Fresia (Fre'ji-System)

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Wollte sie mit ihm reden? Ja, natürlich wollte sie das. Keiner von ihnen hatte seine Position verändert, sie saßen noch immer jeder vor seinem Terminal, nur dass sie sich jetzt endlich einander zu gewandt hatten. Vielleicht hatte Giselle nicht wirklich erwartet, dass Exodus auf ihr Angebot, über gestern zu sprechen, eingehen würde. Vielleicht hatte sie auch nur nicht erwartet, dass er scheinbar so offen darüber reden würde, doch tatsächlich nannte er das Kind beim Namen und sagte ihr zum ersten Mal gerade heraus, dass er sie attraktiv fand, anstatt seine Absichten hinter Gesten und zweideutigen Sprüchen zu verschleiern. Doch das war noch nicht alles. Es ging noch weiter und Giselle glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als er sein Angebot quasi noch einmal wiederholte. Er wollte, dass sie regelmäßig mit ihm schlief. Er sagte es frei heraus: Freundschaft, Sex, Ungebundenheit und sein Blick schien sie zu fragen, was es daran noch zu überlegen gab. Giselle sah von ihm fort, sah auf die Listen aus Namen, die auf dem Terminal vor ihr standen. Wenn einer von ihnen beiden nicht wusste, woran er bei dem anderen war, dann war sie es. Er wusste genau, was er wollte und er wusste genau, was er tat. Er hatte es ihr sogar gesagt. Alles was er wollte war, dass sie zu ihm in sein Bett kam.

”Exodus.”

Sie sprach seinen Namen ruhig aus, doch es dauerte, bis sie fort fuhr. Giselle ließ sich Zeit, dachte darüber nach, was er gesagt hatte und was es für sie bedeutete. Es bedeutete, dass ihre Hoffnungen schwanden, er könne jemals das gleiche für sie empfinden wie sie für ihn. Bisher hatte sie sich nie wirklich sicher sein können, worauf er es abgesehen hatte, doch gerade hatte er es ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben.

”Als ich in deine Hütte gekommen bin, habe ich dir gesagt, weshalb ich da war. Du hast etwas für mich getan und ich wollte etwas für dich tun. Es war meine Art, dir meinen Dank auszudrücken.”

Sie sah ihn an. Manchmal war es genau so einfach wie es klang, doch sie hatte erlebt, dass Menschen es gerne komplizierter machten. Exodus gab vor, nicht zu verstehen, warum sie ihn zurück gewiesen hatte, doch es fiel Giselle schwer, dies zu glauben. Er musste doch wissen, dass sie nicht alle aus dem gleichen Holz geschnitzt waren, dass das, was er vorschlug, nicht für jeden von ihnen das Richtige war?

”Die Nacht mit dir hat mir gefallen. Ja.”

Sagte sie aufrichtig.

”Doch darum geht es nicht. Es sollte dabei nie um mich gehen.”

Langsam schüttelte Giselle den Kopf, glaubte plötzlich, draußen etwas gehört zu haben und hielt inne, doch die Plane vor dem Eingang des Zeltes bewegte sich nicht und der schon fast erwartete Besucher blieb aus. Trotzdem stand sie auf und warf einen Blick nach draußen, um sicher zu stellen, dass niemand ihr Gespräch mitanhörte. Eine einzelne Lampe erhellte den tiefschwarzen Ta. Es war niemand zu sehen. Giselle wandte sich wieder um. Es hatte so gut getan, Exodus in den letzten Wochen kennen zu lernen und ihm näher zu kommen, und nun hatte sie das Gefühl, weiter von ihm entfernt zu sein, als je zuvor. Weiter vielleicht sogar als an dem Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten.

”Freunde, die gelegentlich miteinander schlafen.”

Wiederholte sie seine Worte leise, fast so als würde sie testen, wie das klang, wenn sie es laut aussprach.

”Ich denke, wenn wir Freunde sind, solltest du meine Entscheidung respektieren, statt deine Position mir gegenüber auszunutzen und so zu tun, als wären wir nichts, als ein Chef und seine Angestellte. Denn wenn du das tust, dann fürchte ich, sind wir wirklich nichts anderes als genau das.”

Und dies war etwas, das sie nicht wollte. Sie vermisste ihn schon jetzt - sein Lächeln, seinen gewitzten Charme, ihre gemeisamen Gespräche. Nein, sie wollte nicht, dass er irgendwo hin ging, doch sie würde ihm auch nicht folgen in eine Abmachung, die falsch für sie war.

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Der logisch-rationale Ansatz schien bei Giselle nicht zu fruchten. Der simplen Kausalitätsfolge, die er aufgestellt hatte, wollte die Vahla nicht folgen. Sie lautete: Wir hatten Sex, wir hatten beide Spaß dabei, also sollten wir es wieder tun. Giselle bestätigte zwar die ersten beiden Punkte, doch seiner Schlussfolgerung stimmte sie nicht zu. Sie gab keine Gründe an, sie erklärte nur noch einmal, dass sie ihm hatte danken wollen, dass es ihr nur um ihn gegangen war. Normalerweise war dies eine Erklärung, die Exodus sehr gerne hörte. Doch nicht heute, denn er tappte nach wie vor im Dunkeln, was ihre Beweggründe der Verweigerung anging.

„Giselle.“

In einer galanten Bewegung stand er von seinem Stuhl auf, doch seine Gedanken folgten seiner Körpersprache nicht. Er wurde langsam ungeduldig. Vermutlich konnte man dies in seiner Stimme hören und vermutlich war dies nicht besonders gut. Exodus verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und wandte sich von Giselle ab.

„Wenn wir Freunde sind, dann sollte ich deine Entscheidung respektieren? Gut. Aber das ist nur die eine Seite. Wenn wir wirklich Freunde sind –“

Mit einer schnellen Bewegung, drehte er sich auf der Ferse zu ihr herum.

„– solltest du dann nicht auch ehrlich zu mir sein? Du sagst, ich soll deine Entscheidung respektieren, aber du begründest sie nicht. Ich soll das einfach so hinnehmen, ich soll –“

Plötzlich brach er ab. Nein, das brachte so nichts. Es half nicht, wenn er lauter wurde, wenn er sie anfauchte, wenn er seiner Wut schlichtweg freien Lauf ließ. Seufzend schüttelte er mit dem Kopf und wandte sich wieder von ihr ab, maß mit einigen Schritten die Größe des Zeltes ab, ohne wirklich mitzuzählen. Im Sith-Orden hatte er gelernt, seine Wut zu konzentrieren und zu kanalisieren. Als Jedi war er wütend gewesen, doch diese Wut hatte nur Zerstörungspotential besessen. Exodus wollte nichts zerstören. Er hatte ein Ziel. Ein sehr konkretes sogar. Langsam ließ er seine Augenlider sinken und atmete durch. Giselles dunkler Kern pulsierte, jetzt wo er ihn einmal freigelegt hatte, deutlich durch die Macht. Dieser Kern, verpackt in einen so atemberaubend grazilen Körper, war etwas, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Ein Plan, er brauchte einen Plan …

„Ich denke du tust mir Unrecht, wenn du sagst, ich würde meine Position missbrauchen.“

Die Gereiztheit war aus seiner Stimme verschwunden. Sie klang weich und verletzlich und Exodus konnte selbst nicht genau sagen, was davon echt und was gespielt war. Mit bedächtigen Schritten ging er auf sie zu.

„Ich habe ein Problem und ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.“

Exodus fing ihren Blick auf, hielt ihn einige Sekunden und sah dann mit unglücklich zusammengezogenen Augenbrauen zu Boden. Der rational-logische Plan hatte nicht funktioniert. Möglich, dass er sich jetzt komplett in den Abgrund riss, dass alles, was er sich aufgebaut hatte, mit diesem langen und schwierigen Gespräch zerstört wurde. Doch der aktuelle Stand war ebenfalls kein Fundament auf das er bauen konnte. Er musste etwas anderes versuchen.
Schweigend vollführte er einen Halbkreis um sie herum, ehe er von hinten an Giselle heran trat. Seine Arme hatten sich längst aus der Verschränkung gelöst, als er sich dicht hinter sie stellte und seine Lippen langsam an ihr Ohr schob.


„Ich muss immerzu an unsere gemeinsame Nacht denken. Ich kann nicht anders.“

Seine Stimme war lediglich ein Flüstern und seine Hände schwebten nur wenige Zentimeter über ihren schmalen Schultern, wie die Klauen eines Raubvogels, der sich im Sturzflug auf sein Opfer befand. Ihr Duft stieg ihm betörend in die Nase, bereit seine Sinne zu vernebeln. Exodus versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Er machte sich nicht erneut zu ihrer Marionette – das hier war anders. Das hier war Kalkül. So musste es sein, so musste er es angehen, wenn er sein Ziel erreichen wollte.

„Und es macht mich wahnsinnig, in deiner Nähe zu sein …“

Langsam senkten sich seine Finger und legten sich sanft auf ihre Haut. Die Berührung elektrisierte ihn in weichen Wogen am ganzen Körper.

„… und zu wissen, dass sich diese Nacht niemals wiederholen wird.“

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Mehr als alles andere spürte Giselle das Schlagen ihres eigenen Herzens. Ein viel zu schnelles, rythmisches Pochen hämmerte in ihrer Brust. Viel zu schnell. Es gab Dinge im Leben, die einfach zu kontrollieren waren, die man in der Hand hatte und für die man sich entweder entschied oder eben nicht. Mit Gefühlen war es anders. Gefühle hatten einen eigenen Willen und je stärker man versuchte sie zu kontrollieren und je verzweifelter die Versuche, desto größer drohte die Explosion, wenn sie schließlich ausbrachen wie ein Vulkan, der zu lange still gelegen hatte. Giselle versuchte sich auf Exodus’ Worte zu konzentrieren, doch seine ständigen Bewegungen brachten sie durcheinander. Er durchquerte das Zelt, wandte ihr den Rücken zu und trat dann schließlich hinter sie. Für einen Moment fühlte sie sich an ihren gemeinsamen Tanz vor dem loderndern Feuer am Strand zurück erinnert. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals, genau wie an jenem Abend, spürte die wohligen Schauer, die ihr den Rücken hinunter jagten und war versucht die Augen zu schließen, um sich der sanften Süße hinzugeben, die die Berührung seiner Hände ihr bescheerten. Gefühle ließen sich nicht kontrollieren. Eine nebelwabernde Schwärze erschien an den Rändern ihres Blickfeldes. Es wäre einfach, jetzt nachzugeben... doch Giselle gab sich einen Ruck – und machte einen Schritt von Exodus weg. Sie drehte sich zu ihm um, sodass sie sich wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen und begegnete seinem Blick.

”Versuchst du etwa, mich gegen meinen Willen zu verführen?”

In Giselles Stimme schwang Fassungslosigkeit mit, doch sie wurde nicht lauter. Sie war noch immer ruhig, eher verwirrt als verärgert. Sie hatte ihn zuvor zurück gewiesen, hatte ihm gesagt, dass sie nicht auf sein Angebot eingehen wollte, dass sie seine Vorstellung nicht teilte, doch er versuchte es weiterhin, fasste sie an ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Wieder einmal.

”Ich bin dir keine Gründe schuldig.”

Sagte sie in einem Versuch, ihm klar zu machen, dass er eine Grenze überschritten hatte.

”Ich muss niemandem erklären, warum ich nicht mit ihm schlafen möchte. Entweder du respektierst meine Entscheidung, oder du tust es nicht. So einfach ist das… und offenbar tust du es nicht.”

Giselle schüttelte den Kopf und riss ihren Blick von ihm los. Er hatte gemeint, sie täte ihm Unrecht, dass er seine Position nicht missbrauchen würde und lediglich nicht wusste, was er tun sollte. Nichts davon glaubte sie ihm. Sie hatte sich in ihm geirrt und vielleicht war er doch nicht der Mann, nach dem sie gesucht hatte.

”Ich werde jetzt gehen.”

Sie holte tief Luft. Das Pochen ihres Herzens hatte sich wieder auf ein normales Maß reduziert, sobald sie den körperlichen Abstand zu Exodus wieder gewonnen hatte. Sie konnte nicht leugnen, dass seine Nähe ihr gefiel. Nach wie vor schien er alles zu verkörpern, das den perfekten Mann aus machte, doch Giselle Givenchy ließ sich nicht gerne drängen. Sie war kein Freiwild und sie verlangte Respekt.

”Wie ich bereits sagte, die neuen Schichtpläne sind fertig.”

Sie deutete auf das Terminal. Da sie davon ausging, dass Da’nel und Fleetfire auch ohne einen dritten Piloten zurecht kommen würden, hatte sie den Plan entsprechend erstellt, jedoch auch eine alternative Version unter Berücksichtigung eines dritten Mitarbeiters angefertigt, falls Exodus ihre Meinung nicht teilen sollte.

”Ich will mich auf die Suche nach Haiur machen. Er ist mit dem Mon Calamari Jungen in den Dschungel verschwunden. Ich möchte mich versichern, dass alles in Ordnung ist und dass die Mon Calamari kein Problem mehr für die Wingston Corporation dastellen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Haiur den anderen erzählt hat, dass du das Leben des Jungen gerettet hast.”

Ihre Stimme klang betont neutral und Giselle versuchte sich an einem Lächeln, doch unter der Oberfläche war deutlich die Anstrengung, die ihre Worte ihr abverlangten, zu hören und zu spüren. Exodus’ Verhalten ging nicht spurlos an ihr vorbei.

”Das wird mein letzter Einsatz als deine Assistentin sein, Exodus. Ich kündige.”

Und obwohl es ihr schwer fiel, sah sie ihn direkt an, Bedauern in ihren Augen. Es war besser so. Von Anfang an war Exodus mehr gewesen als nur ihr Chef und es hatte ihr gefallen, die meiste Zeit über. Er hatte sich ihr gegenüber nie verhalten wie ein normaler Vorgesetzter, aber nach dem, was heute zwischen ihnen geschehen war, konnte Giselle nicht länger für ihn arbeiten. Sie konnte sich nicht weiter nach seinen Anweisungen richten, die Aufgaben erledigen, die er ihr gab und sich dabei jedes Mal fragen, wann er das nächste Mal versuchen würde, ihr näher zu kommen. Das war niemals Teil des Deals gewesen.

