Kirdo III (Kirdo-System)

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Fast einen ganzen Tag war Zot gewandert, als er eine Stelle erreichte, die er für die Jagd geeignet hielt. Hier wuchsen in einer Felsspalte mehrere junge Sulfaropflanzen. Sie waren recht klein und vermutlich erst nach Beginn der Regenzeit gesprossen, zusammen mit Grün verschiedener Arten. Während die meisten anderen Pflanzen aber mittlerweile wieder vergangen waren, hatten diese sich gehalten und konnten im Schutz der Felsen Jahre oder gar Jahrzehnte überdauern.

Natürlich gab es keine Garantie dafür, dass sich jemals, geschweige denn binnen kurzer Zeit, eine Chooba-Schnecke hier einfand, um genau diese Sulfaros zu fressen. Aber zwischen dem Geröll fand der Nomade auch die vertrockneten Überreste älterer Exemplare, die eindeutige Fraßspuren aufwiesen. Die Choobas hatten ein gutes Gedächtnis oder sonst ein Gespür dafür, Weidegründe wiederzufinden. Sie suchten oft in unregelmäßigen Abständen wieder dieselben Orte auf. Wenn also früher Schnecken am Gebirge entlang gewandert waren, dann taten sie es vermutlich auch wieder. Und wenn sie das taten, musste der vanilleartige Geruch der jungen Pflanzen überaus anziehend für sie sein.

Zot tat, was jeder Kitonak in seiner Situation getan hätte. Er stellte sich neben die Sulfaros, erstarrte zu einem reglosen Ding, das selbst ein wenig wie ein Wüstengewächs aussah, und sperrte den Mund auf. Er selbst verströmte einen ähnlichen Geruch wie die Gewächse, die er wegen der Phytomimese, die sein Volk während seiner langen Evolution perfektioniert hatte, so gut nachahmte, dass jede Chooba auf die Tarnung hereingefallen wäre. Nun konnte er nur noch eines tun: Geduldig abwarten. Solange es eben nötig war.

Da er Kopf und Augen ebenso wenig bewegte wie jeden anderen Teil seines Körpers, bot sich Zot kein abwechslungsreiches Bild. Unerschütterlich starrte er auf den Eingang der Felsspalte. Es wurde irgendwann dunkel, dann wieder hell, wieder dunkel... abgesehen vom Wechsel der Tageszeiten und leichten Wetterveränderungen tat sich überhaupt nichts. Fast eine Woche lang stand er da und wartete einfach ab. Auch wenn er auf diese Weise quasi keine Energie verbrauchte: Der Hunger wuchs. Je länger er da stand, um so weniger Zeit blieb ihm für den Fall, dass er sein Scheitern eingestand, um nach einem besseren Standort zu suchen. Er wusste, dass manche seiner Artgenossen auf diese Weise schon verhungert waren. Aber er war sich sicher, dass er hier fündig wurde oder gar nicht mehr. Er wollte ausharren, bis er satt war oder es keine Rolle mehr spielte.

Schließlich tat ihm das Schicksal den Gefallen. Eine Chooba-Schnecke - ein einzelner alter Einzelgänger - tauchte an der Felsspalte auf. Das fleischige Tier hielt in seiner langsamen Wanderung inne und reckte die Fühler in alle Richtungen, um sich zu orientieren. Es hatte die attraktive Witterung wohl aufgenommen. Nach einer Weile änderte es die Richtung und kroch direkt in die Spalte hinein. Am attraktivsten für die Schnecke waren zweifellos die jungen Pflanzentriebe, die noch nicht so eine harte Schale hatten und daher die leichtere Mahlzeit waren als das alte, verholzte Exemplar, das Zot darstellte. Aber er hatte sich so plaziert, dass er den Weg zu den echten Sulfarus teilweise versperrte. Und wie es eben ihrer einfach gestrickten Art entsprach, überlegte die Chooba nicht lange, sondern nahm, was sie eben bekam.

Ein leichtes Kribbeln kündete davon, dass die Fühler seinen Fuß vorsichtig betasteten. Durch die Zehen nahm Zot den überaus appetitlichen Geruch des Wesens wahr. Er freute sich auf diese Mahlzeit. Er bekam sie aber nur, wenn er sich absolut ruhig verhielt. Also ließ er sich nicht das Mindeste anmerken, sondern harrte weiterhin geduldig aus. Es dauerte nicht lange, bis die Chooba an seinem Körper hinauf kroch. Sie hielt sich dabei nicht so lange auf wie die letzte, die er gegessen hatte. Diese hatte mehrfach an ihm herumgenagt und versucht, Schwachstellen seiner dicken Haut zu finden. Das ältere Exemplar jedoch steuerte zielgenau auf die stärkste Geruchsquelle zu: Seine Mundöffnung. Es schien es gar nicht abwarten zu können, hineinzuschlüpfen.


›Los, komm... hol dir dein Fressen!‹ dachte Zot dabei angestrengt. ›Nur weiter so. Komm und mach mich satt.‹

Auf einem dünnen Schleimfilm kroch das Tier über seine geöffneten Lippen. Es flutschte ganz in den Mund hinein, der sich hinter ihm schloss. Zot verschluckte es im Ganzen und erfreute sich an dem Gefühl, wie es die geweitete Speiseröhre hinabglitt und schließlich seinen hungrigen Magen füllte. Die Chooba war nicht mehr die jüngste und etwas zäh, sie würde sich wohl teilweise als schwer verdaulich erweisen und ihm nicht so viele Nährstoffe leifern wie manche ihrer Artgenossen. Aber zumindest für die nächsten zwei bis drei Wochen war sein Nahrungsbedarf damit gedeckt.

Noch einen weiteren Grund zur Freude gab es aber. Der salzige Geschmack konnte in Anbetracht des Seebettes, durch welches das Tier gekrochen war, nicht verwundern. Aber eine andere Beobachtung mochte nicht so recht dazu passen. Nämlich, dass sie ungewöhnlich saftig war. Wenn das Tier trotz seiner Wanderung durch die Salzwüste so viel Flüssigkeit enthielt, ließ das nur einen Schluss zu: Ganz in der Nähe musste es Wasser geben!

