kräftigem Atem in die Gasse hinein. Schreiend und nach ihren Augen krallend ließen die Männer unter Geron ihre Waffen fallen.

Ohne einen Herzschlag zu verlieren, griff Bana mit seinem gesunden Schildarm nach seiner Axt und rannte dann Tenkan hinterher, während ein verunsicherter und nicht von Tenkans Kräutern betroffener Geron nach Verstärkung suchend auf den Tempelplatz eilte.



Im Laufen holten Tenkan und Bana Salzfinger ein und in eine kleine Sackgasse gedrückt unterhielten sie sich, was ihre nächsten Schritte sein sollten. Letztendlich entschieden sie sich, in die "Drei Federn" zurück zu kehren und dort unter zu tauchen. Zudem wollte Tenkan sehen, ob es seiner Eselin Gari gut ging und so machten sie sich auf, um zurück ins Karawanenviertel zu gelangen.

Ohne dem Wirten der Taverne Bescheid zu geben, setzten sie sich in den halb offenen Stall und während sich Gari über die Rückkehr ihres Herren freute, verarztete Tenkan die tiefe Wunde Banas. Aus einer kleinen Tonflasche goss er Gebrannten über das aufgerissene Fleisch und verbannt es dann vorsichtig. Seine Energien flossen in den Prozess mit ein und das gerade noch schmerzverzerrte Gesicht des Kriegers lockerte sich sichtbar. Der Schmerz ebbte beinahe vollends ab und etwas Kraft kehrte in die eben noch taube Hand zurück.

Dann teilten sie Pastete und Trockenfleisch und warteten der Dinge.



Katiah und Litri hatten die Dächer überquert, waren über Hausschluchten gesprungen und letztendlich hatten sie ihre Verfolger im Getümmel des Festes verloren. Niemand hatte ihre Flucht über die Häuser wirklich wahr genommen und so trauten sie sich in die schattigen Gassen hinab, um sich dort umzusehen. Was sollten sie nun machen? Wohin würde sie ihr Weg führen und wo waren die drei Männer, mit denen ihr Schicksal anscheinend enger verstrickt war, als sie noch vor einem Tag gedacht hatten?

Verzweifet sah sich Katiah um und sie stutzte. Im Putz der schmutzigen Hauswand waren einige Figuren geritzt worden und auch wenn sie fremd wirkten, empfand die Beoverin eine seltsame Verbundenheit. Eine menschliche Katze und ein anderer Tiermensch. Lange starrte sie auf die die Katzenfigur und erst Litris sanfte Worte rissen sie aus ihren Gedanken.

"Wir müssen gehen. Sie werden uns suchen."

Die Kiegerin aus dem Norden nickte stumm und lief dann an der Seite der Priesterin durch die menschenleeren Straßen. Tiefer und tiefer tauchten sie in das Gassengewirr von Talah ein und während die Musik des Erntefestes nur noch schwach an sie heran wehte, fanden sie sich im Handelsviertel wieder. Vor ihnen lag eine breitere Straße mit vielen geschlossenen Läden in den eng gebauten Häusern und nur in einem Geschäft brannte schwaches Licht.



Katiah blickte schon die Straße entlang und suchte nach einer neuen Möglichkeit, den sicher bereits nach ihnen suchenden Wachmannschaften zu entgehen, doch fühlte sich Litri durch das fahle Licht seltsam angezogen. Mit langsamen Schritten bewegte sich die Priesterin auf das Geschäft zu, in dem alle möglichen Körbe und Figürchen, Kerzenständer und Schälchen ausgestellt waren. Ein altes, gebücktes Weiblein saß zwischen all diesen Dingen und als Litri auf sie zutrat, folgte ihr Katiah ungeduldig.

Litri sprach eine leise Begrüßung und Katiah sah entsetzt mit an, wie die Priesterin die verfluchte Schale aus ihrer Tasche zog und sie der Alten entgegen hielt. Die tastete mit einem zittrigen, verdorrten Finger nach der Schale und fuhr mit dem gelblichen Fingernagel die feinen Linien der Goldeinlagen entlang.

"Eine schöne Schale habt Ihr da, Priesterin. Eine schöne Schale fürwahr. Lange habe ich so etwas nicht mehr gesehen. Eine lange, lange Zeit." Die Stimme hörte sich an wie trockene Zweige, die zerrieben wurden.



Die Alte hob ihren Kopf und grinste sie zahnlos und Katiah holte erschocken Luft. Milchige, blinde Augen starrten an ihr Vorbei in die endlose Leere, während sie weiter etwas von Blut und einem Portal murmelte. Mit einem schnellen Kopfschütteln machte Katiah Litri auf sich aufmerksam. Die Frage nach dem Sinn dieser Worte blitze in ihren Augen auf und Litri zuckte nur mit den Schultern, wusste sie doch selber nicht, was genau dies alles zu bedeuten hatte. Litri ging vor der alten in die Hocke und berührte sanft die fleckige Hand. Sie war kalt und trocken.

"Was ist mit dem Blut? Welches Blut meint Ihr und welches Portal?" Die Anspannung war in den Worten der Priesterin deutlich zu hören.

"Ein Opfer muss erbracht werden. Erst dann öffnet sich das Portal und Ihr könnt dorthin zurück kehren, wohin ihr gehört." Dann fing die Alte an, ihre Ware anzupreisen und die beiden Frauen nicht mehr zu beachten. Immer wieder lachte sie hell auf und wirkte, als hätte sie nun vollends den Verstand verloren.

Katiah hielt sich verzweifelt winselnd die Stirn und zögerte kurz, als Litri einfach aufstand und langsamen Schrittes die Straße entlang in Richtung des Karawanenviertels ging. Dann folgte sie der Priesterin. Das laute Lachen der alten Händlerin verklang hinter ihnen.



Wohin genau sie nun gehen würden, wollte Katiah wissen und in der Stimme Litris erkannte sie ihre eigene Hilflosigkeit. "Ich weiß es nicht. Die anderen finden."

Sie hielt an, blickte die Straße hinunter. Kein Mensch war zu sehen. Kein Passant und keine Wache, die ihnen Geron auf den Hals gejagt hatte. Sie waren alleine in ihrem Unglück. Dann sah sie entschlossen die Priesterin an. "Zur Taverne."

Sie wusste nicht, warum ihr die "Drei Federn" in den Sinn kam. Es war ich egal. Dies war ihr nächstes Ziel und entschlossen ging sie in Richtung des Karawanenviertels los.



Die beiden standen schon bald vor der Türe zur Taverne und tief atmend sahen sie sich an.

"Ich will nirgendwo anders hin," erklärte Katiah unsicher. Litri sah sie nur stumm an. Dann betraten sie den Schankraum, der bis auf ein paar hartgesottene Gäste vollends leer war und der Wirt schüttelte nur seinen kahlen Kopf, als sie nach dem Benutu und dem Heiler fragten. Katiah wusste nicht mehr weiter. Sie hatte gedacht, dass es eine Chance gäbe, sie hier anzutreffen und nun hatten die Götter sie wirklich verlassen. Mit ausdruckslosem Gesicht stand sie da und erst als Litri sie fragte, ob sie sich zurück zur Prozession wagen sollten, kam sie wieder zu sich.



Wieder auf der Straße liefen sie in Richtung des Plastes los, als sie die singende Stimme Salzfingers aus dem angebauten Stall hörten. Der laute Schrei eines Esels begleitete das Lied. Die beiden Frauen sahen sich kurz an, dann rannten sie zum Nebengebäude und sahen voller Freude die drei Männer auf dem Stroh sitzen. Katiah begann zu lachen, als die Anspannung von ihr abfiel und während Bana der Priesterin und der Kriegerin Trockenfleisch hinhielt, umarmte der Koch die beiden innig.



Litri dachte an die Worte der alten Händlerin. An die Visionen und die Gefühle, die sie erlebt hatten. Dies waren wirklich ihre Freunde. Ihre Gefährten. Als wenn sie sie schon lange kennen würde. 'Dorthin zurück, woher sie kamen...'

Der Stall war noch mit dem Lachen der anderen erfüllt, als sie in einem Schwung die unheilvolle Schale aus ihrer Tasche zog und nach dem Verband an Banas Arm griff. Sie riss das Leinentuch mit einem Ruck herunter und öffnete die frische Wunde erneut und während Bana schreiend zurück wich und Tenkan und Katiah entsetzt versuchten, die Priesterin aufzuhalten, presste diese die Schale unter den blutenden Arm.

Ein Tropfen der roten Körperflüssigkeit fiel auf das Antlitz des Kraken.


Dann begann Bana zu brennen.



Zuckend und stumm aufschreiend fiel er auf die Knie und die anderen konnten noch nicht wirklich reagieren, da war er schon zu Asche und Staub zerfallen. Der Esel kreischte panisch.

Erleichterung durchfloss Litri, während sie nur entsetzt angestarrt wurde und beruhigend meinte sie, dass er fort, aber nicht tot wäre. Mit zitternder Stimme wollte Tenkan wissen, was die Priesterin gemacht hatte.

Doch noch bevor sie sich erklären konnte, riss Katiah ihr die Schale aus den Händen, zog ihren Dolch und meinte nur kurz: "Wir sehen uns auf der anderen Seite."

Dann ritzte sie sich die Handfäche auf und presste sie in die Schale.



Sie stand noch in Flammen, als Litri ihre eigene Klinge zückte, die sie im Gürtel trug und auch sie von Feuer eingehüllt wurde. Die Schale fiel ins Stroh, das trotz all den Feuersgewalten immer noch nicht brannte.

Tenkan sah entsetzt Salzfinger an, der fing aber nur an zu lächeln und zog ein kleines Messer aus der Tasche. Der Heiler schloss seufzend die Augen und suchte in seinem Geiste nach dem Weg, den er zu gehen hatte. Und während nun auch der Koch in loderndem Lichte erstrahlte, konnte Tenkan ein fernes Rufen hören, wie aus einer Heimat, die er nie gesehen hatte.

Er griff zu seinem Messer, das ihm in so mancher Operation schon behilflich gewesen war und zog einen langen, tiefen Graben in seinen Arm.



Dann wurde die Welt gleißend hell.



Eine Eselin blieb alleine im Stall zurück, während in Talah das Erntefest gefeiert wurde.
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Zuletzt bearbeitet:
Und das nächste Kapitel der Laeria-Zeitlinie: "Gischt des Wahnsinns", in dem ich wieder einige Aspekte aus @Conquistador 's Welt verdeutlichen wollte... diese Geschichte ist zwar nicht direkt der nächste Teil chronologisch gesehen, aber die andere Geschichte ist die Vorgeschichte für unsere On-Going-RPG-Kampagne und die würde ich gerne so an die emotional richtige Stelle packen. Ansonsten machen die 17 Jahre eh nix aus.


Wie durch die Hand eines Hass und Galle speienden Gottes wurde das kleine Handesschiff über die nächtlichen Wellenkämme geschleudert und mit einer Wucht in die Täler zwischen die sich auftürmenden Wassermassen geworfen, dass die festen Planken bedrohlich ächzten und sich verformten. Die Überfahrt in einen ilsmerischen Hafen hatte keine schlechten Omen über sich hängen gehabt, dafür hatte der Kapitän, Halikar der Jüngere, gesorgt. Er hatte in den Tempeln der Hafenstadt Pyrm Opfer erbringen lassen und die Priesterin eines kleinen Tempels im Zimmer des Göttlichen Rauches besucht, wo sie ihm die Runen gelesen und von seiner Fahrt über das Binnenmeer erzählt hatte.



Nichts hatte die Hexe über Stürme erzählt. Nichts über Wellenberge, die höher waren als der Tempelturm in Amovis. Halikar fluchte leise und hielt das Tau feste umschlungen, mit dem er sich am Hauptmasten der Seeläufer gebunden hatte. Er schwor sich, ein Gespräch mit der Priesterin zu führen, sollte er zurück nach Pyrm kommen. Nur er, die alte Vettel und seine Klinge.



Der Ruf seines Ausblicks ließ ihn aufsehen und kurz wurde sein Herz vom eisigen Griff der Vorahnung erdrückt. Hatten sie einen flachen Bereich des Meeres erreicht? Sollten hier die Gebeine der tief unter Wasser liegenden Gebirge die Oberfläche erreichen und seinem Schiff den Leib aufreißen, Fracht und Männer in das feuchte, aufgewühlte Grab entleeren?

Nein, begriff er mit kurzer Erleichterung. Keine Felsen. Die Seeläufer sollte nicht dieses Schicksal erleiden...



Dann vernahm er das Summen, das über dem Brüllen der wütenden Meeres hörbar wurde. Ein "Gesang" ähnlich dem Zirpen abertausender Grillen, doch nicht auf- und absteigend, sondern durchgehend und spürbar die Sinne betäubend. Wie im Traum drehte er sich zu Rahurk, der am Tau neben ihm hing und das unheimliche Geräusch ebenfalls vernommen hatte.



Auch er sah trunken und verstört zu seinem Kapitän und Halikar der Jüngere wusste, dass er nicht halluzinierte: sein erster Maat war ein aufgeweckter, intelligenter Mann. Kein Träumer aus einem der Opanläden, kein Träumer aus den wilden Theatern der Innlandsstädte. Kein weltfremder Irrer, der sein Glück auf der See versuchen wollte und dem die Götter keinen zweiten Blick würdigten.

Und auch er war vom Summen erfasst und langsam, wie das Geräusch eines Aufstoßens, würgte er eine Frage an Halikar hervor. In was waren sie hier hinein geraten? Was im Namen aller Meereswächter war dieses unheilige Geräusch?



Halikar brüllte ihm über die Gischt entgegen, dass Rahurk ruhig bleiben sollte und auch aus seinem Mund drangen nur das aufgeblähte Röhren einer verfluchten Kehle, die sich der Macht des Wahnsinns ergeben hatte. Das Summen wurde lauter und lauter und nach wenigen immer leichter in den Brustkörben dahin pumpenden Herzschlägen verdrängte es das Schreien des aufgebrachten Meeres und nur der Gesang körperloser Geister umspielte ihn.



Trunken sah sich Halikar um. Alle seine Männer bewegten sich wie unter dem Einfluss Opans. Einige waren bereits ohnmächtig geworden und hingen wie Schnurpuppen in den Tauen, mit denen sie sich an der Seeläufer gesichert hatten.



Dann sah er sie. Rote Augen über den Wellen. In den Wellen. Bewegungslos und auf die hoffnungslose Mannschaft des verfluchten Schiffes gerichtet. Wie die Zuschauer eines perfiden Schauspiels, das vom Leid und dem Tod der Menschen handelte.



Schon wollte er Rahurk etwas entgegen rufen, doch merkte Halikar der Jüngere, dass seine Kehle ihm den Dienst verweigert hatte. Als er im Griff des Taus zusammen sackte, sah er, dass die roten Augen nicht draußen auf dem dunklen Meer schwebten. Sie warteten über der Reling des Schiffes. Sie warteten über dem nassen Deck. Sie warteten neben ihm und über ihm.

Mit einem Ächzen schloss Halikar der Jüngere seine Augen und ergab sich seinem Schicksal...
 
Und nun wieder zu Rollenspielsachen: die Vorgeschichte meines "Wilde Gewässer" Charakters wurde in dieser kleinen Short erklärt...

Echar saß auf einer Kiste und pulte das letzte Fleisch aus der Muschelschale. Sein Schiff, die Biaron, lag am steinernen Südkai des Hafens von Lophan vertaut und wartete auf die Entladung ihres bauchigen Frachtraumes. Die Hafenarbeiter mühten sich schwer in der Mittagssonne. Echar lächelte und kratzte mit seinem Messer ein wenig mehr Muschelfleisch aus den Vertiefungen des Kalkskeletts.
Die Mannschaft der Biaron hatte einige Tage Landgang verdient. Es waren ergiebige und somit auch anstrengende Zeiten, in denen sie lebten und die Expansion des Ilsmerischen Reiches ließ die Welt den Atem anhalten. Sie fühlten sich stark. Unbezwingbar. Kein anderer Stadtstaat, kein anderes Reich sollte sich ihnen in den Weg stellen können. Echar sah stolz auf die vielen Schiffe, die vor Lophan lagen, genoss die warme Brise und den Geruch des alten Tangs, der sich an den Stegen sammelte, wo Fischer ihre Reusen säuberten.
Eine Möwe beäugte ihn von einer morschen Stele aus, die mit Seepocken bewachsen aus den kleinen Wellen ragte. Sie legte ihren Kopf schief und sträubte kurz ihr Federkleid, gierig auf die Muschel, die weich und salzig auf Echars Zunge zerging.


Mit einem alarmierten Kreischen flog sie davon, als sich ein Schatten über Echar stülpte, sich eine große Masse vor die Sonne schob. Erschrocken sah er auf und erkannte ein Frachtschiff, das mit vollen Segeln einen alten Steg mit sich riss und die Stele aus ihrer Verankerung drückte. An Deck des Schiffes schrien Matrosen aus voller Kehle heraus, versuchten die Segel zu streichen und das Ruder unter ihre Kontrolle zu bekommen. Was diese armen Teufel dazu gebracht hatte, in eine solch irrsinnige Lage zu kommen, wussten die Götter.

Elchar sprang auf und sah in die Richtung, die das an ihm vorbei schabende Schiff verfolgte. Der Rumpf schrammte am behauenen Stein entlang und er sprang zurück, hatte er doch Angst, von möglichen Splittern getroffen zu werden. Mit aufblühendem Grauen erkannte er, dass die Biaron genau vor dem Kurs des außer Kontrolle geratenen Schiffes lag. Elchar schrie eine im Lärm des Chaos verpuffende Warnung, doch hatte die übrige Besatzung der Biaron das Unheil schon erkannt...



Dann schlugen die beiden Schiffshüllen ineinander und die Biaron wurde gegen den Kai gedrückt, Holz barst und Schreie wurden lauter, als Seeleute über das Deck geschleudert wurden. So schliffen beide Schiffsseiten aneinander vorbei, bis sich die Rümpfe wieder lösten und die Rufe auf dem nicht zu haltenden Frachter leiser und leiser wurden. Mit viel Glück konnten sie sich aus den Hafen manövrieren.

Doch die Schreie auf der Biaron blieben laut und klar und schnell lief Echar den Steg entlang und auf den Kai, vorbei an hilflos starrenden Arbeitern und hin zu seinen Kameraden, die nun versuchten, den gebrochenen Rumpf vom Kai zu drücken.

Er sprang an die Reling, die immer noch viel zu nahe an der Hafenmauer lag und zog sich an Deck. Dort rappelten sich die letzten Matrosen gerade auf, ein wehklagender Seemann - Oumer, erinnerte sich Echar - mit einem unnatürlich zur Seite gebogenen Bein zwischen zwei Seitenplanken eingeklemmt. Mehrere Kameraden waren an Oumers Seite, halfen dem Verletzen aus der misslichen Lage.

Neben Echar machte der erste Maat auf sich aufmerksam. Er hielt ein Tau, das stramm gespannt ins Wasser reichte und Echar sah die Anstrengung im ganzen Körper des Mannes.



"Sie ist noch unten! Eo ist noch unter Wasser!"



Entsetzt lehnte sich Echar gegen die Reling, die halb vom anderen Schiff weggerissen worden war. Was hatte die Frau dort unten zu suchen? War dies wieder eines ihrer Experimente? Eine Expedition, in der sie Tiere und Pflanzen beobachten wollte? Er fluchte, dann rief er laut um Hilfe. Weitere Matrosen liefen zu ihnen.

Gemeinsam zogen sie am nassen Tau und bevor Eo an die Oberfläche kam, färbten sich die Wellen in einem kleinen, ungleichmäßigen Kreis rötlich. Dann durchbrach Eos blutiger Kopf das Wasser und nach einem tiefen Luftzug schrie sie mit weit aufgerissenen Augen den gequältesten Schrei, den Echar je gehört hatte.

Weiter wurde sie aus dem Wasser gezerrt und mit einem Würgen erkannte Echar, dass ihr Gesicht am Rumpf des Schiffes vorbei gezogen worden war. Die Muscheln und Seepocken hatten ihr Haut und Fleisch der linken Seite abgeschabt und nur mit viel Glück das Auge und die Halsschlagader verschont.



Sie klammerte sich mit verkrampften Griff am Tau fest, das für ihren Tauchgang um ihre Taille gebunden worden war, und nun sah Echar auch den fehlenden Arm und den blutenden Stumpf, der an ihrer Linken hing.

Mit einem dumpfen Schlag kam sie auf dem Deck auf und die Matrosen der Biaron knieten neben ihr nieder, um die krampfende Frau am Boden zu halten. Sie schrie und das Blut aus den Wunden färbte das Holz des Schiffes.

Schon kamen Kameraden mit Tüchern und Harz herbei geeilt, doch immer noch starrte Eo an den Matrosen vorbei, den blutigen Mund weit aufgerissen, die Kehle vom Schrei bereits wund. Dann wurde der Schmerzenslaut leiser und schwächer und endlich überkam die Ohnmacht den gequälten Körper. Eo verschwand zwischen dem Geschnatter der Männer, die sich um sie scharten und ihre Wunden versorgten. Wenn sie etwas Glück hatte, würde sie überleben.



Auf schwächelnden Beinen taumelte Echar wieder zur Reling. Er sah ins aufgebrachte Hafenwasser, auf dem immer noch Holzteile von der Kollision trieben und erwartete schon beinahe, den abgetrennten Arm der Frau dort schwimmen zu sehen. Doch hatte sich sogar schon das Blut verflüchtigt und schwer atmend stützte sich der Seemann ab. Er wollte sich die Schmerzen nicht vorstellen... wollte sich das Leben nicht vorstellen, dass Eo nun nicht mehr möglich war.

Wenigstens hatten sie das meiste von ihr retten können. Der Rest war Futter für die Fische.
 
Und dann noch eine Art Vorgeschichte, dieses Mal in Form des Sylvester Rollenspiels von 2016... einige Charaktere bleiben in unserer fortlaufenden Geschichte wichtig, der ganze Hintergrund ist ebenfalls ein Aspekt unserer Kampagne:

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Spaceball, Lain, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza




"Bleib in meiner Nähe," raunte Gubaïl dem kleinen Mädchen zu, dass sich Schutz suchend an ihn drückte. Sie war nicht älter als acht Jahre. "Das sieht gefährlich aus."

Gubaïls hohe Stirn war vom Schweiß nass und die heran wehende Asche des Feuers verfing sich in den grauen Bartstoppeln, die sein Kinn umspielten. Er war wohlgenährt für einen Priester, der den größten Teil des Tages auf der Straße verbrachte und dort umherwanderte, um mit den Bedürftigen der Stadt zu sprechen. Nur seine von der Sonne gebräunte Haut verriet, dass er nicht wie andere Gottesdiener den ganzen Tag unter dem schützenden Dach der Tempel verbrachte. Die sonst so deutlich hervorstechenden Lachfältchen waren nun von der Hitze des Brandes angeschwollen. Er atmete schwer.
Er und das Mädchen standen im Schutz eines Hauseingangs, an einer Kreuzung im Zentrum des stolzen Amovis. Funken tanzten durch die Nacht und fast wirkte es, als würden sie zu den Schreien der Flüchtenden und Sterbenden tanzen, die durch die Straßen hallten.
Eigentlich sollte es eine Nacht der Freude werden. Das Neujahrsfest war viele Wochen vorbereitet worden und vier Tage hätten die Gesänge und Aufführungen anhalten sollen. Gute Ernten und ein reiches Leben waren der Dank, den sich die Bewohner der Küstenstadt versprachen. Viele Pilger waren wie jedes Jahr nach Amovis gereist und hatten sich in den Tempeln versammelt und traurig schüttelte Gubaïl sein ergrautes Haupt, als er den Funken hinterher schaute.
Einige Leute, die in den Straßen umher liefen, versuchten Wassereimer in Richtung der Flammen zu tragen. Andere flohen einfach nur in die entgegen gesetzte Richtung. Die meisten flehten und klagten. Das Flammenmeer, das in vielen Teilen der Stadt wütete, warf lebendige Schatten an die Hauswände.
Gubaïl wusste, dass die meisten Stadtwachen der Bevölkerung halfen, so gut sie es konnten. Doch wusste er auch, dass die Tempel mittlerweile alle ihre Tore geschlossen hatten. Keiner würde in den Gotteshäusern Zuflucht finden. Nur die kleinen Kulte waren sich selbst überlassen worden, diese würden aber auch kein Wunder bewirken können. Amovis versank im Feuer und bis jetzt hatte keiner der Götter seine rettende Hand ausgestreckt.

Zwei Gestalten schälten sich aus den Schatten, die durch die Straße zuckten. Eine kleine, drahtige Frau, von der Hautfarbe her ein Mischling, auf ihrem Rücken einen Schild und an ihrer Seite ein kurzes, breites Schwert. Neben ihr ein gewaltiger Mann, Arme wie Baumstämme und einen Bauch wie ein Fass. Sein mächtiger Bart war gepflegt und das Haupthaar zu einem modischen Knoten zusammen gebunden. Über seiner Schulter trug er einen Seesack.
Das Mädchen winkte der Kriegerin aufgeregt zu und Gubaïl blickte fragend auf, sah nun auch selbst die beiden Heraneilenden.

"Da ist Lysaara," stieß die Kleine hervor. Ihre großen Zähne im weit nach vorne stehenden Oberkiefer ließen jedes 's' seltsam zischen. "Kommt mit!"

Sie zog an der Hand des Priesters und Gubaïl lief ihr mit gerunzelter Stirn hinterher. Er konnte sich denken, dass Damisi der Kriegerin schon einen ihrer selbst angefertigten Amulette verkauft hatte. Das Straßenmädchen lebte von den Talismanen, die sie mit den Symbolen der verschiedenen Götter schmückte und sie an Gläubige verkaufte. Sie war selbst als Pilgerin mit einer Gruppe Katchoi nach Amovis gekommen, hatte ihre Begleiter aber schnell aus den Augen verloren. Das wusste der Priester aus all den Gesprächen, die er seitdem mit dem Straßenmädchen geführt hatte. Er mochte die Kleine. Ihr ungezähmtes, kurzes Haar, kraus wie das der meisten Katchoi. Die Sommersprossen auf der dunklen Haut und die hellen, wachen Augen. Und ihre Fröhlichkeit konnte selbst der Überbiss, der irgendwie zu lange Hals und der von Unterernährung aufgedunsene Bauch nicht überdecken.
Weiter zerrte sie an seiner Hand und wenige Augenblicke später trafen sie sich mitten auf der Straße. Lysaara schaute gehetzt von Seite zu Seite.

"Wir müssen schnellst möglichst hier raus!" Sie war nicht aus Amovis, das merkte man schon an der Art, wie sie die Wortendungen betonte, einem Akzent, der von der östlichen Halbinsel Garei stammte.

Lysaara war eine Söldnerin und seit einiger Zeit in der Stadt. Unsicher suchte ihr Blick die Hausdächer ab und ihre trockene Zunge fuhr über die von der Hitze aufgesprungenen Lippen. Im Westen und Süden schob sich eine dicke Rauchwand über die Gebäude in den Himmel und verdeckte die Sterne. Im Norden ragten die hohen Türme des Regierungsviertel über die wider scheinenden Dächer, doch waren diese sicher bereits von den Wachen der Stadt abgeriegelt worden. Dort würde niemand Schutz finden, der nicht ohnehin täglich Zugang zu den Hallen der Mächtigen hatte.
Damisi zeigte mit einem schmutzigen Finger gen Osten, wo das Meer hinter dem Hafen lag. Dort waren keine Flammen zu sehen und eine kühle Brise wehte aus dieser Richtung. Das Feuer loderte hinter ihnen, drohte aber gerade nicht, näher zu kommen.