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Wenn man alles auf eine Karte setzte, bestand die Möglichkeit alles zu gewinnen. Es gab aber auch das Risiko, alles auf einen Schlag zu verlieren. Exodus mochte das Spiel mit dem Feuer, aber vor allem deshalb, weil es das Glück in solchen Situationen häufig gut mit ihm meinte. Und wenn nicht, dann halfen Geld und Charme nach und er konnte dennoch nach dem Hauptgewinn greifen. Diesmal lief es anders. Sein Geld war Giselle egal, so viel hatte er mittlerweile über sie gelernt. Und sein Charme hatte in ihrer Nähe regelmäßige Funktionsaussetzer. Mit seinen Lippen an ihrem Ohr und den süßen geflüsterten Worten hätte er mit durchschlagendem Erfolg gerechnet – vielleicht auch mit einer Ablehnung. Aber nicht damit.

„Du … was? Warte!“

Ihm entglitten die Gesichtszüge und die vorher so kunstvoll konstruierte Maske, die Mimik und Körpersprache umfasst hatte, zerbrach hemmungslos. Seine Schultern sanken hilflos hinab und es musste wirken, als wäre er gerade um einen halben Meter geschrumpft. Giselle hatte sich zum Gehen gewandt, doch Exodus blieb wie angewurzelt stehen.

„Du willst kündigen?“

echote er ihren Entschluss, während ihn langsam Panik ergriff, da ihre Körperhaltung eindeutig von einem Aufbruch sprach. Seine Handflächen wurden schlagartig feucht und unsicher begann er, sie gegen den Stoff seiner Hose zu reiben. Das war doch ein Scherz. Das konnte – durfte! – nicht wahr sein. Sie konnte nicht gehen, sie musste doch in seiner Nähe bleiben!

„Du kannst nicht kündigen.“

erklärte er hilflos und sah sie mit unruhig schimmerndem Blick an. Die Möglichkeit einer Kündigung hatte in all seinen bisherigen Überlegungen nicht stattgefunden. Das hatte nie zu den Spielregeln gehört. Es war darum gegangen, wie nah er ihr kommen, wie häufig er sie in sein Bett bekommen konnte – aber nie darum, dass sie das Spiel ganz abbrach. Das durfte sie nicht. Das ... –
Nein. Dies war vermutlich nicht die richtige Strategie. Er musste diese Gedanken abschütteln. Ein Verbot würde sie nicht davon abhalten zu gehen und wenn er ihr jetzt mit einer arbeitsrechtlichen Kündigungsfrist kam, würde das seine Chancen sehr wahrscheinlich nicht gerade steigern. Seine rechte Hand ballte er zur Faust, blickte darauf hinunter und löste sie schließlich wieder. Wieso kam er sich so verloren vor?


„Ich meine …“

Exodus schluckte, unsicher ob er die nächsten Worte wirklich aussprechen sollte. Er hatte schon verloren, das wusste er. Würde es etwas bringen, sich erneut lächerlich zu machen? Dem Bild des starken Mannes, des Verführers, des Gewinners Exodus Wingston einen weiteren tiefen Kratzer zu verleihen? Exodus rieb sich mit der Handfläche über die kurzen Bartstopeln. Seine Stimme war wieder kaum mehr als ein kehliges Flüstern, diesmal allerdings ohne den anzüglichen Ton, den er ihr eben noch ins Ohr gehaucht hatte.

„Ich brauche dich. Ich kann dich nicht ersetzen.“

Das stimmte nicht nur auf der persönlichen, körperlichen Ebene. Giselles gute Beziehungen zu den Nautolanern hatten zwar nicht das finale Unglück verhindern können – doch wer konnte schon sagen, wie viel schlimmer es gekommen wäre, wenn sie die Vahla nicht gehabt hätten? Sie verstand die Sprache der einheimischen Mon Calamari und sie verstand ihr Wertesystem. Exodus waren diese Dinge fremd und er war nicht davon überzeugt, erneut auf dem Festland in eine Bar spazieren und die ideale Assistentin finden zu können. Das Projekt war gerade gerettet worden – und schon bekam es den nächsten Schlag verpasst. Unschlüssig hob er die Schultern und ließ sie wieder fallen.

„Was hast du danach vor? Willst du … Fingers Mark verlassen?“

Vermutlich würde sie das. Nichts würde sie mehr hier halten, wenn sie nicht für die Wingstons arbeitete. Sein ganzer Plan, der mit dem Tag ihrer ersten Begegnung begonnen hatte, zerfiel zu Trümmern. Und das nur, weil er zu gierig gewesen war. Eine Nacht mit ihr hatte ihm nicht genügt, nein, er musste sie natürlich jeden Tag für sich haben und wollte nicht erlauben, dass sie mit jemand anderem – ob Fleetfire oder Jak oder sonst wem! – ihren Spaß hatte. Dass dies eine Sucht war, hatte er sich schon länger eingestanden. Nur was sollte er dagegen tun? Giselle ziehen zu lassen, erschien ihm nach wie vor wie keine mögliche Option. Sie durfte nicht gehen. Und trotz des Bedauerns in ihrem Blick, trotz des versuchten Lächelns, dass sie aufsetzte, würde sie es tun. Auf Coruscant war er dem Abgrund gerade noch entkommen – nur um auf Fingers Mark dem nächsten entgegen zu steuern.

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”Ich kann kündigen und ich werde.”

Giselles Stimme klang sicherer, jetzt wo sie es einmal ausgesprochen hatte und Exodus’ Reaktion sie darin bestärkte, dass es das Richtige war zu tun. Ein Teil von ihr war froh, dass er sie nicht gehen lassen wollte. Ein Teil von ihr streckte sich ihm entgegen, wollte ihn berühren und ihm sagen, dass sie bleiben würde, als er all die Worte sagte, die sie von ihm hören wollte. Er brauchte sie, er konnte sie nicht ersetzen. Nichts wäre schöner als zu wissen, dass das die Wahrheit war. Die rationalen Winkel ihres Verstandes hielten Giselle jedoch von jedweger Dummheit zurück, die sie hätte begehen können. Jetzt, da sie den Entschluss gefasst hatte, konnte sie nicht kehrt machen. Die Worte auszusprechen war bereits der schwerste Teil gewesen.

”Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du mich brauchst.”

Sprach sie leise, obwohl es verlockend war, sich dieser Vorstellung hinzugeben. Aber brauchte Exodus Wingston überhaupt jemanden? Natürlich tat er das. Niemand konnte ertragen, immer alleine sein, doch gerade was dies anging, hatte Exodus ihr mehr als deutlich erklärt, welche Form der Gesellschaft er bevorzugte. Er wollte keine Frau, die für ihn sorgte. Er wollte eine Frau, die ihn unterhielt, während sie nichts trug als einen Hauch von Wäsche, oder noch besser: nichts. Wenn er sagte, dass er sie brauchte, dann meinte er nur die Arbeit, die sie für die Wingston Corporation erledigte und nichts, das darüber hinaus ging.

”Bevor ich gehe, werde ich mich versichern, dass die Mon Calamari kein Problem mehr für das Projekt sein werden. Dazu mache ich mich jetzt direkt auf den Weg.”

Sie musste dies professionell beenden. Etwas unvollendet zu lassen war nicht Giselles Art. Sie hatte gelernt, dass man Dinge, die man begonnen hatte, auch zu Ende brachte und sie wollte Exodus auch gar nicht mit diesen Problemen alleine lassen. Warum sollte sie? Es half nichts, sie empfand noch immer etwas für ihn und gerade deswegen musste sie gehen, damit sie nicht Gefahr lief verletzt zu werden, weil sie mehr wollte als gut für sie war. Schweren Herzens wandte sich Giselle zum Gehen.

”Was danach für mich kommt… ich weiß es noch nicht. Ich habe nie besonders weit in die Zukunft geplant.”

Giselle hatte in ihrem Leben bereits mehrfach an Stationen Halt gemacht hatte, an denen sie nie für möglich gehalten hätte anzukommen, und hatte sich immer weiter treiben lassen. Genau diese Unbekümmertheit hatte sie auch nach Fresia und für eine Zeit lang auch nach Fingers Mark gebracht. Es war eine schöne Reise gewesen und Giselle bedauerte ihr Ende. Aber was gab es anderes für sie zu tun, als diesem Job, der ihr viel Freude bereitet hatte, den Rücken zu kehren? Wenn sie bliebe, das wusste sie, würde sie am Ende doch mit Exodus schlafen. Er würde es wieder versuchen, das hatte er ihr soeben bewiesen, und sie würde irgendwann schwach werden und nachgeben und ihre Hoffnung würde neu aufkeimen, bis sie an ihren eigenen Tränen erstickte, weil er ihr niemals geben würde, wonach sie dürstete. Aus wankenden Höhen verfolgte das Schicksal Giselles Leiden mit einem ironischen Grinsen: Exodus Wingston, trotz all dieser perfekt erscheinenden Voraussetzungen, war nicht der Typ Mann, der mehr geben wollte – auch wenn er selbst mehr verlangte, als andere bereit waren ihm zu geben.

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Giselles Worte waren ein Vorschlaghammer, der Exodus‘ letzte Hoffnungen vernichtend zertrümmerte. Sie hatte nicht verstanden. Sie sah nicht, wie sehr er sie wirklich brauchte, hatte seinen Blick nicht richtig gelesen. Sie glaubte ihm nicht, obwohl er zu ihr völlig offen gewesen war. Sein Mund fühlte sich völlig ausgetrocknet an, als er die Lippen öffnete, um nur ein einzelnes kurzes Wort zu sagen:

„Okay …“

Die Schwerkraft schien sich innerhalb des Zeltes mit ihren Worten verändert zu haben. Exodus‘ Füße – nein, sein ganzer Körper – waren schwer. So schwer, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Es kostete ihn schon Anstrengung, überhaupt aufrecht stehen zu bleiben. Wie schwer ihre Worte wiegen konnten, war ihm bisher nicht bewusst gewesen – jetzt, wo er es wusste, war es bereits zu spät. Sie stand noch dort im Zeltausgang, doch von ihrer Seite aus war alles gesagt. Ihre Wort würden im Zelt bleiben und Exodus weiterhin wie schweres Blei in den Boden drücken. Das schlimmste daran war: Er hätte es verhindern können. Sein Spiel war zu gewagt gewesen, seine Forderungen zu hoch, sein Drängen zu unnachgiebig. Er war dem Selbsthass lange entkommen, doch in diesem Moment erwischte er ihn wieder. Was konnte er jetzt noch erwidern?

„Das ist … schade.“

Unter aller Kraftanstrengung hob er verzweifelt die Schultern, um ihr zu zeigen, wie ratlos er wirklich war. Das tiefe Schlucken blieb ihm fast im Halse stecken, so ausgetrocknet fühlte er sich. Dies würde zwar nicht der letzte Moment sein, in dem er sie sah, doch der letzte, in dem er ihr nah gewesen war. Emotional und körperlich würde sie ihn nicht mehr an sich heran lassen. Und auch wenn er mit der Wahrheit schlussendlich nicht mehr weit gekommen war: Das kleine Zeitfenster, das gerade dabei war, sich zu schließen, musste er noch für eine letzte aufrichtige Erkenntnis nutzen:

„Wir waren ein gutes Team, du und ich.“

Kraftlos schloss er die Augen, zog sich in der Macht von ihr zurück und rieb sich die Schläfen, unfähig ihr endgültiges Verlassen mit anzusehen. Er wusste nicht, ob sie seine Worte noch hörte ob sie ungehört in den Zeltwänden vergingen. Der penetrante Gedanke an die Wahrheit, Giselle soeben verloren zu haben, bohrte sich unnachgiebig und kreischend in seinen Kopf und ließ ihn im Schneidersitz zu Boden sinken.
Giselle ging und zurück blieb nur Verzweiflung und die Erinnerung an eine einzige vollkommene Nacht, die sie ihm geschenkt hatte.


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Es war dunkel und der Wald summte geschäftig vor sich hin. Im Gras zu Giselle Füßen zirpten Insekten und weit über ihrem Kopf schnatterten die Vögel in den höchsten Ästen der Bäume. Es war ein wolkiger Tag im Licht der Nacht und nur stellenweise tauchte der Mond hinter einer Wand aus grauen Wattepolstern auf. Er war Giselle keine besonders große Hilfe, ihren Weg durch den Wald zu finden. Ein Problem stellte dies für die Vahla dennoch nicht dar. Zielsicher hatte sie sich, trotz der Dunkelheit, zuerst zu der heiligen Begräbnisstätte der Mon Calamari bewegt. Danach hatte sie die Richtung angepeilt, die sie mit Exodus zusammen schon einmal gegangen war und war schließlich dem Flusslauf gefolgt, an dessen Ufer und überall auf den umliegenden Steinen kleine und größere Reptilien um die Wette zischten, deren Umrisse Giselle nur erkannte, wenn sich dann und wann ein dunkler Schatten in ihrer Nähe bewegte. Es war gut für sie, dass sie das Camp verlassen hatte. Nach allem, was geschehen war, brauchte Giselle Zeit für sich. Zeit zum Nachdenken. Dass sie ihren Job gekündigt hatte, war eine impulsive Entscheidung gewesen, über die sie zuvor nicht nach gedacht hatte. Nicht einmal ansatzweise war ihr zuvor der Gedanke gekommen, dass dies nötig werden könnte. Exodus war ein Mann, der keine Beziehung wollte, ihm genügte ein kurzes Abenteuer. Genau das hatte er mit Giselle gehabt und sie hätte gedacht, dass dies ihr Verhältnis zueinander, beruflich wie privat, nicht beeinträchtigen würde, gerade weil es – gerüchteweise – für Exodus nicht das erste Mal gewesen sein durfte, dass er sich kurzweilig und ohne feste Bindungen mit einer Frau vergnügt hatte. Giselle hatte gedacht, er hätte Routine. Warum also war es dann doch aus dem Ruder gelaufen? Weil er sich nicht mit nur einer Nacht hatte zufrieden geben wollen.

Nach drei Stunden Fußweg machte Giselle das erste Mal Rast, ruhte kurz aus und fragte sich, wo sie in diesem Moment wohl wäre, hätte sie Exodus Wingstons Angebot, für ihn zu arbeiten, nie angenommen. Sie wäre vermutlich noch immer in der Bar in Hill City, während sie versuchte mit dem mageren Gehalt einer Kellnerin ihre Schulden bei Jem zu begleichen, der nie wirklich darauf bestanden hatte, dass sie ihm zurück zahlte, was er ihr geliehen hatte. Trotzdem hatte Giselle das Gefühl, diese Verpflichtung erfüllen zu müssen. Geld war für Menschen wichtig, das hatte sie vor Jahren gelernt, als sie nach Alderaan gekommen war. Sie suchte weiter ihren Weg durch den Dschungel von Palm Island, einer faszinierenden Welt, die nur im Licht der Sonne noch schöner war. Mit der Zeit änderte sich auch das Wetter. Die Wolken lockerten sich allmählich, brachen immer weiter auf und ließen einen prall geformten Mond immer öfter und länger den Planeten beleuchten. Manchmal fand Giselle schmale, kaum zu erkennende Pfade, deren Spur sich so schnell wieder verlieren konnte, wie sie aufgetaucht war. Dann wiederum musste sich die Vahla durch das Dickicht dicht an dicht gedrängter Pflanzen schlagen, deren Blätter größer waren als sie selbst und die ihre Arme um sie zu legen schienen, als wollten sie ihr Trost spenden und obwohl Giselle den Weg zum Dorf der Mon Calamari nicht kannte, hatte sie keine Zweifel, dass sie dort ankommen würde. Sie hatte nicht vor, die Mon Calamari zu finden. Sie baute darauf, dass die Mon Calamari sie finden würden.