Da sein Mahl beendet war, hielt nun nichts mehr Zot an diesem Ort. Normalerweise hätte er noch einige der jungen Sulfarus abgeschnitten, um sich an ihrem Saft zu erfrischen, und nur so viele stehen gelassen, dass ihr Bestand nicht gefährdet wurde. Aber in diesem Fall verzichtete er darauf. Wenn es wirklich ein Wasservorkommen in der Nähe gab, benötigte er diese Flüssigkeit nicht und konnte die Pflanzen schonen. Sofort machte er sich auf den Weg. Die Chooba war von Westen gekommen, dorthin lenkte auch er nun seine Schritte.


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Anhand der feinen Geruchsrezeptoren in seinen Füßen konnte Zot die Fährte der Chooba-Schnecke ausmachen und rückwärts verfolgen. Bedachtsam setzte er einen Fuß vor den anderen, wackelte mit den Zehen im Sand und ging so den Weg, den das Tier gekommen war. Zwar funktionierte das nicht lange, denn er bewegte sich fast ebenso langsam wie die Schnecke, so dass er keine große Strecke zurücklegte, während der Wind die Witterung auswischte. Aber auf diese Weise wurde ihm eine Richtung vorgegeben, die er nun strikt weiter verfolgte. Nun, da er gegessen hatte und vorläufig keine Nahrung mehr benötigte, scheute er nicht davor zurück, in die vor ihm liegende weiße Ebene aus verkrustetem Salz hinein zu marschieren. Doch vorläufig führte sein Weg ihn noch am Fuß des Gebirges entlang, Richtung West-Nordwest. Alles deutete darauf hin, dass die Chooba von dort gekommen war. Außerdem schien es ihm plausibel, dass Wasser am ehesten hier zu finden war. Im Schatten der Felsen, wo die Verunstung nicht so groß war, konnte es sich womöglich länger halten.

Zot fand die Wasserstelle nicht, nach der er suchte. Die Schnecke hatte sich, wie Hunderte ihrer Artgenossen, an einem See aus kristallklarem, frischem Wasser gelabt. Doch dieser lag gut verborgen in einer engen Felsspalte, und der Wind wehte aus der Gegenrichtung, so dass der Nomade weder das frische Nass, noch die reiche Vegetation an seinem Ufer oder die zahlreichen wohl genährten Choobas bemerkte. Das Schicksal war nicht mit ihm; er verpasste diese Chance, ohne es zu ahnen. Aber Wasser fand er dennoch, wenn auch in geringerer Menge und von schlechterer Qualität. Als er noch zwei Stunden weiter gewandert war, wurde der Boden vor ihm weicher, die Salzkruste nachgiebig, und schließlich erreichte er eine Stelle - wie vermutet im ganztägigen Schatten zweier Felsentürme - an der sich Flüssigkeit gehalten hatte. Umstanden von holzigen Dornengewächsen mit bräunlichen Blättern, bildete es einen trüben, sumpfigen Tümpel, der mit Salz völlig übersättigt war. Doch für Kirdos Verhältnisse stellte das Nass einen großen Reichtum dar und grenzte beinahe an ein Naturwunder. So war Zot voller Staunen und Dankbarkeit, als er das Wasserloch entdeckte.


›Was für ein ungeheures Glück!‹ sagte er zu sich selbst. ›Überhaupt erging es mir bisher besser, als ich gedacht hatte. Das Kosmische Ei scheint ein gnädiges Licht auf meine Wanderung zu werfen.‹

Zuerst steckte der Kitonak die vordere Hälfte seines Kopfes in das lauwarme Nass und nahm es durch Mund und Nase auf. Seine Augen blieben dabei hinter den dicken Lidern verborgen, die sie vor eindringendem Salz schützten; seinen restlichen Körper störte die hohe Dosis an Mineralien nicht. Das Wasser fühlte sich großartig an auf der wulstigen Haut und Zot fühlte sich beinahe zurückversetzt in die Regenzeit, bei der er das erste Bad seines Lebens genommen hatte. Er dachte eine kleine Weile (ein halbes Stündchen, nicht mehr) über die möglichen Konsequenzen nach und entschied dann, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Zwar wusste er nicht, wie tief das Wasserloch war und wie der Grund beschaffen war, doch Hinweise auf echte Gefahren hatte er nicht. Also steckte er zuerst die Füße hinein und ließ sich dann ganz ins Wasser gleiten. Als seine Füße festen Boden fanden, reichte das Wasser ihm bis über die Hüfte, doch er ging in die Hocke, um tiefer hinein zu tauchen. Er seufzte wohlig, als sein ganzer Körper von der schlammigen Flüssigkeit umspült wurde; dann verstummte er, als er alle Gesichtsöffnungen versiegelte, die Luft anhielt und vollends unter der sich kräuselnden, trüben Oberfläche des Tümpels verschwand. Er näherte sich einem Zustand absoluter Entspannung, als das brackige Wasser ihn von allen anderen Sinneswahrnehmungen abschnitt. Eine solche Ruhe hatte er selten verspürt.

Irgendwann kam ihm die Idee, auch die Hautregionen zu entspannen, welche die Wunden versiegelten, die ihm das Raubtier in den Bergen zugefügt hatte. Es war ihm nicht gänzlich gelungen, diese zu reinigen, so dass einige von ihnen ungesund brannten und er gefährliche Infektionen befürchten musste. Doch nun bot sich ihm die Mögichkeit, die Verletzungen besser zu versorgen. Das Salz brannte zunächst in ihnen, doch diese Wirkung ließ bald nach. Reinigend und anregend wirkte es und ließ Zot hoffen, dass diese unschöne Begegnung mit den Klauen und Zähnen ohne böse Folgen blieb.

Die Wasseroberfläche glättete sich über ihm. Niemand, der zufällig vorbei gekommen wäre und Spuren nicht zu deuten wusste, wäre nun auf den Gedanken gekommen, dass sich ein Wesen darin verbarg.