"Wir können ziemlich schnell am Hafen sein, aber die ganzen Schiffe dürften Probleme haben, wenn so viele weg wollen."

Die Söldnerin nickte nur ernst und der Mann mit dem Seesack hob grunzend die Nase in den Wind. Auch er bemerkte, dass der Wind ihnen wohl gesonnen war und die Flammen von ihnen weg trieb. Von unten herauf betrachtete Damisi ihn misstrauisch.

Gubaïl machte eine einladende Handbewegung. "Die Feuer toben und es ist gefährlich. Wollt Ihr uns Euch anschließen?" Er legte seine Hand auf die Schulter von Damisi, bestätigte mit leiser Stimme das Bauchgefühl des Straßenmädchens. "Unser Weg führt uns anscheinend zum Hafen..."

Der stämmige Mann rückte seinen Seesack zurecht und schnaubte. "Das ist ein gutes Angebot. Das werde ich annehmen." Er schaute sich schon beinahe gelangweilt wirkend um. "Tolle Stadt habt Ihr hier."

Kurz flackerte Wut und Lysaaras Augen auf. "Das ist ein Priester!"

Doch Gubaïl schloss nur wohlwollend die Augen und lächelte. Nun einen Streit vom Zaun zu brechen war ein großer Fehler. Was waren ein paar Worte, wenn so viele Leben auf dem Spiel standen?



"Wenn es nicht brennt," erklärte Damisi mit altklugem Tonfall: "ist sie eigentlich ganz in Ordnung."



Der Priester tätschelte amüsiert ihre Schulter, doch war dies alles zu viel verlorene Zeit für Lysaara.



"Weg hier!" Sie ging in die Richtung, in die Damisi gezeigt hatte. "Ich habe keine Lust zu ersticken oder zu verbrennen."



Die anderen setzten sich ebenfalls in Bewegung und Gubaïl versuchte mit den beiden anderen Schritt zu halten, während sich Damisi an die Spitze der kleinen Gruppe setzte.



"Mein Name ist Gubaïl," meinte er lächelnd.



"Lysaara."



"Es freut mich, Eure Wege zu kreuzen."



Der große Kerl mit dem Seesack meldete sich zu Wort, der dichte Vollbart beinahe den Mund vollständig verdeckend. "Ich Halikar." Er überlegte kurz. "Eigentlich nur auf der Durchreise. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet, als ich am Abend in Amovis anlegte."



"Damit," seufzte Gubaïl. "Damit hat niemand gerechnet." Er sah Halikar entschuldigend an. "Glaubt mir."



Durch kleine Gässchen wurden sie von Damisi geführt und selbst Gubaïl kamen diese Teile der Stadt nur vage vertraut vor. Auf den großen Straßen, die sie immer wieder schnitten, war das Chaos groß: die fliehenden Bürger drängelten und schimpften, wehklagten und trugen ihre wenige Habe weg von den verschlingenden Flammen, die immer noch den Himmel verdunkelten und Asche und Funken regnen ließen.

Nur mit blanker Sturheit, gezogenem Schild und drohend haltenden Schwert konnte Lysaara einen Pfad für die kleine Gruppe bahnen, als sie sich durch die Menge schoben und daraufhin wieder im Schutz einer Gasse verschwanden.

Als sie einen Hauseingang passierten, stolperte ihnen ein Mann aus der Dunkelheit des Gebäudes entgegen, in seinen Armen eine Kiste. Keinen Blick und kein Wort hatte er für sie übrig, als er hastig in der Seitenstraße verschwand, aus der sie gerade gekommen waren. Das Heulen eines Hundes hallte durch die enge Häuserschlucht. Immer wieder sahen sie vereinzelte Flüchtlinge, die das Weite suchten und so eilten sie durch die taghelle Nacht und hielten erst wieder an, als Gubaïl einen der Fliehenden erkannte. Es war ein alter Bettler, der an ihnen vorbei getaumelt war und väterlich nahm ihn der Priester am Arm.



"Das Feuer kommt aus Richtung des Tempelgartens und der benachbarten Viertel." Er deutete auf die Menschen in seiner Begleitung. "Wir suchen Schutz am Hafen, Freund."



Doch der Bettler stotterte nur unverständlich vor sich hin und wirkte wirr, fand die Augen Gubaïls nicht und meinte nach einigen Augenblicken krächzend: "Ich da... danke Euch, Meister." Er berührte mit seinen Handrücken die Robe des Priesters, zitternd und immer noch orientierungslos von Seite zu Seite schauend. Eine ehrwürdige Handbewegung im Glauben des Hamail, fest gebrannt in einem verwirrten Geist.

Dann huschte er in eine Gasse hinein und Gubaïl sah ihm besorgt nach. Er wusste von dem Netzwerk, das die Bettler von Amovis aufgebaut hatten, um sich selbst zu schützen. Und sollte es zu gefährlich werden und die Flammen zu unkontrolliert in ihrer Nähe wüten, würde auch er vorschlagen, den unangenehmen Weg durch die offenen Abwasserkanäle zu nehmen, durch die vermutlich gerade die Ärmsten der Armen wateten. Durch die Fäkalien der Reichen, doch trotzdem in Sicherheit.

Er blickte kurz zu Damisi, die auch zu dieser Gesellschaftsschicht gehörte und die nun trotzdem denen half, denen es besser ging als ihr. Er bewunderte das kleine Mädchen dafür. Kurz hob er seinen Kopf und betete leise zu Hamail, dass er möglichst viele Menschen verschonen würde, dann bemerkte er Halikar, der dem Bettler missmutig nachschaute.



"Wollen wir dann mal weiter gehen?" grummelte der Mann nur in seinen dichten Bart, dann liefen sie in Richtung einer breiten Straße, auf der sich viele Flüchtlinge zum Hafen bewegten.



Die Straße verlief mehr nach Norden, als ihr Weg zuvor und aufgeregt deutete Damisi auf eine Gasse, die auf der anderen Straßenseite in die Schatten abzweigte.



"Da lang ist es besser," rief sie über den Lärm der Flüchtenden hinweg und lief los, bewegte sich wie ein kleiner Fisch zwischen großen Felsen hindurch.



Die anderen folgten ihr schnell, doch gewann die kleine Katchoi immer mehr Abstand im Gewirr und Lysaara fluchte laut, als sich die Menge aus Richtung Hafen her teilte und ein wild gewordenes Pferd durch die Menschenmasse preschte. Der helle Schrei von Damisi war zu hören, als sich das Pferd vor ihr aufbäumte und beinahe mit den Hufen traf, und gerade noch konnte Gubaïl die Kleine packen und zu sich ziehen, während das Pferd an ihnen vorbei sprang und weiter die Straße hinunter für noch mehr Panik sorgte.



Der kniende Priester drückte Damisi fest an sich und streichelte ihr über den zitternden Leib. "Sch. Alles ist gut. Sch."



"Nicht stehen bleiben!" Halikar tauchte neben den beiden aus der Menge auf. "Weiter gehen!"



Lysaara half Gubaïl auf die Füße und zog ihn mit Damisi sicher über die Straße, wo sie in die Gasse liefen. Weg von der Menge, die wie ein Fluss aus Angst zum Hafen strömte.



"Hier sind wir sicher," rief Damisi, der kurze Schrecken schon wieder abgefallen und die Gasse hinunter zeigend. "Und der Hafen ist gleich da hinten."



Kurz sah Lysaara das Mädchen prüfend an. Dann nickte sie. "Du kennst Dich hier besser aus..."



"Gehen wir," keuchte Gubaïl, immer noch außer Atem und langsamer als zuvor folgten sie dem geschwungenen Verlauf der Gasse.



Häuser aus Holz und Lehm ragten auf beiden Seiten in die Höhe, manche bis zu drei Stockwerke hoch. Sie pressten sich an die warme Hauswand, als sich ein Mann und seine Gefährtin an ihnen vorbei drückten, ein schreiendes Kind auf dem Arm der Frau. Das Wehklagen des Kindes verschwand im Lärm der großen Straße.



"Ich komme hier an," brummte Halikar vorwurfsvoll: "und es herrscht Chaos. Am liebsten würde ich mich beschweren." Seine drei Begleiter sahen ihn überrascht an.



Als sie an einer Gabelung der engen Gasse ankamen, stutzte Damisi kurz. Schließlich lächelte sie selbstsicher. "Da lang ist es kürzer."



Zwar würde sie dieser Weg näher an den Brand heranbringen, doch würden sie schneller das Meer erreichen, konnten sie einen sicheren Pfad parallel zur Flammenwand finden.

Sie verloren keine Zeit und während Damisi sie durch das Gassengewirr führte, hörten sie einen nahen, schrillen Schrei einer Frau. Kaum hatten sie eine Ecke umrundet, sahen sie eine zurückweichende Gestalt, in weiten Roben gekleidet und von zwei Männern mit bedrohlich gehobenen Knüppeln bedroht. Eine Katastrophe wie dieses Feuer hielt die meisten nicht davon ab, ihren dunklen Machenschaften nachzugehen.



Damisi machte einen mutigen Schritt auf die Gestalten zu. "Hey!"



Doch schon war Lysaara losgelaufen und auch Halikar folgte ihr mit festen, gemütlichen Schritten.



"Bleib in unserer Nähe," rief Lysaara Damisi zu und hob dann schon drohend ihr Schwert.



Die beiden Männer, die mit ihren Knüppeln schon fast ihr Opfer erreicht hatten, sahen erschrocken hoch und machten sich sofort aus dem Staub, als sie die Söldnerin auf sich zu rennen sahen und einer schwang noch seine stumpfe Waffe und schlug der bedrängten Gestalt in die Seite. Dann verschwanden sie im Zwielicht.

Lysaara blieb vor der gekrümmten Gestalt stehen. Es war eine junge Frau, etwas zu füllig, um ein einfacher Bürger dieser Stadt zu sein, doch mit angenehmen Zügen. Ihr langes, dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten und um den Hals trug sie das Zeichen der Traumdeuter von Amovis. Diese heiligen Männer und Frauen gehörten nicht zu einem der vielen Tempel, sondern waren unabhängige Seelsorger, die von den Priestern durchaus respektiert wurden.

Die Frau hielt sich die Nieren und keuchte mit schmerzverzerrtem Gesicht, versuchte gekrümmt Luft zu holen und gleichzeitig die Tränen zu unterdrücken.



"Orisa?" Gubaïl näherte sich der Traumdeuterin besorgt, während Lysaara den beiden Angreifern wütend nachschrie.



Halikar stellte sich mit verschränkten Armen schützend neben den Priester und der verletzten Frau.



"Orisa, geht es Euch gut?"



Die Traumdeuterin lächelte dem älteren Mann gequält zu. "Danke, Meister Gubaïl... die ganze Stadt ist verrückt geworden."



Lysaara kehrte zu ihnen zurück und sah Orisa besorgt an. "Seid Ihr verletzt?"



Orisa schüttelte den Kopf. "Es tut nur weh."



Damisi, die die Traumdeuterin ebenfalls kannte, stellte sich neben Orisa und schob ihre Schulter unter den Arm der Frau. Die lächelte dem Mädchen dankend zu. Dann blickte Damisi zu Halikar, der immer noch mit verschränkten Armen in der Gasse stand und dorthin schaute, wo die beiden Kerle verschwunden waren.



"Der ist aber effektiv, dieser Mann."



Halikar sah sie böse an, doch konnte die Kleine das schon nicht mehr sehen. Sie war damit beschäftigt, die Tunika von Orisa anzuheben und die getroffene Stelle zu untersuchen. Sie streichelte mit zarten Kinderhänden über die dunkel angelaufene Stelle.



"Das ist nicht so schlimm. Das wird schon wieder." Ihre großen Augen funkelten, als sie Orisa anstrahlte.



Orisa lächelte zurück und Halikar verdrehte nur ächzend die Augen.



"Ich werde Euch später verarzten, aber gerade sollten wir uns eilen."



Orisa nickte. "Ja, in der Gruppe sind wir vielleicht etwas weniger Angriffsziel von solchen Halunken."



Lysaara hob ihre Augenbrauen. "Sagt halt gleich, dass wir in der Gruppe sicherer sind." Aus ihr sprach die Direktheit der Menschen von Garei.



Und Orisa nahm ihr es auch nicht übel. "So ist es." Sie verneigte ihr Haupt vor der Söldnerin.



Als sie sich wieder in Bewegung setzten, war das Brüllen des Feuers deutlich hinter und neben ihnen zu hören. Während sie Orisa weiter stützte, kramte Damisi einige Augenblicke in ihrer Tasche und holte dann ein kleines Amulett an einer Kordel hervor. Eines ihrer selbst angefertigten Waren, mit denen sie ihr tägliches Brot verdiente. Es war ein Schmuckstück mit dem Zeichen Odnals, einer Katchoi Gottheit, die zwischen den Sphären des Himmels, der Erde und der Unterwelt wandern konnte und die drei Reiche somit verband. Damisi hielt das Kleinod Orisa entgegen.



"Das ist das letzte, das ich angefertigt habe." Ein wenig klang Stolz in ihrer Stimme mit. "Es soll Euch schützen."



Orisa nahm das Amulett in die Hand und streichelte Damisi über den Kopf. "Hab Dank."



Zusammen eilten sie weiter durch das brennende Amovis. Durch kleine Hinterhöfe und an leeren Gebäuden vorbei, die von ihren Besitzern auf ihrer Flucht vor den Flammen mit offener Türe zurück gelassen worden waren. An umgestürzten Karren und schmutzigen Hauswänden kamen sie vorbei und kurz blieb Gubaïl stehen, als er zwischen den auf den Lehm gekritzelten Penisen und Strichmännchen einen hingeschmierten Satz las: 'Kuatir lebt'

Er wusste um Kuatir, einem Priester des zwielichten Gottes Solok, der für die brutale Bestrafung von Sündern verantwortlich war. Kuatir hatte sich zum Propheten aufgeschwungen, doch wusste Gubaïl nicht, dass sich seine Anhänger direkt in Amovis aufhielten.

Er blickte nach vorne und sah, dass die anderen schon beinahe an der nächsten Hausecke angekommen waren und müde hinkte der alte Priester seinen Gefährten hinterher. Sollte doch an den Wänden stehen, was wolle. Lange würde Amovis eh nicht mehr stehen, wenn es so weiter ging.

Sie eilten durch einen Torbogen und in einen weiteren Hinterhof, aus dem mehrere Gässchen hinaus führten. Der Lärm der brennenden Stadt war hier seltsam entfernt und wirkte fast nicht real und das gedämpfte Schreien von Mensch und Tier vermischte sich mit dem Prasseln der Flammen. Ein rötliches Licht tauchte die Dächer und die oberen Teile der Hauswände in einen unwirklichen Schein, der über die ganze Stadt zu wehen schien.



"Was sich wohl die Jünglinge gerade denken," fragte Halikar, mehr zu sich selbst, als zu den anderen: "die oben auf ihrer Wolkeninsel stehen und auf uns nieder blicken?"



Damisi sah verwirrt den großen Mann an, dann blinzelte sie zuerst fragend zu Gubaïl und dann zu Orisa.



Gubaïl zwinkerte ihr zu. "Es gibt verschiedene Ansichten in der Welt."



"Ich weiß."



Lysaara sah die beiden ungeduldig an. "Könnten wir religiöse Diskussionen um einen Tag verschieben?"



Damisi nickte. "Können wir machen." Sie deutete auf einen Torbogen auf der anderen Seite des Hofes. "Wir sollten da lang gehen."



Sie liefen los und Damisi ließ sich mit Orisa neben Halikar zurück fallen. "Wie schaut das Symbol Eurer Religion aus?" Sie hatte vor, bei nächst bester Gelegenheit auch Amulette für Anhänger dieser Glaubensrichtung herzustellen und so ihr Angebot zu vergrößern.



Halikar sah das Mädchen amüsiert an. "Wir haben keins. Wir brauchen keins." Er winkte ab. "Wir haben die Schrift, das reicht."



Lysaara, die das Gespräch teilweise mitbekommen hatte, schüttelte irritiert den Kopf. "Ihr habt seltsame Götter."



"Die Jünglinge sind keine Götter. Sie sind Schiffsbrüchige, die auf einer Insel gelandet sind und nun im Himmel wohnen."



Schon wollte Lysaara etwas erwidern, als Damisi laut losschrie: "Halt halt halt!" Das Katchoimädchen drehte sich zu Orisa. "Darf ich Euch kurz ungestützt lassen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, lief Damisi los und beugte sich über einen Holzeimer, der in einer Ecke des Innenhofes stand.



"Damisi!" Gubaïl wirkte alarmiert. "Was hast Du vor?"



"Ich suche Wasser!"



"Du kannst nicht die Stadt löschen, Kind."



"Nein, für uns." Sie wedelte mit einer Hand in der Luft. "Der Rauch."



Sie hob den hölzernen Deckel an und lugte in den Eimer, doch war dort nichts zu finden.



"Verdammt!" Ein kurzer Schrecken und ein beschämter Blick zum Priester und zur Traumdeuterin. "Verzeiht..." Dann lief sie zu den anderen zurück und fing an zu erklären: "Ich habe nur Wasser gesucht, um unsere Kleidung nass zu machen. Falls der Rauch uns den Atem nimmt, können wir sie vor unser Gesicht halten."



Der Wind hatte sich gedreht und man konnte nun das Feuer deutlicher riechen.



"Aber wir können Spucke benutzen... oder..." Sie beendete ihren Satz nicht und sah wieder schüchtern zu Gubaïl und Orisa.



Doch der Priester hörte schon nicht mehr zu und sah sich verloren zwischen den Gässchen um, die aus dem Innenhof führten. Keiner außer Damisi wusste mehr wirklich, wo sie waren und selbst das Mädchen hatte Probleme, sich noch zurecht zu finden. Dennoch deutete sie auf das Gässchen, das sie auch vorher schon angesteuert hatten.



"Schnell."



Hastig gingen sie weiter. Einige Zeit hatten sie schon keine anderen Menschen mehr gesehen, als plötzlich vor ihnen eine Türe aufgestoßen wurde und ein Mann mit einem Prügel in der Hand hinaus gestoßen wurde. Er fiel auf den mit Asche bedeckten Boden und versuchte, von der Türschwelle weg zu kriechen. Hinter ihm kam ein anderer Mann hinaus gesprungen, einen Topf wie eine Waffe über seinen Kopf erhoben und mit einem hohlen Scheppern trafen Holz und Kupfer aufeinander.



"Schwer Dich weg, du Plünderer!" Das Gesicht des Mannes mit dem Topf war rot vor Zorn.



Über ihm im ersten Obergeschoss des Hauses wurden die Läden eines kleinen Fensters aufgeschlagen und eine tönerne Amphore wurde hinunter in die Gasse geschleudert. Sie zerschellte in einem Regen aus Scherben auf dem Topf, der sich gerade wieder, zum Schlag bereit, über dem Plünderer befand.

Immer wieder fuhr der Topf auf dem am Boden liegenden Mann hinab und schnaufend wehrte dieser Schlag um Schlag mit dem Holzprügel in seiner Hand ab.



Ungläubig machte Gubaïl einen Schritt auf sie zu. "Hört doch auf damit!" Er klang eher flehend als befehlend. "Bringt Euch lieber in Sicherheit!"



Der Mann mit dem Topf blickte den Priester wütend an und der Plünderer nutzte die Gelegenheit, ihm gegen das ungeschützte Bein zu dreschen. Während der Getroffene nun schmerzerfüllt aufgrunzte, sprang er auf und stolperte davon, seinen Knüppel auf dem Boden liegen lassend.

Ein Mädchen sah zum Fenster hinaus, aus dem die Amphore geworfen worden war. Finster blickte der Mann mit dem Topf Gubaïl entgegen.



"Ich bleibe auf meinem Grund." Er hielt den Topf drohend in Richtung der kleinen Gruppe. "Sonst kommen noch mehr Idioten und wollen mein Haus plündern."



Doch Lysaara wollte dies nicht so stehen lassen. "Du bist der Idiot! Bring Dich und Dein Kind in Sicherheit!"



Halikar schloss kurz die Augen. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren. Er drückte seine Begleiter vorsichtig aber kraftvoll nach vorne und auch wenn sich alle von Halikar weiter die Gasse hinunter geleitet wurden, drehte sich Gubaïl noch einmal halb und rief laut über seine Schulter: "Der Wind dreht! Der Rauch ist lebensgefährlich! Mögen die Götter Euch beistehen!"
 
Der Mann sah ihnen verdutzt nach, dann rieb er sich das angeschlagene Bein, betrat sein Haus und schloss hinter sich die Türe. Von dem Mädchen im Obergeschoss war nichts mehr zu sehen.

Licht drang von vorne in die Gasse und als sie einige Kisten und einen weiteren Bogen zwischen zwei Häusern passiert hatten, sahen sie das Meer vor sich. Die Wellen reflektierten den Schein des Feuers und die Strahlen des Mondes, der voll über dem Horizont hing, weit entfernt vom dicken Rauch, der sich über der Stadt sammelte. Sie hatten den Hafen erreicht und stolz schaute Damisi die anderen an.



Orisa nutzte dies, um Damisi freundlich aber bestimmt von sich weg zu schieben. "Es geht schon wieder, mein Kind."



"Hey." Kurz protestierte das Mädchen, doch ließ sie es geschehen. "Dann halt nicht..."



Sie traten auf die Promenade, die mit runden Pflastersteinen verziert war, und sahen die aus Stein und Holz gearbeiteten Stege, die Anlegestellen für die vielen Schiffe boten, die tagtäglich nach Amovis kamen. Doch nun waren nicht mehr allzu viele Schiffe im Hafen, dafür aber umso mehr Menschen, die sich auf den Stegen sammelten und die Planken belagerten. Hektisch wurde Fracht an Bord genommen, wechselten Münzen ihren Besitzer und wurden Menschen unter Deck in Sicherheit gebracht. Stadtwachen und Matrosen versuchten, die Flucht zu koordinieren.

Ein gewaltiges Handelsschiff war ihnen am nächsten, doch auch hier war eine solch große Menge am Steg versammelt, dass keinerlei Hoffnung bestand, auch einen Platz zu ergattern. Rufe wehten zu der kleinen Gruppe herüber.



"Gebt das Boot frei!"



"Lasst uns auf das Schiff!"



"Ihr könnt uns nicht hier verrecken lassen!"



Damisi blickte nach Süden. "Weiter die Promenade entlang."



Sie hoffte, dass sie am Wasser entlang an den brennenden Stadtteilen hinaus aus der Stadt gelangen konnten, auch wenn der Wind mittlerweile wieder gedreht hatte und das Feuer direkt zum Hafen trieb. War die Promenade breit genug, um einen Weg in die Sicherheit zu finden?

An den Stegen vorbei liefen sie und schwer atmete Gubaïl, der solche Strapazen nicht mehr gewohnt war. Dann strauchelte Damisi und fiel der Länge nach hin und der Priester half ihr geschwind wieder auf. Blut tropfte von ihren Knien und Damisi biss winselnd die Zähne zusammen.



"Ich kümmere mich später um die Wunde. Lauf weiter, " hauchte ihr Gubaïl zu.



Das Mädchen nickte ihm tapfer zu. "Ich schaffe das."



Sie rannten den anderen hinterher und Damisi rief Lysaara, die besorgt auf die beiden warten wollte, zu: "Ist nichts passiert. Nur abgeschürft."



Gubaïl sah sie väterlich an und Sorge trübte seine Augen. "Es tut weh, ich weiß."



"Es geht mir gut," versicherte ihm die junge Katchoi energisch.



So gelangten sie zu einem kleinen Fischmarkt, der am Rand der Promenade lag und auf drei Seiten von Häusern begrenzt war. Niedergerissene Stände, Kisten und alte Planen lagen auf der offenen Fläche und im Flackern des Feuers sah Gubaïl drei Schatten, die sich am hinteren Ende des Marktes zu schaffen machten. Einer dieser Schatten, ein Mann in einer schlichten Robe, berührte mit der flachen Hand die Holzwand und Flammen zuckten an dieser Stelle hervor.



"Was treibt Ihr da?" wollte Gubaïl lautstark wissen und nun wurden auch die anderen auf die seltsamen Gestalten aufmerksam.



"Wir sollten..." begann Lysaara, dann sah sie die Schlagstöcke in den Fäusten der beiden anderen Männer, die den Robenträger begleiteten.



Beide kamen auf die kleine Gruppe zu. Höher schlugen die Flammen, die sich durch das Holz fraßen und ängstlich wich Damisi hinter Lysaara zurück. Halikar baute sich neben der Söldnerin und Gubaïl auf.



Der Mann mit der Flammenhand drehte sich um und sah sie arrogant lachend an. Dann erhob er seine Stimme, die laut über die fernen Rufe der Flüchtenden dröhnte.



"Ihr Sünder! Ihr werdet alle sterben!"



Seine Hände wirkten verbrannt, bemerkte Gubaïl. Nicht nur die, die das Feuer erzeugt hatte. Wer war der Feuerteufel, der sein eigenes Fleisch verstümmelte, um Amovis noch weiter ins Chaos zu stürzen? Gubaïl erinnerte sich an die Worte, die in der kleinen Gasse an die Wand geschmiert worden waren: 'Kuatir lebt'... war dies ein Akolyth Kuatirs, ein Anhänger Soloks? Und wie konnte er immer neue Feuer legen, während Fluchtweg um Fluchtweg zerstört wurden? War dies die Strafe, die Amovis in den Augen des strafenden Gottes verdient hatte? Der Tod hunderter Menschen und der Untergang der Stadt?

Egal. Der Irrsinn musste aufgehalten werden, wollten sie dieser Flammenhölle entkommen.



"Brandstifter!" Gubaïl schrie dem Feuerteufel entgegen. "Mörder!"



Auch Damisi schloss sich den Rufen an: "Wachen! Wachen!" Doch keiner der gerüsteten Männer war in ihrer Nähe.



Langsam kamen die beiden Schläger des Feuerteufels auf sie zu. Etwas seltsames lag in ihrem Blick, sie wirkten leer und nicht wirklich wach. Vorsichtigshalber zog Gubaïl seinen Dolch, während sich Damisi von Lysaara löste und zu einer Hausecke lief, die den Fischmarkt flankierte. Orisa folgte dem Mädchen und zusammen beobachteten sie, wie sich Halikar mit verschränkten Armen vor einem der Schläger aufbaute.



"Gib mir den Knüppel oder ich knüppel Dir ein paar," brummte er dem Mann entgegen.



Der aber holte nur aus und schlug Halikar gegen den Oberarm. Halikar sah zur getroffenen Stelle und dann ohne eine Miene zu verziehen zurück zum Angreifer.



"Was machst du so ein Gesicht?" Ein bedrohliches Grollen. Kein Schmerz war in der Stimme zu vernehmen. "Du siehst aus wie ein Pferd..."



Mit einer fließenden Bewegung packte Halikar den Schlagstock des Mannes und zog ihn aus dessen Griff. Der wirkte nicht sonderlich eingeschüchtert und ging den stärkeren Mann mit überraschender Geschwindigkeit an...

Unterdess hatte sich Lysaara mit ihrem Schild auf den anderen Schläger zubewegt. Mit einem lauten Schrei warf sie sich nach vorne und wollte ihren Gegenüber mit der flachen Seite des Schildes nach hinten stoßen, doch wich dieser dem Manöver der Söldnerin aus und drehte sich so, dass er einen gezielten Schlag gegen ihre Schläfe ansetzen konnte. Gerade noch riss Lysaara den Schild nach oben und wehrte den Angriff ab.