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Das Loch in Exodus‘ Bauch machte sich auf unnachgiebige und schmerzende Weise auf sich aufmerksam. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich dem Bohren zu ergeben und sich schließlich träge und mechanisch zu erheben. Nahrung. Frühstück. Das wäre gut. Wie lange hatte er hier gesessen? Jegliches Zeitgefühl war ihm verloren gegangen und wie immer war Fresias Himmel kein Indikator, an dem er sich orientieren konnte. Unsicher sah er sich im Zelt um, machte die wenigen Schritte hin zu dem Terminal, an dem sie gearbeitet hatte und öffnete den neu erstellten Schichtplan. Dann kramte er sein Datapad hervor, übertrug die Daten darauf und fuhr das Terminal wieder herunter. Kurz bevor er das Zelt verließ, klopfte er sich den Staub von der Hose, versuchte ein neutrales Gesicht aufzusetzen und seinen Rücken durchzudrücken. Man sollte ihm nicht anmerken, dass gerade etwas vorgefallen war – dass er eine herbe Niederlage hatte hinnehmen müssen.

Das Frühstücksbuffet war noch immer aufgebaut, auch wenn die Teller und Schüsseln schon größtenteils geleert waren. Exodus wog das Datapad in seiner rechten Hand, um beschäftigt auszusehen, ehe er sich einen Teller nahm und die letzten Reste des Buffets damit belud. Ohne weiter darauf zu achten, wer sich noch hier befand und wer nicht – sie war zumindest nicht mehr hier, das spürte er – setzte Exodus sich an einen der langen Tische.


„Oh! Guten Morgen – Sir!“

Irritiert sah Exodus nach oben und blickte in das strahlende Gesicht dieses Taugenichts. Fleetfire.

„Sie essen doch sonst nicht so spät.“

Das stimmte. Exodus gehörte nicht immer zu den allerersten Frühstückern, aber doch zu der ersten Schicht, die sich morgens am Buffet bediente. Fleetfire hingegen war ein notorischer Langschläfer, weshalb er immer erst sehr spät zum Frühstück hinzu stieß. Exodus war über diesen Umstand immer sehr glücklich gewesen, denn so waren sie sich nicht übermäßig viel begegnet. Heute standen die Zeichen allerdings anders.

„Nein, stimmt.“

Mit der rechten Hand langte er nach seinem Datapad und öffnete einige Menüs, während seine Linke das Brötchen zum Mund führte. Ihm war nicht nach Unterhaltung, erst Recht nicht mit diesem Hohlkopf.

„Ah, direkt wieder bei der Arbeit.“

bemerkte Fleetfire blöde und linste zu Exodus‘ Datapad. Der Vizepräsident schob das Gerät sachte über den Tisch näher zu sich herüber. Fleetfire lehnte sich über seinen Teller hinweg unverschämt weit nach vorne und Exodus kam nicht umhin ihn entnervt anzufunkeln.

„Haben Sie nichts zu tun?“

Fleetfire grinste, als wäre es von vorneherein sein Ziel gewesen, Exodus zu dieser Frage zu provozieren. Mit beiden Händen – als ob er es nicht auch nur mit einer hätte halten können! – hob er seine übermäßig beladene Brötchenhälfte in die Höhe.

„Natürlich. Ich esse. Sir.“

Man konnte das Brot überhaupt nicht mehr sehen, so weit lappten die zwei Scheiben Schinken, die er auf dem Brötchen plaziert hatte, über seine Unterlage hinaus! Das war wieder typisch: Die faulsten Mitarbeiter lagen dem Unternehmen nicht nur am meisten auf der Tasche, sie grinsten einem dabei auch noch frech ins Gesicht.

„Na dann: Essen Sie. Ich arbeite.“

Exodus‘ Ton wurde kühler und er richtete seinen Blick wieder sturr auf das Datapad. Endlich kam er dazu, den Schichtplan zu öffnen, den er sich hatte ansehen wollen. Fleetfire hin oder her – gerade von diesem Typen wollte er sich nicht davon abhalten lassen, etwas Produktives zu tun. Es reichte ja, wenn Fleetfire untätig herum saß und die Wingstons dabei teure Credits kostete. Zwei Versionen des Schichtplans befanden sich auf seinem Datapad. Aus einem Impuls heraus löschte Exodus den Schichtplan für drei mögliche Piloten von seinem Datapad und öffnete stattdessen die Version, die auf zwei Piloten – Da’nel und Fleetfire – ausgerichtet war. Ein bisschen mehr Arbeit würde diesem Burschen nicht schaden.

„Ah!“

meldete sich die Nervensäge wieder zu Wort und als Exodus aufsah, hing Fleetfire noch ein Stück weiter über dem Tisch, unverblümt auf das Datapad starrend.

„Ist das der neue Schichtplan?“

„Ja, genau.“

Mit tief zusammengezogenen Augenbrauen fixiert Exodus den Piloten. Der Typ nahm sich zu viel heraus. Viel zu viel. Ärgerlicherweise schien ihm gerade das unbändige Freude zu verschaffen. Wieder strahlte er Exodus dümmlich an und der Vizepräsident bemerkte ein unruhiges Zucken in seiner linke Hand.

„Darf ich mal sehen?“

Instinktiv legte Exodus seine Rechte über das Display und versperrte Fleetfire somit den Blick. Die Geste war eindeutig.

„Nein.“

„Aber … hatten Sie nicht gesagt, Sir, dass sie den Plan heute noch vorstellen?“

Fleetfire zog neugierig die Augenbrauen hoch. Zusammen mit seiner übergroßen Brille und diesen scheußlich unordentlichen Haaren, unter denen seine Brauen nun verschwanden, sah er einfach nur lächerlich aus.

„Jaah … später. Nicht jetzt.“

„Ah.“

machte der Pilot wieder wissend und Exodus ballte die Linke instinktiv zur Faust, ehe er sich zum Durchatmen zwang und sie langsam wieder löste. Trotzig griff er nach seinem Brötchen und biss hinein. Sein Magen schmerzte immer noch, doch der eben noch aufkeimende Appetit war ihm wieder vollends vergangen. Einige Sekunden lang hielt Fleetfire die Klappe und Exodus kaute mechanisch auf seinem Brötchen herum.

„Hat Giselle den gemacht?“

Ein plötzliches Husten überkam Exodus bei Fleetfires Worten und er brauchte mehrere Schlucke Wasser, bis er den Bissen wieder aus seiner Luftröhre befördert hatte. Unruhig fuhr er sich über die Stirne, wo sich ein kleiner Schweißtropfen gebildet hatte. Fleetfire war das alles nicht entgangen und dennoch sah er seinen Chef nur erwartungsvoll an.

„Ja.“

Konnte dieser Typ nicht endlich mal Ruhe geben?

„Gut!“

Fleetfire strahlte ihn an, wieder einmal. Ihm musste nur allzu bewusst sein, wie sehr dieser Gesichtsausdruck Exodus provozierte.

„Dann kann ich ja gleich mal mit ihr über den neuen Plan reden. Ich kenne meine Schichten ja noch nicht. Sollte ich aber wohl wissen, denke ich. Ist ja wichtig für meine Planung, Sir.“

Wie ein Engel saß er dort auf der Bank, die Hände auf dem Tisch zusammengefaltet und die Storchenbeine darunter lässig ausgestreckt. Sein scheinheiliger Gesichtsausdruck verriet nichts von seiner Hinterlistigkeit, doch Exodus spürte den Dolch in seinem Herzen deutlich pochen.

„Giselle ist nicht hier.“

„Wo ist sie denn?“

„Nicht hier.“

Sie war weg. Fort aus dem Camp, fort vom Projekt, fort aus seinem Leben. Sie würden noch einen kurzen professionellen Abschied haben, aber das würde es dann auch gewesen sein. Wusste Fleetfire darüber Bescheid? Pisackte er ihn deshalb so penetrant? Hatte sie etwa noch mit ihm geredet? Oder mit Jak? Hatte sie den anderen erzählt, was vorgefallen war? Wusste etwa schon das ganze Camp von seinem Versuch, sie erneut in sein Bett zu bekommen? Und von ihrer ersten gemeinsamen Nacht? Exodus verengte seine Augen zu Schlitzen. Was wusste dieser grinsende Schwachkopf alles?

„Wann kommt sie denn wieder?“

„Keine Ahnung.“

Fleetfire wirkte übermäßig irritiert.

„Aber Sir – sie sind doch hier der Projektleiter. Wieso … ich meine: Sie wissen doch sonst über alles Bescheid?“

Mit einem Ruck drückte Exodus sich von der Bank hoch, so dass sie nach hinten weg in den Sand kippte. Das war zu viel! So viel schamlose Respektlosigkeit musste sich Exodus Wingston nicht gefallen lassen. Sein wütender Blick durchbohrte Fleetfire, der jetzt zum ersten Mal eine Regung zeigte, die Exodus nicht gespielt vorkam: Schrecken.

„Ich weiß es nicht, okay?! Ich weiß es es einfach nicht! Sie wird irgendwann wieder kommen, okay? Aber sie wird nicht mehr über die Schichtpläne sprechen. Das werde ich tun.“

Exodus‘ Finger krallten sich in das Holz des langen Frühstückstisches und diesmal war er es, der sich nach vorne beugte. Seine Stimme war ein bedrohlich unterdrücktes Flüstern, das eigentlich ein wütendes Schreien hätte werden sollen. Doch so weit hatte Exodus sich noch unter Kontrolle. Noch – bis Fleetfire es erneut wagte eine Bemerkung zu machen.

„Aber Sir – genau das wollte ich doch gerade tun. Mit Ihnen die Pläne durchgehen.“

„Verdammt Fleetfire!“

blaffte Exodus seinen Piloten lautstark an und ließ seinen rechten Zeigefinger wütend vor dessen Gesicht kreisen.

„Ich bin hier der vedammte Chef! Ich! Ich mache die Regeln! Vergessen Sie Giselle und – verdammt nochmal – hören Sie auf mich zu nerven!“

Sauer grabschte Exodus erst das Datapad, dann sein Brötchen und stieg dann über die umgekippte Bank hinweg. Bloß weg hier, bloß raus aus dem Scheinwerferlicht. Dieser bescheuerte Vollidiot! Wieso hatte er ihn auch provozieren müssen? Wieso? War er wirklich einfach so boshaft? Wollte er die Stellung seines Chefs vor versammelter Mannschaft untergaben? Vermutlich war ihm das gelungen, doch es war Exodus egal. Diese Leute arbeiteten für ihn und sie hatten zu tun, was er sagte! Ungesehen lief der ehemalige Sith in die unbeleuchteten Gänge zwischen den Zelten, steckte sich das Brötchen in den Mund und verließ das Camp in Richtung des Strandes. Er brauchte sie nicht. Er war nicht auf sie angewiesen. Giselle wollte gehen? Gut, sollte sie doch! Er kam schon alleine zurecht.

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Strand ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel –

Seit einigen Stunden bereits hatte Giselle das Gefühl, dass sie nicht länger allein war. Es war nicht offensichtlich, weder hörte sie das verräterische Knacken von Ästen unter unvorsichtigen Tritten, noch raschelte es in den Büschen und sie sah auch nicht das Glühen gieriger Augenpaare, die aus dem Unterholz heraus lauerten und lediglich auf eine Gelegenheit warteten, über sie herzufallen. Viel mehr war es ein Gefühl, das Giselle beschlich. Manchmal hörte sie in einiger Entfernung eine Grille zirpen, die urplötzlich verstummte und manchmal schien sie einen Blick auf sich zu spüren, den sie nicht abstreifen konnte. Die meiste Zeit über ging Giselle ohne künstliches Licht. Nur manchmal, wenn der Boden ihr zu unvorhersehbar erschien oder es zu dunkel wurde, um überhaupt noch einen Weg vor sich zu finden, aktivierte sie den handlichen Glühstab, den sie bei sich trug. Sie hielt ihn stets niedrig auf den Boden gerichtet und vermied es, unnötig in die Büsche und Bäume um sie herum zu leuchten, um die Tiere nicht zu stören, die von der Dunkelphase auf Fresia profitierten. Die Dunkelphase hatte die Kette von Ereignissen, die schließlich dazu geführt hatte, dass Giselle in diesem Moment alleine durch den dunklen Dschungel wanderte, überhaupt erst in Bewegung gesetzt. Ohne die schützende Dunkelheit im Rücken hätte sich der Mon Calamari Junge sehr wahrscheinlich gar nicht getraut, die Plattform mit den Lumium-Vorräten in Brand zu stecken. Ohne den Brand und seine Folgen wäre Giselle nicht zu Exodus gegangen, um die Nacht mit ihm zu verbringen, sie hätten sich nicht gestritten und sie hätte sich nicht dazu gezwungen gesehen, zu kündigen. Diese Zwischenfälle alle aufzuschlüsseln war einfach, doch auch damit konnte nichts davon ungeschehen gemacht werden. Es war auch nicht so, dass Giselle bereute, vor zwei Nächten zu Exodus gegangen zu sein. Sie hatte es aus Überzeugung getan und weil es das Richtige gewesen war und sie würde es wieder tun. Sie wünschte lediglich, Exodus hätte damit umzugehen gewusst, dass es ein freiwilliges Geschenk gewesen war und er nicht einfordern konnte, was nicht ihm gehörte.