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Nach vier Stunden in dem salzigen Tümpel ging Zot langsam die Atemluft aus, so dass er auftauhen musste. Dabei hatte er es nicht eilig. Langsam, so dass das Wasser sich kaum kräuselte, schob er den kuppelförmigen Kopf hinaus, nur so weit, dass die Nase frei wurde und er tief aus- und wieder einatmen konnte. Mit kleinen Äuglein blinzelte er in die Dämmerung, denn die Nacht begann anzubrechen. Hinter ihm, im Westen, war die Sonne schon hinter den Begen verschwunden. Nur im Osten fiel ihr Licht noch auf die höchsten Felszinnen und tauchte sie in orangefarbenes Licht. Eine ungeheure Stille lag über der Wüste. Zu Beginn seiner Wanderung hatte er sie gescheut, mittlerweile jedoch hatte er sich schon ein wenig an sie gewöhnt.

Er wäre auch vollkommen zufrieden damit gewesen, einfach in dem Wasserloch zu bleiben, bis die Nacht zuende war. Trotzdem stieg er gemächlich hinaus, rieb sich die Hände mit salzigem Sand trocken und kramte dann in seinem Gepäck nach seiner Chidinkalu-Flöte. Kurz darauf erklang ihre Melodie. Die Töne vertrieben die Einsamkeit, doch war dies nicht der Hauptgrund dafür, dass er sie in dieser Nacht spielte. Die frischen Spuren zeigten, dass er nicht der erste war, der dieses kostbare Wasservorkommen fand: Während er darin gesessen hatte, waren mehrere Tiere verschiedener Größe zum Trinken gekommen. Wenn die Tierwelt wusste, dass es hier Wasser gab, wussten es womöglich auch Kitonaks. Und wenn sich Zots Artgenossen in der Nähe befanden, konnte er sich ihnen womöglich anschließen und seine einsame Wanderung womöglich bald beenden. Zwar fand er sich mittlerweile halbwegs gut damit zurecht, dass er ganz allein in der endlosen Weite der Wüste unterwegs war, doch sollte dies nicht für immer so bleiben. Bald wieder andere Kitonaks um sich zu haben, wünschte er sich sehr. Und was könnte einen einsamen Wanderer und einen Nomadenstamm leichter zusammen führen als die weithin tragenden Klänge der Chidinkalu.

Nur mit kurzen Pausen spielte er mehrere Stunden lang: Teilweise waren es altbekannte Melodien, die zum allgemeinen Kulturschatz der Kitonaks gehörten (der weit umfangreicher und vielseitiger war, als es auf Außenstehende den Anschein haben mochte). Teilweise wandelte er die Klänge ab oder improvisierte ganz neue Tonfolgen, die seiner aktuellen Stimmung entsprachen. Jeder Gedanke, der ihm in dieser entspannten, angenehmen Lage durch den Geist ging, wurde von den passenden Klängen begleitet, mal fröhlich, mal traurig. Als sich im Osten der Himmel grau zu färben begann und der Sonnenaufgang bevorstand, hatte Zot noch keinen Klang einer anderen Flöte vernommen, die ihm aus der Ferne antwortete. Als es schließlich heller wurde und der Blick weit über die weiße Salzebene reichte, konnte er auch niemanden sehen. Aber enttäuscht war er nicht. Alles Wichtige benötigte Zeit, so auch eventuell in Hörweite befindliche oder gerade dorthin wandernde Artgenossen. Er beschloss, noch einige Tage in der Nähe zu bleiben und seine Mühen fortzusetzen. Er konnte sich wirklich schlechtere Orte dafür vorstellen als einen frischen, prickelnden, reinigenden Wassertümpel.


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Der junge Kitonak hielt sich so lange an dem Salztümel auf, wie dieser existierte. Mit jedem Tag wurde das Loch kleiner und das Wasser schlammiger, doch dieser Prozess ging nicht allzu schnell vonstatten. Nachts spielte er auf der Chidinkalu, tagsüber saß er in dem mineralienreichen nass. Entweder tauchte er ganz ab, was ihm eine bemerkenswerte meditative Ruhe ermöglichte, denn so bekam er überhaupt nichts von seiner Umwelt mit, ganz so als hätte er sich in die eigene schützende Haut zurückgezogen. Oft blickte er aber auch hinaus in die Wüste und erspähte dabei viel Bemerkenswertes. Dass sie beileibe kein lebloser Ort war, wusste er natürlich. Doch als einzelner Wanderer, noch dazu wenn man bewegungslos und gut versteckt über lange Zeit ausharrte, bekam man viel mehr von ihrer vielfältigen Fauna zu Gesicht, als wenn man in der Gruppe unterwegs war. So unwirtlich die salzige Ebene selbst im Vergleich zur sandigen Dünenlandschaft auf der anderen Seite der Berge auch wirkte, sie beherbergte doch eine Vielzahl von verschiedenen Wesen. Die meisten von ihnen waren sehr klein, Insekten, Nagetiere und Reptilien, die aufeinander Jagd machten oder im Sand nach winziger Nahrung wühlten, deren Beschaffenheit sich Zots Kenntnis entzog. Andere waren größer, manche regelrecht gigantisch, und wie diese Kolosse es schafften, genug Nahrung zu finden, war ein interessantes Rätsel. Manche dieser Tiere zogen in weiter Ferne vorbei, so dass der Kitonak sie eher ahnen als beobachten konnte; manche jedoch kamen so nah, dass er sie beinahe berühren könnte. Denn das Wasserloch, eine kostbare Seltenheit auf dem ganzen Planeten, zog natürlich viele Wesen an, die hier ihren Durst stillten. Kleinere und größere Geschöpfe, teils harmlos, teils gefürchtete Räuber, kamen hierher und blieben manchmal nur für Augenblicke, teilweise aber auch für Stunden. Zot vermutete, dass viele ihn bemerkten, doch kaum eines schenkte ihm besondere Aufmerksamkeit; sie hielten ihn offenbar nicht für eine Bedrohung, und er war bestrebt, dass das auch so blieb. Mit der Ruhe, die seinem ganzen Volk angeboren war, stellte es keine Schwierigkeit für ihn dar, die Wesen ungestört zu betrachten, wobei er viel über sie lernte. Die Beobachtungen waren wiederum die Grundlage für tiefgründige, ins Philosophische gehende Betrachtungen über seine Heimatwelt, die Wechselwirkungen zwischen deren Bewohnern und das Leben an sich. Es war die bisher interessanteste Etappe seiner Reise, obwohl er sich tagelang überhaupt nicht von der Stelle bewegte und noch nie im Leben so passiv gewesen war.