Von der plötzlichen Gewalt überwältigt sah Gubaïl von einem Kämpfenden zum nächsten und machte sich dann humpelnd auf zu Orisa und Damisi. Doch er kam nicht weit, denn plötzlich stand der Feuerteufel direkt neben ihm und mit einem entrückt wirkenden Grinsen packte er Gubaïl am Unterarm. Der Priester roch verbranntes Fleisch.



"Die Götter werden Dich strafen," keuchte er dem Akolythen Soloks zu: "für die das Leid, welches Du verbreitest."



Doch der Feuerteufel starrte ihm nur in die Augen und stieß kehlige hervor: "Nein, sie werden Dich bestrafen!"



Wo er Gubaïls Arm gegriffen hatte, begann nun der Stoff der Priesterkleidung zu rauchen und voller Schmerz verzog der Priester sein Gesicht. Damisi, die das Geschehen von der Hausecke aus beobachtete, schrie entsetzt auf und lief los, hin zu Gubaïl und dem Mann, der ihm zusetzte.

Auf Katchoi schrie sie den Feuerteufel an und sie schlug ihn mit ihren kleinen Fäusten, trat ihn mit ihren Füßen und als dies alles nicht half, kratzte und biss sie in den verbrannten Arm des dunklen Akolythen.

Entsetzt rannte ihr Orisa nach...



"Damisi!"



Lysaara war immer noch im Schlagabtausch mit dem Diener des Feuerteufels gebunden. Sie hörte die Schreie und wusste, dass sie schnell zu handeln hatte. Mit einem mächtigen Schlag überraschte sie ihren Gegner und schlitzte mit ihrer Klinge die Bauchdecke des Mannes auf. Für einen kurzen Moment hielt er inne, schien zu erkennen, wo er war. Schien den Schmerz zu spüren. Dann setzte sich wieder der Nebel über seine Augen und er schenkte Lysaara einen bösen Blick. Er hob seinen Schlagstock und hieb wieder auf die Söldnerin ein, immer wieder und wieder und nur mit Not konnte sie noch rechtzeitig ihren Schild heben.

Der andere Schläger bedeckte Halikar weiter mit Fausthieben, doch der hatte sich bis jetzt nicht gerührt. Nun legte er seinen Kopf schief, starrte den kleineren Mann mit tadelndem Blick an und zog ihm dann mit der eigenen Waffe über den Kopf. Der wankte kurz, fokussierte zum ersten Mal richtig das Gesicht Halikars und konnte einen weiteren, schwächeren Treffer landen. Erneut ließ Halikar den Schlagstock auf den Kopf des Mannes fahren und Blut, Knochensplitter und Gehirnmasse spritzten ihm entgegen. Der erste der Übeltäter ging zu Boden.

Unter Schmerzen versuchte sich Gubaïl vom Akolythen loszureißen, doch hielt der den Arm des Priesters weiter fest und wich dem Dolch des Priesters aus, der nun verzweifelt nach ihm gestoßen wurde. Nur Orisa hatte Erfolg damit, Damisi einige Schritte vom Kampf weg zu ziehen und dies war auch keinen Augenblick zu früh: die Hand des Feuerteufels fing an zu lodern und wütend schrie Gubaïl auf. Dann verließen alte Worte seinen Mund. Alte Gebete der ersten Völker, die Hamail in der Vorzeit angebetet hatten und die Worte hallten über den umkämpften Fischmarkt und wurden vom Tosen der nahenden Flammen verschlungen.

Auch seine Hand brannte nun und mit einem überraschendem Ruck konnte sich Damisi aus Orisas Umarmung lösen.



"Meister!"



Sie sprang nach vorne und trat dem dunklen Mann in die Weichteile, der aber richtete nur ruckartig seinen Blick auf Damisi und grinste sie dämonisch an.

Lysaara konnte den Kampf mit dem Schläger nicht länger ausschweifen lassen. Gubaïl und Damisi brauchten ihre Hilfe und sie wusste nicht, was Halikar und Orisa gegen den Magier ausrichten konnten. Sie täuschte einen Hieb mit ihrem Schild an und schwang ihr Kurzschwert dann mit einem horizontalem Schwung über die Kante der runden Schutzplatte. Sie spürte den Widerstand, als Stahl Muskeln und Knochen durchdrang. Der obere Teil des Schädel rutschte ohne Unterkiefer zur Seite, der Körper des Schlägers folgte einen Herzschlag später. Immer noch angespannt sprang Lysaara zu ihren Begleitern.

Der dunkle Akolyth und Gubaïl standen nun noch mehr in Flammen und weder die Worte noch der Dolch des Priesters fanden ein Ziel, auch wenn Gubaïl stets versuchte, seinen Gegenüber mit der himmlischen Kraft und der Klinge zu treffen. Auch Orisa hatte Damisi wieder an den Schultern gepackt und versuchte das Mädchen weg zu ziehen, doch hatte sie keinen Erfolg und mit einem entsetzten Schrei sah sie mit an, wie der Feuerteufel seine freie Hand nach Damisi ausstreckte und sie am Kopf berührte.

Auch das Katchoimädchen kreischte, als sich Hitze an ihrem Schädel ausbreitete und schon wollte sie nach oben greifen, um die aufflammende Hand des Akolythen zu greifen, als die Spitze einer Klinge aus dem Bauch des Feuerteufels drang und kurz vor Gubaïl und Damisi stehen blieb. Beide keuchten erschrocken auf und mit einem weiteren Ruck wurde der dunkle Mann von seinen Füßen gehoben, als Lysaara noch einmal zustieß und ihr Schwert weiter in seinen Rücken und durch seinen Körper trieb.

Damisi ließ sich nach hinten fallen und einige ihrer Haare blieben glühend im Griff des ächzenden Feuerteufels zurück. Sie deckte ihren Peiniger mit Beschimpfungen auf Katchoi ein. Der dunkle, verkohlte Abdruck von Fingern war auf ihrem verrusten Kopf zu sehen.

Dann griff Gubaïl obgleich der Flammen und des Schmerzes mit seiner freien Hand an die Stirn des Feuerteufels und die eigenen Flammen des Akolythen sprangen durch den Priester auf ihn selber über.



"Im Namen Hamails, dem Beschützer der Kinder der Künste, dem Herren des Krieges und des Schöpfens und im Namen der reinen Energien! Verlasse diesen geschundenen Körper und vergehe in den Flammen, die du hervor gespien hast!" Gubaïls Stimme wurde lauter als das Feuer. "Böser Geist, verlasse diesen Körper!"



Licht sammelte sich im Kopf des nun zuckenden Feuerteufels und aus seinem Mund und den aufplatzenden Augenhöhlen drangen kleine Stichflammen. Der bis an seine Strapazen gebrachte Körper fiel nach hinten und der Griff um Gubaïls Arm erschlaffte. Erleichtert aufatmend machte Lysaara einen Schritt zur Seite und der tote Leib schlug neben ihr am Boden auf. Kurz wischte sie noch ihr Schwert an der brennenden Robe des Toten ab, dann half sie Damisi und Orisa, das brennende Gewand des verletzten Priesters zu löschen.



"Wir müssen hier weg," zischte sie ihnen zu, doch Gubaïl sah sie nur mit glasigem Blick an.



"Au."



Halikar hatte sich mittlerweile zu einem der toten Schläger hinunter gebeugt und durchwühlte missmutig dessen Taschen, stand aber kurz danach mit einem unglücklichen Grunzen und leeren Händen wieder auf. Er trat neben die anderen, die sich um den Feuerteufel versammelt hatten. Er brannte immer noch und das letzte Gebet Gubaïl hatte seinem dunklen Leben ein Ende bereitet, doch sahen alle das verzerrte Grinsen auf seinem Gesicht, das zwischen aufgeplatzter Haut und verkohltem Fleisch zu ihnen empor blitzte.



"Elender Dämon," flüsterte Gubaïl, immer noch erschüttert.



Die Hauswand am hinteren Ende des Fischmarktes brannte nun vollends und die hellen Funken flogen tanzend über die Dächer, verschwanden im dichten Rauch, der nun auch über dem Hafen hing. Zusammen machten sie sich weiter auf und folgten der Promenade nach Süden und kurze Zeit stützten Lysaara und Damisi den wankenden Gubaïl, dann aber nahm Halikar den verletzten Priester wie ein Kind in die Arme und trug ihn mit schnellen Schritten den anderen nach.



"Au."



Halikar nickte Gubaïl nur zuversichtlich zu. Er würde nicht zulassen, dass er noch mehr verletzt werden würde. An brennenden Häusern liefen sie vorbei und heißer Wind warf sich von der Seite gegen sie. Damisi, nun von der Last des Priesters befreit, wandte sich an Lysaara, die neben ihr dahin eilte.



"Sollen wir das irgendjemanden erzählen?"



"Auf jeden Fall." Die Söldnerin sah zu den Flammen, die Amovis in die Knie zwangen. "Irgendetwas geht hier vor in dieser Stadt."



Gubaïl hatte die Worte gehört und mischte sich aus den Armen Halikars mit ein: "Der Kuatir Kult..." Dann hustete er schmerzhaft.



Lysaara schüttelte ihren Kopf. "Weniger Diskussion und mehr Geschwindigkeit?"



Sie eilten weiter den Hafen entlang und kurze Zeit später kamen sie zu einer Schneise, die das Feuer in die Stadt gefressen hatte. Ausgebrannte Häuserruinen und Rauch von unzähligen Schwelbränden waren dort zu sehen und die verkrümmten Leichen der Unglücklichen, denen die Flucht nicht geglückt war. Wie Käfer lagen sie schwarz auf den Überresten ihrer einstigen Heimat.

Ein großer Teil von Amovis war zerstört, das war klar. Doch im Süden konnte es immer noch sichere Viertel geben, die vom Feuer unberührt waren. Solange dort nicht auch solch Hexenwerk veranstaltet worden war...

Weiter und weiter führte sie ihr Weg, an Leichen vorbei, die mit weit aufgerissenem Mund und blutunterlaufenen Augen übereinander gefallen da lagen. Der Rauch hatte seine Opfer gefordert, doch waren auch erschlagene Menschen unter ihnen, mit tiefen Wunden an Kopf und Torso. Nun begann Damisi zu weinen, war dieser Anblick nach all dem Horror doch zu viel für den jungen Verstand und tröstend wurde sie von Orisa weiter geführt.

Bis zu der großen Hafenbucht, an dessen Mund die heilige Tempelinsel lag, liefen sie. Dort sahen sie auf die kleine Steininsel mit dem unberührte Gotteshaus, die mit zwei Brücken an den beiden Ufern mit der Stadt verbunden waren. Schon wollten sie die Wellen überqueren, als sie Rufe vom Meer her hörten.



"He da!"



Sie blickten hinaus aufs unruhige Wasser und im Schein der brennenden Stadt sahen sie ein kleines Fischerboot, das sich aus der Dunkelheit schälte. Ein Mann stand am Bug und winkte ihnen zu, während das Boot einen nahen Steg ansteuerte.



Orisa atmete auf. "So kommen wir auf jeden Fall übers Meer in Sicherheit." Ein müdes Lächeln huschte über ihr mit Ruß und Schweiß verschmiertes Gesicht.



"Nehmt uns mit!" rief Lysaara dem Fischer zu und der winkte sie zu sich, als seine Gehilfen schon eine leichte Planke zum Steg hinüber schoben.



Wenige Augenblicke später half der Fischer schon Orisa, auf das Boot zu kommen und zwei jüngere Männer reichten ihr eine Decke, in die sie sich wickeln konnte. Hier war die Luft kühler und die Anstrengung der letzten Stunde machte sich bemerkbar.

Der Fischer selber war ein älterer Geselle mit einem struppigen Bart und dem modischen Haarknoten, den in dieser Zeit so viele Männer trugen. Er reichte einem nach dem anderen die raue Hand und zog sie in die Sicherheit des kleinen Bootes, das geduldig auf den Wellen trieb.



"Puh... da habt Ihr aber echt Glück gehabt..." Er musterte Gubaïl, der von Halikar an Deck getragen wurde. "Oh, ganz schön schlimm."



Gubaïl lächelte den Fischer erschöpft an. "Hamail ist mit mir."



Das Boot legte vom Steg ab und wendete in einem weiten Bogen, während die jungen Fischer weitere Decken verteilten. Sie fuhren hinaus in die Nacht und hinter ihnen brannte Amovis und erhellte die schwarzen Rauchwolken am Himmel mit roten Flammenzungen.
 
Vielen Dank Minza,
ich habe den Eingangspost noch um die Karte von Laeria ergänzt. Diese deckt zwar nicht die gesamte Welt ab, aber den momentan relevanten Teil^^
 
Und weiter geht es mit den Rollenspielabenteuer, dieses Mal aber dann mit der Kampagne, die @Conquistador seit einiger Zeit für uns meistert... sie ist in kleine Kapitel unterteilt, die ich Euch häppchenweise präsentieren werde und in denen Ihr bekannte Figuren wieder sehen könnt :)

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Miche, Dyesce, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza



Der Geruch von Salz und zu lange in der Sonne umher liegendem Fisch drang in die Nase von Pruudir, als er den Steg des Phönix betrat. Über ihm kreischten die Möwen und die das nasse Holz der angelegten Handelsschiffe knarzte, unterlegte den Wellenschlag mit einer weiteren Note.

Pruudir war noch jung und vor einigen Jahren erst hatte er seine Lehre als Koch abgeschlossen und war nun auf Reise, um genügend Geld zu verdienen. Er wollte eine Taverne in der berühmten Stadt Amovis eröffnen und heuerte darum auf einem Handelsschiff an. Töpfe, in Stofftücher gebunden und über seine Schultern geschwungen, hingen schwer von seinem Rücken. Grüne Augen huschten kurz über das ruhige Meer und er strich sich über das schwarze, am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen gebundene Haar, das glatt rasierte Kinn.



Die Geräusche der Hafenstadt Anis wehten ihm von hinten zu und er drehte sich um, sah zwischen den Häusern hindurch auf den Hügeln hinter der Stadt die im Wind wehenden Felder. Anis, das Seetor von Raphed, Kornkammer der Region. Im sonst eher trockenen Küstengebiet Pyrmesiens war dies ein Gottesgeschenk.



Er hatte sich für eine Handesfahrt nach Amovis anheuern lassen. Das Schiff, auf dem er die Ostilsmerische See überqueren würde, gehörte einem gewissen Diraar von Ioph und Pruudir wusste, dass gerade jetzt viele Schiffe zur berühmten Tempelstadt unterwegs waren. Vor einigen Wochen hatte es einen gewaltigen Brand im Tempelbezirk gegeben und außer unzähligen Gotteshäusern und Schreinen war selbst der große Tempelturm zerstört worden. Viele betrachteten dies als Zeichen der Götter, als himmlische Strafe und beteten nun für den Schutz des spirituellen Zentrums. Doch Pruudir sah dies nur als Gelegenheit, seinen Traum zu verwirklichen. Eine angesehene Taverne mit den besten Speisen der Region zu betreiben.



Neben ihn trat ein athletisch gebauter Mann mit dunklem Bart, der fein gestutzt seinen Mund umspielte. Er war etwa in seinem Alter, wenn auch dunkler und sichtbar von der Insel Donum stammend. Seine Seewasser gegerbte Haut war dunkel und um seine Augen hatten sich kleine Lachfalten gebildet. Sein schwarzes Haar war von einem Tuch bedeckt, das ihm bis in den Nacken reichte und ihn vor der stechenden Sonne schützte, die in diesen Breitengraden alles auszulaufen schien.

Er war leicht gekleidet, mit Sandalen und einer luftigen Stoffhose, doch über der Tunika trug er eine schwere Lederweste, die mit bronzenen Plättchen behangen war. Ein gebogenes Falcata hing an seiner Seite und auf seinem Rücken war ein mit einem Krebs verzierter Rundschild zu sehen. In der einen Hand einen Sack, in der anderen ein Bündel Wurfspeere. Er war sichtbar in Kämpfer. Ein Söldner. Eine Klinge, die das Schiff schützen würde.

Sie standen dort und blickten auf eine Holzstele, die am Kai angebracht worden war. Ein Phönix war in das mit Salz verkrustete Holz geschnitzt, seine Schwingen weit ausgebreitet, seine Schwanzfedern hinter ihm herziehend. Dies war der Steg, der Pruudir genannt worden war. Hier sollte die Emanas Traum, das Schiff von Diraar, ablegen.



Der Söldner blickte sich um und überlegte, ob sie nicht in Gefahr waren. Diraar von Ioph war sicher ein guter Herr, der zu seinem Wort stand und auch die Münzen hatte, die er versprach. Aber der kalte Krieg zwischen Donum und dem Ilsmerischen Reich ließ Pyrmesia immer noch erstarren und nun hatten die Marktschreier berichtet, dass der donumische Vasallenstaat Ioph sich von Donum losgesagt und die Seiten gewechselt hatte. Waren Diraar in Gefahr? Waren sie alle in Gefahr?

Er ließ seinen wachen Blick über die breite Hafenanlage schweifen, sah aber nichts, was ihn beunruhigen konnte. Lediglich der Mann neben ihm wirkte seltsam in seinen Städterkleidung, unpassend vorbereitet für eine solche Fahrt.



Dann sah er die Frau, die abseits von ihnen an einigen Kisten stand, die mit einem alten Fischernetz bedeckt waren. Mit einem prüfenden Finger zog sie eine Muschel aus den Maschen des Netzes und drehte die Schale dann vor ihren Augen. Sie war älter als er, vermutlich Mitte vierzig. Sie hatte dunkle Augen und schwarze Haare, ebenfalls mit einem leichten Tuch vor der Sonne geschützt. Ihre Kleidung wirkte ilsmerisch und der Söldner konnte sie einer kleinen Insel vor der Küste des nördlichen Festlandes zuordnen. Aber sie sah nicht aus, als würde sie hier Probleme machen und Diraar wegen dem Verrat von Ioph an die Kehle wollen. Und als sie sich zu ihm drehte, erkannte er, dass sie im Kampf eh keine Gefahr darstellen würde: ihr linker Arm fehlte kurz über dem verlorenen Ellbogen und nur ein Stumpen ragte aus der leichten Tunika hervor, die die ansonsten ebenfalls eher männlich wirkende Kleidung ergänzte. Ihre linke Gesichtshälfte war vernarbt, das Ohr beinahe nicht vorhanden. Es sah aus, als wäre die Haut vor einiger Zeit abgeschabt worden und so hatte sich ein Geflecht aus Narben von der Schläfe bis zum Kinn gebildet.

Neben ihr ruhte ein Seesack.



Ein Matrose kam aus Richtung eines angelegten Schiffes auf sie zu marschiert. Er war äußerst klein und kompakt gebaut, wie wenn ein Gott einen Klumpen Lehm genommen und daraus einen Menschen geformt, ihn dann aber langsam wieder zusammen sinken lassen hätte. Sein buschiger, schwarzer Bart hatte an den Spitzen einen roten Schimmer. Tiefe Augen sahen ihnen unter einer übertrieben gewölbten Stirn entgegen.

Er blieb vor dem Söldner stehen.



"Ihr seid der Geleitschutz. Unser Mann fürs Grobe." Keine Frage. Eine Aussage.



Der Söldner nickte. Dann sah der kleinwüchsige Matrose Pruudir an, forschte einige Herzschläge nach etwas an dem Städter. Der aber lächelte nur und streckte dem Matrosen den Arm zum Gruß entgegen und der reichte den seinen Pruudir entgegen. Sie nahmen sich am Unterarm und drückten zu.

Auch der Söldner begrüßte den Matrosen auf diese Art und mit schwerem donumischen Akzent stieß er ein freundliches "servus" hervor.



"Ich heiße Bork," meinte der Matrose hilfsbereit. "Geht schon zum Schiff. Wir werden dann schon sehen, wie wir Euer Hab und Gut verstauen."



"Ja wer bisdn Du dann?" Wenn schon kein Respekt, dann schwang wenigstens ehrliche Höflichkeit in den Worten des Söldners mit.



"Ich bin Matrose im Dienst von Herrn Diraar von Ioph."



Erneut nickte der Söldner und als er auf die Planke zu schritt, von der Bork gekommen war, drehte sich der kleine Matrose zu der Ilsmererin um. Die betrachtete einen leeren Krabbenpanzer in ihrer Hand. Er zuckte mit den Schultern und ging Pruudir und dem Söldner nach.

Die entstellte Frau sah kurz auf, blinzelte und griff nach ihrem Seesack. Dann ging sie ruhig den dreien hinterher. Ihr Blick fiel kurz auf die Phönixstele und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie schüttelte amüsiert den Kopf und bekam nur am Rande mit, wie der Söldner beim Gehen Pruudir ansprach.



"Servus. I bin da Mandrail." Er lächelte wohlwollend. "Du bisd a Koch, oda wia?"



"So ist es. Mein Name ist Pruudir."



"Mei, des is guulguad. An Hunga hob i eh scho." Der tyvesische Guul war die kleine Währung in den Inselstaaten, eine geprägte Kupfermünze. Zehn Guul ergaben eine silberne Shela.



Pruudir nickte pflichtbewusst. "Wir werden sehen, was man da machen kann."



Sie erreichten die Planke und standen vor der Emanas Traum. Es war ein bauchiges Schiff mit einer Länge von etwas über dreißig Fuß lang. Das Segel war gehisst und ein großer Mann stand am oberen Ende der Planke und rief einem Matrosen Befehle zu, der gerade Seepocken mit einem langen Haken von der Bordwand entfernte. Ein weiterer schrubbte die Deckbeplankung, während ein dritter Taue zusammenlegte.

Sichtlich war der Rufende in einer führenden Position und er war in einer Tunika gewandet, die ausgefranste Ärmel hatte. Sein dunkles Haar war unter einer Militärmütze verborgen, ein sauber gestutzter Bart fiel ihm bis auf die Brust. Als die beiden Männer über das knarzende Holzbrett auf die Emanas Traum schritten, begrüßte er zuerst Pruudir.



"Wie ich sehe habt Ihr Euer Gerät mitgebracht, Meister Koch." Er nickte hinter sich. "Geht schon aufs Schiff. Ihr werdet erwartet."

Dann wandte er sich an Mandrail, während Pruudir schon an ihm vorbei ging. "Und wie heißt Ihr?"



"Servus. Mandrail."



"Ah. Ihr seid der Geleitschutz..."



"Jawoi." Mandrail griff hinter sich und hob kurz das Schild an seinem Rücken einige Fingerbreit nach oben. "So dad i ausschaun."



Stolz lächelnd begann der muskulöse Matrose nun, Mandrail von seiner eigenen Militärkarriere und seinen Erfahrungen zur See zu erzählen. Der Söldner stieg sofort auf das Gespräch ein, fühlte er sich doch ebenfalls auf Schiffen zu Hause und munter sprachen die beiden Männer über das Erlebte.

Als der Matrose bei seiner Erzählung über die drei von ihm geschlagenen Seeschlachten angekommen war, unterbrach ihn Mandrail breit grinsend.



"Wos? Nua drei?"



Der Matrose lächelte, war ein solcher Schlagabtausch bei Veteranen doch üblich, als sich die Einarmige an ihnen vorbei aufs Schiff drückte. Die Hand des Mannes schnellte nach vorne und griff den Stumpf der irritiert dreinschauenden Frau.



"Wer bist Du?" bellte er zornig mit funkelnden Augen. "Was willst Du Weib hier?"



Pruudir drehte sich auf dem Schiff um und sah der Konfrontation überrascht zu. Doch die Frau blieb ruhig und sprach mit fester Stimme.



"Taeryn Eo." Sie deutete mit ihrem vernarbten Kinn auf das Heck des der Emanas Traum. Ich habe hier Überfahrt gebucht."



Der Mann sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. "Ein Weib und auch noch ein Krüppel."

Er drückte fester zu und zog sie näher zu sich heran. Sein Blick wanderte auf die Tunika von Taeryn, auf die Form ihrer Brüste, die sich gegen den Stoff abzeichnete.



Sie tat einen Schritt nach hinten und wollte sich aus seiner Umklammerung ziehen, doch fassten die kräftigen Finger wie Zangen um den blanken Stumpf. Taeryn runzelte nur die Stirn, versuchte sich noch ein mal aus dem Griff zu lösen.



"Ihr tut mir weh."



Mandrail schob sich neben den Matrosen. "Bisd Du nachad so frustrierd wega meina überlenganen Milidärafahrung, dass Du des an dea Frau da auslassa muasd?" Er lächelte freundlich. "Lass halt des Weibe gehnga."



Der Matrose sah kurz zwischen Taeryn und Mandrail hin und her, dann ertönte ein heller Pfiff aus Richtung des Kabinenaufbaus am Bug. Ein junger Mann war dort aus der Kabine erschienen und sah dem Treiben vorwurfsvoll zu. Er hatte langes Haar und einen langen Bart, der seinem Alter trotzte. Seine Kleidung wirkte wie eine seltsame Mischung aus Seemannstracht und der Vorstellung, die Stadtvolk von Seemannstracht haben mussten.



"Jorkar!" Seine Stimme war laut und klar. "Das ist der Passagier!"



Taeryn sah neugierig zu dem Edelmann - denn nichts anderes als ein Edelmann konnte er sein - und grummelnd ließ Jorkar ihren Arm los. Sie rieb sich die geschundene Stelle und nickte ihrem Retter zu, der sich lächelnd leicht verbeugte. Dann schritt sie weg von der Planke und ließ Jorkar und Mandrail zurück.



"Du hasdas ned so mit Fraun, oda?" Der Söldner grinste sardonisch und begann dann mit einer Geschichte über eine Hafenstadt, die er einmal besucht und die Frauen, die er dort vorgefunden hatte. Jorkar hörte ihm nur abgelenkt zu und starrte Taeryn nach, die mit Pruudir zum Edelmann schritt, der an der Reling stand sich ein weiteres mal verbeugte, als sie ihn erreicht hatten.



"Ich bin Diraar von Ioph." Er nickte Pruudir zu. "Und ich bin froh einen fähigen Koch an Bord zu haben."



Pruudir hatte noch keinen Ruf, das wusste er. Die Worte waren Schmeichelei, nicht mehr. Dennoch er nickte Herrn Diraar dankbar zu. "Ich werde mich bemühen, die Erwartungen zu erfüllen."



Diraar von Ioph war anscheinend zufrieden mit dem kleinen Wortwechsel und wandte sich nun an Taeryn. "Seid willkommen auf der Emanas Traum. Möge Eure Reise eine angenehme sein, auch wenn der Anfang kein schöner war."



Taeryn verneigte sich. "Ich danke Euch, Herr. Ich hoffe, dass ich mit meiner Anwesenheit nicht für mehr Komplikationen sorgen werde."



Diraar von Ioph schüttelte seinen Kopf. "Das wird sich schon legen." Er sah zu den beiden Männern an der Planke, die immer noch miteinander sprachen. "Jorkar ist ein recht altmodischer Seemann, was dies anbelangt. Er glaubt so manche Geschichte, dass Frauen an Bord Unglück bringen oder irgendwelche Wechselweiber sind. Er ist abergläubisch, aber recht zuverlässig. Ein guter Kapitän."



Taeryn lächelte amüsiert. "Ich kenne das alles von zuhause, glaubt mir..."