Das schwache Licht des Glühstabes wies Giselle den Weg auf dem steinigen Untergrund. Das Problem, wenn sie die Lampe aktivierte war, dass fast augenblicklich Insekten und Falter von der attraktiven Helligkeit angezogen wurden. Eine juckende Stelle auf Giselles Unterarm verriet ihr, dass sie bereits gestochen worden war. Die Vahla durchquerte felsiges Gelände und zu ihrer Rechten hatte sich eine mächtige mit Moos überzogene Steinwand aufgebaut. Es war eine Überlegung wert, hier ihr Lager für die Nacht aufzuschlagen, dachte sie wage und hob den Glühstab etwas höher, um die direkte Umgebung einer kurzen Musterung zu unterziehen. Giselle war schon lange auf den Beinen und hatte bereits eine ordentliche Strecke zu Fuß zurück gelegt. Der schwache Lichtkegel schwebte in ihrer erhobenen Hand direkt neben ihrem Kopf und ließ sie mehrere große Felsen erkennen, zwischen deren Spalten jedoch genügend Gras wuchs, um es sich dort bequem zu machen. Auf der gegenüberliegenden Seite der mächtigen Steinmauer drängten sich mittelhohe Bäume mit verwobenen, dünnen Ästen, die wie Spinnennetze wirkten. Die Vielfältigkeit dieser Insel war berauschend, dachte Giselle nicht zum ersten Mal, schwenkte den Glühstab noch ein wenig zur Seite, um noch mehr erkennen zu können und pausierte mitten in ihrer Bewegung, als direkt vor ihr wie aus dem Nichts ein Mon Calamari erschien, der in der Dunkelheit auf sie gewartet hatte.


“Os'wa'schau.“

Giselle hörte die Begrüßung des Nichtmenschen, noch bevor sie selbst etwas sagen konnte. Sie nickte ihm zu und senkte den Glühstab, so dass sein Gesicht wieder mehr im Schatten lag. Hinter dem Mon Calamari traten zwei seiner Gefährten zwischen den Bäumen hervor.

“Os’wa’schau.“

Erwiderte sie den Gruß schließlich fest und einen Moment herrschte Stille. Sie war sich sicher, dass die Mon Calamari, die ihr gegenüber standen, jene waren, denen sie zuvor bereits zweimal begegnet war. Einmal hatten sie Exodus und sie mit ihren Speeren in die Flucht geschlagen.

“Wir gehört, du kommen.“

Sagte der Fremde.

“Haiur gesagt und wir warten hier.“

Drei Augenpaare, zwar nicht glühend und geheimnisvoll, aber abwartend vorsichtig, waren auf Giselle gerichtet und zum ersten Mal schienen sie bereit zu sein, wirklich mit Giselle zu reden. Haiur hatte das Dorf also erreicht, den Jungen nach Hause gebracht und den Mon Calamari gesagt, Giselle würde zu ihnen kommen. Er hatte nicht wissen können, ob sie tatsächlich kam, aber dennoch Recht behalten. Vermutlich hatte er gewusst, dass sie beenden würde, was sie begonnen hatte. Der Frieden mit den Mon Calamari und ihr Einverständnis, dass die Wingston Corporation hier arbeitete, waren essentiell für das gesamte Projekt.

“Und wo ist Haiur jetzt?“

Fragte Giselle, die die Antwort bereits ahnte. Der Mon Calamari vor ihr schien sich zu straffen.

“Dorf.”

Erwiderte er steif.

“Wir dich bringen zu Dorf.“

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – Mit 3 Mon Calamari -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp ]

Die Stimmung im Camp blieb den ganzen Tag über angespannt. Exodus‘ kleiner Ausbruch gegenüber Fleetfire hatte sich – wie erwartet – schnell herumgesprochen. Seine schlechte Laune half nicht gerade, die Anspannung im Team wieder zu lösen. Jeder, der ihm in den Stunden nach Giselles Kündigung in irgendeiner Weise auf die Nerven ging, bekam entweder eine patzige, zumindest aber eine kühle Antwort. So sehr wie beim Frühstück gegenüber Fleetfire ließ Exodus sich nicht mehr gehen, doch er spürte, wie sich mit jeder kleinen Auseinandersetzung eine neue Dunkelheit über das Camp legte. Man ging ihm aus dem Weg, niemand wollte mehr Nachfragen stellen. Weil Exodus selbst wiederum keine Lust verspürte, auf solche Fragen zu antworten, die Thematik des neuen Schichtplans aber immer noch ungeklärt war, hängte er die Übersicht ohne weitere Worte in der Mitte des Camps auf. Sollten sie doch selbst sehen, was Sache war. Sollten sie doch nach Giselle suchen, wenn sie Antworten haben wollten. Giselle – ihrer aller Liebling. Pah.

Um sich abzulenken, zog Exodus sich in das Verwaltungszelt zurück und machte sich daran, die am Morgen begonnene Arbeit zu beenden. Ihn beherrschten zutiefst widersprüchliche Gefühle. Er wollte allein sein, doch nicht allein mit seinen Gedanken. Wenn er sich im Camp umher bewegte, überkam ihn der Drang zu verschwinden. Saß er alleine am Strand, wollte er flüchten, vor den Gedanken an Giselle.
Hier im Zelt hing noch ein Hauch ihrer Aura und Exodus sog dieses Echo ihrer Präsenz ein, wie den sich verflüchtigenden Duft eines Parfüms. Es quälte und erleichterte ihn gleichermaßen. Es war eine Qual zu wissen, dass sie irgendwo dort draußen war und er sie nicht mehr haben würde. Doch es leichterte ihn, sie jetzt in diesem Moment noch einmal zu spüren. Selbst wenn dieses Gefühl größtenteils auf Einbildung beruhen mochte. Die Arbeit erledigte er ähnlich langsam wie heute Morgen, als er noch neben Giselle gesessen hatte, doch irgendwann beendete er seine Kalkulationen. Als er das Zelt verließ, fühlte er sich wie befreit und gleichzeitig doch allein.

Der einzige, der ihn tatsächlich noch unbefangen anzusprechen wagte, war Dan’el. Der Pilot schien von den anderen zu einer Art Sprachohr auserkoren worden zu sein, denn als er Exodus bei der Planung der Platzierung des neuen Lumium-Lagerplatzes aufsuchte, brachte er den bisher einmal ausgesprochenen, aber immer noch ungeklärten Punkt zur Sprache:


„Sir … der Schichtplan, den Sie ausgehangen haben. Der ist doch von Giselle entworfen worden, oder? Einige Leute haben noch ein paar Fragen dazu und würden gerne wissen, wann Giselle wieder kommt.“

Exodus maß mit großen Schritten die Stelle ab, wo er sich die großen Lagerbehälter gut vorstellen könnte und sah Dan’el nicht an.

„Giselle ist nicht hier, Dan‘el.“

Das war nicht die Antwort auf Dan’els Frage gewesen. Sie beide wussten das.

„Sir – hat sie Ihnen nicht gesagt, wann sie wieder da ist?“

Ruckartig drehte sich Exodus zu seinem Piloten um und funkelte ihn wütend an.

„Nein, Dan’el. Das hat sie nicht. Ich weiß nicht, wann sie wiederkommt.“

Sein Ton war bestimmend und kalt und etwas veränderte sich in Dan’els ansonsten so disziplinierter Miene. War es Angst? Hatte die Crew Angst vor ihm? Wussten sie um seine Vergangenheit und fürchteten sie, dass er noch ausfallender würde, wenn sie die falschen Worte sagten? Bevor die Bedeutung des Gedankens wirklich bei Exodus angekommen war, hatte Dan’el sich schon abgewandt. Irgendetwas hatte er noch gemurmelt, doch das leichte Rauschen in Exodus‘ Ohren hatten die Worte übertönt. Vermutlich hatte er sich abgemeldet, wie er es beim Militär gelernt hatte.

Erst zwei Stunden später wurde ihm bewusst, was passiert war und was er zu tun hatte. Dies war kein Zustand, der lange im Camp herrschen sollte. Seine schlechte Laune würde das Team lähmen und damit würde er es nur noch schlimmer machen. Giselle hatte gekündigt und sie alle mussten dies akzeptieren. Im Camp schien sich niemand lange in seiner Nähe aufhalten zu wollen, doch als Exodus nach Fleetfire fragte, gab man ihm nach einigem Zögern schließlich doch eine Antwort. Er war beim Anlegeplatz, Vorbereitungen für den nächsten Tag treffen. Exodus war einigermaßen überrascht über diese Aussage. Irgendwie hatte er erwartet, der Pilot würde sich nach seinen Schichten möglichst schnell ins Zelt zurückziehen und die Beine hochlegen.
Die Strecke bis zur Bucht legte Exodus zu Fuß zurück, um sich Worte zurecht zu legen und den Tag zu überdenken. Es war einiges schief gelaufen. Giselles Kündigung war ein Erdbeben gewesen, das mehrere kleinere Eruptionen zur Folge gehabt hatte. Zumindest die Schäden einiger dieser Ausbrüche konnte er selbst beheben.

Er fand Fleetfire auf dem Deck des Gleiters. Der Pilot sah ihn von weitem kommen und hielt inne, bis Exodus den langen natürlichen Felssteg zu ihm überquert hatte. Die beiden Männer sahen sich in die Augen. Exodus war der erste, der die Stimme erhob.


„Fleetfire, das mit heute Morgen …“

Keine Begrüßung, er wollte direkt zum Punkt kommen. Es kostete ihn ohnehin große Überwindung die Worte auszusprechen.

„Das tut mir leid.“

Exodus zwang sich den Blick zu halten. Wenn er jetzt wegsah, würde die Entschuldigung unehrlich wirken, auch wenn er befürchtete, den Triumph in den Augen seines Gegenüber lesen zu müssen.

„Das war unprofessionell und hätte so nicht passieren dürfen.“

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Exodus konnte nicht abschätzen, wie sehr Fleetfire die morgendliche Auseinandersetzung wirklich verärgert hatte. Im Camp hatte sie zumindest Entrüstung hervorgerufen. Der Pilot betrachtete seinen Vorgesetzten lange, zuckte schließlich lässig mit den Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Jeder hat mal einen schlechten Tag, Sir.“

Exodus nickte langsam und blickte mit verschränkten Armen hinaus zum Meer. Jeder hatte mal einen schlechten Tag. Wie lange würde seiner noch dauern?

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – Plateau über Mon Calamari Dorf -

Unter ihr lag der Dschungel. Ganz Palm Island schien zu ihren Füßen zu liegen. Giselle Givenchy saß hoch über den Dächern des Mon Calamari Dorfes, in das man sie gebracht und in dem sie Haiur wieder getroffen hatte, doch sie sah nicht viel. Nur die hellen Lichter der Lagerfeuer verrieten, dass sich das Dorf direkt unter ihr befand. Es war ein ruhiger, friedlicher Anblick. So wild und bedrohlich die Krieger der Mon Calamari, die die Wingston Corporation ein ums andere Mal aufgesucht hatten, auch gewirkt hatten, hier war von dem Zwist nichts mehrs zu spüren. Das Dorf der Einmischen war wie jedes andere Dorf: nicht bestimmt durch die Krieger und Jäger, sondern durch die Frauen und Kinder, die es mit Leben, Lachen und Geschichten füllten. Sie saßen am Feuer und rührten in Töpfen, die gefüllt waren mit heißen, schmackhaften Suppen. Sie brachten die Ernte aus ihren Gärten, die außerhalb lagen, heim. Sie schälten Gemüse, flickten Decken und gerbten die Felle der Tiere, die ihre Männer auf der Jagd erlegt hatten Giselle kannte diesen Rhythmus. Sie hatte ihn selbst lange gelebt, denn sie war aufgewachsen in einer Gemeinschaft, die dieser nicht unähnlich war. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so wohl hier, dachte sie, als sie die Beine anzog und die Arme um ihre Knie legte. Sie suchte immer nach einem Weg, all die Dinge wieder zu finden, die sie verloren hatte.

Sie spürte Haiurs Präsenz, noch bevor sie ihn neben sich traten sah. Der Mon Calamari hatte sich ihr leise genähert und setzte sich neben sie. In seiner Hand hielt er eine lange Fackel. Sie hatten heute gemeinsam den Berg bestiegen, nachdem Giselle die letzten drei Tage über die Gastfreundschaft der Mon Calamari beansprucht hatte und im Dorf geblieben war. In dieser Nacht würden sie auf dem breiten Felsplateau schlafen und morgen früh von hier den Sonnenaufgang bestaunen, wenn die Dunkelheit sich wieder zurück zog.


“Hier, iss was.“

Haiur reichte ihr ein Stück Pökelfleisch, doch Giselle schüttelte den Kopf.

“Ich bin nicht mehr hungrig, danke“

Lehnte sie ab. Im Licht der der Fackel konnte sie erkennen, dass sich Haiurs Nasenlöcher für einen Moment fast schnaubend aufblähten. Sie hatte diese Art der Mimik bei ihm beobachtet. Er tat dies immer, wenn ihm etwas nicht gefiel.

“Du isst zu wenig.“

Rügte er sie und verriet damit, dass auch er einige Beobachtungen gemacht und sich seinen Teil dazu gedacht hatte. Giselle lächelte.

“Ja, ich weiß“

Antwortete sie. Sie hatte etwas abgenommen, aber sie hatte einfach selten Appetit.

“Was denkst du, wann wir morgen aufstehen müssen?“

Wollte sie wissen. Nachdenklich studierte Haiur den dunklen Himmel, als gäbe es dort etwas anderes zu sehen als das große schwarze Loch, das sich Nacht nannte und sie zu verschlucken drohte.

“Wir haben noch etwa sechs Stunden.“

Sagte er. Giselle reckte sich und streckte ihre Beine aus. Hinter ihnen war bereits ihr Nachtlager aufgebaut.

“Dann lege ich mich jetzt hin. Ich bin müde.“

Sagte sie und stand auf. Der Anstieg war anstrengend gewesen und sie war unterwegs einmal gestolpert und hatte sich heftig das Bein an einem umgestürzten Baum angeschlagen. Vorsichtig befühlte sie die betreffende Stelle, die sich in den nächsten Tagen sehr wahrscheinlich dunkel färben würde.

“Hast du noch Schmerzen?“

Wollte Haiur wissen. Giselle wiegte den Kopf.

“Es geht.“

Erwiderte sie und Haiur nickte.

“Du hast noch immer nicht gegessen.“

Wies er sie ruhig darauf hin, dass ihm bewusst war, dass sie vom eigentlichen Thema abgelenkt hatte. Giselle lächelte, den Kopf von ihm abgewandt.

“Nein und das werde ich auch nicht mehr. Morgen früh.“

Antwortete sie.

“Hmm. Essen alle deines Volkes so wenig?“

“Nein, nicht alle.“

Jetzt musste Giselle lachen. Sie hatte sich bereits von dem Felsvorsprung abgewandt und war zu ihrem Schlafplatz gegangen, wo sie eine zusätzliche Jacke für die Nacht aus ihrem Rucksack holte.