Doch irgendwann war diese Episode zuende. Denn ohne einen Zufluss oder Niederschlag musste das Wasserloch schlussendlich versiegen. Es verschlammte immer mehr, bis schließlich nur noch eine zähe Pampe übrig war, nicht mehr tief genug, um Zots gedrungenen Körper aufzunehmen. Nicht mehr lange, und auch hier würde nur mit Salzkristallen überzogene, von Trockenrissen durchfurchte Ebene bleiben, die sich vom umliegenden Terrain nicht unterschied, bis in zehn Jahren wieder Regen fiel und sich womöglich erneut an dieser Stelle sammelte.

Als es um den Tümpel geschehen war, wartete der Nomade noch bis zum nächsten Morgen, bevor er weitermarschierte. Die Klänge seiner Flöte klangen in jener Nacht heiter und zuversichtlich. Denn die vergangenen Tage, die er vor allem genutzt hatte um in sich zu gehen, hatten ihm gut getan. Nun freute er sich darauf, wieder zu wandern. Die Route stand fest: Er wollte dem Gebirgszug weiter nach Nordwesten folgen, die Berge immer in Sichtweite. Denn die Salzebene selbst mochte zwar bequem zu durchwandern sein, aber im Fall eines Sturmes bot sie keinen Schutz, und Zot war ziemlch sicher, dass das Wetter ihm nicht ewig so gewogen bleiben würde.


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Zots Reise ging in der gewohnten Langsamkeit vonstatten. Gemächlich setzte er einen Fuß auf den anderen und bewegte sich zwar kontinuierlich, aber nicht gerade rasch voran. Obwohl er viele Stunden ohne Pause marschierte, machte er nur wenige Kilometer am Tag. Bei klarer Sicht und ebener Landschaft bedeutete dies, dass sich die Aussicht vom Morgen bis zum Abend quasi nicht veränderte und man den eigenen Fortschritt kaum sehen konnte. Doch er war es nicht anders gewöhnt und wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass jemand sein Marschtempo als quälend langsam betrachten könnte.

Das geringe Tempo und die Eintönigkeit der Wüste um ihn herum - karge Felsenberge zur Linken, trockenrissige Salzwüste zur Rechten sowie geradeaus - bot ihm die Gelegenheit, sich seinen Gedanken zu widmen. Das hatte er auch in den letzten Tagen schon gemacht, doch waren seine Gedankengänge jetzt anderer Natur. Während seiner Rast am Wasserloch hatte er die Gelegenheit gehabt, das vielfältige Leben in der Wüste zu betrachten, weswegen seine Überlegungen sich größtenteils darum gedreht hatten. Nun war er aber wieder alleine mit sich selbst, dementsprechend kreisten auch seine Gedanken nun eher um ihn und das was vor ihm lag. Und hinter ihm.

In diesen Stunden dachte der junge Nomade viel an seinen Stamm. Er war erst wenige Wochen unterwegs, weshalb die Erinnerung noch frisch war. Er erinnerte sich gut an jedes einzelne Gesicht und jede Stimme. Zehn Jahre seines Lebens hatte er unter diesen Kitonaks verbracht und daher jeden von ihnen gekannt. Manche eher flüchtig, andere aber beinahe so gut wie sich selbst. Am intensivsten dachte er an seine Mutter, zu der er eine enge Bindung gehabt hatte; die Trennung von ihr war ihm nicht leicht gefallen. Auch seine kleine Schwester, die er gerne hätte aufwachsen sehen, vermisste er. Und dann war da noch jene junge Kitonak-Frau, mit der er so köstliche Stunden während der Regenzeit verbracht hatte. Er hatte mehr als bloße Leidenschaft für sie empfunden, Gefühle, die neu für ihn waren und die er gerne erforscht hätte. Doch mit seinem Entschluss, den Stamm zu verlassen, um in Anbetracht der schwierigen Versorgungslage die kargen Ressourcen zu schonen, hatte er einen Abschied ohne Wiedersehen gewählt.

Das Merkwürdige daran war, dass dieser Gedanke ihn überhaupt nicht mehr schmerzte. Bereut hatte er die Entscheidung zu keinem Zeitpunkt; dafür hatte er sie auch viel zu gründlich durchdacht. Aber bislang hatte er sie alle doch sehr vermisst. Es hatte ihm Kummer bereitet, sich vorzustellen, dass er sie nie wieder sehen und nie erfahren würde, was aus ihnen geworden war, ebenso wie sie stets in Ungewissheit um sein Schicksal leben würden. Doch zu irgend einem Zeitpunkt seiner Reise hatte diese Endgültigkeit ihren Schrecken für ihn verloren. Wenn er jetzt zurück blickte auf die teils harten und mühsamen, im Großen und Ganzen jedoch stets guten Zeiten, dann empfand er vor Allem Freude. Und Dankbarkeit für die Zeit, die er mit ihnen hatte teilen dürfen. Dass dieses Kapitel nun endgültig abgeschlossen war, damit hatte er sich ohne es zu merken abgefunden. Das Neue, das vor ihm lag, schreckte ihn nicht, ebenso wie es ihn nicht über die Maßen faszinierte oder seinen Abenteuergeist beflügelte. Konnte man sich an etwas, das man noch gar nicht kannte, bereits gewöhnen? Es schien zumindest so. Denn in Anbetracht der Tatsache, dass er schon so viel Neues und Unerwartetes gesehen und erlebt hatte, empfand er es als ganz normal und natürlich, dass noch mehr Erfahrungen dieser Art auf ihn warteten, dort draußen in den endlosen Wüsten von Kirdo. Es war richtig und gut so. Auch wenn er seinen Weg noch nicht kannte: Im übertragenden Sinne hätte er nicht klarer vor ihm liegen können.