Doch Diraar von Ioph drehte sich schon wieder dem Koch zu. "Meister Pruudir... ein Diener von mir ist mit Zutaten auf dem Weg hier her. Damit könnt Ihr Euer Handwerk zur Vollendung ausleben. Euch soll es nicht an Materialien fehlen." Er sah Pruudir stolz an.



Pruudir verbeugte sich, dachte sich aber nur, dass er den Worten des Edelmannes wahrhaftig nur vage vertrauen konnte. Er sagte viel, meinte aber alles nicht wirklich. Er schmeichelte, aber verfolgte andere Ziele. Pruudir beschloss, auf der Hut zu sein.

Dann sah er einen kleinen Talisman aus der Tunika von Diraar von Ioph hervor blitzen, den der reiche Mann mit einem festen Lederband um den Hals trug. Es war wie geformt wie ein Schaft, der am unteren Ende einen Kreis hatte. Aus seiner Länge zweigten sich zu jeder Seite zwei Arme, die unteren in einem Bogen weiter gen Boden gebogen.

Pruudir war das Symbol nicht bekannt.



"Ihr habt da ein sehr interessantes Schmuckstück, Herr. Welche Bedeutung hat es?"



Diraar von Ioph fasst sich erschrocken ans Brustbein und schob den Talisman zurück unter den Stoff seiner Kleidung. Er sah Pruudir gedankenverloren an.



"Das ist nur zum Schutz."



"Gegen was?"



"Böse Geister..."



Taeryn runzelte die Stirn. Sie glaubte nicht an Geister. Oder Phönixe. Diese alten Legenden waren kein Teil ihrer Welt. Schon wollte sie etwas sagen, als ein Matrose an Jorkar herantrat und ihm berichtete, das alle Aufgaben erledigt worden waren. Nun konnte die Mannschaft der Emanas Traum beginnen, das Schiff zum Ablegen bereit zu machen.

Sie schloss ihren Mund und trat zur Seite, als Mandrail an ihr vorbei schritt, ein altes Söldnerlied summend. Er grüßte die anderen Matrosen und sich im Wege fühlend drehte sich Taeryn zur Reling und starrte hinaus aufs Meer. In der Ferne war eine kleine Landzunge zu sehen, auf der ein großes Leuchtfeuer brannte. Das Signal sollte den Seefahrern helfen, ihren Weg in den Hafen von Anis zu finden. Seevögel flogen hoch über den angelegten Schiffen und die Sonne brannte auf den funkelnden Wellen.



Hinter Taeryn war der Herr dieser Überfahrt zu Mandrail getreten.



"Der Mann für unsere Sicherheit." Er nickte dem Söldner anerkennend zu. "Mein Name ist Diraar von Ioph. Seid gegrüßt."



Mandrail salutierte und lockerte seine Haltung erst, als der Edelmann einen der Matrosen anwies, sich um Pruudir und Mandrail zu kümmern. Er sollte ihnen unter Deck ihre Schlafplätze zeigen und dem Koch Zugang zu den Vorräten ermöglichen.

Im Bauch des Schiffes war es eng und stickig und die Wellen klangen hohl und für Pruudir bedrohlich, doch wenigstens war es einigermaßen trocken und auch wenn sie sich in der Nacht in ihre Abteile zwängen mussten, sollte es nicht allzu unbequem werden. Als sie wieder auf dem Deck ankamen, brüllte Jorkar immer noch Befehle.

Getrockneter Fisch, Zwieback und eingelegtes Gemüse wurde als Stärkung verteilt und genüsslich kauend spazierte Mandrail zu Taeryn, die auf der Reling saß und mit einem kleinen Kohlestift Skizzen in ein Büchlein zeichnete. Er sah ihr über die Schulter.



"Ja, wos wirdn des?"



Taeryn sah nicht von ihrer Zeichnung auf, sondern deutete beiläufig auf einen der Vögel, die über ihnen kreisten.



"Schwarzkopfmöwe."



Sie zeichnete weiter und Mandrail ging näher heran. Er lachte auf.



"Freilich! Kenn i ja."



Taeryn sah ihn immer noch nicht an. "Sind hier an der Küste sehr verbreitet."



"Und warum machsd des jezad? Einfach so?"



"So etwas wie meine Berufung." Immer noch kein Augenkontakt. Weiter zeichnete sie den Vogel mit geübten Strichen auf eine Seite, die schon eine Sturmschwinge zeigte."



Mandrail lächelte. "Hob i mia scho dachd. Aweng schausd nacham Söldna aus, aba des was woi kaum..."



Taeryn schüttelte leicht ihren Kopf und kritzelte einige Schriftzeichen neben die Möwenzeichnung: 'Frühsommer 467 – Hafen von Anis, Raphid'. Dann fing sie an, den Kopf des Vogels neben die Zeichnung vergrößert zu skizzieren.



Der Söldner seufzte. "Dann moisd hoid."



Er wandte sich ab, wanderte einige Schritte weiter die Reling entlang und zog dann eine dünne Schnur aus seiner Tasche. Vorsichtig befestigte er einen kleinen Haken, den er aus einem Tuch gewickelt hatte, daran und fädelte ein Stück Trockenfisch von seiner Brotzeit auf die Spitze. Den Haken warf er dann über die Seite des Schiffes ins Wasser, die Schnur weiter zufrieden fest haltend.

Er ärgerte sich, dass er kein Wort des Dankes von Taeryn dafür gehört hatte, nachdem er zwischen sie und Jorkar getreten war. Er überlegte, ob dieses wortkarge Weib überhaupt Gefühle hatte...



Pruudir kniete neben den gelieferten Waren, die ein Diener des Herren Diraar an Bord geschleppt hatte. Er öffnete die kleinen Kisten und Säckchen und schnupperte an Zutaten, dann ging er kopfschüttelnd zu Jorkar.



"Wie lange wird die Überfahrt sein?"



"Geplant ist eine Woche auf See."



Der Koch überlegte kurz. "Kann ich noch etwas besorgen?"



"Dann musst Du dich aber beeilen," grollte der Kapitän der Emanas Traum. "Die Mittagssonne senkt sich wieder und wir legen bald ab." Jorkar sah angespannt zu seinen Matrosen, wie sie das Schiff vorbereiteten. "Wir werden auf Dich warten, keine Sorge. Aber auch unsere Geduld hat seine Grenzen."



"Wir sind in Sachen Gewürzen schlecht ausgerüstet, Kapitän. Meine Kunst ohne die richtigen Zutaten hilft nur begrenzt." Er sah Jorkar in die Augen.



Der grummelte etwas unverständliches und deutete mit seinem behaarten Kinn in Richtung Hafen. "Was immer Du auch willst, Meister Koch."



Eilig machte sich Pruudir davon, hin zum Fischmarkt von Anis, wo es mitunter die besten Waren der Region gab. Er hatte sich entschieden, Jorkars Portionen weniger gut zu würzen. Anscheinend legte der Kapitän keinen Wert auf solche Dinge. Er verschwand in der Menschenmenge, die sich am Hafenrand in den Gässchen der Stadt ausbreitete.



Mandrail stand an der Reling und blickte ins Wasser. Er sah den schimmernden Haken seiner Angel unter den kleinen Wellen tanzen und lächelte kurz, als ein kleiner Fisch am Köder nagte. Dann stülpte sich ein größerer, roter Fisch aus der grünen Tiefe hervor und verschlang das kleine Tier mit einer saugenden Bewegung, verschwand dann mit einigen kräftigen Flossenschlägen unter dem Kiel.



"Drecksau." Eher eine Feststellung, als ein erhitzter Ausruf.



"Das war ein Roter Richter," erklärte Taeryn, ohne von ihren Zeichnungen aufzublicken. "Ein Jungtier. Diese Art wird bis zu zehn Fuß lang und es ist einer der größten Raubfische in diesen Küstengewässern."



Mandrail sah sie fragend an. Er wunderte sich, was das Problem dieser Frau war. "I häd mia den gern näher angschaud."



"Denk ich mir."



Schweigen.



"Mein Vater war Fischer." Wieder ein trockener, seltsamer Kommentar von Taeryn.



Mandrail sah sie einige Herzschläge lang stumm an. "Ah ja."



Der Söldner drehte sich um, als Pruudir über die knarzende Planke zurück aufs Schiff kam und stolz einen kleinen Sack von seinem Rücken hob. Anscheinend war er fündig geworden. Jorkar nickte dem jungen Koch mürrisch zu und bellte dann seinen Männern zu, dass sie ablegen würden.

Taeryn klappte ihr Büchlein zu und ging damit zum Bug des Schiffes, um dem Meer entgegen zu blicken, während sie langsam hinaus in die Weite fuhren. Die Hafenarbeiter hinter ihnen auf den Stegen riefen ihnen gute Wünsche und kleine Gebete zu und Mandrail begann, ein altes Seemannslied zu singen. Nach einigen Worten stimmte Borka mit ein und bald schon sangen auch die anderen drei Matrosen mit, während Jorkar nur still die Arbeit überwachte.



Eine leichte Brise kam auf und das Segel spannte sich über ihnen, als die Emanas Traum über die Wellen glitt.
 
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Ihr hattet Zeit, das erste Kapitel von "Wilde Gewässer" zu lesen... nun kommt Kapitel #2:

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Miche, Dyesce, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza




Auf dem Deck der Emanas Traum herrschte geschäftiges Treiben. Mandrail half, wo er nur konnte, und seine Erfahrungen auf Schiffen war über die Jahre stetig gewachsen. Pruudir hatte begonnen, einen kräftigen Eintopf zu kochen und saß an einer gesicherten Feuerstelle auf Deck, während Taeryn eine Gruppe Delfine beobachtete, die verspielt das Schiff begleiteten. Sie wollte den arbeitenden Männern nicht im Weg herum stehen und an der Reling hatte sie einen guten Ausblick auf das Meer.

Einer der Matrosen schaute kurz Pruudir über die Schulter, schnupperte und grinste dann in Vorfreude breit. Er schlug dem Koch auf die Schulter und sprang dann zu den Tauen, zu denen Jorkar ihn mit fester Stimme befahl.

Diraar von Ioph schritt auf Taeryn zu. Sie zeichnete gerade Details der flachen Schwanzflossen auf eine Seite ihres Büchleins, auf der bereits Delfine von einer früheren Reise abgebildet waren.



"Es ist recht interessant, was Ihr da macht." Er betrachtete kurz das Gezeichnete. "Ich habe als Kind ebenfalls Tiere gefangen und gesammelt." Er lächelte sie warm an.



Taeryn klappte das Büchlein zu, verneigte sich und sah so vor ihren Augen den Talisman des Edelmannes, der erneut am Lederband aus seiner Tunika geglitten war. Dort baumelte er einige Herzschläge lang, bis Diraar von Ioph dies bemerkte und ihn schnell mit einer Faust umfasste. Er machte einen Schritt von der Reling weg, atmete scharf ein.



Taeryn sah Angst in seinen Augen.



"Bisd nass wordn oda wos?" schrie Mandrail vom Bug aus seinem Auftraggeber zu, der richtete sich aber nur verstört das Haar.



Mit dem Vorhaben, Diraar von Ioph von dem Schrecken abzulenken, sprach Taeryn ihn ungewöhnlich direkt an. "Habt nochmals Dank, dass Ihr vorher zwischen den Kapitän und mich gegangen seid." Sie rieb sich die Schläfe. "Und ich würde mich nun gerne zurückziehen. Wo ist mein Schlafplatz? Mir wurde keiner zugewiesen..."



Diraars Lächeln kehrte zurück. "Ich biete Euch den meinen in der Kabine an." Bevor sie die falschen Schlüsse aus seinem Angebot ziehen konnte, fügte er schnell hinzu: "Ich werde bei der Mannschaft unter Deck schlafen."



"Das ist nicht nötig, Herr." Sie sah ihm direkt in die Augen.



"Ich bestehe darauf..." Er sah zur Kabine, deren Dach am Bug des Schiffes aus dem Deck ragte. "Dort ist die Hitze erträglicher und es ist nicht so beklemmend. Ich bin zwar den Luxus eines richtigen Bettes gewohnt, aber Ihr seid mein Gast."



Er deutete mit seiner Handfläche auf die kleine Öffnung, die in seinen Raum führte und Taeryn nahm ihren Seesack auf die Schulter. Er öffnete ihr die Türe und sie schritt in den kühlen Schatten hinunter. Einige Bretter waren an der Wand befestigt, auf denen allerlei Unterlagen verstaut waren. Verkaufslisten und andere Dokumente wurden hier aufbewahrt, erkannte Taeryn und sie legte ihr Gepäck auf das relativ breite Bett. Ein Schreibtisch mit einem niedrigen Hocker stand an einer Seite des Raumes und als Diraar von Ioph sich verabschiedete und von draußen die Türe schloss, entzündete Taeryn eine kleine Öllampe und setze sich an die Arbeitsplatte.

Sie schlug ihr Büchlein auf und schattierte die eben umrissene Delfinflosse. Nach einigen Minuten blätterte sie zu einer der hinteren, leeren Seiten und fing an, den Talisman des Edelmannes zu skizzieren.



***



Die Tage vergingen, während der Wind die Emanas Traum weiter in Richtung Süden trieb. Am dritten Abend an Bord saßen alle auf dem Deck zusammen und über ihnen schimmerten die Sterne auf das warme Meer hinab.

Mandrail spielte auf einer kleinen donumischen Geige, die er immer mit sich auf seine Reisen nahm, und die Matrosen sangen zur fröhlichen Melodie. Das Lied handelte vom nächsten Hafen, von den Frauen, die dort lebten und ihren Ehemännern, die verärgert dem Schiff hinterher blickten, wenn es wieder ablegte.

Taeryn saß mit Bork zwischen einigen Kisten auf dem Deck. Zwischen sich hatten sie ein kleines Leinentuch ausgebreitet, auf dem ein einfaches Muster gestickt war. Abwechselnd schoben sie flache Steine und Muscheln zwischen den Linien umher. Poknan war ein beliebtes Spiel im Ilsmerischen Raum und als Bork seinen letzten Stein gegen Taery verloren hatte, hielt er ihr traditionsbewusst eine Shela-Münze hin.

Doch sie schüttelte nur grinsend den Kopf und packte die kleinen Spielfiguren zurück in das Stoffsäckchen, das alle notwendigen Materialien fasste.



Bork wirkte verwundert. "...dann halt nicht."



"Wenn Du mir Geld geben willst, finden wir schon irgendetwas, wo Du mir einen Gefallen schuldig sein kannst."



Der Kleinwüchsige lächelte die vernarbte Frau breit an und stand dann unbeholfen auf. Bei Pruudir holte er zwei Schalen mit dampfendem Essen, gab eine an Taeryn und begann dann selbst, schmatzend zu essen.

Der Koch rührte weiter in seinem Topf und drehte sich halb zu Taeryn um.



"Was führt Dich überhaupt auf diese Reise?"



"Ich möchte mehr von der Welt kennen lernen." Sie roch vorsichtig am Inhalt ihrer Schale. "Andere Länder sehe... und was darin lebt." Sie nippte an einem Löffel voll Eintopf. Dann schüttelte sie ihren Kopf.

"Da fehlt etwas..."



Pruudir blinzelte. "Was meinst Du?"



"Weißschoten."



Pruudir kannte die feurige Frucht aus Ilsmerien. Getrocknet und als Scheiben oder Pulver zum Essen gereicht konnte es so manches Gericht in ein Sinneserlebnis verwandeln, die so manchem zu scharf war.



"Ich muss erst ausprobieren, welche Schärfe die Mannschaft verträgt," entschuldigte er die Abwesenheit des Gewürzes. "Erst dann kann ich solche Zutaten verwenden. Hier ist es nicht üblich, dermaßen stark zu würzen."



Taery zuckte mit ihren Schultern und griff dann in den Beutel, der an ihrer Seite hing. Sie zog ein kleines Päckchen hervor, öffnete es gekonnt mit ihrer einen Hand und den Zähnen und streute dann eine Priese des Inhaltes in ihre Schale.



Pruudir sah ihr dabei mit wachsendem Neid zu. Es war schon wahr, dass er nicht gleich mit solch kräftigen Gewürzen in einer neuen Arbeitsstelle beginnen wollte, doch hatte er auf dem Fischmarkt von Anis auch keine Weißschoten gefunden und überhaupt hatte er die kleinen Früchte schon seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen bekommen.

Der Inhalt des kleinen Päckchens sollte bei den richtigen Leuten ein kleines Vermögen wert sein...



Mandrail beugte sich neugierig zu Taeryn. "Eha... wos is des?"



"Weißschote." Sie hielt ihm das kleine Päckchen hin. Der Söldner schnupperte daran.



"Vorsichtig," warnte Pruudir. "Das kann scharf sein."



"Deaf i moi?" Mandrail wartete auf das Nicken, dann nahm er sich eine kleine Menge des Pulvers zwischen zwei Fingerspitzen und rieb es sich auf die ausgestreckte Zunge. Er schluckte, sah einige Augenblicke prüfend und wurde dann rot. Seine Augen weiteten sich und ein kehliges Krächzen würgte sich an die Oberfläche.



Der Koch schüttelte seinen Kopf. "Pur war das vermutlich nicht die richtige Entscheidung."



Nach Atem ringend rieb sich sich Mandrail die Tränen aus den Augen. "Pur scho. Aber hoid no ins richdige Loch!" Er lachte gequält auf. "A guads Mittl hosd da, des muas i zuagem." Er griff erneut in das Päckchen mit dem Pulver und streute ein wenig über seine Schale.



Bork reichte ihm einen kleinen Krug mit Wasser. "Nicht in den Augen reiben. Wasch sie Dir lieber aus."



Dankend nahm Mandrail das Wasser entgegen und schüttete es sich mit einem Schwung ins Gesicht. Dann gab er den nun leeren Krug zurück und machte sich gefräßig über die Schale mit dem Eintopf her. Bork lachte laut auf.



Pruudir wandte sich erneut an Taeryn, die ebenfalls noch aß. "Hast Du noch mehr solche Gewürze bei Dir?"





Sie blickte nur kurz auf. "Hanth und Winterzierling."



"Kann ich die mal verwenden?"



Taeryn nickte und nahm einen weiteren Löffel voll Eintopf in den Mund. Sie kaute langsam, dann zuckte sie zusammen und blickte sich beinahe verfolgt wirkend um. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Als ihr Augen die von Jorkar trafen, erkannte sie die bösen Gedanken des Kapitäns. Er starrte sie eindringlich an und wendete sich nicht ab, obgleich sie ihn nun bemerkt hatte. Erst nach vielen Herzschlägen drehte er sich zu seinen Matrosen und sprach mit ihnen, als wenn nichts gewesen wäre.

Taeryn atmete tief durch und konzentrierte sich dann wieder auf die Schale in ihrem Schoß.



***



Am nächsten Morgen wurde Mandrail durch lauten Gesang und Lachen wach. Würgen und Platschen mischte sich in die Geräuschkulisse und als er sich aus auf das Deck schälte, sah er Diraar von Ioph, wie er am Bug des Schiffes über der Reling hing und seinen Mageninhalt dem Meer übergab. Die Matrosen ließen sich davon nicht stören, sondern wirkten weiter überaus amüsiert von dem Schauspiel.

Pruudir saß an der kleinen Feuerstelle und bereitete den üblichen Frühstücksbrei zu, wobei er nun eine Schalespeziell mit Ingwerstückchen auslegte. Vielleicht konnten die dem protestierenden Magen des Edelmannes helfen.



Mandrail schritt zu Diraar von Ioph und klopfte ihm mitfühlend auf den Rücken. "Wead scho... jezad iß ersdmoi wos."



Taeryn hatte sich ebenfalls bei ihnen eingefunden und blickte nun fasziniert ins Wasser, wo sich allerlei kleine Fische um das Erbrochene tummelten. Sie hatte in den letzten Tagen wenige Möglichkeiten gehabt, neue Einträge in ihr Büchlein zu zeichnen und so nutzte sie diese Gelegenheit ohne zu zögern. Nur ein mannshoher Fisch, den Mandrail aus dem Meer gezogen und Pruudir übergeben hatte, war von ihr vor der Zubereitung noch ausführlich untersucht worden.

Der Schiffskoch kam mit einem Schälchen Brei heran und überreichte es mitfühlend lächelnd an Diraar von Ioph, dessen Gesichtsfarbe grünlich gefleckt wirkte. Es ging ihm sichtlich schlecht. Noch einmal gab Mandrail Diraar von Ioph einen aufmunternden Klaps auf den Rücken, doch trieb dieser den schwer atmenden Edelmann so gegen die Reling, dass sie nachgab und brach.

Gerade noch konnte Mandrail die Kleidung seines Auftraggebers packen und ihn zurückziehen, doch hörten sie ein Reißen und ein Platschen und als Taeryn ins Wasser blickte, sah sie den Talisman von Diraar von Ioph zwischen davon zuckenden Fischchen und kleinen Brocken Erbrochenem schnell in die Tiefe sinken.

Sofort reagierte sie, ließ ihr Büchlein aufs Deck fallen und sprang über die Reling ins Wasser. Mit ihren Beinen und ihrem einen Arm schlagend, tauchte sie dem Objekt hinterher, das sich chaotisch tanzend von ihr entfernte.



Pruudir sah ihr erschrocken hinter. "Mann über Bord!"



Matrosen liefen herbei und blickten ins Meer, während Jorkar das Steuer herum riss, um einen engen Bogen zu fahren.



Bork stand neben seinen Kameraden auf der Reling. "Verrücktes Weib..." In seiner Stimme schwang Bewunderung mit.



Einige Schiffslängen zur Seite tauchte Taeryn wieder auf und einer der Matrosen warf ihr ein Seil zu, sobald die Emanas Traum an ihr vorbei trieb. Die erschöpfte Schwimmerin packte das Tau mit ihrem gesunden Arm und ließ sich von den Männern des Schiffes ans Trockene ziehen.

Tropfend saß sie auf dem Deck. Sie sah in ihre leere Hand, die den Talisman nicht mehr hatte greifen können und blickte dann zu Diraar von Ioph, der immer noch von Mandrail und Pruudir abgelenkt wurde. Er hatte den Verlust seines Talismans noch nicht bemerkt, so schien es, und war nun eher vom Beinahesturz in die Fluten erschüttert. Taeryn stand auf und bedankte sich bei ihren Rettern. Dann schritt sie auf den Geldgeber der Überfahrt zu.



"Entschuldigt, dass ich es nicht mehr retten konnte."



Diraar von Ioph sah sie verständnislos an und Mandrail verzog sein Gesicht, von Taeryns Offenheit in dieser Situation nicht angetan.

Dann tastete der Edelmann nach dem Schmuckstück und als seine Finger dort nichts fanden, wurde er kreidebleich.



Er drehte sich starr zu Taeryn. "Ich..." Er schluckte trocken. "Ich bräuchte nun doch meine Kabine, Frau Eo."



"Aber natürlich."



Diraar von Ioph schritt fast wie in Trance in Richtung der Kabine, nahm noch die Schale entgegen, die ihm Pruudir stumm reichte und schloss hinter sich die kleine Türe. Man hörte es kurz dumpf aus der Kammer heraus poltern, dann war alles ruhig. Alle standen wortlos an Deck und blickten dorthin, wo Diraar von Ioph im Schatten des Raumes verschwunden war.

Erst langsam wagten sie sich wieder, zu sprechen und zu bewegen und unsicher lachten zwei der Matrosen über das Gesehene. Jorkar stand grimmig drein blickend hinter dem Ruder und sah ließ seinen Blick immer wieder über das weite Meer streifen. Taeryn beobachtete den Kapitän einige Zeit, hatte sie doch eine andere Reaktion erwartet, als diese. Er wirkte verstört, wenn auch nicht so verstört wie Diraar von Ioph.



Besorgt stellte sich Pruudir neben Taeryn und nach einigen Augenblicken des Schweigens sprach er leise zu ihr. "Ich wollte ihn eigentlich ablenken. Damit er den Verlust seines heißgeliebten Talismans nicht ganz so schwer nimmt."



"Oh." Taeryn fragte sich nun doch noch, ob sie Diraar von Ioph vielleicht nicht von seinem Verlust hätte berichten sollen.



***



Am späten Nachmittag des selben Tages war die Stimmung immer noch angespannt. Taeryn hatte sich nach der Anweisung des besorgten Pruudirs trockene Kleidung angezogen und ein Matrose hatte notdürftig die zerbrochene Reling repariert. Jorkar stand am Heck des Schiffes und steuerte missmutig dreinschauend die Emanas Traum weiter über das offene Meer, während Bork am Bug Aussicht hielt.

Als der Ruf des Kleinwüchsigen über das Geräusch der Wellen wehte, fuhren alle zusammen.



"Bei allen Höllen..." Bork richtete sich auf. "Was ist das?"



Die meisten rannten nach vorne und sahen mit Schrecken, wie sich vor ihnen eine schwarze, dicke Wolkenmasse auftürmte. Nicht den gesamten Horizont nahm sie ein, sondern nur einen durchaus breiten Streifen im Süden, und in der sich immer wieder in sich umstülpenden Masse zuckten hellblaue Blitze hin und her. Wie eine dunkle Entität aus einem Albtraum kam die Wolkenwand rasch näher.

Jorkar fluchte laut und riss das Ruder herum, versuchte das aufächzende Schiff in vorbei an der seltsamen Sturmfront zu steuern. Doch es hatte den Anschein, als würden die finsteren Wolken dem Schiff folgen und weiter fuhr der schreiende Jorkar in den Sturm hinein.



Schnell wurde alles an Deck gesichert und Taeryn begab sich verängstigt in den Bauch des Schiffes, stemmte sich zwischen einige Planken und Kisten, während Mandrail und Pruudir auf dem nun vom Regen gepeitschten Deck zurückblieben. An der Luke zum Frachtraum harrten sie aus und sahen den Matrosen zu, die um ihr aller Leben kämpften.

Die Wellen schlugen höher und höher und über das Heulen des Windes hinweg hörte Pruudir nur vereinzelte Wortfetzen von Mandrails Flut aus Schimpfwörtern.



Dann sahen sie, wie Diraar von Ioph plötzlich mitten auf dem Deck der Emanas Traum stand, mit ausgebreiteten Armen und einer Standhaftigkeit, die dem Sturm Konkurrenz machte. Er schrie die Wolken herausfordernd an, doch niemand verstand ihn über das Tosen hinweg, das sie nun wie eine physische Gewalt umgab. Als der Lärm und das Heben und Fallen des Schiffes ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien, schälte sich eine Masse aus den Wolken heraus, die hoch über ihnen drohte.

Ein gigantisches Gesicht formte sich aus der wirbelnden Schwärze und als es seinen gewaltigen Mund öffnete, donnerte eine Stimme wie das Beben der gesamten Erde.



"JETZT HABE ICH DICH GEFUNDEN!"



Betäubt hielten sich Mandrail und Pruudir die Ohren zu, dann durchstach ein hohes, grelles Quieken ihre panischen Gedanken. Schmerzverzerrt sahen sie zu Diraar von Ioph, der immer noch unter dem alles zu verschlingen drohenden Gesicht stand und sich krümmte. Sein Gesicht verzerrte sich, wirkte kurz wie eine Überlagerung mit einer anderen Welt, in der der Edelmann grotesk entstellt war. Die stolzen Gesichtszüge zerflossen in eine unmenschliche Fratze, wirkten beinahe animalisch.



Eine hohe Welle schlug über der Emanas Traum zusammen und das Schiff wurde zur Seite geschleudert. Pruudirs Kopf schlug gegen eine Strebe und regungslos wurde er gegen die Reling gespült. Schon wollte Mandrail sich über das wankende Deck zu ihm kämpfen, vorbei an den panisch an Tauen und Netzen ziehenden Matrosen, als sich das bedrohliche Gesicht aus schwarzen Wolken über ihm aufbaute. Als sich die tosenden Lippen um sie herum schlossen, erkannte Mandrail, dass sie den Kampf verloren hatten.