“Nur ich“

Nur sie. Es war wieder eine mondlose Nacht. Die Wolken hatten alles Licht zugedeckt, das ihnen vom Himmel aus hätte leuchten können, fast so als solle sich alles schlafen legen, um in ein Paar Stunden wieder für mehrere Wochen zu verschwinden und erst wieder aufzusteigen, wenn sich der ewige Rhythmus einmal mehr wiederholen würde. Giselles Mission hier war erfüllt. Die Mon Calamari hatten Frieden gegenüber der Wingston Corporation versprochen. Der Junge, der das Feuer auf der Plattform gelegt hatte, hatte nicht im Namen seines Stammes gehandelt. Er war verschreckt gewesen, hatte die Gespräche und Ärgernisse der Erwachsenen gehört, die in Exodus Wingston und seiner Mannschaft eine Bedrohung gesehen hatten, und schließlich beschlossen selbst zu handeln. Bei dem Feuer auf der Plattform wäre er fast ums Leben gekommen und Giselle hatte den Mon Calamari gesagt, wer ihn gerettet hatte. Sie konnte nicht sagen, ob die Mon Calamari nicht noch immer um ihren Lebensraum fürchteten, doch sie würden den friedlichen Weg suchen, wenn sie auch in Zukunft Bedenken hatten.

“Gute Nacht.“

Sagte Giselle, als sie sich in ihre Decke legte. Es gab keine Sterne, zu denen sie hätte aufsehen können. Als Kind hatte sie gelernt, dass es die Sterne waren, die die Träume zu ihr brachten, wenn sie schlief. War der Himmel jedoch dunkel, würde sie am nächsten Morgen traumlos aufwachen. Heute wusste sie, dass das nur eine Geschichte war, die man Kindern erzählte. Die Sterne waren nicht für ihre Träume verantwortlich. Trotzdem wünschte sie manchmal, sie wären es. In einer Nacht wie dieser hätte sie die Sicherheit gehabt, dass sie nicht von Exodus träumen würde


- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – Plateau über Mon Calamari Dorf – Mit Haiur -
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp ]

Die Entschuldigung an Fleetfire brachte nur mäßigen Erfolg. Zwar gab sich der Pilot gegenüber seinem Vorgesetzten wieder normal – wenn er auch auf das spöttische „Sir“, mit dem er Exodus immer ansprach, nicht verzichten wollte – doch das galt nicht für alle Mitglieder ihres Teams. Immer wenn Exodus auftauchte, schienen sich kleinere Gruppen aufzulösen oder man gab ihm nur knappe, kurzangebundene Antworten. Er war sich nicht sicher, ob Fleetfire den anderen überhaupt von ihrem kurzen Gespräch erzählt hatte – oder aber, ob es ihnen nicht ausreichte. Sein abendlicher Versuch, mit der Information über Giselles Verbleib und das hieß über ihren Ausflug zu den Mon Calamari zu punkten, schlug ebenfalls fehl. Die Skepsis, die das Camp seiner Person gegenüber befallen hatte, blieb und er spürte sie nur allzu deutlich. Es war nie sein Wunsch gewesen, ein Teil dieser Gruppe zu sein, mit ihnen zu trinken und zu feiern, doch die Isolation tat ihm ebenfalls nicht gut. Sie erinnerte ihn nur allzu sehr an das, was er verloren hatte. Denn wäre Giselle noch hier, sähe die Situation in vielerlei Hinsicht völlig anders aus.

Am nächsten Morgen versuchte er, seine normale Frühstücksroutine aufrecht zu erhalten – denn wenn er sich normal verhielte, so malte er sich aus, würde auch das Camp bald begreifen, das alles wieder seinen üblichen Gang gehen konnte. Er begegnete Dan’el am Buffet und da am vorherigen Abend Grav-Ball-Matches ausgetragen worden waren, konfrontierte er seinen Piloten auf freundlich-scherzhafte Art und Weise mit ihrer alten Diskussion um den besten Spieler. Doch anders als sonst gab Dan’el kaum Paroli und zeigte sich distanziert. Er stimmte seinem Chef sogar mit belegter Stimme zu, dass Ruellis, Exodus‘ Lieblingsspieler, mit seinem Können als Mittelfeld-Regisseur den Unterschied ausmachte – eine Tatsache, die er bisher stets verneint und vehement bestritten hatte. Statt sich mit dem ehemaligen Soldaten an den Tisch zu setzen und das Gespräch weiter zu führen, belud Exodus nur seinen Teller und verschwand wieder in Richtung seiner Hütte. Er hatte Dan’els Botschaft verstanden: Dort, beim Team, war er nicht mehr erwünscht.

Die nächsten Tage verbrachte Exodus größtenteils isoliert in seiner Hütte und mit steigendem Frust. Er versuchte sich mit Arbeit abzulenken, doch der Wunsch, Giselle wieder an seiner Seite zu wissen, wurde stündlich größer. Morgens und abends, wenn er in seinem Bett lag, stellte er sich vor, sie läge noch immer nackt neben ihm, auch wenn sich ihr Duft längst aus seinem Bettlaken verflüchtigt hatte. Einmal erwischte er sich dabei, wie er in seinem Sessel sitzend minutenlang auf die Wand der Hütte starrte, gegen die er Giselle bei ihrem Liebesspiel gedrückt hatte. Wenn er nur die Augen schloss, konnte er ihren warmen Körper dicht an seinem fast noch spüren. Dann wieder zwang er sich, die Dinge zu regeln, die für den zweiten Anlauf des Lumium-Abbaus wichtig waren: Aufbewahrungsbehältnisse an Land, eine neue Plattform und verschiedene technische Geräte beschaffen. Doch über all diesen Vorbereitungen schwebte immer die eine Frage: Würde die Stimmung im Camp so bleiben? Lohnte es sich für ihn überhaupt noch hier zu bleiben? Ohne Giselle und ohne anderweitige Freuden? Er fühlte sich wie ein Sterbender, dessen Blut langsam aus seinem Körper rann, während er darum kämpfte, nach überlebenswichtiger Luft zu schnappen.

Ein Anruf seines Vaters präsentierte ihm plötzlich die Lösung für dieses Problem auf einem goldenen Tablett: Alad Wingston lud seinen Sohn zu einem wichtigen Geschäftsball ein, auf dem sie mehrere Deals einfädeln könnten – auf Coruscant. Es war die perfekte Gelegenheit von Fresia zu verschwinden, das alles hinter sich zu lassen und dem Projekt zumindest für eine kurze Zeit den Rücken zu zu kehren. Gleichzeitig wusste Exodus, dass ihm das alles nicht gefiel. Zum einen gab es, jetzt wo Giselle gekündigt hatte, niemanden mehr, der die Leitung des Camps für mehrere Wochen übernehmen konnte. Doch zum anderen – und das war das wesentlich schwerwiegendere Contra – verbaute er sich damit seine allerletzte Chance Giselle zu treffen. Sie wusste noch nicht, was sie in Zukunft tun würde, das hatte sie ihm gegenüber gestanden. Es war durchaus möglich, dass sie noch länger auf Fresia blieb, in Hill City vielleicht, denn sie liebte diesen Planeten, das war ihr jederzeit anzusehen gewesen. Sie in Hill City und er hier auf Fingers Mark – das könnte sogar funktionieren. Wäre er aber erst einmal auf Coruscant gab es diese Verbindung nicht mehr. Sie wäre vollkommen aus seiner Reichweite. Und wer wusste schon, ob sie noch in Hill City weilen würde, wenn er wiederkäme?

Auch wenn ein Hyperraum-Flug von Fresia nach Coruscant vergleichweise kurz dauerte, würde Exodus bald zu diesem Ball aufbrechen müssen. Auch wenn es sich in seinem Kopf wie eine Wahl dargestellt hatte – sein Vater hatte deutlich gemacht, dass er seinen Sohn für dieses Ereignis an seiner Seite brauchte. Das Projekt Fingers Mark hatte zu viel Geld gekostet, als dass sie sich gute Geschäftsgelegenheiten einfach so entgehen lassen konnten. Ihm blieben nur noch wenige Tage, dann waren jegliche Chancen vertan, dann würde Giselle aus seinem Leben treten. Wie lange würde er brauchen, bis er sich nicht mehr nach dem Geschmack ihrer Lippen sehnte, nach ihrer Haut auf seiner, nach ihrer herrlichen Aura, die er über die Macht so gerne umschmeichelte? Welche Frau würde es schaffen können, Giselle aus seinem Gedächtnis zu verbannen?
Keine.
Es war eine schmerzhafte Wahrheit, doch er wusste es ganz genau. Er hatte es schon in ihrer gemeinsamen Nacht gewusst. Die Vahla war anders als andere Frauen. Er musste sie wiedersehen und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Hier im Camp war er unerwünscht und Giselle war streng genommen immer noch für ihn erreichbar, auch wenn sie sich ihm bewusst entzogen hatte. Sie war zu den Mon Calamari aufgebrochen und auch wenn er sie nur auf ihrem Rückweg abfangen würde – das waren die Stunden, die er noch mit ihr verbringen konnte. Das waren die letzten Stunden, die allerletzten wahrscheinlich und er würde diese Zeit ausnutzen. Kein Mon Calamari würde sich ihm diesmal in den Weg stellen, kein Jak, kein Dan’el oder Fleetfire. Kein Fluss, kein Meer, kein Dschungel. Wild entschlossen schnappte sich Exodus die wenigen Dinge, die er brauchen würde: Feste Schuhe, möglichst wasserfeste Kleidung, eine Ration zu Essen und zu Trinken – und sein Lichtschwert. Dann brach er auf in den Dschungel um Giselle ein letztes Mal zu finden.


[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – auf dem Weg in den Dschungel ]
 
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- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – Plateau über Mon Calamari Dorf – Mit Haiur -

Die Dämmerung weckte Giselle. Wie in Zeitlupe schienen Licht und Dunkelheit zuerst ineinander über zu gehen und dann ihre Plätze zu tauschen. Die Vahla schälte sich unter ihrer Decke hervor, reckte sich und rieb sich das Gesicht. Ihre Schultern schmerzten ein wenig von dem harten Steinboden, auf dem sie gelegen hatte, doch ihrem Bein schien es besser zu gehen, wie sie fest stellte, als sie aufstand. Sie machte ein paar Schritte und blieb am Felsvorsprung stehen, ihren Blick hinunter auf die schwarzen Wälder gerichtet, die sich nun in einem starken Kontrast gegen den inzwischen tiefblauen Himmel abhoben

“Haiur?“

Giselle drehte den Kopf in Richtung ihres Freundes. Der Mon Calamari bewegte sich auf seinem Nachtlager, das er auf der anderen Seite des kleinen Feuers errichtet hatte, gegenüber Giselles. Er war wach. Sie schwiegen im Morgengrauen, als sie gemeinsam am Randes des Felsplateaus standen, die Augen fest auf den schmalen Streifen von Licht gerichtet, der sich am Horizont auftat. Schon bald begangen die wenigen Wolken, die den Himmel noch schmückten, Licht der aufgehenden Sonne zu glühen, die schließlich, der mächtige Feuerball der sie war, in der Ferne im Meer auftauchte und über Wasser und Bäume stieg, alles um sich herum in rote Glut tauchend. Jeder Sonnenaufgang, dachte Giselle, war auch ein Neubeginn. Auf Fresia begann eine neue Phase des Lichts und für sie wieder einmal ein neuer Abschnitt in ihrem Leben. Sie war ohne große Erwartungen nach Palm Island gekommen, hatte ein spontanes Angebot angenommen und das Beste daraus gemacht. Die Zeit hier war kurz gewesen, aber intensiv, und rückblickend wollte sie sie nicht missen, auch wenn sie sich gewünscht hätte, der Mann, den sie kennen gelernt hatte, hätte ein anderes Ende zugelassen als das, das Giselle letztendlich hatte wählen müssen. Sie warf einen letzten Blick hinunter in den Dschungel, als der Morgen angebrochen war. Von hier oben sahen die kleinen Steinhäuser der Mon Calamari aus wie Felsbrocken, die ein umtriebiger Riese einfach in den Wald hinein geworfen hatte. Dann stiegen sie gemeinsam wieder den Berg hinab, Haiur und Giselle, und verabschieden sich an seinem Fuße, von wo aus sie in unterschiedliche Richtungen gehen würden. Haiur würde noch einige Tage im Dorf der Mon Calamari bleiben, bevor er wieder zurück nach Rings Island aufbrach und Giselle würde ihre letzte Wanderung durch den Dschungel machen, um sich dann von Dan'el oder Fleetfire zurück nach Hill City fahren zu lassen.

“Das ist dann wohl ein Abschied.“

“Sagte sie, als der Augenblick gekommen war.

“Ich danke dir für alles, für deine Hilfe und all die Dinge, die du mir gezeigt hast.“

Giselle hob ihre Hände vor ihre Brust, legte die Fingerspitzen aufeinander und faltete dann die Hände in einem Symbol des Respekts. Haiur beschrieb mit einer Geste einen großen Keis in der Luft.

“Pass auf dich auf, Giselle von Überall, und halte die Augen offen für die Heimat, nach der du suchst. Ich wünsche dir, dass du sie eines Tages findest.“


Fast zwei Tage hatte Giselle auf ihrem Hinweg zum Mon Calamari Dorf gebraucht, doch jetzt gestaltete sich der Weg zäher. Es fühlte sich an, als fehle ihr der Rückenwind, der sie bei ihrer nächtlichen Suche nach den Mon Calamari und ihrem Dorf begleitet hatte. Sie wusste jetzt, dass ihr nur noch wenig Zeit auf der Insel blieb und hinterfragte mit jedem Schritt die Entscheidung, die sie getroffen hatte, nur um immer wieder in dem selben endlosen Kreis zu landen, in dem sie sich bereits befand. Exodus und sie, das hatte eine zeitlang funktioniert, doch sie hatten sich ein Stück zu weit vorwärts bewegt und schienen jetzt nicht mehr kompatibel. Verschiedene Vorstellungen, verschiedene Sichtweisen... Giselle wusste nicht, was es war, doch sie schienen an unterschiedlichen Enden eines Seils zu ziehen, wenn sie doch eigentlich auf der gleichen Seite stehen sollten. Sie marschierte zwischen den Bäumen und sah zu, wie die Sonne langsam höher stieg. Wenn sie müde war, machte sie Rast. Giselle ließ sich Zeit und genoss die letzten Stunden, alleine in der Wildnis. Abends zündete sie ein kleines Feuer und briet Fisch, den sie in einem Bachlauf gefangen hatte. Es war unmöglich zu sagen, wo sie in einigen Tagen oder gar in einigen Wochen sein würde, doch Giselle war fast sicher, dass sie keinen Ort finden würde, der ihr solchen Frieden brachte wie die Inseln um Fingers Mark.