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Im Lauf der Tage veränderte sich die Landschaft, zumindest eines ihrer dominierenden Elemente. Die Berge zur Linken wurden immer flacher und an die Stelle von schroffen Zacken und Kanten traten runde, vom Wind und Wüstensand geschliffene Formen. Je weiter Zot kam, um so mehr wandelte sich der Gebirgszug zu einer Hügelkette, aus der nur noch gelegentlich ein spitzer Gipfel oder ein Fels hervorstach. Und dann endete die Formation. Der Salzsee allerdings erstreckte sich weiter, nun in alle Richtungen. Er war größer als der Kitonak vermutet hatte, und der Ausläufer der Berge, dem er gefolgt war, musste als Halbinsel mitten in den See hinein ragen, wenn er einmal pro Jahrzehnt Wasser führte. Er blieb stehen und sann eine lange Zeit darüber nach, welchen Weg er nun nehmen wollte. Um die Berge herum, auch wenn ihn das möglicherweise auf seinem Weg zurück ins Wandergebiet seines Stammes brachte? Oder weiter in die weiße, trockenrissige Ebene hinein, auch wenn es fraglich blieb, ob er dort Nahrung und Wasser fand? Er nahm sich Zeit für diese Entscheidung. Sie fiel letztlich auf den Weg nach vorne. Umzukehren erschien ihm falsch. Er hatte die Mühe der Überquerung des Gebirges auf sich genommen, um es zwischen sich und die Seinen zu bringen, als eine moralische Barriere, die ihn von den vergangenen Kapiteln seines Lebens trennte. Sein Ziel war nicht eine Rückkehr zu seinem Stamm, sondern einen neuen zu finden. Diesem Ziel konnte ihn der Rückweg nicht näher bringen. Also stapfte er weiter in die sengende, blendende Salzwüste hinein. Früher oder später musste er ja an deren jenseitigen Rand gelangen.

Doch dieser lag weiter entfernt als gedacht. Die Unmenge an Wasser, die nötig war um diese Ebene bis zum Horizont anzufüllen, war unvorstellbar, selbst nachdem Zot die sintflutartigen Regenfälle und schlagartig anschwellenden Flüsse der seltenen Regenzeit erlebt hatte. Irgendwann gab es ringsum nichts mehr außer Salz und Sand. Die Hügelkette verschwand am rückwärtigen Horizont. Zwar gab es Spuren von Leben, wie überall in der Wüste, wenn man die Augen offenhielt - eine Fähigkeit, die der Nomade während seiner einsamen Wanderung geschärft hatte. Aber nichts deutete darauf hin, dass sich gelegentlich Kitonaks in diese Gegend verirrten. Und, was noch schlimmer war: Auch auf Choobas gab es keine Hinweise. Mit jedem verstreichenden Tag achtete Zot mehr auf die Hinweise. Die Spuren ihrer flachen Schneckenkörper in der dünnen Staubschicht, die auf dem harten Boden lag. Fraßspuren an den wenigen Wüstengewächsen, die er erblickte. Ihren Geruch, den die empfindlichen Rezeptoren in seinen Fußsohlen über einige Entfernung wahrnehmen konnten. Nichts. Als wäre niemals ein solches Geschöpf überhaupt in der Nähe gewesen. So etwas kannte der Nomade nicht: In dem Gebiet, das er von kleinauf kannte, fand man unter Garantie nach einigen Tagen zumindest eine Spur. Hier jedoch war das anders. Was sollte er nur tun, wenn es dabei blieb? Nicht mehr lange, bis er wieder essen musste. Er konnte nicht ewig ohne Nahrung sein. Vielleicht noch drei oder vier Tage, dann würde starker Hunger sich einstellen und seine Kräfte würden sinken.

Zot war unentschlossen. Sollte er bleiben und auf Choobas lauern, in der vagen Hoffnung dass doch noch welche vorbei kamen? Oder weitergehen oder umkehren, um woanders sein Glück zu versuchen und dabei noch mehr Energie verbrauchen? Ratlos stand er da. Ihm fehlte es an Erfahrung, um die Situation passend zu beurteilen. Dabei war er sich der Gefährlichkeit der Situation durchaus bewusst. Er fragte sich, ob es die falsche Entscheidung gewesen war, in die Sandebene hineinzumarschieren, und ob er diesen Fehler nun mit dem Leben bezahlen musste. Wie viele Kitonaks verhungerten wohl, wenn sie alleine und abseits ihrer gewohnten Gebiete auf Wanderschaft waren?


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Zot stand da die ganze Nacht und bis zum nächsten Morgen. So lange dauerte es, bis er sich zu einer Entscheidung durchringen konnte. Es war schwierig, da er zwar die Folgen eines Scheiterns, nicht aber seine tatsächlichen Möglichkeiten kannte. Vor, zurück, einfach an dieser Stelle bleiben... alles konnte gleichermaßen falsch und richtig sein. Er war es nicht gewohnt, Beschlüsse zu fassen, wenn so wenig Informationen vorlagen wie jetzt. Aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben, indem er sich in diese Lage gebracht hatte. Nach diesen Stunden, die jedenfalls auch nur nutzlos verschwendete Zeit gewesen waren, war er zumindest sicher, keinen wichtigen Aspekt in seinen Überlegungen ausgelassen und nichts übersehen zu haben - und wusste trotzdem nichts. Er tat, was sein Instinkt ihm gebot, und mit stapfenden Schritten setzte er seinen Weg fort. Immer geradeaus, auf den Horizont zu. Es war ihm schwergefallen, sich dazu durchzuringen. Doch nun, da die Entscheidung einmal gefallen war, zog er sie unbeirrbar durch. Es tat gut, zu wissen, was man wollte und wohin man unterwegs war. So kehrte auch seine innere Ruhe wieder.