Diraar von Ioph war nirgends zu sehen, die Matrosen hielten sich nur noch mit Mühe fest, Pruudir war vermutlich tot und Taeryn würde unter Deck ertrinken. Er wollte sich schon aufrichten, um seinem Schicksal aufrecht stehend entgegen zu treten, als alles um ihn herum schwarz wurde.
 
Und das dritte Kapitel von "Wilde Gewässer"...

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Miche, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza




Die warme Sonne wärmte Mandrails Gesicht und um ihn herum sangen Vögel mit seltsamen Stimmen. Als er die mit Salz verkrusteten Augen öffnete, wirkte alles verschwommen, dann erkannte er dichtes Laub über ihm. Er drehte sich, spürte feuchtes Holz unter sich. Eine schräge Fläche, auf der er ruhte. Er rutschte ungewollt einige Fingerbreit und setzte sich dann stöhnend auf. Langsam gewöhnte sich seine Sicht an die Umstände.

Die Emanas Traum lag auf einer kleinen Sandbank, auf den meisten Seiten umgeben von einem pulsierenden Mangrovenwald. Von der offenen Seite her schlug das Meer sanft gegen den kleinen Strand.



Vorsichtig stand Mandrail auf und versuchte, auf dem gekenterten Schiff nicht zu stürzen. Jorkar lag einige Fuß weit von ihm entfernt zwischen zwei Kisten, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Bork hing bewusstlos über ihm in den verhedderten Tauen und gab leicht gequälte, schnarchende Geräusche von sich.

Schritte ließen ihn herumfahren und er sah, wie sich Taeryn aus der Luke zum Frachtraum zog. Sie schaute sich mit großen Augen um, die Narbe an ihrer linken Gesichtsseite rosa geschwollen. Dann taumelte sie zu Bork und fing an, ihn aus den Tauen zu befreien. Der kleine Matrose hustete.



Ein weiteres, leiseres Geräusch zwischen den Schreien der Vögel. Ein müdes Schimpfen. Sich zum schiefen Mast vor tastend, erkannte Mandrail Pruudir, der ebenfalls in den Seilen des Schiffes gefangen war und vermutlich nur so den Sturm überlebt hatte. Schwerfällig befreite sich der Koch aus der Umklammerung und fiel dann erschöpft auf die Knie. Sein Blick tastete das Deck ab, suchend und doch von der Tortur unfokussiert.



"Ist alles bei Euch in Ordnung?" fragte Taeryn, während sie Bork aufs feuchte Deck half.



Pruudir und Mandrail nickten.

Dann ertönte ein langgezogenes Stöhnen, als Jorkar zu sich kam und sich schwer den Kopf haltend, rappelte er sich auf. Er fluchte und hielt sich auf an der Reling fest, als er auf wackeligen Knien zum Stehen kam. Seine Augen spiegelten den Unglauben wieder, den er sichtlich verspürte.



Taeryn wankte zur Kabine von Diraar von Ioph und öffnete die quietschende Türe. Das meiste des Inneren war in Schatten getaucht und nur ein schmaler Streifen Sonnenlicht erhellte das Chaos, das sich nun dort befand. Kleider, zerbrochene Krüge und durchnässte Schriftstücke lagen auf dem Boden umher und es stank nach Tang und alten Muscheln. Laken und Tuniken lagen als Haufen in einer Ecke und Taeryn erschrak, als sich der Haufen plötzlich bewegte. Sie zögerte kurz, dann zog sie den Stoff zu sich.

Aus dem Haufen sahen sie kleine Augen und eine große, feuchte Nase an. Ein neugieriges Grunzen komplettierte das Bild: vor ihr stand ein Zwerghängebauchschwein, das borstige Haupt prüfend zu ihr erhoben. Auf kleinen Hufen versuchte sich das Schweinchen aus den Kleidern zu befreien und Taeryn beugte sich verwundert nach vorne. Auf der Reise hatte sie keine Nutztiere an Bord gesehen... sie näherte sich dem Tier langsam und beruhigte es leise.



"Schhhhhh... ganz ruhig, Freund. Niemand tut dir etwas. Schhhhh. Komm her. Komm her."



Sie nahm es vorsichtig mit ihrem gesunden, rechten Arm hoch und drückte das zitternde Tier an sich. Es war erschöpft, grunzte rhythmisch beim Schnaufen. Taeryn wiegte es in ihrem Griff und überlegte, was das Ganze zu bedeuten hatte.



An Deck blickte Pruudir hinaus in den Mangrovenwald. Zwischen dem breit gefächerten Wurzelgeflecht zweier Bäume trieb sein bester Topf im seichten Wellengang. Einige Bretter und andere Dinge des Schiffes hatten sich dort ebenfalls verfangen. Der Koch schloss kurz die Augen und die tierischen Rufe aus dem Wald schwappten über ihn. Das Meer an der einen Seite der kleinen Sandbank, die komplett von Wasser umgeben war und auf die nicht mehr als drei Schiffe dieser Art gepasst hätten, reflektierte das Sonnenlicht wie unendlich viele kleine Spiegel.

Er drehte sich zu Mandrail.



"Ich gehe meinen Topf retten." Der Ton in seiner Stimme erlaubte keine Diskussion.



"Faits Dia?" Unglauben.



Pruudir kletterte über die Reling, ließ sich die wenigen Fuß bis in den weichen Sand fallen und watete dann ins warme Wasser hinein. Mandrail packte sein Bündel aus Wurfspeeren, das er im Chaos des Unglücks geborgen hatte und wog einen der Speere testend in seiner Hand.



"Lass den Misd!"



Doch der Ruf des Söldners prallte an Pruudirs Sturheit ab und bis zur Brust war er mittlerweile schon im Wasser. Sein Blick war auf den Topf fixiert, seine Miene entschlossen. Weiter und weiter arbeitete er sich vor, bis seine Füße keinen Grund mehr treten konnten und er schwerfällig in der vollgesaugten Kleidung zum Wurzellabyrinth schwamm.

Mandrail verfolgte seinen langsamen Weg zum Topf, immer noch auf dem schiefen Deck der Emanas Traum wachend. Ihm gefiel ganz und gar nicht, was der Koch dort unten veranstaltete und mit einem flauen Gefühl im Magen umgriff er seinen Wurfspeer fester.

Dann sah er den Schatten, der vom Meer her langsam unterhalb der Wasseroberfläche auf Pruudir zutrieb. Groß wie ein Baumstamm war die dunkle Form und als der Söldner dem Koch schon warnend zurufen wollte, bemerkte dieser auch bereits die drohende Gefahr. Er schwamm schneller.



Leise fluchend wollte Mandrail schon in den Sand unter ihn springen, um näher am Schatten zu sein, als Taeryn mit dem Schwein auf dem Arm die Kabine verließ. Innerhalb eines Augenblickes erfasste die Frau die Gefahr, rannte auf den niedrigeren Teil des gekenterten Schiffes zu und sprang dann beherzt in den Sand unter ihr. Das Schwein quiekte überrascht und verängstigt. Mandrail tat es Taeryn gleich und landete neben ihr auf der Sandbank, eilte zum Ufer und zielte mit dem Wurfspeer auf den Schatten, der Pruudir immer näher kam.

Taeryn sah in die Richtung, in die Mandrail blickte, ließ das Schweinchen in den Sand gleiten und fauchte dem verwirrten Söldner ein kurzes "Pass drauf auf!" zu. Dann sprang sie ins Wasser und tauchte nach einigen Schritten unter die Wasseroberfläche.

Mandrail sah verloren auf die kleinen Wellen.



"Wiaso muas de bläde Kuah mia jezad im Schuss umme schwimma?"



Taeryn war noch etliche Längen vom schwimmenden Schatten entfernt, aber Mandrail war sich nicht sicher, zu was diese Frau sonst noch in der Lage war. Er drückte das Schwein mit einem Bein an sein anderes. Es quiekte protestierend.

Schließlich tauchte Taeryn wieder an der Stelle auf, an der sie verschwunden war.



"Salzwasserkrokodil!" Ihre Stimme war mit Angst unterlegt, das Gesicht bleich.



Schnell hastete sie zum Ufer zurück, während Mandrail den Schatten weiter mit der Spitze seiner Waffe verfolgte. Ob er einen Wurf bereits wagen sollte? Er kannte sich mit der Jagd zu Wasser aus, doch hatte er nur vier Wurfspeere dabei und jeder verschwendete Angriff könnte ein großer Fehler sein.

Er blickte erschrocken zu Taeryn, die zu seinem Entsetzen nicht ganz das Wasser verlassen hatte. Viel mehr stand sie nun im knöchelhohen Wasser und plantschte mit dem Fuß energisch und lautstark.

Der Schatten hob sich aus dem Wasser und nun konnte Mandrail die Augen und Nasenöffnungen eines gepanzerten Meeresreptils erkennen, das sich mit einem urzeitlichen Blinzeln seiner Nickhäute umblickte. Er schleuderte den Speer, der aber streifte nur die ledrige Plattenhaut des Raubtieres und trieb dann nutzlos auf dem Wasser. Das Krokodil drehte sich langsam in Richtung Taeryns, vom Angriff Mandrails gänzlich unbeeindruckt.



"Mach waida! Des funktioniad!"



Fester stampfte Taeryn im flachen Wasser auf und schneller schwamm nun die Panzerechse auf sie zu, bis es die Frau für zu riskant hielt und sich vom Ufer rettete. Schnaufend und tropfend stand sie neben Mandrail und dem fragend grunzenden Schweinchen.

Pruudir hatte in der Zwischenzeit den Topf erreicht und ihn mit einer Hand gepackt. Kurz hing er schwer atmend an den Wurzeln der Mangrove, dann stieß er sich ab und schwamm in einem großen Bogen auf die Sandbank zu, stetig den Blick seiner Reisegefährten überwachend. Wo sie hinsahen, war das Krokodil nicht weit.

Wieder warf Mandrail und die Spitze des Speeres blieb kurz in einer Rückenplatte des Reptils stecken. Dann löste sich die Wurfwaffe und schneller schoss das Raubtier auf den Sandstrand zu. Es hatte das flache Wasser beinahe erreicht, als ein weiterer Speer geschleudert wurde, der das Reptil aber knapp verfehlte.



Taeryn packte sich das alarmiert quiekende Schweinchen und rannte hin zum gekippten Schiff, versteckte sich hinter dem in der Sonne getrockneten Bug. Auch Mandrail hatte den Sinn im taktischen Rückzug gesehen und obgleich sein verbliebener Wurfspeer noch im Sand lag, kletterte er über die Reling auf das schräge Deck, wo Jorkar und Bork schon warteten. Die beiden Männer hatten das Schauspiel aus der Sicherheit des Schiffes heraus verfolgt und riefen ihre Mitreisenden nun lautstark zu sich.

Als Pruudir nun auch mit dem Topf in der Hand von einer anderen Seite zur Emanas Traum lief, ließ Jorkar schimpfend und fluchend ein Tau hinunter und zog den schnaufenden Koch nach oben.

Nicht weit von Pruudir hatte sich das Salzwasserkrokodil an Land geschoben und stampfte mit schweren, geschwungenen Schritten über die Sandbank hin zum gekenterten Schiff.

Ein Stein zischte durch die Luft und traf die Echse am Kopf. Drohend öffnete es sein langes Maul und hisste, sich zu einem kleineren Ziel zusammen ziehend. Mandrail sah zur Seite und sah, wie Bork bereits einen neuen Stein in seine Schleuder legte. Die Matrosen hatten alle diese einfache, aber äußerst effektive Waffe bei sich getragen, doch nun waren nur noch der Kleinwüchsige und Jorkar da, um sie zu nutzen. Von den anderen Matrosen hatten sie seit dem Sturm nichts mehr gesehen...



Ein zweiter Stein flog neben dem Krokodil in den Sand und ließ eine kleine Sandfontäne aufstoben. Die Panzerechse drehte sich drohend zur Einschlagstelle. Dann schloss es behäbig sein Maul und marschierte weiter mit schweren Schritten auf das gekenterte Schiff zu. Vor dem Rumpf machte es eine Kurve nach links und ging die volle Länge der Emanas Traum ab, bevor es Kehrt machte und sich nun zum Heck schleppte. Ein dumpfes, kehliges Gurgeln war zu hören.



"Sind Krokodile essbar?" fragte Pruudir in das angespannte Schweigen hinein und hinter dem Schiff erklang die flache, ruhige Stimme von Taeryn.



"Ja."



Weiter beobachteten sie den Weg der Echse, bis Mandrail sich zu Bork drehte, der gerade wieder einen Stein in seine Schleuder legte. "Gib hea." Er griff die Schlinge und zog sie Bork aus der Hand. "Des mach i."



Mandrail wirbelte die lederne Schlaufe über seinem Kopf und ließ den Stein dann in Richtung des Reptils fliegen. Außer einer erneuten Sandfontäne und dem Drohen des Krokodils hatte es keine Wirkung. Mandrail blickte verbissen drein.

Hin und her streifte die Echse, bis sie nach einigen Minuten genug hatte. Es konnte die Männer auf dem Schiff nicht erreichen und wusste nicht, dass die Frau hinter dem Rumpf stand und mit dem Schwein im Arm so leise wie möglich wartete. Das Krokodil machte Kehrt und stapfte ins Wasser zurück. Es glitt unter die Wogen und war kurze Zeit später nicht mehr zu sehen.



Taeryn kam hinter der Emanas Traum hervor. "Das habt ihr gut gemacht..."



Sie betrachtete kurz Jorkar, der regungslos auf die Wellen zwischen den Mangrovenwurzeln starrte und wandte sich dann dem Schwein in ihrem Griff zu. Als Bork ihr ein Tau herunter ließ und sie mit Pruudir nach oben zu ziehen begann, kletterte Mandrail vorsichtig zurück in den Sand, mit sich einen der langen Bootshaken der Emanas Traum tragend.

Er positionierte sich am Strand und lauschte den Geräuschen des Waldes. Aus der Richtung, in der das Krokodil verschwunden war, erklangen alarmierte Rufe einer Affengruppe. Anscheinend hatten sich das Reptil in einen anderen Teil der Mangroven zurück gezogen und terrorisierte nun dort die Tierwelt.

Achtsam begann er mit dem Haken seine Wurfspeere aus dem Wasser zu ziehen. Schließlich schlug er mit der Stange einige male testend auf die Wasseroberfläche.



"Lass das lieber," rief Taeryn ihm zu, doch Mandrail schimpfte nur leise vor sich hin.



Langsam kam auch Jorkar wieder in Bewegung und zusammen mit Bork untersuchte er die nahe Umgebung. Von den anderen drei Matrosen war nichts zu sehen und es gab auch keine Spur von Diraar von Ioph. Es war, als hätte der Sturm ihn von einem Moment zum anderen vom Deck gerissen und in die Tiefen der schwarzen Verdammnis geschleudert. Sie hoben stumm Bruchstücke der Ladung auf und drehten es vor sich hin und her.

Pruudir stand immer noch neben Taeryn und beäugte das Schwein in ihrem Griff.



"Wer ist Dein neuer Freund?"



"Ich weiß nicht, woher er kommt. Er war nie in der Kabine, als ich die letzten Nächte dort geschlafen habe." Sie deutete mit ihrem Armstumpf auf die offene Luke ins Innere des Schiffes. "Vielleicht war er im Frachtraum untergebracht und suchte nach dem Sturm in der Kabine nach Futter."

Sie sah ihn eindringlich an. "Ich nenne ihn Rüssel."



Pruudir wirkte erstaunt, dann wanderte ein schelmisches Grinsen in sein Gesicht. "Vielleicht hat der Herr Diraar sich verwandelt..." Er zwinkerte Taeryn zu.



Die rollte nur mit ihren Augen und leise zählte der immer noch grinsende Koch auf, was er alles aus dem Schwein machen konnte.

"Braten, Kottletts, Schnitzel, Geschnetzeltes..."



Mandrail kam mit seinen Wurfspeeren zurück an Deck und während Pruudir immer noch Speisen aufzählte, schüttelte er fasziniert den Kopf. Er hatte das Schweinchen schon am Strand gesehen, doch nun konnte er Taeryn direkt auf dieses Rätsel ansprechen.



"Zefix, wos isn des jezad wiada?"



"Ein Zwerghängebauchschwein."



Pruudir mischte sich erneut ein. "Aber warum ist es so klein? Das ist doch kein Jungtier mehr, wie es aussieht. Oder?" Er ging näher an das Schwein heran und es grunzte.



"Anscheinend ist es von einer der kleineren Inseln. Arten werden auf extrem begrenzten Landmassen oftmals über den Lauf der Generationen kleiner oder auch kleinwüchsig." Sie erntete einen unschlüssigen Blick von Bork. "Um sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen."



Mandrail schüttelte seinen Kopf. Er verzweifelte an der Frau, die entweder gar nichts oder etwas derart unverständliches sprach und die auf ihn wirkte, als wäre sie aus Eis gehauen. Pruudir war nicht besser, sprang er doch ohne jeglichen Gefahrensinn Töpfen nach und schwamm durch unbekannte Gewässer, als wäre es ein kleiner Bach neben einem Gehöf.

Er atmete schwer ein und betrachtete dann das Schwein, das immer noch von Taeryn gehalten wurde. Es war niedlich, wie es schnupperte und beim Schnaufen leise grunzte. Er griff nach dem kleinen Tier und kraulte es am borstigen Kopf. Es reagierte mit halb geschlossenen Augen und einem tiefen, zufriedenen Geräusch aus seiner Kehle.



"Wenn wir das nicht schlachten," begann Pruudir: "müssen wir es füttern. Das ist Euch klar?"



Taeryn sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Wir sind in einem Mangrovenwald. Hier gibt es mehr Nahrung, als wir brauchen. Fische, Krustentiere, Früchte. Wir tun alles, aber nicht verhungern."



Pruudir brummte nur nachdenklich, während Mandrail Taeryn das Schweinchen bereits aus dem Arm genommen hatte und nun leise auf das Tier einredend Kopf und Rücken streichelte. Er grinste glücklich.



***



Es war immer noch Ebbe und alle halfen, Einzelteile des Schiffes und verstreute Vorräte einzusammeln. Die meisten Sachen waren zwischen den nahen Wurzeln gefangen und immer noch auf der Hut vor gefährlichen Tieren, watete Taeryn langsam durch das knietiefe Wasser oder schwamm gekonnt mit nur einem Arm zum Treibgut.

Jorkar hatte wieder die Führung über die kleine Gruppe übernommen. Zusammen mit Bork, erhitztem Teer und den Kistenbrettern dichtete er einige Risse im Rumpf der Emanas Traum, während Pruudir auf dem schiefen Deck des Schiffes unglücklich ein karges Mahl zubereitete.



Von der Sandbank aus überwachte Mandrail Taeryns Suche, Rüssel an seiner Seite. Er blickte durch eine Lücke im Mangrovenwald zu den nahen Bergzügen, die sich in nicht allzu weiter Ferne dem Himmel entgegen streckten. Sanfte, grün bewachsene Hänge und flache Hügel waren vor den blanken Felsen zu sehen. Sie könnten den Strand erreichen, würden sie am Rand des Mangrovenwaldes zur Küste waten.

Mandrail sah zu Rüssel hinunter, der an einer kleinen Krabbe schnupperte. Erstaunt hatte er beobachtet, wie das Schweinchen schon auf einfache Befehle Taeryns reagiert hatte, der Söldner selber aber gab sich mit einfachen Streicheleinlagen zufrieden.



Taeryn kam gerade mit einem kleinen Fässchen auf die Sandbank zurück, als Mandrail hinter sich Jorkar bemerkte. Der Kapitän hatte im Schatten des Rumpfes eine kleine Verschnaufpause eingelegt und trank Wasser aus einem kleinen Krug. Seufzend drehte sich der Söldner zu Jorkar und schritt dann auf ihn zu.

Jorkar bemerkte ihn, als Mandrail in den Schatten der Emanas Traum trat.



"Was gibt es?" Er lächelte müde. "Wieder eine Deiner Geschichten?"



"I erzähl dia nachhea gern wida a Gschichdn. Aba eastmoi..." Er sah sich kurz um und ging sicher, dass niemand in ihrer Nähe war. "...wos warn des im Stuam füa a Scheiß eigndlich?"



Jorkar schluckte. "Das war etwas übernatürliches..." Er sah böse in Richtung des Wassers, wo Taeryn sich neben Rüssel gesetzt hatte. "Da waren uns die Götter wohl nicht gut gesonnen."



Mandrail nickte. Er wusste, dass der Kapitän Taeryn alle Schuld an dem Unglück gab, auch wenn er selber dies nicht so sah. Er wusste aber auch, dass Jorkar etwas zurückhielt und mehr wusste, als er zugeben wollte.



"Du woas doch, wos des war. Wia da Diraar vaschwundn is..."



Jorkar sah ihn hart an, dann zog ihn der Kapitän weiter hinter den Rumpf. Seine Stimme war leise, gepresst. "Diraar wurde von vielen als 'der Glückliche' bezeichnet. Und es gibt Geschichten über ihn, dass er nicht so jung ist, wie er aussieht." Seine Augen waren aufgerissen und er schwitzte. Und dass 'der Glückliche' von daher rührt, dass er viele Unglücke überlebte. Unglücke, die allen anderen den Tod brachten. Auf seinen Reisen auf hoher See... "



Mandrail sah ihn überrascht an.



"Als einziger wurde er gefunden. Und es gab noch andere Ereignisse dergleichen. Darum nannten ihn die Seeleute anscheinend irgendwann einmal 'den Glücklichen'. Einfach, weil das Schicksal schon mehrmals seinen Tod vorherbestimmt hatte und er dennoch weiter unter dem Antlitz der Sonne das Land durchwandert."



Jorkar stutzte kurz, zögerte.



Mandrail hakte nach. "Ah, kumm scho. Von Kamerad zu Kamerad. I muas doch wissn, gegn wos i kämpf..." Seine Stimme war ruhig, sein Lächeln warm.



"Es heißt..." begann Jorkar. "Es heißt, er habe einen Packt mit etwas, was nicht von dieser Welt wäre." Seine Augen huschten von Seite zu Seite. "Was ihm bis jetzt dieses Glück beschert hat."



Mandrails Gedanken zuckten zum Talisman und dem Gesicht im Sturm. "Des häd i hoid gern vorhea gwussd." Er schüttelte enttäuscht seinen Kopf. "Des hädan Aufschlag gem..."

Er hielt inne und in seinen Augen flammte die Erkenntnis auf. "Mooooomend moi! Moooomend!"

Er ging näher an Jorkar heran. "Wer bezahld michn jezd? Du, oda?"



Die Unsicherheit auf Jorkars Gesicht verschwand augenblicklich. Die alte Wut war wieder zu erkennen. "Ich kann Dir nur eine zweite Anstellung verschaffen, wenn wir in Amovis sind. Die können wir dann höher aushandeln. Aber gerade bin ich auch nur angeheuerter Kapitän, der bezahlt worden wäre. Ich kann Dir nichts bieten."



Mandrail zog eine Grimasse. "Aba da komma nochmal drauf zum sprechn, des vasprech i Dia!" Er streckte Jorkar fordernd den Unterarm zum Schlag entgegen, den der Kapitän nach kurzem Zögern ergriff. Feste packte der Söldner zu, um seinem Gegenüber deutlich zu machen, dass er es sehr wohl ernst meinte. Dann drehte sich Jorkar weg und machte sich wieder an die Arbeit.

Angesäuert stapfte Mandrail zum Wasser zurück und starrte in den Wald, aus dem die Klänge des Lebens widerhallten. Doch unter der Decke seines Zornes hörte er nichts von diesen Liedern.



***



Als die Flut letztendlich einsetzte, hatten sie Überlebenden des Sturmes ein kleines Lager neben dem Schiff errichtet. Das Wasser erreichte nicht den Rumpf der Emanas Traum und von der Panzerechse fehlte jede Spur. Dennoch aßen sie auf Deck, als sich die Dämmerung durch die Mangroven schlich.



"Wir sollten zur Insel gehen," gab Jorkar schmatzend zu bedenken. "Und uns umschauen. Wir brauchen weiteres Holz für die Reparaturen."



Taeryn nickte nachdenklich, während sie die Schwanzschuppen des Krokodils in ihr Büchlein zeichnete. "Das sollte recht interessant sein."



"Am Morgen werde ich einen Trupp zusammen stellen." Jorkar sah sich in der Runde um.



"Warum?" Taeryn blickte auf.



"Warum was?"



"Warum gehen wir nicht einfach alle?"



Jorkar sah sie kurz warnend an, dann seufzte er. "Vielleicht wäre das sogar schlauer. Die Affen werden uns nichts aus dem Lagerraum stehlen, wenn wir alles gut verstauen."

Er nahm einen weiteren Löffel des Eintopfes, den Pruudir gekocht hatte, während Mandrail Rüssel etwas getrockneten Fisch gab.



***



Die Sonne stand noch niedrig, als sie zum Aufbruch bereit waren. Sie hatten die Nacht auf dem Schiff verbracht und immer hatte jemand Wache geschoben. Nun war Rüssel zusammen mit etwas Futter und einer kleinen Schüssel Trinkwasser unter Deck verstaut und die Luke gesichert. Kein Raubtier würde seinen Weg in den Rumpf des auf Kiel gelegten Schiffes erzwingen können.

Zusammen brachen sie schweigend auf und wateten durchs seichte Wasser, das von einem Ende der Sandbank und vorbei am Rand des Mangrovenwaldes zur Küste führte. Vorne voran ging Mandrail, seine Klinge in der einen Hand, das Bündel Wurfspeere in der anderen.



Schon bald sahen sie die gesamte Breite der Insel, etwas anderes konnte es so weit draußen auf dem Meer nicht sein. Kein Sturm würde sie in nur einer Nacht über eine große Distanz geschleudert haben. Wenn sie Glück hatten, gab es Siedlungen auf dem Eiland und falls nicht, sollten sie dennoch genügend Vorräte finden können, um eine Weiterfahrt zu ermöglichen.

Sie hielten nach allen Seiten Ausschau nach Krokodilen und Haien, die sich in Küstennähe aufhalten konnten und von den hohen Ästen der Mangroven sahen ihnen kleine Affen zu. Die Tiere schrien drohend und aufgeregt, versuchten immer wieder, die Inselbesucher einzuschätzen. Doch die wateten einfach weiter durchs flache Meereswasser.

Kleine Fische huschten zwischen ihren Beinen umher, als der Untergrund steiniger wurde und als sie endlich das Festland erreichten, setzten sie sich kurz, um ihre Füße und Hosen trocknen zu lassen. Sofort nahm Taeryn ihr Büchlein auf den Schoß und skizzierte die Affen und Fische, die sie gerade gesehen hatte.



Dann wanderten sie die steinige Küste entlang, bis der mit Gras bewachsene Hang schnell in einen dichten Nadelwald überging. Kurze, gestauchte Bäume boten Schatten vor der stetig steigenden Sonne und während Jorkar und Bork anfingen, einige Stämme zu fällen, hielt Mandrail Ausschau.

Auch Pruudir suchte nach im Schutz der Bäume wachsenden Früchten und anderen essbaren Dingen und blickte immer wieder zu Taeryn hinüber, die auf einem flachen Findling saß und einige Vögel zeichnete, die vor ihr in den toten Nadeln des Bodens wühlten.