Sie wanderte durch hohes Gras, als sie das laute Röhren zum ersten Mal vernahm. Wachsam blieb Giselle stehen. Es hatte wie der ungehaltene Ruf eines wilden Tieres geklungen. Automatisch machte sie sich kleiner, bückte sich zwischen dem hohen Teppich aus Gras, das ihr bis zu den Hüften reichte und nahm gleichzeitig wahr, dass der Gesang der Vögel verstummt war. Unter ihr bebte die Erde. Mucksmäuschenstill blieb Giselle, wo sie war. Dann hörte sie es erneut: ein Rufen, das nicht nur ungehalten war, sondern wütend. Sie hörte das Stampfen von großen Schritten, als käme etwas auf sie zu, doch das flache Tal, in dem sie sich befand, machte es unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung die Geräusche zu ihr drangen. Irgendwo knackten Äste und ein dumpfer Aufprall erschütterte die Ebene, als sei ein Baum mitsamt seiner Wurzeln dem Boden entrissen und umgeworfen worden. Erst als ein Schwarm von Flugtieren aufgeschreckt in die Luft stob, konnte Giselle sicher sein, von wo aus das Lärmen kam. Langsam richtete sie sich wieder auf, ihr Blick auf den Waldrand gerichtet, der in der Ferne auf sie wartete. Ihr war bewusst, dass sie einen Umweg gehen und die vermeintliche Gefahrenzone vermeiden konnte. Welche Kreatur dort im Wald auch immer wütete, Giselle hatte die Möglichkeit sich fern zu halten – und dennoch wusste sie, dass sie es nicht konnte. Neugier und ihr innerer Drang nach Nervenkitzel überwogen, als sie sich ihren Weg durch das hohe Gras bahnte. Es war wie der Sprung von den Klippen, hinein in die alles zerschlagenden Wellen. Sie wusste, dass er gefährlich sein und tödlich enden konnte, und trotzdem konnte sie nicht widerstehen. Auf der einen Seite brauchte sie den Kick und wollte wissen, wie weit sie gehen konnte. Es war ein aufregendes Gefühl, etwas zu tun, von dem man wusste, dass es böse ausgehen konnte. Doch dies war noch längst nicht alles. Nach all den Jahren seit ihrer Verbannung suchte Giselle Givenchy noch immer ihre Strafe als Ausgleich dessen was sie Kaneshi angetan hatte. Diese Strafe konnte nur die hohe Göttin verhängen, doch Giselle sah es als ihre Pflicht, ihr ihr Leben anzubieten, wann immer sie konnte, um Kaneshis Leiden anzuerkennen und Nuema Versails Opfer auszugleichen. Es war das einzige, das sie tun konnte, um zu zeigen, dass sie gelernt hatte, bereute und bereit war, endlich das Richtige zu tun.

Die Baumwipfel schwankten ungewöhnlich heftig, als sich Giselle dem Waldrand näherte. Die wilden Rufe waren verstummt, doch sie hörte ein lautes, fast zufriedenes Knurren und dann und wann ein Schmatzen. Sie schlich leise in gebückter Haltung unter dem kühlen Schatten und den dichten Blätterdächern der Bäume, die die Sonne ausgesperrt hatten. Kein Ast knackte unter ihren Füßen, als sie sich von Baum zu Baum vorwärts bewegte. Vor ihr war nichts als friedlicher Wald. Nur die aufgewühlte Erde und die großen Fußabdrücke im Waldboden deuteten darauf hin, dass hier gerade noch ein Kampf statt gefunden hatte. Mit dem Blick folgte Giselle den Spuren, ehe sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Aus einem Versteck im Gebüsch sah sie ihn schließlich. Er war riesig, ein Gigant der Wildnis. Mit dem Rücken ihr zugewandt saß er im Gras unter den Bäumen und wirkte dabei friedlicher, als sie sich je hätte vorstellen können: ein Rancor. Giselle konnte nicht sehen, was er tat. Sie sah nur seine Hinteransicht und einmal kurz sein Profil, als es irgendwo im Wald knackte und er alarmiert den Kopf wandte. Dass sie ihn überhaupt aus solcher Nähe betrachten konnte, war ein Wunder. Selbst in seiner gegenwärtigen Sitzposition musste er drei Meter in der Höhe messen und es war gut möglich, dass er noch nicht ausgewachsen war. Giselle dachte an die Kralle eines Rancors, die in Jems Bar ausgestellt war und wünschte sich, Jem könnte sehen, was sie gerade sah. Er hätte es gemocht, dachte sie und bedauerte für ihren Freund, dass er nicht in der Lage war, sein Haus zu verlassen. Das, was sie sah war eines dieser Wunder, das sich Natur nannte.


- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – In der Nähe des Rancors -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – im Dschungel ]

Der Dschungel machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hatte. Zuvor, mit Giselle an seiner Seite, war es ihm leichter gefallen, auf die gefährlichen Wurzeln am Boden zu achten oder auf flauschig wirkende Pflanzen, die spitze Dornen unter ihren Blüten verborgen. Es war leichter gewesen, den Hindernissen am Boden, von der Seite und von tiefen Baumwipfeln hängend auszuweichen. Natürlich war das kein Wunder: Giselle kannte die Natur, Exodus nicht. Sie war seine Führerin gewesen. Er hatte seine Füße nur dorthin gestellt, wo sie zuvor entlang gelaufen war. Exodus war den Weg gegangen, über den Giselle und er schon einmal in die Tiefe des Dschungels vorgedrungen und auf die Einheimischen gestoßen waren. Zunächst hatte er die heilige Totenstätte der Mon Calamari angesteuert, bei der er es eine erste gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Crew-Mitgliedern und dem Stamm gegeben hatte. Danach hatte er sich am Fluss orientiert, den er und Giselle entlang gelaufen waren, war zum kleinen Wasserfall gekommen, den sie als Rutsche benutzt hatten und schließlich zu dem See, bei dem die Mon Calamari die traute Zweisamkeit des Projektleiters und seiner Assistentin so unhöflich gestört hatten. In dieser Richtung, sagte er sich, musste ihr Stammeslager liegen, denn andernfalls wären sie den drei Kriegern hier wohl nicht begegnet. Nur in welche Richtung er gehen musste – das blieb ihm schleierhaft. Also bemühte er sich, weiter die Richtung zu halten, in der Hoffnung, irgendwann auf einen der bemalten Mitglieder der Wasserspezies zu treffen. Auf dem Weg versuchte er sich an die wenigen Worte der Sprache der Mon Calamari zu erinnern. Oswaschau – so hatte Giselle die Eingeborenen stets begrüßt. Oswaschau. Seine Lippen formten stumm das fremde Wort. Mehr Diplomatie hatte er nicht zu bieten, sollten die Mon Calamari ihm hier begegnen. Oswaschau. Danach würde entweder sein Schwert sprechen oder sie würden ihn so zu Giselle bringen.

Es war schwierig im Dschungel zu Schlaf zu kommen. Ohne ein Zelt oder eine Möglichkeit, sich halbwegs geschützt oder bequem auszuruhen war kaum daran zu denken, wirklich zu schlafen. Schon vor Jahren hatte er sich die Meditationstechniken der Jedi abgewöhnt, die einem Machtnutzer erlaubten, tagelang ohne Schlaf auszukommen. Es war ihm normaler vorgekommen, sich wie alle anderen einem menschlichen Schlaf hinzugeben und nicht diesem obskuren Halb-Wach-Zustand der Jedi. Auch wenn die Macht immer ein Teil von ihm sein würde und er dies auch niemals verleugnet hatte, so war es ihm doch ernst damit gewesen, sich möglichst weit von der Abhängigkeit der Macht zu lösen. Auf die Meditation zu verzichten war einer dieser Schritte gewesen, auch im Hinblick auf Adrian, dem er immer gepredigt hatte, sich im Alltag nicht zu sehr auf die bequemen Vorteile der Macht zu verlassen. Die Meditation ermöglichte ihm jedoch, schneller auf Gefahren zu reagieren und in den wachen Zustand zurückzukehren und deshalb nutzte er sie hier im Dschungel. Seine Machtsinne konzentrierten sich ganz automatisch mehr auf Gefahrenquellen als sonst. Griff er in die Macht hinaus, dann nicht um möglichst viele Präsenzen – ob friedlich oder nicht – zu erfassen und die Welt um sich herum zu spüren. Er nutzte die Macht, um zu überleben, er nutzte sie, um seinen Instinkt zu schärfen. In diesen Zustand war er früher häufig verfallen, wenn er nur mit seinem Lichtschwert bewaffnet in den Kampf gezogen war. Der Dschungel machte ihn zum Jäger. Tiere, die ihn angriffen, tötete er. Da er keine Kenntnisse darüber hatte, wie er ihr Fleisch ohne ein Feuer genießbar verzehren konnte, ließ er ihre Kadaver meistens liegen. Zeigten sich die Tiere nicht aggressiv ihm gegenüber, ließ er sie passieren. Leben und leben lassen, so lautete seine Devise. Aber Aggressoren wurden bestraft. Er konnte es sich nicht leisten, eine Verletzung davon zu tragen oder anderweitig bei seiner Reise behindert zu werden.

Irgendwann hellte der Himmel auf und die Dunkelheit verschwand. Durch die Ereignisse mit und um Giselle, hatte er jegliches Zeitgefühl für die Tag- und Nacht-Wechsel von Fresia verloren. Die Meditation machte es nicht besser, denn sie brachte seinen Schlafrythmus vollkommen durcheinander. Der Tageszeiten-Wechsel überraschte ihn und gleichzeitig schalt er sich einen Idioten, weil die Tiere sich schon Stunden vor dem Sonnenaufgang anders verhalten hatten. Sie spürten diese Veränderungen, anders als er, der plötzlich und unvorbereitet wieder der Sonne entgegen blinzelte. Die ersten zaghaften Sonnenstrahlen, die schließlich durch das dichte Blätterdach ihren Weg auf seine Haut fanden, fühlten sich hingegen an wie reiner Hohn. Die aufgehende Sonne sollte eigentlich für einen Neuanfang stehen, für etwas Gutes. Stattdessen fiel bei ihm alles, was er sich in den letzten Wochen aufgabaut hatte, zusammen. Giselle würde ihm den Rücken kehren und auch wenn dieser Schritt für sie vielleicht der nächste kleine Neuanfang bedeutete, fühlte es sich für Exodus viel mehr wie das Ende von etwas an, das viel zu kurz gedauert hatte.

In seinen Ärger über die Sonnenstrahlen, die im dichten Nebel glitzerten, der den Dschungelboden seit dem Sonnenaufgang bedeckte, brach ein altes, neues Gefühl: Gefahr. Es wurde begleitet von einem Beben und das Laub um ihn herum erzitterte an den schwankenden Baumstämmen. Blitzschnell griff er in der Macht hinaus und sondierte die Quelle. Für einen Moment weiteten sich seine Augen in Überraschung, obwohl es nicht sie waren, die dieses massive Tier wahrgenommen hatten. Was sich da vor ihm befand, war größer als alles andere, das ihm bisher im Dschungel begegnet war. Es fühlte sich friedlich – oder eher befriedigt – an, doch die rohe Kraft, die dieses Tier ausstrahlte, faszinierte ihn. Instinktiv griff er nach seinem Schwert und aktivierte die grünleuchtende Klinge. Es half ihm nicht, im Nebel besser zu sehen, da die vielen kleinen Wasserpartikel in der Luft das leuchtende Grün seines Schwertes nur reflektierten. Doch das sanfte und vertraute Brummen in seinen Händen und an seinem Ohr gaben ihm ein Gefühl der Sicherheit und Stärke. Exodus wusste: Wenn er diese Waffe trug, konnte ihm niemand etwas anhaben. Wenn er diese Waffe trug, war er unbezwingbar, dann gab es keine Gefahr, die zu groß für ihn war. Er war einst ein Sith-Executor gewesen und das Potential dieser Zeit trug er noch immer in sich.

Es wäre das klügste, dachte er einen Moment lang, einfach großflächig um diese enorme Gefahrenquelle herum zu laufen, sie nicht zu reizen, nichts Waghalsiges zu riskieren. Doch andererseits war er neugierig. Wer strahlte eine solche rohe Energie aus? Wer war dieses Tier, das von der Natur zum Herrscher der Wildniss auserkoren worden war? Unwillkürlich fletschte er die Zähne. Leben und leben lassen? Das würden sie ja sehen. Er war ein Jäger.
Mit langsamen, fließenden Bewegungen pirschte Exodus sich an die Bestie heran. Mit der rechten hielt er sein Lichtschwert und mit der linken Hand versuchte er, tiefhängende Zweige und andere Hindernisse bei Seite zu halten. Langsam, ganz langsam …
Vor ihm lag eine kleine Lichtung, von der er nicht genau sagen konnte, ob die Bestie sie gerade erst angelegt hatte oder ob sie natürlichen Ursprungs war. Das Tier – ein Rancor, wie er jetzt erkannte – saß zufrieden auf seinem Hinterteil. Es erwartete keinen Angriff. Von wem denn auch? Niemand hier konnte ihm das Wasser reichen, niemand konnte mit dieser Kraft mithalten. Im aufrechten Zustand maß das Tier sicher fünf Meter. Exodus fixierte es mit zusammengekniffenen Augen, schob einen Fuß vor den anderen und verstärkte den Griff um sein Lichtschwert. Endlich trat er aus dem dichten Blätterwerk heraus, bereit zum Gegenangriff, sollte der Rancor sich ihm gegenüber aggressiv zeigen. Sein Pulsschlag lief ruhig, doch er war angespannt. Es war eine gute Anspannung. Es war ein gutes Gefühl. Er fühlte sich lebendig. Langsam umrundete er das große Tier, das ihm das Gesicht zugewandt, ihn jedoch noch nicht in den Blick genommen hatte. Schritt für Schritt, immer weiter. Nur nicht abwenden. Doch plötzlich traf ihn, völlig unvorbereitet, ein brutaler Schlag. Sein Herz setzte für einen Moment aus, seine Atmung stockte und seine Augenlider flatterten unkontrolliert, als er eine weitere Beobachterin des Schauspiels bemerkte. Der Griff um sein Lichtschwert lockerte sich unwillkürlich, er verlor die Körperspannung und seine Machtsinne änderten schlagartig ihre Ausrichtung, weg vom Rancor. Er war versucht etwas zu rufen, doch weder gehorchten ihm seine Kiefer, noch war es klug, den Rancor auf sich aufmerksam zu machen. Das Tier saß noch immer friedlich auf seinem Platz, doch in Exodus tobte es. Er hatte sie gefunden: Giselle war hier.