In der nächsten Nacht rastete er nicht. Zwar holte er seine Chidinkalu-Flöte hervor und spielte während des Marsches ein paar Tonfolgen, doch ging er einfach weiter. Den Rand des Salzsees und fruchtbarere, tierreichere Gegenden zu erreichen, war in diesem Moment sein einziges Ziel. Nach anderen Kitonaks suchen und seinen Gedanken nachhängen konnte er noch, wenn sein Leben gerettet war. Denn zum ersten Mal während seiner einsamen Reise - abgesehen von jenen gefährlichen Momenten, als er Raubtieren begegnet war - sah er dieses ernsthaft in Gefahr. Die Angst war nicht besonders stark und noch nicht in die vorderen Bereiche seines Denkens vorgedrungen, aber sie war ein allgegenwärtiger Begleiter. Mit jedem Tag sorgte Zot sich mehr.

Nach vier Tagen und zwei durchmarschierten Nächten bemerkte er eine Veränderung. Doch zu seinem Leidwesen bezog sich das weder auf die Landschaft noch auf die dringend benötigten Nahrungsvorkommen. Es war ein Wetterumschwung, der sich abzeichnete. Wie so oft, wusste er es, bevor er die Anzeichen sah; er entdeckte diese sogar nur, weil er gezielt nach ihnen suchte, nachdem die Erkenntnis sich eingestellt hatte. Von Südosten her, also von hinten, näherte sich ein Sturm. Der Himmel hatte sich gelborange verfärbt von den Sandschwaden, die der Wind vor sich her trieb, und bald spürte der Kitonak die ersten Böen, die Schlimmeres ankündigten. Ein Sturm, sofern er kräftig ausfiel, konnte ein Vorwärtskommen unmöglich machen und ihn zu einer Rast zwingen. Manchmal konnte das heftige Wetter tagelang anhalten. Längst schon hatte sich Hunger eingestellt und ein Ende der Salzebene war noch immer nicht in Sicht. Hatte sich denn alles gegen ihn verschworen?

Er wusste sich keinen Rat, als seinen Weg unbeirrt fortzusetzen, solange es eben möglich war. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. So tat er das, was viele Wesen in ausweglosen Situationen tun: Er wandte sich an eine Macht, die größer war als er.


»Kosmisches Ei, hilf mir«, schickte er ein stummes Gebet hinauf ins All. »Gib mir die Kraft, lange genug durchzuhalten, und schick mir Jagdglück, bevor es zu spät ist!«

Aus der Flasche, die aus einer Sulfaruknolle geschnitzt war, nahm er den letzten Schluck des salzigen Wassers, das er sich nach seiner Rast am Tümpel mitgenommen hatte. Es aufzusparen, brachte jetzt nichts mehr. Wofür sollte das gut sein? Er brauchte seine Kräfte jetzt - später war es zu spät. Drei oder vier Tage blieben ihm womöglich noch, bevor er vor Hunger und Ermattung einfach zusammenbrach. Und der Weg bis zum Horizont, hinter dem vielleicht die Rettung lag, war so unendlich weit...

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Schon als die ersten Ausläufer des Sturmes Zot erreichten, wusste dieser, dass ihm ein schweres Unwetter bevorstand. Die Winde transportierten weniger Sand, als er es gewöhnt war, denn die Umgebung bestand größtenteils aus fest verbackenen Salzschollen. Aber das Material, was sie fanden oder von weither mitgebracht hatten, peitschten sie mit beachtlicher Stärke gegen seine zähe Haut. Ein besorgniserregendes Heulen und Grollen setzte an und Blitze zuckten durch die wirbelnden Schwaden, die die Sonne verdunkelten und den Kitonak zwangen, seine Augen zusammenzukneifen und blind weiterzumarschieren. Obwohl die Sturmböden von hinten kamen, erschwerten sie das Vorwärtskommen beträchtlich, denn bald schon hatten sie eine Stärke angenommen, die ihn umzureißen drohte. Nach wie vor stellte der Hunger eine große Bedrohung für ihn dar, doch der Sturm war nicht minder gefährlich. Aus der Gewohnheit heraus bückte er sich zum Boden, um sich im Wüstensand zu verscharren, wie sein Volk es bei besonders schweren Stürmen für gewöhnlich tat. Doch es gab keinen lockeren Sandboden wie in der Dünenlandschaft, in der er den größten Teil seines bisherigen Lebens verbracht hatte. Ein sinnloses Unterfangen, sich in diese feste Kruste eingraben zu wollen. Und Deckung gab es in weitem Umkreis nicht. Keine Hügel, keine Felsen, nichts, was dem Sturmwind Widerstand und ihm Schutz bieten konnte. Er war der Naturgewalt hilflos ausgeliefert und konnte nichts weiter tun, als sich möglichst festen Stand zu verschaffen, dem Sturm entgegenzustemmen, sich vollständig in die schützende Hülle seiner mehrschichtigen, ledrigen Haut zurückzuziehen und das Beste zu hoffen. Doch echte Hoffnung kannte Zot zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ein nie gekanntes Gefühl der Verzweiflung machte sich in ihm breit und zudem die Erkenntnis, dass er nicht Herr über sein Schicksal war. Andere Mächte entschieden darüber, ob er leben oder sterben sollte.

Alles deutete auf Sterben hin. Der Wind nahm weiter zu. Bald war er so stark, dass er den Nomaden umzuwerfen drohte. Er riss ihm den Umhang vom Leib und das Bündel aus den Händen. All seine Besitztümer, einschließlich seiner kostbaren Chidinkalu-Flöte, wirbelten binnen eines Augenblicks davon. Nun hatte er nichts mehr bis auf das nackte Leben und auch dieses schien in jener Lage nicht viel wert zu sein. Als er nicht mehr stehen konnte, kauerte er sich nieder, mit den Händen zusätzlichen Halt suchend. Doch die nächste Bö, von so brutaler Stärke wie er es nie erlebt hatte, riss ihn um. Von nun an gab es kein Halten mehr: Einmal in Bewegung, trieb ihn der sandige, salzige Wind immer weiter vor sich her. Als Spielball der Naturgewalt wurde Zot über den Wüstenboden gestoßen, gerollt und geschleift, eine schmerzvolle und angsteinflößende Prozedur. In dem Bestreben, schwere Verletzungen zu vermeiden, kauerte er sich zu einer Kugel zusammen, solange seine Kraftreserven dies zuließen. Bis ihn schließlich auch diese verließen und mit ihnen die Besinnung schwand.