Nach einer Stunde des Wartens zog es Mandrail tiefer in den niedrigen Wald und schon bald fand er eine kleine Süßwasserquelle, von der er gierig trank. Er füllte das kalte Nass in den Lederschlauch, den er an der Seite trug und rief dann Pruudir zu sich, der es ihm gleich tat.



Zusammen versuchten die beiden Männer, die wenigen Affen zu jagen, die sich aus dem Mangrovenwald heraus auf den Hang wagten, doch waren die kleinen Tierchen zu flink für die Wurfspeere des Söldners und mürrisch entschied er, dass sich die Arbeit nicht lohnen würde. Er könnte einfacher einen Fisch an Land ziehen.



Bald war es Abend. Die Seeleute hatten genügend Holz geschlagen und Mandrail schlug vor, zurück zum Schiff zu gehen. Taeryn aber fand diese Idee alles andere als gut.



"Warum soi ma hia an Land a Lager aufschlogn? Aufm Bood samma sicher, des is wia a Fesdn."



"Auf der Sandbank kann einiges passieren..." Sie sah Mandrail ohne Regung an.



"Und wos ko hia ois gscheng?"



"Viel..." Taeryn deutete mit ihrem Armstumpf in Richtung des Schiffes. "Aber Du sagtest, dass wir auf dem Schiff sicher sind und das sind wir nun einmal nicht."



"Sicherer," meinte Mandrail überdeutlich. "Sicherer hob i gsogd."



"Ist gut." Taeryn nickte. "Machen wir. Gut." Sie wandte sich ab.



Kurz blickte Mandrail zu Jorkar, der aber wirkte zu erschöpft vom Tagewerk, um sich in die Diskussion einzumischen. Der Kapitän sah nur müde zu Taeryn und bewegte lautlos und fast nicht bemerkbar seine Lippen.

Mandrail machte einen großen Schritt und holte Taeryn ein. Die drehte sich wieder zu ihm.



"I bin mia echd ned sicha, wos i von Dia hoidn soi..." Er sah sie unschlüssig an.



Taeryn zuckte nur mit ihren Schultern und Mandrail sah, dass Jorkar boshaft grinste. Als wäre dies der Beweis dafür, dass die Frau eine Ausgeburt der Hölle und ein Unglücksbringer war.



"Is wirklich ois in Ordnung bei Dia?"



"Alles bestens." Sie blinzelte. "Außer, dass wir auf einer vermutlich unbewohnten Insel gestrandet sind, die im schlimmsten Fall auf keiner Karte verzeichnet ist... alles in Ordnung." So beunruhigend ruhig.



"Aber so im Ganzn...?"



Sie holte tief Luft. "Ich bin gut ernährt und mein Zyklus ist regelmäßig."



Mandrail biss sich auf die Lippe. Was war nur mit dieser Frau los? "Ausgezeichnet."



Sie schulterten die schweren Stämme auf ihre Schultern und schritten durch die endlich abkühlende Luft hin zum Strand. Das Rauschen des nahen Meeres begleitete sie.
 
Und Kapitel #4, das wir vor einem guten Jahr gespielt haben:

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Miche, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza





Die Schiffbrüchigen wateten im Abendlicht durch die schwachen Wellen des Meeres, hin zur immer noch auf der Sandbank liegenden Emanas Traum. Der Mangrovenwald wurde durch die tief stehende Sonne in ein rötliches Licht getaucht, während die wenigen Wolken bereits dunkel vor den langsam auflebenden Sternen dahin hingen.

Vereinzeltes Treibgut kreuzte ihren Weg und immer wieder griffen Mandrail und Pruudir nach brauchbaren Brettern und Seilen, um sie mit zu nehmen. In dieser Situation gab es wenig, was ihnen nicht nützlich sein könnte. Dann sah Jorkar eine kleine, treibende Insel aus gesplittertem Holz und einer abgerissenen Kistenseite, die nur einige Armlängen von ihnen von Welle zu Welle tanzte. Mit einem Grunzen drückte er sich durchs Wasser zum Fund und hielt dann ein fein gearbeitetes Gerät in die Höhe: einen Dreistab, den die Navigatoren mit Zuhilfenahme der Sterne zur Berechnung ihres Standortes und des Kurses benutzten.

Er grinste die anderen triumphierend an.



***



Im Laderaum des der Emanas Traum hatte Rüssel seine Wasserschale umgeworfen und das wenige übrig gebliebene Futter auf den Planken verteilt, doch freudig quiekend ließ er sich nun von Taeryn Eo ins Freie tragen. Glücklich schnuppernd stand das Schwein neben der Frau, als sie vom Bug hinaus aufs offene Meer blickte, und während Jorkar mit dem kleinwüchsigen Bork das restliche Tageslicht nutzte und weiter am Rumpf arbeitete, verstaute Pruudir die frisch gesammelten Vorräte neben seiner Kochstelle.

Mandrail, der das frisch gefällte Holz neben den trockenen Rumpf gelegt hatte, näherte sich den arbeitenden Seeleuten.



"Brachds mi?"



Jorkar sah kurz von seiner Arbeit auf, blickte aber nicht zum Söldner, sondern zu Taeryn. "Jeder Mann ist wichtig..."



Die gemeinte ließ sich nichts anmerken. Doch Mandrail folgte dem Blick des Kapitäns und nahm dann tief seufzend eines der Bretter in die Hand, die frisch abgeschliffen auf ihre Verarbeitung warteten. Dann ließ er es auf Jorkars Finger fallen, als dieser ihm helfen wollte.



"Kannst Du nicht aufpassen?" Mit vom Zorn roten Kopf funkelte Jorkar Mandrail an.



Der aber erwiderte den Blick nur gelassen. "Dann schaug hoid hi, wosd arbeidsd." Er deutete zu Taeryn. "Ned irgendwo anders hi."



Jorkar schluckte schwer, dann arbeitete er wütend weiter, während Mandrail nur schelmisch grinste und sich noch einmal zu Taeryn umdrehte. Die beobachtete aber immer noch den fernen Horizont. Er zuckte mit den Schultern und half dann weiter Jorkar.

Pruudir ließ sich neben Bork vom Schiffsdeck gleiten. Kurz beobachtete er den kleinen Matrosen bei seiner Arbeit.



"Kann auch ich etwas helfen?"



Ein warmes Lächeln von Borka. "Du kannst Essen machen," meinte er augenzwinkernd. "Ich brauche nichts warmes, aber wenn Du was zusammen stellen könntest..." Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Eine kleine Brotzeit."



Mandrails Kopf schoss wie das Haupt eines Vogels in Richtung der beiden Sprechenden, als er das Wort "Brotzeit" hörte.



Pruudir nickte. "Ist gut."



"Kannst Du mir aber noch das Brett rüber reichen, bevor du dich um unser leibliches Wohl kümmerst?" Bork streckte seinen kurzen Arm zu einem Stück Holz, das am Rumpf der Emanas Traum lehnte.



Pruudir tat, um was er gebeten worden war, und machte sich dann auf, um ein kleines Abendmahl herzurichten, während Bork lächelnd weiter das Schiff versorgte. Mandrail, nun abgelenkt vom angekündigten Essen, drückte immer wieder auf seinen knurrenden Magen, dessen grollende Geräusche sich mehr und mehr lautstark mit den Geräuschen des Mangrovenwaldes vermischten.



***



In der Ferne waren die Schreie der Affen zu hören, während die Wellen sanft gegen den Strand schwappten. Der Geruch der frisch gebackenen Fladen überlagerte den Geruch der kleinen Öllampe, um die sich die Schiffbrüchigen an Deck versammelt hatten. Sie saßen im engen Lichtkreis der kleinen Flamme und genossen gemeinsam die warme Speise.

Schließlich stand Jorkar auf, nahm den Dreistab zur Hand und stellte sich an den Bug des Schiffes. Die anderen betrachteten ihn neugierig, während er einige Teilstücke verschob und ein Ende des Navigationsgeräts an seine Wange unter dem rechten Auge drückte. Interessiert stand Taeryn auf und stellte sich einige Schritt weiter weg an die Reling. Kurz schielte Jorkar zu ihr, dann betrachtete er weiter die Sterne im nächtlichen Himmel und richtete den Dreistab auf sie aus.

Unverständliche Worte murmelte er, während er von Konstellation zu Konstellation schwenkte, dann hatte er anscheinend gefunden, was er suchte.



"Ich hatte Recht..." Ein leises, fast nicht hörbares Flüstern. Dann ein breiter werdendes Grinsen. An der Grenze zum Wahnsinn, fiebrig und mit zitternden Augen.



Mandrail sah ihn verständnislos an. "Ha?"



"Er hat sicher den Stern gefunden," wandte sich Taeryn an den Söldner: "der uns in einen sicheren Hafen geleiten wird."



Mandrails Miene hellte sich auf. "Voi pfundig!" Er drehte sich zu Jorkar. "Wo samma jedz?"



Immer lag der seltsame Ausdruck auf Jorkars Gesicht. Er wirkte entrückt. "Ja..." Beinahe manisch. "...ich habe die Emana gefunden." Der Stern, der den Namen einer wichtigen Göttin trug, diente Reisenden seit Urzeiten als Anhaltspunkt. Die Emanas Traum hatte unter seinem schützenden Licht gestanden und letztendlich hatte der Mannschaft vielleicht sogar dieser Umstand das Leben gerettet.

Jorkars Kiefer arbeitete einige Augenblicke wortlos, dann schluckte er schwer. "Und nach meinen Berechnungen sind wir fünfhundert Seemeilen östlich der Gareischen Halbinsel."



Sie sahen ihn entsetzt an und Taeryn stieß sich von der Reling ab. "Das kann nicht sein." Sie runzelte ihre Stirn.



Sofort verzerrte sich das Grinsen des Kapitäns in eine Maske aus Zorn und Missfallen. "Die Sterne lügen nicht," spuckte er ihr entgegen.



Doch Taeryn wollte noch nicht klein beigeben. "Es ist unmöglich, so viel Distanz in nur einem Tag zurück zu legen. Geschweige denn in wenigen Stunden."



Jorkas Stimme drang leise und kalt zwischen seinen Zähnen hervor: "Es gibt mehr Dinge auf dieser Welt, als Gelehrte und Priester wissen!"



Ihre Augen verdrehend, wendete sich Taeryn ab. Mandrail verstand, warum sie so reagierte, kannte er die Halbinsel doch aus früheren Kriegen und wusste er, wie lange der Weg von Anis dort hin war. Alles östlich der Ilsmerischen See galt zudem als mythischer Ort, wo Seeschlangen und Geister auf unvorsichtige Reisende lauerten. Die See der Tausend Sterne war ein unbemalter Fleck auf den meisten Karten.

War dies wirklich eine der Inseln vor der Küste der Gareischen Halbinsel? Oder eine Insel weiter südlich, an der Küste des Landes, das sich in die See des Grauen Sandes verlaufen würde, eine imense Einöde, hinter der das Dünenmeer und schließlich Reiche wie Talah, Aramas und Moschg lagen? Das warme Klime und die Tier- und Pflanzenwelt dieses Eilandes wiesen jedenfalls in diese Richtung...



"I bin koa Pfaff oda so," meinte Mandrail ruhig: "aba mia wean woi koa Woch gschlaffa ham."



Pruudir sah mit gesenkten Schultern und hoffnungslosem Blick in die Runde, während sich Jorkar sichtbar sammelte und tief durchatmete. Das Grinsen verschwand und er wirkte wieder klar.



"Wir sollten uns alle hinlegen," sprach Jorkar ruhig. "Bei Sonnenaufgang fangen wir damit an, das Schiff wieder seetüchtig zu machen. Sobald wir auslaufen können, schaffen wir es vielleicht in fünf Tagen zum nächsten Hafen im Westen.



Alle sahen ihn schweigend an.



"Morgen früh will ich hier alle bereit stehen haben, um gemeinsam anzupacken."



Bork nickte nur zustimmend und biss ein großes Stück Fladen ab. Die anderen murmelnden zustimmend.



Mandrail meldete sich nach kurzen Momenten der Stille zu Wort: "Aba wos isn mid a Wachn?"



Jorkar stutzte. "Für was?" Er lächelte unsicher und schaute die anderen an. "Vor Krokodilen, die die Schiffswand hochklettern?"



Als keiner auch nur schmunzelte, verdunkelte sich sein Gesicht erneut.



Mandrail beendete den unangenehmen Augenblick. "Oiso Du machsd de lezde, hob i des richdig vastanden?"



Jorkar zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Mit missfallendem Blick betrachtete Mandrail den Kapitän. Der Mann nahm diese Sache nicht ernst genug, war der Söldner überzeugt und er nahm sich vor, frühzeitig aufzustehen und zu schauen, ob Jorkar auch wirklich seiner Aufgabe nachkommen würde. Diese Einstellung hatte schon vielen das Leben gekostet und Mandrail war fest entschlossen, sich dieser Liste nicht anzuschließen.



Ein leises Räuspern von Pruudir ließ alle zum Koch schauen. "Die Wache ist wirklich eine gute Idee," warf er ein. "Räuberische Affen könnten uns Probleme bereiten, wenn sich die Tiere bis auf das Schiff wagen."



Er kannte Geschichten von Affengruppen, die in Vororten und Tempelanlagen unbeeindruckt von Menschen dessen Besitz für sich beanspruchten. Auf die Vorräte neben seiner Kochstelle deutend, ließ er das Gesagte wirken. Mandrail legte ihm die Hand auf die Schulter und ging dann zum Bug, um dort seinen Posten anzutreten.



"Weck mich dann," forderte Pruudir ihn auf und richtete noch einige Zutaten her, die er für die Zubereitung des Frühstückes am kommenden Morgen benötigte. Dann ging er unter Deck, wo die anderen schon an ihren zugeteilten Plätzen tief atmeten. Auch Taeryn hatte sich hier eingefunden und lag zusammengekauert auf zwei Taurollen, den leise schnarchenden Rüssel umarmend.



Pruudir legte sich auf die harte Matte und schloss die Augen. Dunkelheit umhüllte ihn.



***



Mandrail schälte sich aus dem Nebel, der für einige wenige Stunden seine Wirklichkeit dargestellt hatte. Der Söldner lächelte ihn freundlich an.



"War was?"



"Na." Ein müdes Blinzeln. "Ois guad."



Schon legte sich Mandrail an seinen Platz, während Pruudir, sich den Schlaf aus den Augen reibend, sich an Deck zog und dort die kühle Nachtluft inhalierte. Nur das Brechen der Wellen war zu hören und das Knarzen der Holzplanken.

Langsam immer wacher werdend, überprüfte Pruudir die Vorräte an seiner Kochstelle und erstaunt stellte er fest, dass ein kleines Säckchen geöffnet da lag. Ein Streifen Dörrfleisch fehlte von seinem Inhalt, das erkannte Pruudir sofort und kurz blickte der Koch zum Meer hinaus.

Nein, das Krokodil konnte und würde einen solchen Diebstahl nicht durchführen und so wanderte sein Blick zur Luke, die unter Deck führte. Sollte das Schwein verantwortlich sein? Er nahm sich vor, diese Sache am nächsten Morgen mit den anderen zu besprechen.

Einige Runden ging er am Deck auf und ab, dann setzte er sich an die Reling und blickte in die tiefen Schatten des Waldes, der das Schiff umgab.



Einige Zeit verging. Pruudir betrachtete gerade die helle Sichel des Mondes, die gerade über die dunklen Baumwipfel gekrochen war, als ihm eine Bewegung auffiel. Eine Katzen große Gestalt schlich über das Deck, leise und von Kiste zu Kiste, von Fass zu Fass huschend.

Seinen Atem anhaltend, zog Pruudir den hölzernen Kochlöffel aus seinem Gürteltuch und zielte vorsichtig, den Löffel zwischen Daumen und Zeigefinger balancierend. Kurz nachdem der Schatten die Vorräte erreicht hatte, schleuderte Pruudir sein Kochwerkzeug nach ihm und ein überraschtes Quieken fuhr durch die Nacht.

Pruudir sprang auf und zum betäubten Wesen, das neben dem Essen auf dem Deck lag und schnell griff er danach und versuchte es unter sich zu halten. Es war einer der Affen, die die Insel bewohnten und die am Tag den Speeren Mandrails entkommen waren. Also hatten auch sie das Dörrfleisch entwendet...



Mandrail erschien in der Öffnung zum Laderaum, in einer Hand sein Schwert bereit haltend und durch den Laut des Tieres alarmiert. Panisch fauchte der Affe in Pruudirs Griff und mit den ruckartigen Bewegungen des Inselbewohners kämpfend fauchte Pruudir nur zurück.



"Scheiß Viech!"



"Sauba!" Ein breites Grinsen war auf Mandrails Gesicht im Mondschein zu erkennen. Er stieg an Deck und kam mit der Klinge in seinem Griff näher.



"Der hat schon was in Deiner Wache geklaut." Keine Anschuldigung. Reine Information.



"Mei. Hob i ned gseng."



"Jetzt haben wir ihn ja."



"Jawoi."



Mit diesem Wort schlug Mandrail dem immer noch am Deck gehaltenen Affen den Schwertknauf auf den Hinterkopf und leblos erschlaffte der kleine Körper in Pruudirs Umklammerung. Mandrail packte sich den Affen, hielt ihn über die Reling und köpfte ihn mit seiner Klinge. Das warme Affenblut floss in pulsierenden Stößen auf die Sandbank, während der kopflose Körper noch einige Augenblicke zuckte und krampfte.

Während Pruudir weiter seinen Wachdienst absolvierte, nahm Mandrail den Affen aus und legte das für die Zubereitung fertige Fleisch in ein kleines Fass voll Salzwasser ein. Dann ging er wieder unter Deck, die restlichen Stunden Schlaf einfordernd, die er vor sich hatte, bis er nach Jorkar schauen wollte.



Pruudir blieb noch einige Zeit auf seinem Posten, dann weckte er Bork. Leise berichtete er ihm vom nächtlichen Überfall und gewissenhaft hielt der kleinwüchsige Matrose Wache, dann war schließlich Taeryn an der Reihe. Auch sie wurde über die Affen informiert und als sie sich an Deck zog, lag schon Bork an ihrem Platz zwischen den Tauen, Rüssel an seiner Seite und beide selig schnarchend.

Taeryn setzte sich an die Reling und beobachtete, wie sich langsam ein heller Streifen am Horizont bildete. Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der Wald um sie herum erwachte mit den Rufen der Vögel und den Schreien der entfernten Affengruppe. Sie grübelte über Jorkar und wie er sie seit Anbeginn der Reise mit Missachtung oder gar direkter Abneigung bedachte.

Und diesen Mann sollte sie nun zur letzten Wache bitten? Taeryn schüttelte sich unbewusst. Sie wollte so wenig wie mögich mit Jorkar zu tun haben und so entschied sie sich, auch die nächste Schicht vor Tagesanbruch zu übernehmen.

Zufrieden mit ihrer Wahl sah sie in den Mangrovenwald hinaus und ließ die ersten Strahlen der Sonne ihre Glieder wärmen...



***



Salzwasser spritzte in ihr Gesicht und erschrocken riss Taeryn ihre Augen auf. Vor ihr stand Mandrail, sein Gesichtsausdruck dunkel, vorwurfsvoll.



"Ich bin wach!"



Mandrail hielt den Schöpflöffel hoch, mit dem er das Wasser aus dem Affenfass gefischt hatte.



"Na, des warsd ned."



Mit einem gequälten Ächzen blickte Taeryn zu den Vorräten und Mandrail drehte seinen Körper so, dass sie besser die Unordnung sehen konnte, die dort herrschte. Säcke waren herumgezogen, Kisten umdreht und verschoben und einige Körbe geöffnet worden. Die Speere von Mandrail waren umgefallen und aus dem Bündel gelöst worden, das der Söldner geformt hatte. Die Überreste von mindestens zwei Fladenbroten lagen noch als Krümel auf den Planken und leise fluchend stand Taeryn umständlich auf ihren einzigen Arm gestützt auf.

Kurz rieb sie das salzige Wasser aus ihren Haaren, dann wollte sie schon zu den Vorräten gehen, als sich Mandrail in ihren Weg schob.



"Warma miad, ha?" Diese Aggressivität hatte sie noch nie in der Stimme des Mannes gehört.



"Anscheinend..." Sie vermied den Augenkontakt, sah nur auf das Chaos, das die Affen hinterlassen hatten.



"Ja mei. Früha bei da Schlachd von Kamis is a ganze Kombanie ausglöschd woan, wei jemand eingschlaffa is. Wenn die Vaandwordlichen eh ned bei da Schlachd abgschlachd woan wern, dann hädns mai gmachd."



Nun blickte Taeryn direkt in die Augen Mandrails. Sie sah dort Verachtung und Enttäuschung und sie schluckte schwer. "Entschuldigt meinen Fehler."



Ein seltsames Gefühl der Kälte lies beide zur Luke blicken. Dort stand Jorkar und betrachtete sie eisig, mit starren, zusammen gekniffenen Augen und einem schmalen Mund, die Nasenlöcher weit aufgebläht.

Taeryn wandte sich wieder zu Mandrail, doch auch der sah sie nur wütend an und so schritt sie endlich an ihm vorbei und hin zu den Vorräten. Sie ging in die Hocke und fing so an, alles aufzuräumen.



Ein emotionsloser Ausruf von Mandrail ließ sie herum fahren. "He! Fang!"



Sie versuchte den geworfenen Schöpflöffel aus der Luft zu greifen, der entglitt ihr jedoch und fiel klappernd auf die Holzplanken. Mit versteinertem Gesicht hob Taeryn den Löffel vom Deck auf und packte ihn zu den restlichen Dingen, die Pruudir bei den Vorräten verstaut hatte.



"Was ist hier los?" Der Koch stand nun neben Jorkar und er schaute ungläubig zwischen den Anwesenden hin und her.



Doch ohne Pruudir einzugehen, presste Jorkar bedrohlich und leise eine weitere Frage hervor: "Ihr hattet nur eine Aufgabe... wer hat vergessen, mich zu wecken?"



Taeryn richtete sich nicht auf, während sie weiter die Vorräte verstaute. Sie blickte nicht zum Kapitän. "Ich habe es nicht vergessen." Ihre Stimme war flach. "Ich habe mich dagegen entschieden."



Pruudir stutzte. "Oh..." Er trat an Taeryns Seite und betrachtete die Dinge, die die Frau verräumte. "...da fehlt ja schon wieder was!"



Jorkar starrte wortlos Taeryn an. Ein zorniges Flackern war in seinen Augen zu sehen und seine Lippe bebte, ließ die Barthaare sichtbar tanzen. Letztendlich richtete sich Taeryn auf und trat vor den Kapitän, seinen Blick erwidernd und mit beherrschter Miene.



"Entschuldige. Es war ein Fehler von mir."



Jorkar sah sie weiter hart an, doch Pruudir ließ ein klägliches Ächzen erklingen. Er hätte sich nicht denken können, dass Taeryn schlechte Entscheidungen treffen könnte und gerade sein Werkzeug dadurch verloren gehen könnte. Wie ein geschlagener Hund blickte er sie an, schluckte das Gefühl des Verrates aber schnell hinunter und drehte sich zu Mandrail.



"Eins muss man aber sagen," begann er. "Die Affen sind mutig."



Ohne zu antworten drehte sich Mandrail weg und fing an, seine Speere zusammen zu suchen, die immer noch auf dem Deck lagen.

Schließlich kam auch Bork aus dem Laderaum herauf gestiegen und wunderte sich kurz über das kalte Schweigen unter den Schiffbrüchigen. Er drückte sich an Jorkar vorbei und stellte sich unsicher neben Pruudir, der erneut einen Versuch startete, die Situation zu entkrampfen.



"Wer hat Lust zum Angeln?" Ein kurzes Zögern. "Wir brauchen neue Vorräte..."



Endlich brach Mandrail sein Schweigen. "I."

Er griff nach der Angelrute, die er in einem kleinen Netz an der Reling verstaut hatte und schwang sich ohne weitere Worte über die Seite des Schiffes.



Pruudir sah ihm nach, dann hockte er sich seufzend neben die Kochstelle und begann, neue Fladen aus dem übrigen Mehl zu backen, während sich Jorkar wütend an die Arbeit machte. Die Emanas Traum war noch lange nicht fertig repariert und die körperliche Anstrengung würde ihn auf andere Gedanken bringen. Jedenfalls hoffte das Pruudir.

Kurz wollte er etwas sagen, als auch Taeryn sich mit ihrerm Seesack aufmachte, um zum Strand zu gehen und ihr Bork schnell mit einer eigenen Angelrute folgte. Doch er entschied sich dagegen, seine Worte an sie zu richten und so blieb er nachdenklich neben dem kleinen Feuer sitzen, auf dem der Teig sich langsam dunkel färbte.



***



Mandrail sah, wie Taeryn und Bork an ihm vorbei schritten. Der Kleinwüchsige versuchte noch einige Längen, den schnellen Gang der älteren Frau mitzuhalten, dann blieb er traurig und geschlagen am Ufer stehen. Während Taeryn zwischen einigen Bäumen verschwand, warf Bork kopfschüttelnd seinen Haken ins Wasser und Mandrail war froh, die Quelle seines Unmuts für einige Zeit nicht mehr sehen zu müssen.

Er starrte hinaus auf die kleinen Wellen, die im Mangrovenwald zwischen den Wurzeln auf und ab stiegen und dachte an die Nacht zurück, in der er bei Kamis beinahe sein Leben verloren hätte...
 
Und dann auch gleich Kapitel #5:

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Miche, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza





Die Schuppen einiger Fische glitzerten im trüben Wasser zwischen den Wurzeln der Mangroven. Es mussten große Fische sein, erkannte Mandrail, doch am Köder seines Angelhakens knabberten nur kleine Exemplare und als schließlich einer angebissen hatte, passte der Fang gleich mehrmals in seine Hand. Damit konnte er niemanden ernähren...

Er sah sich grimmig um und atmete tief ein, als Bork pfeifend an ihm vorbei kam, einen Wels über seine Schulter geworfen, beinahe so groß wie der Seemann selber. Er nickte dem Kleinwüchsigen anerkennend zu und wollte schon einen anderen Platz für sich suchen, als Jorkar hinter dem gekippten Rumpf der Emanas Traum hervorkam und ihm zuwinkte. Er wirkte entspannter als am Morgen und Mandrail entschied, dass Bork schon genügend gefangen hatte.

Er schmiss den kleinen Fisch zurück ins Wasser und ging mit seiner Angelrute zum wartenden Kapitän.



"Kommt mit," meinte der nur einsilbig: "wir holen Holz." Dann schritt er ohne ein weiteres Wort zum Strand und watete in die Wellen, der bewaldeten Insel entgegen.



Kurz drehte sich Mandrail noch zum Schiff, auf dem Pruudir seiner Arbeit nachging. "Pruudia! Mia genga Hoiz hoin."



"Bringt Feuerholz mit!" kam die Antwort vom Deck.



"Is guad!"



Dann ging Mandrail Jorkar nach, der schon einige Längen Vorsprung hatte.



Pruudir blieb auf dem schief liegenden Deck der Emanas Traum sitzen und rührte in einem seiner Töpfe, der langsam über dem prasselnden Feuer erhitzte. Der in der Nacht erlegte Affe und die letzten Torfrüben aus dem Laderaum gaben ihren Geschmack in die nahrhafte Suppe ab, die der Koch für die Mannschaft vorbereiten wollte. Dampf stieg schon von der duftenden Brühe empor und Rüssel schnupperte grunzend am Topf, als Pruudir bemerkte, dass Bork hinter ihm stand und an seiner Schulter vorbei mit großen Augen und einem langsamen Schmatzen auf das werdende Mahl starrte.