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Giselle stand an einen Baum gelehnt und war vollkommen zufrieden damit, nur zu schauen. Eine solche Gelegenheit, einen Rancor von so nah zu betrachten, noch dazu in freier Wildbahn, würde sich ihr vermutlich nie wieder bieten. Schon jetzt konnte sie gar nicht abwarten, Jem von dieser Begegnung zu erzählen. Das hier war fast so gut wie eine der Geschichten, die ihr Freund von dem Abenteurer Cam Orty zu erzählen gehabt hatte. Giselle stand einige Minuten, ohne sich zu regen. Der Rancor rumorte ein gutes Stück von hier entfernt, drehte sich mal nach links und mal nach rechts. Sie hätte vielleicht Angst haben sollen, aber sie hatte keine. Sie konnte nur staunen und sich wünschen, dass Flecken wie dieser noch lange in der Galaxis erhalten bleiben würden und nicht zu großen Städten verbaut werden würden, wie Planeten wie Coruscant. Wusste überhaupt irgendjemand, wie Coruscant ausgesehen haben mochte, bevor die sogenannten zivilisierten Rassen beschlossen hatten, dort eine Stadt zu bauen, die größer war als der Planet selbst? Giselle hatte noch nie davon gehört, aber sie konnte nicht die einzige sein, die sich solche Fragen stellte.

Die Sonne blizelte von hoch oben zaghaft durch das dichte Blätterwerk der Bäume, doch es war ihr noch nicht gelungen, auch den Erdboden hier unten zu erwärmen, der in den letzten Tagen in kühler Dunkelheit gelegen hatte. Hier unten war es noch schattig und stellenweise hingen noch Nebelschwaden über den hoch gewachsenen Grashalmen. Trotzdem, lange würde es nicht mehr dauern, bis es auch hier warm wurde. So lange die Luft noch kühl war, beschloss Giselle, sollte sie die Zeit nutzen und weiter gehen. Sie stieß sich sachte von dem dicken Baumstamm ab, an dem sie geruht hatte, sah noch einmal hinüber zu dem riesigen, friedlichen, wundersamen Monstrum und war bereits halb abgewandt, als eine ungewohnte Lichtreflektion ihre Aufmerksamkeit hielt. Giselle stutzte, weil sie nicht sicher war, ob und was sie gesehen hatte, schaute noch einmal zurück und schnappte im nächsten Moment überrascht nach Luft. Aus den Büschen, die noch feucht vom Tau waren und umwoben von federleichten Nebelschleiern, trat ein Mann heraus, in seiner Hand ein hell leuchtendes Licht in dem grellsten Grün, das Giselle sich in diesem Augenblick vorstellen konnte. Sie hatte solche Gestalten zuvor gesehen, aber nur auf Bildern und in kurzen Berichten der Holonet-News. Sie wusste nicht viel darüber, hatte sich nie sonderlich dafür interessiert, doch Giselle glaubte, dass es ein Jedi war, der mit seinem gezündeten Lichtschwert aus den Schatten der Bäume trat – bis sie erkannte, dass es nicht irgendein Mann war, sondern Exodus Wingston. Unwillkürlich schnappte Giselle nach Luft und trat einen Schritt vor.


”Exodus?!”

Die Worte entglitten ihr, noch bevor sie sie aufhalten konnte. Doch Giselle verstand nichts und diese Irritation war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Schaden aber war bereits angerichtet. Ihr unkontrollierter Schritt auf ein paar verdorrte Äste hatte zu laut auf dem Untergrund geknackt und ihre Worte waren zu laut gewesen, um sie noch einmal zurück zu nehmen. Nur einen Herzschlag nachdem Giselle Exodus’ Namen gerufen hatte, war der Rancor auf den Beinen und fletschte die Zähne.

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Giselle.
Ob er sie zuerst gesehen oder gefühlt hatte, ob die Macht seine Sinne geschärft und er ihre schmale Gestalt in dem Dickicht des Dschungels deshalb hatte erkennen können – er wusste es nicht und es war auch völlig unwichtig. Denn da stand sie, von Nebelschwaden umgeben, aus den Büschen herausgetreten und verwirrt. Genau wie er. Exodus‘ Schritte hatten sich bei ihrem Anblick unwillkürlich verlangsamt und an Zielstrebigkeit verloren. Seine Knie fühlten sich weich an. Eben war er noch der Jäger gewesen und der Rancor sein Opfer. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich die Situation komplett verändert. Die Bestie war auf Giselle aufmerksam geworden und stand nun auf beiden Beinen. Exodus‘ Schätzung von fünf Metern Größe war nicht unzutreffend gewesen. Dieses Tier war … riesig – und stand noch immer zwischen ihm und der Vahla. Wenn es jetzt auf Giselle losging ... – nein, das durfte nicht sein. Er hatte sie gefunden, sie gehörte zu ihm, er konnte sie nicht wieder gehen lassen und vor allem konnte er sie keinem Rancor ausliefern! Dieser klare Gedanke setzte seine Beine wieder in Bewegung, vertrieb das Zittern aus seinen Knien und ließ ihn das Lichtschwert fester umfassen.
Das Lichtschwert! Verdammt nochmal, das Lichtschwert! Es gab keine Möglichkeit mehr, es vor Giselle zu verbergen. Wieso hatte er auch das dämliche Lichtschwert aktiviert? Seine Schritte wurde größer und er umkreiste den Rancor, um möglichst schnell in Giselles Nähe zu kommen. Mit dem Lichtschwert bei ihr aufzutauchen, würde alles ruinieren. Sie würde Fragen stellen, auf die er keine Antworten geben konnte. Dies hier war seine letzte Chance und das Lichtschwert würde alles kaputt machen. Seine Vergangenheit würde ihn einholen – wieder einmal. Wieso erlaubte ihm sein altes Leben nicht, endlich mit ihm abzuschließen?
Natürlich hatte er keine Wahl. Es gab nur eines, was er in diesem Moment tun konnte.


„Hier bin ich!“

Sein Ruf kam aus vollem Halse, auch wenn seine Stimme kratziger klang, als er sie gewohnt war. Seit Tagen hatte er sie kaum benutzt.

„Hier!“

Ausladend wirbelte er das Lichtschwert in der Luft herum, um den Rancor auf sich aufmerksam zu machen und von Giselle weg zu locken. Gleichzeitig bewegte er sich noch in ihre Richtung. Auch wenn es auf den ersten Blick unlogisch erschien, das mächtige Tier erst von ihr abzulenken und dann wieder zu ihr zu laufen: Wenn sie bei ihm war, konnte er sie am besten vor diesem Biest beschützen, doch bis dahin musste sie überleben. Danach würde sie sich ihm wieder um den Hals werfen, sie wäre ihm dankbar und würde sich ihm gegenüber erkenntlich zeigen wollen. So wie nach dem Desaster auf der Plattform im Meer. Hier im Dschungel würde sie sich ihm hingeben, mit den zarten Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach schimmerten …
Fokus! Noch war gar nichts sicher. Wie sie auf das Lichtschwert reagieren würde, war völlig unklar und was der Rancor tat ebenso. Das riesige Ungetüm fixierte ihn jetzt. Schritt eins war gelungen. Nur noch wenige Meter bis zu Giselle. Wie erklärte er das verdammte Lichtschwert?!


„Komm doch her!“

rief er dem Rancor zu und umfasste das Lichtschwert wieder mit beiden Händen. Giselle war in Reichweite und ihre Präsenz drohnte ihn fast zu überwältigen. Von hier aus konnte er sie beschützen, doch er vermied es, sie anzusehen. Der Fokus des Rancors galt nun ihm und er wagte nicht, ihm Giselle wieder in Erinnerung zu rufen. Außerdem fürchtete er ihren Blick. Die Illusion, das sie in ihm den strahlenden Held sah, war angenehmer als einer Hinweis darauf in ihrem Blick zu erkennen, wie abstoßend seine Vergangenheit auf sie wirkte. Dieses Lichtschwert präsentierte nicht nur seine Zeit bei den Jedi. Die meisten assoziierten ihn in dieser Pose mit dem Sith-Executor Exodus Wingston. Wenn sich diese Assoziation erst einmal festgesetzt hatte, das wusste er aus Erfahrung, gab es nichts mehr, was er noch tun konnte. Dann hatte er endgültig verloren.
Die riesigen Tropfen Geifer, die dem Rancor aus dem Maul tropften, ließen Exodus angewiedert die Augen zusammen kneifen und erinnerten ihn daran, was in diesem Moment wirklich wichtig war. Was als erster Schritt zu tun war. Das Lichtschwert brummte zufrieden in seinem festen Griff und Exodus spürte, wie der Instinkt des Jägers langsam in ihm zurückkehrte. Langsam, aber zielstrebig schob er seine Füße über das feuchte Gras dem Rancor entgegen. Mit angespanntem Bizeps hob er ebenso langsam das Schwert, bereit sich in jedem Moment in die Luft zu erheben und zu zu schlagen. Dieses Vieh würde er erlegen – und vielleicht würde Giselle darüber auch die Tatsache vergessen, dass es ein Lichtschwert war, das er gerade in seinen Händen hielt. Vielleicht würde alles wieder gut. Vielleicht konnte er es noch einmal richten.


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Tier und Mann standen einander gegenüber. Der Rancor und Exodus. Giselle war wie fest gewachsen. Zu viele Eindrücke und scheinbare Erkenntnisse durchfluteten ihr Bewusstsein. Sie hatte keine Ahnung, wo Exodus her gekommen war oder was er hier tat. Sie wusste nur, dass er hier war, sich für einen Kampf rüstete und in seinen Händen ein Schwert aus purer Energie hielt – eine Klinge, die alles durchdringen konnte. War er ein Jedi? Nichts passte zusammen. Der Rancor hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Er war groß, aber nicht so groß wie die ausgewachsenen Exemplare seiner Rasse. Ein lautes Brüllen schien den Wald zu zerreißen, als er den Kopf vorstreckte und seine langen Hauer wetzte. Währenddessen hatte sich Exodus näher an Giselle heran begeben, das Schwert erhoben. Er sah sie nicht an, stand beschützend vor ihr, bereit, jeden Moment nach vorne zu stürzen. Nein! Giselle schüttelte den Kopf.

”Exodus, nicht!”

Rief sie, doch ihre Stimme ging unter im neuerlichen Gebrüll des Rancors, der jetzt seine Arme hob und die Krallen spreizte. Alles schien sich wie in Zeitlupe abzuspielen.

”Warte!”

Sie fasste ihn am Arm, zwang ihn, sie anzusehen, während der Rancor mit schweren, bebenden Schritten, die die Erde unter ihnen zum Erschüttern brachte, auf sie beide zu kam. Giselle richtete ihren Blick auf die riesige Kreatur vor ihr. Dies war kein Monstrum, kein Ungeheuer das ihnen Böses wollte. Sie, Exodus und Giselle, waren die Eindringlinge. Sie waren in sein Territorium eingedrungen, nicht anders herum. Der Rancor war ein Tier, ein Teil der Natur, ein Teil Fresias. Sein riesiges Maul sperrte sich auf, brüllend und keifend, und seine starken Klauen fegten mühelos einen der kleineren Bäume bei Seite, der in seinem Weg gestanden hatte. Es war das gleiche Brüllen, das Giselle aus der Ferne gehört hatte, als sie in den Wiesen gestanden hatte.

”Greif ihn nicht an.”

Giselles Stimme war Flehen und Rat zugleich. Haltsuchend hielt sie noch immer Exodus’ Oberarm umklammert. Vor ihnen brummte das Lichtschwert in seinen Händen, doch Giselles Blick hatte sich in den des Rancors gebohrt. Die Vahla glaubten, in natürlicher Symbiose mit der Natur leben zu können. Sie setzten ihr Vertrauen in den natürlichen Kreislauf des Lebens. Kein Kampf, der nicht notwendig war, musste mit der Natur ausgetragen werden. Blut, das keinem Nutzen diente, musste nicht vergossen werden. Die Vahla jagten um zu überleben, nahmen Fleisch und Felle der Tiere, doch sie nahmen nicht was sie nicht brauchten und wenn ein Jäger einem wilden Tier begegnete, sein Bogen an diesem Tag jedoch bereits geschossen hatte, so hielt er inne, um es ziehen zu lassen und selbst seinen Weg weiter zu beschreiten. Es war eine uralte Tradition ihres Volkes, mit der Natur zu kommunizieren, die Kinder ihres Clans lernten es von kleinauf und so wie die Vahla es taten, tat Giselle es in diesem Moment. Alles was sie sah, war der Rancor. Sie hörte sein Rufen, konnte förmlich seine Wut spüren. Er war bedroht worden, würde sich wehren müssen…doch alles war gut. Er musste sie nicht angreifen. Sie würden sich abwenden und gehen, ihn in Frieden zurück lassen. Er musste ihnen nur vertrauen. Ein weiteres Rufen. Sie waren alle aus der gleichen Erde gemacht und würden wieder zu Erde werden. Schwer atmete der Rancor durch seine Nüstern, die über seinem Maul und genau zwischen seinen Augen lagen. Er war stehen geblieben, fixierte sie nach wie vor bedrohlich. Giselle regte sich um keinen Millimeter, ihr Blick noch immer fest mit dem seinen verharkt, bis er sich plötzlich zur Seite abwandte, mit einem Jaulen seinen Rückzug ankündigte und sich schlielich umdrehte, um seinen Weg zwischen den größeren Bäumen zu suchen und Exodus und Giselle sich selbst zu überlassen.

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Ihre Blicke trafen sich nur für einen Herzschlag, als Giselle seinen Oberarm fest umfasste und Exodus zwang, sich herumzudrehen. Es reichte nicht, um zu erkennen, was sie von alldem – von ihm – hielt. Das hektische Schimmern in ihren Augen sagte nichts über ihn aus, nichts über das Lichtschwert in seiner Hand, nichts darüber, ob sie ihn gerade verabscheute – oder er konnte es schlicht nicht erkennen. Ihr ganzer Fokus schien dem Monstrum zu gelten, das sich brüllend vor ihnen beiden aufgebaut hatte und das Exodus bereit gewesen war zu erlegen. Ihre Lippen formten ein Wort: Warte. Und dann vier weitere: Greif ihn nicht an. Die Berührung auf seiner Haut, so fest sie sich auch in seinen Oberarm krallte, fühlte sich an wie die Erlösung, auf die er bei seinen Streifzügen durch den Dschungel die ganze Zeit gewartet hatte. In diesem Moment war er bereit alles zu tun, was sie verlangte. Also hielt er inne.