***

»Ich bin tot«, dachte Zot.

Es war schwer zu sagen, wie viel Zeit seit Beginn seiner Ohnmacht verstrichen war und wieviel noch über diese Überlegung verging. Es spielte auch keine Rolle, da er keine Erinnerung und keinen klaren Verstand mehr hatte. Der Gedanke, dass er nicht mehr am Leben war, war tatsächlich alles, was in ihm vorging, und auch das war mit keiner Wertung, keinen Rückschlüssen verknüpft, so als sei es der normalste Zustand der Welt und keiner weiteren Überlegung wert.

Doch dann setzte der Schmerz ein. Ein umfassender, allgegenwärtiger Schmerz, der durch seinen ganzen Körper pulsierte. Der Gedanke, dass er überhaupt einen Körper haben sollte, erschien ihm zunächst absurd, denn er war ja tot. Doch der Schmerz hielt an und stellte diese Erkenntnis zunehmend in Frage, bis er schließlich zu dem Schluss kam, dass er womöglich doch noch am Leben war - verbunden mit der beunruhigenden Frage, wo und in welchem Zustand er sich wohl befand.

Es dauerte eine geraume Zeit, bis er neben den quälenden Schmerzen noch andere Sinneseindrücke ausmachen konnte, und noch länger, bis er sie geordnet hatte. Nach und nach wurde er immer sicherer, dass er vollständig von kühlem Sand umgeben war. Noch waren seine Lungen mit Luft gefüllt, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte, jemals eingeatmet zu haben. Er versuchte, sich zu bewegen, was eine weitere Schmerzwelle auslöste - und diese weckte ihn nun endlich richtig auf. Er erinnerte sich an den Sturm. Wo auch immer er sich befand, der Wind musste ihn hierher gebracht haben. Um ihn herum war tatsächlich Sand: Kein fester Wüstenboden, in den man sich nur mit Mühe eingraben konnte, sondern lockeres Material, das der Wind frisch zusammengetragen hatte. Obwohl es ihm einige Qualen bereitete, zwang er seine Muskeln, sich zu bewegen. Nach und nach rüttelte er sich aus dem Haufen frei. Entgegen seiner Gewohnheit, in einem solchen Fall zunächst sorgfältig die Umgebung zu beobachten, öffnete er Nase, Mund und Augen zugleich und sog die kalte Nachtluft in sich ein, zusammen mit dem Sternenlicht. Ja, Zot lebte tatsächlich, auch wenn er es noch nicht ganz verstand. Verwirrt blickte er umher und stellte fest, dass die Landschaft um ihn herum sich drastisch verändert hatte. An die Stelle des ausgetrockneten, schorfigen Beckens waren sandige Hügel getreten. Und zwischen diesen standen Wüstengewächse.

Vor Ermattung, vor allem aber vor Erleichterung, wurden ihm die Knie weich und er sank in den weichen Sand zurück. War es denn zu fassen? Der grausame Sturm, der ihn fast das Leben gekostet hätte, hatte sich als echter Segen erwiesen. Er hatte ihn stunden- oder tagelang vor sich hergetrieben, weit schneller, als er es zu Fuß geschafft hätte, aus der Todesfalle des leblosen Salzsees heraus. Um ihn herum wuchsen Sulfaru-Pflanzen, und wo sie wuchsen, da waren Choobas meist nicht weit. Nicht nur hatte der Orkan sein Leben verschont, er gab ihm sogar neue Hoffnung auf ein Ende des Hungers. Es war wahrhaftig ein Wunder!

Sofort begann Zot mit der ›Jagd‹ - obwohl die Chooba-Schnecken tagaktiv und um diese Zeit wahrscheinlich gar nicht unterwegs waren. Er hockte sich reglos hin und sperrte den Mund auf. Der Vanillegeruch, den er verströmte, sollte die Tiere anlocken und direkt zu ihm führen. An seinem Jagdglück zweifelte er nicht. Es erschien ihm völlig klar, dass er nach diesem wundersamen Erlebnis nun auch Nahrung finden würde. Das Kosmische Ei hatte ihn gerettet, es würde ihn nun auch vor dem Hungertod bewahren.

Der Kitonak war immer schon gläubig gewesen, doch zum ersten Mal fühlte er sich dem Göttlichen wirklich nahe. Das Schicksal hatte noch etwas mit ihm vor, dessen war er völlig sicher in diesem Moment, in dem er dem Tod entronnen war und sich zwischen den Welten zu befinden schien.


[Kirdo-System | Kirdo III | Dünenlandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot
 
[Kirdo-System | Kirdo III | Dünenlandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot

An Geduld mangelte es dem Kitonak nun nicht mehr. Zwar war der Hunger quälender denn je (noch nie hatte er so lange nichts gegessen), doch war seine Zuversicht, dass bald eine Chooba vorbei kommen würde, ungebrochen, auch wenn es dafür keinen wirklich rationalen Grund gab. Da er sich während der Jagd völlig passiv verhielt und es der Schnecke überließ, in seine Falle zu tappen, verbrauchte er kaum Energie und konnte die letzten verbliebenen Kalorien aufsparen. Zwei Tage oder drei, so dachte er, würde er es auf jeden Fall noch aushalten. Zwar war das keine übermäßig lange Zeit für eine Chooba-Jagd in unbekanntem Terrain, aber wie gesagt war er sicher, dass das Kosmische Ei ihm auch hierin beistehen würde. Nachdem er den brutalen Sturm nicht nur überlebt, sondern dieser ihn auch noch in Sicherheit gebracht hatte, war der Glaube an göttliche Führung tiefer denn je.