Sich leicht schüttelnd drehte sich Pruudir wieder zu seiner Arbeit und ließ die beiden Gierhälse die Belagerung fortsetzen.



***



Einige Stunden später kamen Mandrail und Jorkar mit genügend Holz zurück, um ihre Reparaturen für den Tag sicher zu stellen. Sofort fingen die beiden wieder an, die Schäden am Schiff auszubessern und mit deutlich knurrendem Magen schloss sich Bork der Aufgabe an.

Schließlich war Pruudir mit seiner Kreation zufrieden und rief alle her, gab ihnen die flachen Schüsseln und goss ihnen wohlriechende Suppe ein. Sie setzten sich im Kreis um den Topf und genossen die warme Stärkung, während Jorkar nur stumm auf die Stückchen aus Fleisch und Wurzeln starrte, die in seiner Brühe trieben.



Pruudir sah sich verwundert um. "Wo ist Taeryn?"



Einen Löffel später meldete sich Mandrail schmatzend zu Worte: "Woas i ned." Er wirkte so, als würde ihn diese Frage derzeit auch gar nicht interessieren.



"Sie wollte wohl etwas alleine sein." Bork sah Pruudir unglücklich an.



Ein tropfender Löffel voll Suppe verschwand in Jorkars Mund. Immer noch sagte er nichts.



Kurz seufzte Bork, dann lächelte er gezwungen. "Das komische Weibsstück."



Niemand antwortete ihm und er blickte besorgt in Richtung des Mangrovenwaldes. Der Rest des Essens verlief wortlos.



***



Nach dem Essen legte Jorkar zufrieden seine Schüssel neben sich und sah die Überlebenden kurz eindringlich an. Dann verschränkte er seine Arme und nickte.



"Das habt Ihr alle gut gemacht." Er nickte mit seinem Kinn auf den Haufen Bretter, die zur Verarbeitung bereit standen. "Wir dürften heute noch fertig werden. Vor der Flut brauchen wir dann so viele Handpaare, wie es geht, um die Emanas Traum ins Wasser zu schieben."



Bork und Pruudir sahen sich wissend an und unterdrückten ein Ächzen. Nicht einmal bei einem solchen Lob konnte sich der Kapitän einen Seitenhieb auf Taeryn verkneifen. Zumal sie nicht anwesend war.



Mandrail hatte davon anscheinend wenig mitbekommen. "Mia ham doch Seile an Boad..." Er deutete auf einen der nächsten Bäume, die aus dem Salzwasser ragten. "Machma a Seilwindn draus, dann gengads einfacha."



"Das ist eine sehr gute Idee," gab Pruudir nachdenklich zu und auch Jorkar nickte.



"Wichsma des Seil mid am Öl ein, dann reibds de Baam ned auf." Fragend blickte der Söldner zu Pruudir, der schloss nur zuversichtlich die Augen. Sie hatten genügend Öl an Bord, das wusste der Koch.



Während sich nun die drei anderen Männer in Fachgespräche über Seilwinden und Ebbe und Flut verloren, schaute Pruudir nur wieder suchend auf den nahen Strand der Sandbank und in den Mangrovenwald. Seine Augen huschten hin und her und besorgt war seine Stirn in Falten gelegt.

Bork beugte sich zum jüngeren Mann.



"Taeryn?"



Pruudir nahm seinen Blick nicht vom Mangrovenwald. "Wo ist sie?"



"Schauen wir lieber nach ihr." Ein Flüstern des Kleinwüchsigen, dann standen beide Männer auf.



Die Diskussion verstummte und Jorkar sah die beiden forschend an.



"Wir," begann Bork. "Wir schauen, ob wir noch eine zweite Winde zwischen dem Treibgut finden oder ein weiteres Seil angespült wurde."



Jorkar nickte.



"Der Koch kommt mit." Bork bückte sich und kraulte noch einmal Rüssel, der grunzend mit der Schnauze an seine Beine stupste. "Vielleicht finden wir noch irgendetwas essbares."



Jorkar winkte abwesend und fing wieder an, mit Mandrail zu sprechen. Schnell verließen Pruudir und Bork die Emanas Traum. Die anderen sahen ihnen nicht hinterher.



***



Die Fußspuren im Sand führten an eine kleine Bucht im Mangrovenwald. Dort saß Taeryn am Wasser, ihre Beine angezogen und mit ihrem Arm fest umklammert, die nackten Füße im Wasser und das Gesicht zwischen den Knien ruhend. Neben ihr lag ihr Büchlein, der Kohlestift unbenutzt daneben.

Vor ihr blieb Pruudir stehen und nach einigen Augenblicken sah Taeryn zu ihm empor. Ihre Augen waren rot und geschwollen, sie wirkte wütend.



"Hast du keinen Hunger?" Pruudir hoffte, nicht allzu bemutternd zu wirken.



Taeryn vergrub ihr Gesicht wieder zwischen ihren Knien. "Nein." Fast nicht hörbar und heiser vom Weinen.



"Regt dich immer noch der Affenüberfall so auf?"



Nur Schweigen.



"Wir und auch Jorkar sind da drüber weg." Pruudir lächelte freundschaftlich. "Das passiert Dir in diesem Leben nicht noch einmal." Er deutete über seine Schulter in Richtung des Schiffes. "Und die Suppe ist wirklich gut."



Bork stand hilflos daneben und suchte nach Worten, doch fand er keine passenden. Er sah flehend zu Pruudir, der einen Schritt zurück zum Schiff machte. Er drehte sich grinsend zu Taeryn um.



"Wir brauchen noch eine helfende Hand."



Doch der vermeintliche Witz ließ Taeryns Kopf nur zornig hoch blicken und mit lauter Stimme fuhr sie den überraschten Koch an: "Ich bin nicht drüber hinweg!" Sie schlug sich mit ihrer flachen Hand auf die Brust, um ihren Worten Gewicht zu verleihen. "Ich bin wütend auf mich!"



Pruudir erwiderte Taeryns Wut mit Ruhe. "Das bringt uns gerade nicht weiter..."



Endlich sammelte sich Bork und legte eine schwielige Hand auf Taeryns Schulter. Die senkte ihren Kopf erneut, verweigerte jeden Blickkontakt.



"Mir dürfen solche Fehler nicht passieren. Das hat mich schon genügend gekostet." Sie hob ihren Armstumpf.



Pruudir schloss kurz seufzend die Augen. Dann: "Fehler passieren. Aber dann muss es halt weiter gehen. Und das hier..." Er zeigte auf die Stelle, an der Taeryn saß. "...hilft nicht weiter."



Ohne ein weiteres Wort stand Taeryn auf, bückte sich nach ihrem Buch und dem Stift und stapfte an Pruudir vorbei, hin zur Emanas Traum. Pruudir sah zu Brok, der erleichtert lächelte. Dann gingen sie Taeryn nach.



***



Der nächste Morgen brach an. Die Reparaturen waren am Vortag bereits abgeschlossen worden und zusammen hatten die Schiffbrüchigen die improvisierte Seilwinde angebracht. Wortlos hatte Taeryn mit all ihren Kräften geholfen und nun standen sie alle an Deck und zogen am Tau, das knarzend die Emanas Traum Handbreit um Handbreit ins Meer beförderte.

Die Bäume bogen sich unter der heißen Sonne, als das Tau sich ein letztes Mal spannte und das Schiff dann mit einem Knirschen über das letzte Stück Sand rutschte und dann auf den Wellen trieb.

Nicht perfekt waren die Ausbesserungen und der heiße Teer, den sie auf den geflickten Löchern verteilt hatten, war sicher nicht so wasserdicht, wie sie sich es wünschen würden. Aber Jorkar lächelte trotzdem froh und blickte in den Himmel, wo Seevögel ihre endlos scheinenden Kreise drehten. Er drehte sich zu Pruudir und schlug ihm kameradschaftlich auf den Rücken.



Pruudir nickte ihm erschöpft aber zufrieden zu, dann deutete er zurück zum Strand. "Wir benötigen immer noch Vorräte. Für die fünf Tage, die Du für unsere Rückreise errechnet hast."



Er ging zur Reling und blickte hinab auf das kleine Floß, dass Bork in den letzten Stunden zusammen gezimmert hatte und das ihnen als Beiboot dienen sollte. Mandrail, der sich mit einem fleckigen Leinentuch den Schweiß von der Stirn wischte, lehnte sich schwer auf eine Kiste.



Er sprach sowohl Pruudir als auch Jorkar an. "Mia kanntn a Treibjagd im Woid hochziagn. Da laffd uns sicha wos übern Weg."



"Und wenn wir nur Früchte finden." Pruudir sah zu seiner Kochstelle und den sich stetig leerenden Säcken.



Jorkar überlegte einige Herzschläge, dann nickte er grummelnd und gab Bork ein Zeichen. Der stieß einen schweren Stein, der ihnen als Anker diente, über Bord und mit einem Platschen und einem nassen Glucksen verschwand der Stein im Wasser und ließ ein Ende des Seiles zurück, dass am Rumpf des Schiffes befestigt war.

Während eine kühle Brise den Tag erträglicher machte, ließen sich alle auf das Floß hinab und paddelten zum nahen Strand, um das letzte mal auf der Insel zu jagen...



***



Die kleine Gruppe hatte sich im Mangrovenwald positioniert. Genau hatte Mandrail vorher allen ihre Rollen in der Jagd erklärt und ihnen erklärt, um was es bei dem Aufscheuchen der Tiere ging. Sie waren mit Stöcken bewaffnet, Pruudir zudem mit einem kleinen Topf und Jorkar mit einem langen Messer. Nur Mandrail hatte sein Bündel Speere und den Schild dabei.

Lange mussten sie nicht durch das schlackige Salzwasser waten und dabei mit Stimme und Schlägen die Umgebung in Angst und Schrecken versetzen: ein Sichelschwein sprang über die Wurzeln, geschickt mit seinen Hufen einen Fluchtweg suchend. Es war ein Eber, die scharfen Hauer majestätisch in seiner Schnauze tragend.

Sie folgten dem davon schnellenden Tier durch den Wald, hin zu einem seichten Übergang zwischen den Mangroven und der Insel, den steinigen Strand hinauf bis in den dichten Nadelwald, der diese Seite des Eilands bedeckte.

Dort blieb es bei einem steileren Anhang stehen und drehte sich drohend um.



Bork, der das Unglück hatte, nur wenige Schritte vor dem Eber zu stehen, erstarrte in seiner Bewegung. Zitternd hielt er mit der rechten Hand den Stock, während seine Linke nach der ledernen Schleuder tastete, die an seinem Gürtel hing.



"Schiaß! Schiaß!" Mandrail hatte einen Speer bereits zum Wurf bereit in der Hand, den Schild schützend vor sich haltend. Er näherte sich langsam Bork.



Der aber drehte sich um und floh. Der Sicheleber fegte hinter, seine Schnauze gesenkt und die trommelnden Hufe den Boden aufwühlend. Tote Baumnadeln stoben in alle Richtungen davon. Kurz hatte es den Anschein, als würde Bork an Distanz gewinnen, dann aber holte der Eber rasch auf und nur knapp konnte sich Mandrail zwischen die beiden knien. Er trieb den Speerschaft feste in den Boden hinter sich und ließ die Spitze unter dem Schild hervorblitzen, welches er schützend vor sich und Bork hielt.

Doch bevor der Speer die Kehle des Schweines durchbohren konnte, schlug das Tier einen Haken und prallte dabei so fest gegen die Seite des Schildes, dass Mandrail kurz aus dem Gleichgewicht kam.



"Zefix!" Der Schrei des Söldners hallte über die schmale Küste der Insel.



Der Eber fiel beinahe auf die struppige Seite, als er erneut einen Bogen schlug und wieder auf Borka zusprang, der lief mit einem angsterfüllten Ausruf los und verschwand dann mit einem gellenden Schrei unvermittelt in einer tiefen Kuhle im weichen Waldboden.

Das Schwein rannte über ihn hinweg, beinahe blind in seiner Angst und Wut, und Mandrail warf seinen Speer. Die Spitze grub sich tief in die Schulter des quiekenden Tieres und humpelnd verschwand es im Unterholz, während Pruudir noch erfolgreich seinen Topf hinterher schleuderte.

Schwer atmend stapfte Mandrail zum Schiffskoch und drückte ihm zwei Speere in die Hand.



"Da. Nimm."



Dann drückte er sich zwischen die Äste in den Wald und Pruudir folgte ihm.



"Ned schmeißn," flüsterte Mandrail ihm zu. "Hoidn."



Pruudir nickte nur und bemerkte, dass auch Jorkar in die Richtung schlich, in die sie unterwegs waren. Er sah Blut auf den flachen, scharfkantigen Steinen, die aus den toten Nadeln ragten und auch Mandrail musste diese Spur gesehen haben, denn der erfahrene Söldner folgte ihr genau. Das Schwein konnte fliehen, aber sie würden die verwundete Beute letztendlich einholen und stellen.

Kurz sah er nach hinten, zurück zu der Kuhle, in die Bork gestürzt war und mit großer Erleichterung erblickte er dort Taeryn, die den Kleinwüchsigen aus der Vertiefung half und ihn mit vorsichtigen Handstrichen von Schmutz befreite. Außer ein paar Schrammen schien Bork keine Verletzungen davongetragen zu haben.

Sie pirschten zu dritt weiter in den Wald hinein und ließen Taeryn und Bork zurück.



Die Sonne stand nun hoch am Himmel und die Bäume des Waldes gaben nur wenig Schutz vor der Hitze, die sich aufbaute, während sie höher und höher den Anhang hinauf stiegen, der vermutlich zum Zentrum des Eilandes führte. Das Blut war immer noch deutlich zu sehen und stumm deutete Jorkar zu einem helleren Bereich im Wald vor ihnen, der vermutlich eine Lichtung war. Ein Rascheln war von dort zu hören.

Mandrail nickte, gab Pruudir ein Zeichen, ihm leise zu folgen und schälte sich dann aus dem Gestrüpp, das einige tote Bäume überdeckt hatte. Vor ihnen stand das Sichelschwein, zitternd und mit seiner Kraft kämpfend, die Vorderbeine beinahe einknickend und der Speer immer noch in seiner Schulter verankert. Ein dünner Faden aus Speichel floss ihm stetig aus dem Maul und es blickte müde und verwirrt in eine andere Richtung.



Grinsend und mit kampfbereitem Messer beobachtete Jorkar den Eber und während Pruudir angespannt dort stehen blieb, wo er war, gab Mandrail einen Speer an Jorkar, der ihn dankbar griff, und nahm sich dann selber einen von Pruudir. Er begann, das Schwein zu umrunden.



"Umzingeld den Keila." Mandrails Stimme war angespannt. Er deutete von Pruudir zu Jorkar und dann zum Eber. "Treibdn zu mia!"



Pruudir richtete die lange Waffe auf den Eber, der sich grunzend nach ihnen umdrehte. Schreiend begann Jorkar, in Richtung des Tieres zu stoßen, blieb aber auf sicherer Distanz, während auch Pruudir damit anfing und Mandrail seinen Stand festigte. Der Söldner atmete einige Male tief ein und aus, dann schrie er, lauter als Jorkar und Pruudir zusammen, den Eber an.

Verwirrt vom Lärm und den ruckartigen Bewegungen, starrte das Tier einige Herzschläge lang mit weit aufgerissenen Augen in die Runde, dann wählte er Mandrail als Ziel.



"He! He! Hia samma!" Mandrail stieß wieder und wieder vor dem Schwein in die Luft und mit einem Nerven zerfetzenden Quieken raste das vor Schmerz und Stress vollends wild gewordene Tier los.



Den Speer vor sich haltend und mit beiden Füßen gegen die Wucht des heran springenden Ebers ankämpfend, hielt Mandrail dem Angriff entgegen und mit einem nassen Reißen bohrte sich der Schaft tief in die Kehle des Sichelschweines. Noch tiefer wurde die Waffe in seinen Leib gedrückt, während das sterbende Tier krampfte und ein letztes Mal zuckte, dann blieb es still im Schatten des Söldners liegen.

Der rappelte sich auf, zog seine Klinge und durchschlug das Genick seiner Beute mit einem kräftigen Hieb. Er hockte sich, mit durchgestrecktem Hals gen Himmel schauend, schwer atmend neben den Berg aus Muskeln und Borsten. Jorkar und Pruudir liefen auf ihn zu...



***



Taeryn hatte einige Kratzer auf Borks Armen und Schultern gesäubert und kleine Zweige aus seinem Bart gezupft, als die Freudenrufe der Jäger durch den Wald wehten. Der struppige Seemann und die verkrüppelte Frau sahen sich lächelnd an und sie blieben dort sitzen, bis die drei anderen einige Zeit später aus dem Wald kamen. Sie hatten sich aus zwei jungen Bäumen eine Art Schlitten gefertigt und darauf zogen sie das erlegte Sichelschwein. Pruudir hatte einen kleinen Sack über seine Schulter geworfen, in der einige essbare Wurzeln auf ihre Zubereitung warteten.

In den Gesichtern der Männer war zu erkennen, dass aller Ärger vergessen war und nur kurz verzerrte sich Taeryns entstellte Miene zu einem reuevollen Blick, dann lachte auch sie dankbar, als die Beute in Richtung Strand gezogen wurde.

Freundschaftlich schlug Mandrail Pruudir auf den Rücken.



"Gibds haid a Bradal, wos?"



"Schaut ganz so aus, Meister Mandrail. Schaut ganz so aus."



***



Am Strand brachen sie die Beute auf. Herz und Leber nahm sich Mandrail und Pruudir versprach ihm, die Organe extra für ihn zuzubereiten, sobald sie mit der Emanas Traum unterwegs waren. Auch die Knochen wollte der Koch behalten, würde er daraus doch Sülze kochen und Mandrail nickte ihm stolz zu.



"Koa Problem." Er deutete auf das Floß. "Sog, wosd hom wuisd. I nimms mid."



Letztendlich endete nur wenig im schwappenden Wasser des Strandes und während sich bereits kleine Krabben und Fische an den Abfällen labten, kehrten die erfolgreichen Jäger auf ihr Schiff zurück.



***



Die Segel waren gesetzt und die Emanas Traum tanzte auf den Wellen in Richtung Westen dahin. Jorkar, Bork und Taeryn verknoteten die letzten Taue und sahen in Richtung eines Hafens, den sie noch nicht sehen konnten. Bratenduft und der würzige Geruch von Wurzelgemüse vermischte sich mit der salzigen Brise, während Pruudir mit einem Lächeln auf den Lippen neben der Kochstelle saß und über seine Taverne sinnierte.

Neben ihm hockte Mandrail, den Speerschaft ersetzend, der beim Kampf gegen den Eber zu Bruch gegangen war und stolz die beiden Hauer des Sichelschweines betrachtend, die vor ihm auf den Planken des Schiffes lagen. Sie hatten es geschafft. Sie hatten das Unglück überlebt und alle Schwierigkeiten gemeistert. Nun konnten sie ihre Reise fortsetzen und einen sicheren Hafen ansteuern.

Die Seevögel kreisten über ihnen, als die Emanas Traum in den Abend hinein steuerte...
 
Mit Kapitel #6 unserer "Wilde Gewässer" Kampagne kam es dann zu ersten Überschneidungen zu anderen Abenteuern in dieser wundervollen Welt :)

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Lain, Miche, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza



Mit einem knirschenden Geräusch schob sich das kleinere Schiff in die Emanas Traum, zwei Angreifer sprangen ohne einen Augenblick zu verlieren Jorkar und Mandrail entgegen. Das rote Segel des schlankeren, schnelleren Schaluppe hatte es bereits angekündigt: es waren Seeräuber, wie sie so oft an der Meeresenge zwischen der See der Tausend Sterne und der Ilmerischen See unvorsichtigen Händlern auflauerten. Die grelle Farbe sollte den Verfolgten die Angst ins Herz treiben, sie bis zur Erschöpfung rudern lassen, um schließlich der Jagd ein schnelles Ende zu bereiten. Doch weder Jorkar noch die anderen wollten an diesem Tag aufgeben. Nicht nach dem Sturm. Nicht nach der Insel.

Ein bärtiger Mann und eine kleine, drahtige Frau griffen mit erhobenen Klingen an, während sich Taeryn, Bork und Pruudir um den Mast drängten, der Koch mit einer schweren Pfanne bewaffnet, die Einarmige einen leichten Dolch in ihrer verkrampften Hand. Nur der Kleinwüchsige hatte eine wirkliche, ernstzunehmende Waffe, die er auch einzusetzen wusste, legte besonnen eine hart gebackene Tonkugel in die wartende Lederschleuder.

Jorkar und Mandrail standen schützend vor ihnen, der Kapitän mit einem kurzen, breiten Schwert bewaffnet, der Söldner mit dem großen Schild und nach vorne gerichteten Speer, zum Stoß bereit.



Der Seeräuber, der die Imanas Traum geentert hatte, hieb nach Mandrail, der wehrte den kraftvollen Schwertschlag aber mit dem Schild ab, deckte dann weiter sich und die Seite Jorkars. Der stach unter der Deckung des Söldners hindurch und voller ungebremsten Schmerz heulte der Seeräuber auf, als die Klinge die Muskulatur seines Oberschenkels durchdrang. Der Schrei verstummte, als die gusseiserne Pfanne Pruudirs seine Schläfe fand und der Bärtige verwundert nach hinten taumelte. Seine Gefährtin fauchte der Mannschaft der Emanas Traum zu, wich aber nicht von der Stelle.

Eine Tonkugel von Bork flog an ihrem Kopf vorbei, prallte an die Reling des Seeräuberschiffes, während ein weiterer der Gesetzlosen versuchte, auf das geenterte Schiff zu gelangen, den Halt verlor und mit einem gellenden Schrei zwischen den Rümpfen ins dunkelblaue Wasser stürzte.

Mandrail nutzte die Gelegenheit, täuschte einen Schlag auf den geschwächten Seeräuber vor ihm an, schlug dann aber mit seinem Schild ins Gesicht der Frau. Die sah ihn benommen und glasig an, konnte sich dann aber fassen und ließ ihre Klinge in einem Gegenangriff tanzen. Nur mit Mühe konnte Mandrail die Attacke abwehren.



Auf dem Seeräuberschiff erhob nun ein gut gekleideter Mann mit perfekt gepflegtem Schnurrbart seine Stimme, eher schon ein Singsang als ein gebellter Befehl. "Hinüber mit Euch! Und schaut, dass es schnell ein Ende findet!"



Mit kochendem Blut nahm sich Mandrail die Mühe, dem Kapitän des anderen Schiffes zu antworten: "Kumm hoid hea, Du oreidiga Sauhund!"



Der Andere reagierte mit verwundert gerümpfter Nase, während mehr seiner Männer auf die Emanas Traum sprangen. Und noch mehr warteten auf dem Deck der feindlichen Schaluppe, Klingen und Prügel in den Händen, die Blicke und vermutlich auch die Gedanken finster.

Mandrail warf einen kurzen Seitenblick auf Taeryn, die in Abwehrhaltung schräg hinter ihm stand, ihren Rücken gegen den Masten gedrückt. Er hatte ihr angeboten, ihr Leben zu beenden, bevor die Seeräuber sie in die Hände bekommen würden, doch sie hatte auf ihre kühle, verstörend ruhige Art abgelehnt. Und auch jetzt nahm sie nur kurz Augenkontakt auf und schüttelte erneut beinahe unmerklich den Kopf. Angstschweiß löste sich aus ihren Haaren und rann ihr über die Wangen, doch der kleine Dolch lag ruhig in ihrer rechten Faust. Sie war mutig, dass musste er zugeben.



Ein lautes Quieken ließ Taeryns Blick zum Kabinenaufbau zucken. Rüssel! Sie hatte das Zwerghängebauchschwein in die Kabine gesperrt, als sie das erste Mal das rote Segel erspäht hatten. Warum schrie das kleine Tier nun so panisch?

Doch der Aufbau war nur noch als ungenauer Umriss zu sehen, umspielte plötzlich dichter Nebel die beiden Schiffe. Wie hatte sich das Wetter dermaßen schlagartig ändern können? Taeryn ließ ihren Dolch an die Seite sinken. Alles wirkte plötzlich grau. Grau und dumpf, wie wenn man alles durch klebrigen Sirup betrachtete. Ihre Bewegungen und auch die ihrer immer noch kämpfenden Gefährten wirkten langsam, in ihrer Länge gestreckt. Fasziniert von diesem Phänomen löste sie sich vom Mast, ließ Mandrail und Pruudir, Bork und Jorkar mit den unglaublich langsam herbei stürmenden Seeräubern alleine und wanderte wie schlaftrunken zur verriegelten Kabinentüre.



Kurz drehte sie sich um und betrachtete verwundert den Kampf auf dem Deck. Der Schlagabtausch war immer noch unglaublich schleppend, die Stimme des Befehle rufenden Seeräuberhauptmannes auf dem anderen, nun im dichten Nebel beinahe verschwundenen Schiffes verzerrt und tief.

Taeryn sah hoch zur Sonne, die nun nur noch ein diffuser, heller Punkt in einem Meer aus Weiß war. Vor wenigen Augenblicken hatten nur wenige Wolken den Himmel geschmückt, doch nun waren sie in einer der dichtesten Nebelbänke, die die Einarmige je gesehen hatte.

War es überhaupt eine Nebelbank? Oder waren es Gase, die aus der Tiefe der See aufgestiegen waren? Vergifteten diese Dämpfe nun ihrer aller Sinne? Sie hatte von solchen Vorkommnissen gehört, bei denen unglückliche Seefahrer solchen seltenen Ausbrüchen erlegen waren...



Sie blickte zurück zum Masten und genau in diesem Augenblick zerging das Seeräuberschiff in einer sich träge ausbreitenden Wolke aus Holzsplittern. Ein gewaltiger, ohnmächtig langsamer Stoß durchfuhr die Emanas Traum. Alle wurden zur Seite geworfen, bluteten aus dutzenden, kleinen Wunden, wo die zersplitterten Planken sie getroffen hatten.

Dann normalisierte sich die Geschwindigkeit der Abläufe und Bork flog durch die Gewalt des Aufeinandertreffens in den Nebel, landete dort mit einem leicht hallenden Geräusch. Die milchigen Schwaden waren noch dichter geworden und Taeryn konnte beinahe nicht mehr den Masten und ihre Kameraden auf dem Deck ausmachen. Das Seeräuberschiff war vollends verschwunden, aber dort, wo es eben noch im Wasser gelegen hatte, war nun ein riesiger, dunkler Schatten zu erkennen, der hoch über der Emanas Traum in den Nebel ragte.



Kurz sah Taeryn zur Kabine, in der Rüssel immer noch panisch quiekte, dann zurück zur Stelle im Nebel, wo Bork aufs Deck gefallen war. Sie zögerte einen Herzschlag lang, dann rannte sie zur Kabinentüre, riss sie auf und starrte ins Dunkle. Das kleine Schweinchen drückte sich zitternd in eine Ecke des Raumes, wich nun weiter vor den Schwaden zurück, die sich in die Kabine rollten.

Beruhigt schlug Taeryn wieder die Türe zu und rannte in den Nebel hinein, rief nach dem kleinwüchsigen Matrosen. Doch dort antwortete kein Bork und als sie stolperte, blieb Taeryn auf den Knien, rutschte Handbreit für Handbreit vor und tastete mit ihrem Arm nach dem Körper des Vermissten. Alles wirkte unwirklich und schon bald sah sie nicht einmal mehr ihre Hand vor Augen. Die Umgebung wirkte farblos und mit drückender Gewissheit erkannte Taeryn, dass sie im Nebel verloren war...