Und dann überwältigte sie ihn. Er konnte nicht erklären, was genau sie tat oder wie sie es machte, doch sie nutzte die Zeit, in der er sein Lichtschwert nicht mehr aggressiv durch die Luft sausen ließ, für einen langen und intensiven Blick zum Rancor. Ein Blick, der ihn schaudern ließ, ein Blick der ihm ein Keuchen entlockte, ein Blick der ihn schlagartig schier wahnsinnig, gleichzeitig euphorisch und ratlos machte. Giselle befreite den Kern der Macht, den sie in sich trug und den er bei ihrer gemeinsamen Nacht zum ersten Mal entdeckt hatte. Sie ließ ihn für einen Augenblick los, berührte den Rancor damit und beruhigte ihn. Die Bestie zögerte zunächst, hielt schnaubend inne und wandte sich schließlich ab. Weil Giselle ihre zaghaften Fühler in der Macht ausgestrahlt hatte. Es fiel ihm schwer einen klaren Gedanken zu fassen, wie so häufig in ihrer Nähe. Sie besaß nicht nur einen dunklen Machtkern. Sie besaß auch die Fähigkeit ihn zu nutzen. Sie … was hieß das? Was hieß das, sie konnte die Macht nutzen? Konnte sie die Macht nutzen? Sie hatte es eben getan. Würde sie es wieder können? Was bedeutete das für ihn? Er war verrückt nach ihr. Obwohl der Rancor mit schweren, bebenden Schritten die Lichtung verließ, konnte Exodus seinen Blick nicht mehr von ihr abwenden. Sein Mund stand ungläubig offen. Was war gerade passierte?
Geistesabwesend betätigte er den Knopf seines Lichtschwerts, als sich das Summen endlich durch die vielen wirren Gedanken gekämpft und ihm unbewusst klar machte, dass die plötzliche Stille die Aufmerksamkeit nur noch mehr auf dieses Relikt seiner Vergangenheit lenken würde. Die Klinge verstummte mit einem letzten aufbäumenden Brummen und ihm wurde überraschend bewusst, wie schwer sein Atem ging. Sein Blick haftete noch immer an Giselle und das Herz pochte ihm bis zum Hals, er war aufgeregt, auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Er hatte sie gefunden, endlich. Er hatte ihr unabsichtlich das Geheimnis offenbart, das er so lange vor ihr gehüttet hatte und das jegliche Bemühungen, sie zurück zu gewinnen, mit einem Schlag vernichtete. Oder? Sie hatte die Macht benutzt. Der Rancor war weg, nur wegen eines Blickes von ihr. Nein, nicht nur wegen des Blickes. Was sie getan hatte, war für ein normales Auge nicht sichtbar. Doch Exodus hatte es gesehen.


„Ich …“

begann er stotternd einen Satz, ohne zu wissen, was er eigentlich sagen wollte. Seine Hände zitterten unsicher, als er das Lichtschwert umständlich an seinem Gürtel befestigte und dabei den Blick von ihr abwandte. Vielleicht sprach er besser nicht über sich. Nicht über sich, nicht über seine Vergangenheit, nicht über seinen Weg hierher. Besser über sie. Ja, das war viel besser. Es war ohnehin der einzig klare Satz, den er im Moment formulieren konnte.

„Was hast du da eben getan?“

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Eine tiefe, innere Ruhe hatte sich in Giselle gesetzt, als sie stumm mit dem Rancor gesprochen und ihn dazu bewegt hatte, sich von ihnen abzuwenden. Seine Schritte hallten noch eine Weile nach, bis die einzige Spur, die noch von ihm geblieben war, die abgeknickten Bäume in ihrer Nähe waren. Als der grüne Lichtkegel aus ihren Augenwinkeln verschwand und das Summen aus Exodus‘ Hand verstummte, wandte sich Giselle wieder zu ihm um. Sie hatte das Gefühl, dass etwas über sie hinweg glitt, sanft und langsam, wie der Hochzeitsschleier einer Braut, wenn sie sie ihn zurück schlug und ihr Antlitz und ihr Blick gleichermaßen klarer wurden. Für einen Moment schien es ihr, als sähe sie Exodus zum ersten Mal. Er sah verwegen aus, die unrasierten Barstoppeln verdunkelten sein Gesicht und seiner Kleidung war anzusehen, dass er sich nicht auf einem Sparziergang befand. Dies war nicht der Exodus Wingston in seinem frisch gewaschenen, faltenfreien Hemd und den lässig hoch gekrempelten Ärmeln, den Giselle kennen gelernt hatte. Hier im Dschungel trug er praktischere Kleidung, eine wasserabweisende Hose und feste, schmutzverkrustete Schuhe. Außerdem trug er eine Waffe bei sich, die Giselle zwar nur aus wenigen wagen Erzählungen kannte, aber doch zuordnen konnte. Lichtschwerter waren nicht nur Waffen, sondern Symbole, die für den Orden der Jedi standen. Das wusste selbst Giselle, die nie viel über die Geschichte und die Ereignisse in der Republik oder selbst in der ganzen Galaxis gelernt hatte.

“Was ich gemacht habe?“

Erst langsam drang Exodus‘ Frage zu ihr durch. Sie blickte in die Richtung, in die der Rancor verschwunden war, dann auf das deaktivierte Lichtschwert in Exodus‘ Hand. Giselle suchte nach Worten, doch es fiel ihr noch schwer, zu verstehen, was sie gerade gesehen hatte.

“Du wolltest ihn angreifen… ihn verletzen.“

Fasste sie ihre Beweggründe zusammen und hob den Blick, um Exodus in die Augen zu blicken. Sie hatte die Spur dieses Mannes verloren. Wer war er wirklich? Er stand vor ihr, ohne dass sie damit gerechnet hätte, ihn hier zu treffen, während die Sonne am Himmel höher stieg und der Nebel zu ihren Füßen schleichend langsam begann, sich aufzulösen. Um sie herum begannen die Stimmen des Dschungels sich wieder Gehör zu verschaffen. Giselle atmete tief durch, versuchte sich zu sammeln.

“Ich habe als Kind gelernt, mit der Natur im Einklang zu leben.“

Erklärte sie.

“Alles das hier gehört dazu. Du tötest kein Tier, wenn du nicht dazu gezwungen bist, du fällst keinen Baum ohne Grund. Wir respektieren die Natur, weil wir Teil von ihr sind.“

Giselles Stimme war ernst, doch sie wusste nicht, ob Exodus ihr wirklich folgte. Sie sah den gleichen fragenden Ausdruck auf seinem Gesicht, den auch sie ihm zeigen musste.

“In meinem Clan lernen wir die stille Kommunikation mit der Natur von klein auf.“

Fügte sie an und zuckte mit den Schultern. Es war nichts Besonders, es war schlicht Teil einer langen Tradition. Man ging in sich, strahlte Ruhe aus und die Tiere spürten das. Giselle atmete tief durch. Sie wollte nicht über sich reden, oder über den Rancor. Vor ein paar Minuten noch hatte sie die Stille und die Wunder der Wildnis für sich genossen, doch in dem Moment, in dem Exodus vor ihr aufgetaucht war, hatten sich tausende neue Fragen, so schien es, in ihrem Kopf manifestiert.

“Was tust du hier eigentlich?“

Wollte sie wissen und implizierte direkt mehrere Fragen in diesem einen Satz: was tat er hier im Dschungel, so weit entfernt vom Camp der Wingston Corp. und woher hatte er das Lichtschwert? Was tat er damit und viel wichtiger, woher hatte er es? Ausgestattet mit einer einzigartigen Waffe wie dieser, konnte es eigentlich nur eine Antwort geben.

“Exodus… bist du ein Jedi?“

Giselle zog die Augenbrauen zusammen. Sie verstand es nicht wirklich. Wie konnte er hier sein, wenn er ein Jedi war? Wie konnte er die Geschicke einer großen Firma leiten und gleichzeitig… die Galaxis vor Unheil bewahren? Jedi-Ritter waren Hüter des Friedens, hieß es, auch wenn Giselle nicht wusste, was genau das bedeutete oder beinhaltete. Aufgewachsen fernab solcher weltlicher Dinge hatte Giselle erst spät in ihrer Jugend überhaupt von derlei Dingen gehört. Strahlende Heldengeschichten über Jedi mit ihren bunten Lichtschwertern hatte sie als Kind nie gehört. Sie wusste nur, dass sie Teil der Republik waren, für das Gute einstanden und auf etwas zurückgriffen, das sich die Macht nannte. Sie erinnerte sich, dass auch Exodus kurz davon gesprochen hatte, als sie auf Rings Island gewesen waren. Plötzlich ergab zumindest das einen Sinn.

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Giselles Erklärung klang in seinen Ohren merkwürdig kompliziert. Sie redete von Dingen, die für ihn keinen Sinn ergaben. Lag das an ihr oder doch an ihm? In seinem Schädel brummte es lautstark und instinktiv griff er mit seiner rechten Hand an seine Schläfe, um sie zu massieren. Es war, als könnte er das Lichtschwert, das ihn so schändlich verraten hatte, in seinem Kopf einfach nicht deaktivieren, als wäre dieses sonst so beruhigende Geräusch der Waffe nun gegen ihn gerichtet - ein Störgeräusch, das die Enstehung jedes klaren Gedanken verhinderte. Wie war das gewesen? Er hatte den Rancor angreifen und verletzen wollen, sagte sie und das stimmte. Aber das Biest war schließlich aggressiv gewesen, hatte Bäume umgetreten und sich zuvor einen Kampf mit einem schwächeren Tier geliefert. Hätte Exodus nicht den ersten Schritt getan, wären sie das nächste Opfer des Rancor gewesen, dessen war er sich sicher. Sie lebte mit der Natur in Einklang, betonte Giselle, und man durfte kein Tier, keinen Baum … - jaja, das wusste er ja alles. Aber was sie gemacht hatte, blieb bei ihren Ausführungen nur unzulänglich beschrieben. Oder nicht? Die stille Kommunikation, sagte die Vahla, hätte sie von klein auf gelernt. Nannte sie so die Nutzung der Macht? Denn es war ziemlich sicher genau dasselbe, er hatte es gespürt. Sie nutzte die Macht ohne es zu wissen. Das war … kurios. Exodus glotzte sie einen Moment lang verständnislos an, ehe er von ihrer nächsten Frage überrumpelt wurde. Über sich reden – das hatte er gerade vermeiden wollen. Doch in diesem Fall würde er sich nicht herauswinden können. Und sowieso: Besser er redete darüber, was ihn hierher geführt hatte, als über das verdammte Lichtschwert. Besser er überging ihre letzte, die unsägliche, die unmögliche Frage einfach.

„Ich …“

Nun, was sollte er ihr sagen? Gab es eine gute Ausrede, die er vorbringen konnte und die nicht danach aussehen würde, als wäre er ihrer Anziehungskraft schlichtweg verfallen? Nein. Oder zumindest fiel ihm auf die Schnelle keine ein. Dieses penetrante Brummen in seinem Kopf wollte einfach nicht aufhören. Wieder massierte er mit den Fingerspitzen seine Schläfen und lief einige Schritte über den weichen Dschungelboden, ehe er sich ihr zu wandte.

„Ich habe dich gesucht.“

brachte er angestrengt hervor und unterdrückte ein Seufzen.

„Die Stimmung im Camp ist nicht so gut. Ich hatte ja schon gesagt, dass ich dich brauche.“

Irgendwie brachte er ein mattes Lächeln zustande und zuckte dann mit den Schultern. Darüber wollte er doch gar nicht reden, doch das andere Thema, das sie in den Raum gestellt hatte, gefiel ihm noch weniger. Bei ihren Worten war er instinktiv zusammengezuckt, es hatte sich angefühlt wie ein Schlag, der ihn in den tiefsten Abgrund stürzen würde. Er war gekommen, um sie zurück zu erobern, nicht um sie erneut abzustoßen, mit wirren neuen Details über ihn und sein Leben. Doch die Frage hing in der Luft und würde sich nicht so einfach verflüchtigen, nachdem Giselle sie einmal ausgesprochen hatte: War er ein Jedi? Es war einfach zu beantworten und gleichzeitig das Komplizierteste, was sie hätte fragen können. Das zaghafte Lächeln auf seinen Lippen war mit jedem weiteren Gedanken über das Schlamassel, in das er sich hier manövriert hatte, verkümmert. Doch er wusste auch: Es gab keine Chance, ein neues Thema anzuschlagen, wenn er diese Frage nicht zumindest im Ansatz beantwortete. Vielleicht gab sie sich ja wirklich mit der Kurzform zufrieden.

„Nein.“

Seine Lippen pressten sich zu einem dünnen Strich zusammen und Exodus ließ einige Sekunden verstreichen, ehe er den Satz vervollständigte:

„Ich bin kein Jedi.“

Keine weiteren Nachfragen erlauben – das war das Wichtigste. Er musste sie davon abbringen, allzu genau darüber nachzudenken, was seine Antwort bedeutete. Denn wenn er kein Jedi war, musste sich für sie eine ganze Quelle an möglichen Lösungen für die Rätsel, die er ihr mit Sicherheit aufgegeben hatte, in Luft auflösen. Und damit würde sie nach einer anderen Antwort suchen und die würde er ihr nicht geben können. Ein neues Thema also, ein neues Thema … irgendetwas, das sie verwirrte, irritierte, zum Nachdenken brachte. Etwas, dass die Lawine, die er mit seiner Antwort ins Rollen bringen konnte, schon vorzeitig stoppen würde. Achja!

„Die stille Kommunikation hast du gesagt. Wie funktioniert das …? Der Rancor ist einfach so weggangen. Ich meine – dieses Tier war riesig.“

Auch das war ein gefährliches Thema und Exodus bemühte sich, seine Stimmlage möglichst locker klingen zu lassen. Er musste Unwissenheit vorgaukeln, aber sie gleichzeitig an ihrem Glauben zweifeln lassen. Sie hatte die Macht benutzt und das war etwas, das ihn immer noch verblüffte und überwältigte. Es eröffnete tausend neue Chancen – und wieder nicht. Es gab keine Möglichkeit ihr schlichtweg zu eröffnen, dass sie tatsächlich die Macht benutzt hatte. Woher sollte er das aus ihrer Perspektive auch wissen? Es führte nur wieder zu der einen Frage, die er unmöglich würde beantworten können: Wer war Exodus Wingston?

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – im Dschungel | mit Giselle ]
 
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