Die Seeräuberin machte einen Schritt zurück. Der ilsmerische Söldner vor ihr hatte seinen Schild und den Speer mit leerem Blick gesenkt, starrte nun ins Nichts, während der Nebel um sie herum dichter und dichter wurde. Er wirkte beinahe schlafend, genauso wie die anderen Seefahrer des Schiffes, das sie zusammen mit ihren neuen Kameraden überfallen hatten.

Als der gewaltige Stoß das Deck erzittern hatte lassen, hatten der Söldner und sie noch eine verwirrte Verteidigungshaltung angenommen, sich gegenseitig mit erhobenen Waffen bedroht, doch nun war der Kampf zu einem Ende gekommen und es war nicht das Ende, das Sallan der Kavalier angestrebt hatte.

Sallan. Mit seiner protzigen Art und seinem Narzismus; und dennoch hatte er sie in seiner Mannschaft aus Halsabschneidern aufgenommen. Sallan, der vor wenigen Herzschlägen in einem Splittersturm aufgegangen und mit seinem Schiff auf seinem Weg zum Meeresgrund war.



Stattdessen war an der Stelle des Seeräuberschiffes nun ein riesiger Rammsporn, schwarz wie Teer und geformt wie die Schnauze eines albtraumhaften Krokodils. Bedrohlich und größer, als es je ein Schiff hätte tragen können.

Die drahtige Frau fluchte leise und verstummte dann, als sie durch den Nebel ein seltsames Lied vernahm, das dumpf und wie aus Abertausenden Kehlen gesungen an ihr Ohr drang. Unheimlich war dieser Wortlose Gesang und unendlich verzweifelt klang die Melodie.

Sie wich keuchend zurück, als sie nun dunkle Schwadententakel im Nebel erkennen konnte, die sich vom riesigen Schatten lösten und in fließenden Bewegungen auf das verbleibende Schiff zuschlängelten. Hinauf aufs Deck und zu den erstarrten Kämpfern. Sie alle standen nur glasig blickend dort und rührten sich nicht, als sich die schwarzen Auswüchse auf sie zubewegten.



Nur noch drei ihrer ehemaligen Kameraden waren mit ihr auf dem Schiff und von ihnen hielt sie nicht allzu viel. Sie kannte deren Fähigkeiten. Hoffnungsvoll sah sie zum ilsmerischen Söldner, der neben ihr stand.



"He! Wach auf! Komm zu Dir!"



Doch der Angesprochene zeigte keine Regung. Sie holte aus und schlug mit einer flachen Seite ihres Schwertes gegen seine Schulter. Immer noch keine Reaktion des Söldners. Schon wollte sie ihm erneut etwas zubellen, als sich ein unwirklicher, schattenhafter Nebeltentakel an ihren Beinen vorbeidrückte und sich um den erstarrten Söldner wickelte. Den anderen erging es gleich und mehr und mehr wurden die Regungslosen von den Schatten bedeckt.

Nur die kleine Kriegerin ignorierten die körperlosen Auswüchse vollends, ließen sie dort hilflos stehen und fingen an, die Unglücklichen langsam zurück zum Rammsporn und dem Schatten dahinter zu ziehen. Mit einem beherzten Hieb durchschlug sie den dunklen Nebelkörper, der sich aber kurz hinter ihrer Klinge wieder zu einer wabernden Masse vereinte. Sie konnte nichts gegen diese übernatürliche Macht ausrichten, das erkannte die kleine Frau und das alles durchdringende Lied klang nun leise und Gedanken betäubend zugleich durch ihren Geist, überdröhnte das Meeresrauschen vollends.



Dann spürte sie einen warmen Druck unter ihrer Gewandung, feste und seltsam beruhigend an ihrer Brust. Eine weiche Stimme tastete sich in ihr Bewusstsein, jedes 's' seltsam zischend.



"Das habe ich für Dich gefertigt," sprach das kleine Katchoimädchen mit den zu großen Zähnen. "Ich hoffe, irgendwann wird es Dir helfen..."



Die Seeräuberin öffnete erstaunt ihren Mund. Das Mädchen hatte ihr das Amulett gegeben, nachdem sie Amovis verlassen hatten. Bevor sie sich Sallan angeschlossen hatte. Das Straßenkind hatte es speziell für sie angefertigt, den Schutzanhänger, den sie sonst an Pilger in den Straßen der großen Stadt verkauft hätte, stolz überreicht.

Voller Verwunderung zog sie am Lederband des Amuletts und starrte es dann einige Augenblicke lang an. Es zeigte das Sonnensymbol der Katchoi, das Zeichen des Gottvaters Amo. Kein Licht und kein Schimmern ging von der kleinen Scheibe aus, die sie nun auf der Handfläche trug. Nur das eindeutige Gefühl der Hoffnung. Das Gefühl der Sicherheit.

Tief holte die Seeräuberin Luft, dann packte sie das Amulett an seiner Lederschnur und drückte das Geschenk des Mädchens gegen den Schattententakel, der neben ihr den Söldner umschloss. Ein kraftvolles Zucken ließen den dunklen Nebelauswuchs erbeben, dann verging er ab der Stelle, an der das Amulett den Schatten berührt hatte, in feinen Rauch. Der Rest zog sich pulsierend zurück zum Rammsporn.

Der Gesang wurde schwächer und das Rauschen des Meeres kehrte zurück, ein neuer Schattententakel schlängelte sich aber bereits wieder in Richtung des ilsmerischen Söldners. Mit einem frustrierten Knurren stieß sie ihn von den Beinen und schwer kam er auf den Deckplanken auf.



Mandrail blinzelte verwirrt. Was war geschehen? Warum war vor einem Moment alles grau und detaillos geworden, die Welt als solche unter einer Decke aus Schatten verschwunden? Er versuchte sich vom Boden hochzustemmen, erkannte jedoch eine dunkle Gestalt über ihm.

Der schattenhafte Umriss kam näher, baute sich über ihm auf, wurde gewaltiger und bedrohlicher. Ein kräftiger Arm, wie mit einer Klinge verlängert, erhob sich und sauste dann auf ihn hinab. Gerade noch konnte er seinen Schild über sich ziehen und mit einem sausenden Kreischen verging der Schatten in wehende Fäden aus Asche und Rauch.

Sein Blick wurde klar, Farben kehrten in die Welt zurück. Geräusche. Sie lösten den seltsamen Gesang ab, von dem er bis jetzt nicht realisiert hatte, dass dieser seinen Verstand gänzlich ausgefüllt hatte. Seine Augen zuckten zur Seeräuberin, die über ihm stand und sein alter Kampfwille kehrte schlagartig zurück. Er spürte die Planken unter sich, das Schmerzen seiner Muskeln.



"Mia bringan uns nachher um...!"



Eilig rappelte sich Mandrail auf, griff seinen Schild wieder feste und zog sein treues Falacata. Er sah sich um, nickte der Seeräuberin grimmig zu und beide fingen an, auf die Schattententakel um sich herum einzuschlagen. Ein seltsames, kleines Amulett in den Händen der Kämpferin ließ die Schatten verdampfen, seine eigene Klinge durchschnitt die Nebelauswüchse wie ein heißes Messer Walspeck. Zischend fielen abgetrennte Tentakel auf das wettergezeichnete Holz, lösten sich dort in tanzende Ascheflocken auf.

Mandrail sprang an Pruudirs Seite, schob das Falacata zwischen den Koch und den ihn umwickelnden Schatten, fing damit an, tief zu schneiden. Er ächzte voller Sorge auf, als seine Klinge den Arm des reglosen Mannes verletzte und Blut zu fließen begann. Das hatte er nicht beabsichtigt...

Doch nun fokussierte sich der Blick des Koches plötzlich und keuchte, zuckte zurück, als neben den beiden Männern zwei Seeräuber von ihren Füßen und in Richtung des riesigen Schattens gezogen worden, der vor und über der Emanas Traum drohte. Von dem ein riesiger, schwarzer Rammsporn in Form einer Krokodilsschnauze zu ihnen ragte. Die Gebete Mandrails an den Gott Hamail ließen die letzten Schatten aus Pruudirs Bewusstsein verschwinden und mit einem Schlag aus Schmerz und Erschöpfung kam er wieder im Hier und Jetzt an.



Schon hatte die Seeräuberin Jorkar aus der dunklen Umklammerung befreit und nun schlug auch Pruudir mit seiner Pfanne nach den Tentakeln, als wären sie nichts weiter als verwilderte Straßenhunde, die es zu vertreiben galt. Taeryn erwachte aus ihrer Umnachtung, als der Schatten um sie herum verging.



"Machds Eich an de Ruder! Mia hamms eilig!"



Mandrail deutete auf langstieligen Paddel, die an der Reling lagen und sofort sprangen Pruudir und Taeryn herbei, nahmen die Ruder in die zitternden Hände. Pruudirs Arm war mit seinem Blut verschmiert.

Jorkar zögerte, schrie verblüfft auf, als ein weiterer Schattententakel nach ihm greifen wollte, doch sofort war Mandrail an seiner Seite, zerteilte den zuckenden Nebelauswuchs und schob den Kapitän der Emanas Traum dann zur Reling. Wütend griff Mandrail nach unten, hob ein Paddel hoch und drückte es dem verdutzten Jorkar in die Arme.



"Jezad!"



Eilig machten sich die Taeryn und die beiden Männer an die Arbeit und nur die Seeräuberin und Mandrail standen noch in Abwehrhaltung vor den Ruderern.



"Wir müssen von den Gasen weg," murmelte Taeryn leise. "Die Gase rauben unsere Sinne." Sie schluckte trocken. "Bevor wir wieder wegdösen. Bevor die Gase uns vergiften."



"Du soisd rudan, beim Hamma vom Herrgotthamail! Koan Schmarrn fazäin!"



Dann verstummte Mandrail, entdeckte einen kleinen Körper im sich rasch aufhellenden Nebel. Er deutete mit seinem Schwert auf die Gestalt, stieß Taeryns Schulter mit seinem Schild an.



"Huif eam!"



Es war Bork, der leblos zwischen einigen Tauhaufen lag. Ohne zu diskutieren ließ Taeryn das Paddel zu Deck sinken und rannte los. Jorkar und Pruudir ruderten weiter und immer undeutlicher wurde der Rammsporn im Nebel. Der Gesang verklang als leiser Nachhall, der innerhalb weniger Herzschläge vollends vom Rauschen der Wellen abgelöst wurde.

Weiter und Weiter entfernte sich die Emanas Traum von den Schwaden, die über dem Meer waberten. Nur noch vereinzelte Tentakel wanden sich aus der milchigen Masse, zogen einzelne Planken des untergegangenen Seeräuberschiffes zum verschwindenden Schatten. Dann war dort nichts mehr, nur noch das blaue Meer und die kreischenden Möwen, die über ihnen kreisten.

Verwundert blickten sie nach Süden und dort erkannten sie die Küste und das hohe Leosan Gebirge, das in den klaren Himmel aufragte. Sie waren auf dem richtigen Weg, das konnten sie deutlich erkennen.



Mandrail steckte sein Falacata in die mit Ziegenfell bezogene Schwertscheide, bückte sich und hob seinen Speer auf. Mit einem müden Grinsen wandte er sich an die kleine Frau, die gerade alle ihre räuberische Kameraden an die See verloren hatte.



"I bin da Mandrail."



"Lysaara."



Sie lächelte schief und beide schauten dorthin zurück, wo sie eben noch um ihr Leben gefochten hatten. Außer ein paar im Wasser treibenden Trümmern war nichts mehr zu sehen. Kein Nebel. Kein Rammsporn. Kein Schattenschiff...

Sie hissten das große Segel und nahmen Kurs Richtung Westen.
 
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Kapitel #7 unserer Ongoing-Kampagne:

erdacht von Conquistador


ausgespielt von Lain, Miche, Ange, Minza und Conquistador


nacherzählt von Minza



Vor zwei Stunden hatte die Emanas Traum am Kai eines kleinen Fischerdorfes angelegt. Hier wollte die Mannschaft des kleinen Schiffes nötige Reparaturen durchführen und ihre Vorräte auffüllen, hatte doch die lange Fahrt und der Kampf gegen Piraten und Schattententakel an ihren Kräften gezehrt.

In Vasaar waren sie verhalten empfangen worden. Der Dorfälteste Alakir hatte sie zwar willkommen geheißen und ihnen erklärt, dass schon in den letzten Wochen einige Handelsschiffe auf dem Weg nach Amovis hier Rast gemacht, Trockenfleisch und Dörrfisch gekauft hatten. Viele der Fischer sahen die Seefahrer aber nur mit seltsamen Blicken an, als würden sie ihre baldige Abfahrt mehr als herbei sehnen.



Taeryn saß an einem der kleineren Stege, wo Netze und Reusen zum Trocknen ausgelegt worden waren und mischte Köder auf einem gewölbten Rindenstück zusammen. Einige der Bewohner Vasaars standen um sie herum, sahen ihr neugierig zu, wie sie Krebsfleisch mit Fischöl vermengte und das stinkende Gemisch in leere Muschelschalen stopfte. Mit kleinen Steinen beschwerte die Frau die Köder und platzierte sie in einer Reuse, versenkte diese dann vorsichtig im warmen Wasser.

Ein kleiner, dicker Mann mit buschigem Schnauzer beobachtete den Arbeitsvorgang skeptisch, doch als die Fischer und Kinder um ihn herum zu murmeln begannen, als sich die ersten Krebse sichtbar der Falle näherten, trat auch er näher an Taeryn heran. Er sah genau zu, als sie einen weiteren Köder mit Fleisch und Öl anfertigte.

Kurz blickte er auf, als Kampflärm zu ihnen wehte, von den kleinen Hügeln her, wo die Olivenbäume wuchsen.



"Dua deine Drecksgwandn ausanand!"



Weitere Blicke huschten in diese Richtung, aber niemand reagierte beunruhigt. Sie wussten, was sich dort hinten abspielte. Was einer der Gäste dort gerade mit vier jungen Männern aus Vasaar veranstaltete...

Mandrail hatte dem Dorfältesten angeboten, einige Kampflektionen zu geben und der hatte den Vorschlag angenommen. Erst vor kurzem, hatte er erklärt, waren einige Galighen durch diese Region gezogen und hatten für Ärger gesorgt. Das nächste Mal sollten sie vorbereitet sein, würden sich die Nomaden, die immer wieder aus dem hügeligen Steppengürtel im Süden die Küste unsicher machten, erneut für einen Besuch entscheiden.



In den letzten Tagen hatte Mandrail still vor sich hingebrütet, über seine Bezahlung nachgedacht. Immer wieder hatte er Jorkar wegen seines Solds angesprochen und immer wieder hatte der Kapitän wütend reagiert. Vor allem, als der Söldner ihm angeboten hatte, einen Anteil am Schiff zu erwerben, als Ausgleich für die ausbleibenden Münzen.

Nein, Jorkar fühlte sich nicht verantwortlich für die unglücklichen Wendungen auf ihrem Weg und er sprach offen von der Überlegung, die Emanas Traum in Amovis zu verkaufen. Mit dem Erlös wollte er Mandrail und Bork bezahlen.

Nun aber hatte der donumische Söldner die Gelegenheit, sich wenigstens etwas Trockenfleisch und Früchte zu verdienen, die ihm die Fischer angeboten hatten. Zudem hatte ein altes Weib ihm angeboten, seine mittlerweile arg in Mitleidenschaft gezogene Lederrüstung zu flicken und dankbar hatte er dies angenommen.

Nun stand er mit den vier Jünglingen auf einem kleinen Feld zwischen den gedrungenen Obstbäumen und korrigierte Waffenhaltung und Stand.



"Wenn Ia richdig da stehds, dann kann Eich nix umscheissn. Vastehds Ia des?"



Die in einer Reihe aufgestellten Männer nickten und sie musternd schritt Mandrail an allen vorbei. Dann, als er an der Seite des Letzten angekommen war, zog er mit einer schnellen Bewegung dessen Bein mit dem seinen nach hinten, brachte den Burschen aus dem Gleichgewicht. Mit einer Staubwolke krachte der Jüngling zu Boden.

Die anderen grinsten, als Mandrail den Gefallenen am Kragen nach oben zog und ihn wieder auf die Füße stellte. Mit leichten Tritten rückte er die Beine des jungen Mannes Stück für Stück auseinander, bis er einen beinahe idealen Stand hatte. Dann ein erneuter Beinwischer, der Dorfbewohner blieb diesmal aber stehen. Zufrieden nickte der Söldner. Wenn der nächste Krieg anstehen würde, könnte der Mann eingezogen werden und hatte dann sogar eine realistische Chance, die Sache zu überleben.

Ruckartig ging Mandrails Blick zu einem Anderen, sein Kopf schoss auf den vor Schreck erstarrenden Dörfler zu. Nur wenige Fingerbreit trennten ihre Nasenspitzen.



"Nimm dain Zinkn zruck, sonsd brichda!"



Der Befehl war auch auf einem der kleinen Hügel zu hören, die mit gelblichen Gras bewachsen war. Lysaara saß dort im Schatten eines kleinen Olivenbaumes, naschte vom Fladenbrot und den Quitten, die sie von den Bewohnern Vasaars erstanden hatte. Sie lehnte sich entspannt an den Stamm, blinzelte schläfrig in den Himmel.

Eine frische Brise wehte über das Land und brachte den ordentlich gepflanzten Olivenhain und die niedrigen Nadelhölzer der Umgebung zum Rauschen.



"Du soisd ne danzn! Du soisd laffa!" wehte es zu ihr empor, doch sie ließ sich in ihrer Gemütlichkeit nicht irritieren.



Dann hoben sich die Köpfe von zwei Mädchen aus dem hohen Gras und neugierig schauten sie der dösenden Kriegerin zu. Dann kamen sie scheu näher und setzten sich in der Nähe, musterten die Waffen, die neben Lysaara unterm Olivenbaum lagen.

Zuerst flüsterten sie in leisen Stimmen miteinander, dann trauten sie sich doch, die fremde Frau anzusprechen.



"Wo kommst Du her?"



Lysaara kratzte sich an der Wange und schob eine weitere Quitte zwischen ihre Lippen. "Hm..."



"Ist das Schwert schwer?"



Leicht genervt sah die Kriegerin die beiden Mädchen an. "Was sind die nächsten Städte hier in der Gegend?"



Die beiden Kinder tauschten verwunderte Blicke aus. "Wissen wir nicht..."



"Es gibt hier eine Stadt mit dem Namen Lysis," meinte die andere. "Da verkaufen unsere Eltern den Fisch hin."



Lysaara kannte den Ort. Es war eine kleine Provinzstadt und stand unter der Lehnsherrschaft von Amovis. Dies bedeutete, dass Amovis die nächste große Metropole war und Lysaara in nur wenigen Tagen dieses Höllenloch wieder sehen würde. Sie hoffte inständig, dass dieser Besuch ohne das Drama und die Flammen des letzten Males auskommen würde.



"Hast Du ein Haustier?"



Lysaara blinzelte verwirrt.



"Wir haben einen Hund."



"Den haben wir ganz fest lieb."



"Hast Du schon einmal einen Hund gesehen?"



Hilfesuchend sah die Kriegerin zum Dorf, doch bei dieser Sache konnte ihr niemand beistehen... ihr Blick wanderte zum Kai, wo die Emanas Traum vor Anker lag und Pruudir gerade mit einigen Dörflern sprach.

Der Koch stand vor einigen Körben, in denen die Fischer aus Vasaar ihre Ware präsentierten. Er murmelte vor sich hin, drehte das eine oder andere Stück kurz in den Händen und legte es dann wieder zurück. Jorkar, der neben ihm die Reparaturen des Schiffes überwachte, beäugte ihn griesgrämig.



"Sind doch nur noch ein paar Wochen," gab der Kapitän grollend zu bedenken.



Pruudir hob seine Augenbrauen. "Und wie lange waren wir schon unterwegs...?"



Jorkar schnaubte. Ja, die Vorräte, die sie auf der Insel gesammelt hatten, waren beinahe aufgebraucht.



"Hm," brummte er, wendete sich ab und ging auf die Dörfler zu, die an seinem Schiff arbeitet. "Dann rede Du nochmal mit dem Ältesten. Ich schaue mir in der Zwischenzeit mit Bork das Schiff an. Schau Du, was Du kaufst und wie viel davon."



Während sich Jorkar entfernte, sah Pruudir hilflos von einen Holzgestellen, auf denen Fisch zum Trocknen aufgehängt worden war, hin zum verschlafenen Dorf, das unter der Sonne lag. Was wollte er mit dem Ältesten? Eigentlich wollte er eher auf Taeryn vertrauen. Dass sie alle paar Zeiten einen dicken Fisch aus dem Wasser zog.

Die Dörfler, die ihm die Körbe vor die Füße gestellt hatten, lächelten ihn höflich an. Vermutlich hatte der Mann eine ähnliche Kontrolle über den Handel, wie die Gilden in den größeren Gemeinden. Vermutlich war er wirklich die einzige Person, über die man einen guten Kauf tätigen konnte.

Seufzend zog Pruudir einige silberne Münzen aus der Tasche, in der insgesamt zehn Shela von Jorkar lagen. Mitunter sogar das Ersparte des Kapitäns, soweit der Koch mitbekommen hatte. Und Pruudir wusste, dass diese kleine Summe sie noch weit tragen musste. Zwei große, zwiegebackene Fladenbrote suchte er aus und einige Bündel Trockenfleisch vom Kaninchen und Schaf, einen ganzen Korb voll Dörrfisch.



"Habt Ihr Mehl?" Pruudir fuhr sich durchs verschwitzte Haar. "Gewürze? Obst und eingelegtes Gemüse?" Voller Hoffnung hob er die Shela. "Vielleicht Kohl?"



Einer der Fischer senkte leicht den Kopf. "Meersalz. Und ein paar Kräuter, die hier auf den Hängen wachsen."



"Nehmen wir..."



"Ein Säckchen Mehl, das wir selbst von einem Händler gekauft haben," bot der Fischer an, deutete auf eines der nahen Häuser. "Wenn Ihr etwas mehr zahlen wollt...?"



Pruudir nickte unglücklich.



"Und diese Rüben?" Ein anderer Mann hob den Deckel eines kleinen Korbes. Die Wurzeln, die darin lagen, waren länglich und gelblich-weiß.



"Umin?" Pruudir nickte. "Nehmen wir auch."



Er blickte auf, als der Dorfälteste in Begleitung eines kleinen, dicken Mannes mit buschigem Schnauzbart auf ihn zukam. Den kleinere Mann hatte Pruudir zuvor bei Taeryn gesehen, zusammen mit anderen Fischern, die die Frau bei ihren Versuchen beobachtet hatten. Und immer noch sprach er aufgeregt zum Dorfältesten, nickte eifrig und deutete zu Taeryn, die nun über ihrem Büchlein gebeugt etwas skizzierte.

Der Dorfälteste hob kurz eine Hand, um den anderen Mann zum Schweigen zu bringen, blieb vor Pruudir stehen und lächelte kalt den Dicken an.



"Das wird sich zeigen."



Er wirkte skeptisch, der Andere aber ließ das Thema fallen. Dann drehte sich Alakir zur zuvor von Pruudir ausgewählten Ware und das Lächeln wurde breiter, jedoch nicht wärmer.



"Für acht Silberlinge gehört das alles Euch."



"Acht Shela? Das ist aber ein kleines Paket für diese Menge Geld," antwortete Pruudir unglücklich, blickte dabei in Richtung des Stegs, wo Taeryn den Fischern neue Methoden des Fangs beibrachte.



Dann zu den Hügeln, wo Mandrail die Jugend des Dorfes für den Kampf probte. Er blinzelte.

Der Dorfälteste sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann seufzte er. Ja, die Gäste verrichteten gerade zu viele Dinste für Vasaar, als dass er nicht auf die Feilschversuche des Koches eingehen konnte.



"Sieben Silberlinge..."



Alakir streckte Pruudir die Hand hin, der schlug mit einem Kopfnicken ein. Sieben Shela kramte er aus dem kleinen Beutel und legte es dem Ältesten in die aufgehaltene Handfläche. Der grunzte und drehte sich dann zum Dicken um.



"Hamma? Sag Deinen Jungs, sie sollen das alles zum Schiff bringen."



Nochmal sah er zur einarmigen Frau, die am Steg saß. Er schüttelte seinen Kopf, dann machte er sich auf seinen Weg und verschwand zwischen den Häusern des Dorfes. Auch Pruudir blickte zu Taeryn, die umringt von einigen Kindern und vollends auf ihr Büchlein konzentriert war.

Gerade zeichnete sie das Muster einer kleinen Krabbe ab, deren ausgehöhlter Panzer auf den vom Wetter aufgesprungenen Holzplanken gelegen hatte. Unter ihr im Wasser sammelten sich allerlei Tiere um den improvisierten Köder.



"Und was ist das für ein Tier?"



Die Frage des kleinen Mädchens riss Taeryn aus ihrer Konzentration und sie legte den Kohlestift zwischen die Seiten des Büchleins, klappte es zu, während sie in die Bucht blickte. Dort trieb ein seltsamer Körper auf den Wellen. Umständlich erhob sich die Einarmige. Die Leute hinter ihr begannen zu tuscheln und sie drehte sich wissbegierig zu ihnen.



"Wisst Ihr, was das ist?"



Einer der erwachsenen Dorfbewohner winkte ab. "Ist bestimmt ein Baumstamm."



Taeryn stutzte. Etwas in der Art, wie der Mann das sagte, kam ihr seltsam vor. Abwehrend. Beinahe trotzig.

Sie blickte sich um und griff sich ein altes Netz, das ungeflickt am Steg lag und in dem noch alte Muschelschalen und Holzstückchen steckten. Mit einem Arm nahm sie Schwung, dann schleuderte sich das Netz in Richtung des auf und ab schaukelnden Körpers. Die Maschen blieben an einigen Unebenheiten hängen und sie begann, das Netz wieder einzuziehen.

Als sie sich umdrehte, um nach Hilfe zu fragen, bemerkte sie, dass einige Bewohner von Vasaar sich entfernt hatten. Sie hatten die Kinder mit sich gezogen, warfen ängstliche bis wütende Blicke auf die einarmige Frau.



"Was ist das Problem?" rief sie ihnen fordernd zu.



Nur nervöse Blicke antworteten ihr für die nächsten paar Herzschläge.



Dann: "Vielleicht ist es ja doch kein Baumstamm." Der Dorfbewohner machte einen unsicheren Schritt nach hinten. "Manchmal treiben hier Dinge an, die nicht so gut sind."



Kurz blickte ihn Taeryn wortlos an, dann begann sie lauthals nach Pruudir und Mandrail zu rufen.
 
Vielen lieben Dank @Minza für das fleißige Schreiben und Posten.

Mein aktueller Beitrag ist ein wenig bescheidener. Ich illustriere die Berichte für die finale Form, d.h. als zu druckendes Word-Dokument und evtl. auch als kleines Büchlein. Dazu habe ich mich entschieden, zu jedem Kapitel nur ein Einleitendes Bild zu Zeichnen, bzw. für "Die drei Federn" und "Eine taghelle Nacht" mehrere, da die Berichte/Geschichten durchgängig sind. Hier ein kleiner Vorgeschmack:

Illustration.jpg


Ich halte die Bilder bewusst skizzenhaft und in schwarz-weiß.
 
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