Tatsächlich schien es, als meinte das Schicksal es überaus gut mit ihm. Es war erst früher Nachmittag, als er die Gegenwart von Chooba-Schnecken bemerkte. Wie auch schon in der Vergangenheit, wusste er einfach, dass sie da waren, obwohl er sie mit keinem seiner biologischen Sinne wahrnehmen konnte. Dass es seinen Artgenossen nicht ebenso ging, wusste er nicht. Hätte er je mit seinen Stammesbrüdern oder seiner Mutter darüber gesprochen, so hätte man daraus und aus seiner Fähigkeit, Wetterumschwünge ebenso rasch und zuverlässig zu bemerken wie die Alten und Erfahrenen, Schlüsse gezogen. Doch dazu war es nicht gekommen. Für ihn war es völlig normal, dass die Dinge so waren, und er wäre nie auf die Idee gekommen, etwas Ungewöhnliches darin zu sehen.

Die Schnecken, die mit - selbst nach Zots Ermessen - ziemlich langsamer Geschwindigkeit durch den Wüstensand krochen, orientierten sich mit ihren geruchsempfindlichen Fühlern nach allen Richtungen, um unter den verschiedenen knolligen, stacheligen, großblättrigen oder strauchartigen Pflanzen ihre Leibspeise auszumachen: Die Sulfaru-Pflanze. Ein Gewächs, das eine gelbliche oder rosa Farbe annahm, dicke Knollen ausbildete und attraktiv nach Vanille duftete - eine Erscheinungsform, die ein bewegungsloser Kitonak vortrefflich nachahmte. Die Tiere teilten sich auf, und tatsächlich steuerten einige von ihnen in Zots Richtung.


»Kommt, kommt«, lockte er sie im Geiste, auch wenn er nicht glaubte, dass es etwas bewirkte. Es war lediglich eine Marotte von ihm und vielleicht mit einer kleinen Spur von Aberglaube belegt. »Kommt zu mir, leckere Choobas...«

Speichel lief ihm nicht im Munde zusammen: Das wäre eine unerhörte Verschwendung von Wasser gewesen, denn durch die Mundöffnung wäre er rasch verdunstet. Aber auch ohne dieses äußere Zeichen stieg sein Appetit mit jedem Dezimeter, den die Schnecken zurücklegten. Der Hunger machte sich nun stärker denn je bemerkbar und fast befürchtete der einsame Nomade, dass sein knurrender Magen die Beute abschrecken könnte. Doch die Choobas ließen sich nicht beirren. Zwei von ihnen krochen zu seinen Füßen und dann an seinem Körper empor, auf der Suche nach einer Möglichkeit, an das wasserhaltige Fleisch der vermeintlichen Sulfaru zu gelangen. Bis eine von ihnen - die größere - seine Mundöffnung erreichte, aus der Zots Vanillegeruch am intensivsten strömte.

Es war ein großes, fleischiges Exemplar, eines, das seinem Hunger entsprach. Um zwischen seinen hornigen Lippen hindurchzuschlüpfen, musste das Tier noch mehr von seinem zähen Schleim absondern. Doch kaum war es drinnen angelangt und glaubte sich in einer Speisekammer der Natur, so klappte Zots Mund hinter ihm zu. Anstatt sich selbst sattzufressen, war die Schnecke zur Mahlzeit für den hungrigen Kitonak geworden, der sie am Stück hinunterschlang. Nach einem kurzen Todeskampf würde sie langsam verdaut werden und ihn einen weiteren Monat mit allen nötigen Nährstoffen versorgen.

Sofort fühlte Zot sich gesättigt und befriedigt. Es war ein großartiges Gefühl. Langsam griff er nach der zweiten Schnecke, die noch immer an ihm emporkroch, und zog sie von seiner Haut ab, wobei ein leises, schmatzendes Geräusch entstand. Er schaute sich nach einer Sulfarupflanze um und trug das zweite Tier dorthin, um es in die weichen, oberen Triebe zu setzen. Er war satt, nun war die Chooba an der Reihe.


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[Kirdo-System | Kirdo III | Hügellandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot

Zots Hoffnung hatte ihn nicht getäuscht und seine Not war schnell gelindert worden. Ein Wohlgefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus, als der Verdauungsprozess einsetzte. Die große, wohlgenährte Chooba-Schnecke lieferte ihm Wasser und Nährstoffe, die für einige Zeit ausreichen würden. Während er noch vor kurzem Angst haben musste, dass ihn der Hungertod ereilen könnte (wie so manchen anderen einsamen Kitonak, deren vertrocknete Körper man hin und wieder im Wüstensand fand), hatte er nun keine Sorgen mehr. Es ging ihm nun mental so gut, dass auch der Schmerz nachließ, den er sich bei seiner unfleiwilligen Reise als Spielball des Sturmes an allen Gliedern zugezogen hatte. Ein Hoch auf das robuste Skelett und die fast unzerstörbare Haut der Kitonaks und ihre gute Wundheilung.

Nun sah der Nomade sich in der Umgebung um. Es handelte sich um eine teils sandige, teils felsige Hügellandschaft, wie er sie auch vom Wandergebiet seines Stammes kannte; eine vertraute Umgebung also. Allerdings gab es auch Elemente, die ihm fremd waren. Eine hochgewachsene, kaktusartige Pflanzenart mit bräunlichen Nadeln kannte er beispielsweise nicht und auch die Färbung der Felsen war ungewohnt. Der Sturm hatte zudem ganze Arbeit geleistet, was die Umgestaltung der Landschaft anging. Er hatte Pflanzen entwurzelt oder abgerissen, Felsen von ihrem Platz gewälzt und vor allem den Sand aufgewühlt. Von manchen Pflanzen schaute nur noch die Spitze heraus, während andere wohl ganz verschüttet waren und nun ersticken mussten.

In einiger Entfernung - ein Kilometer etwa, also ungefähr eine Wegstunde in normaler Kitonak-Gangart - überragte eine große Düne das Gelände. Es war eine der größten, die Zot bisher gesehen hatte, und sie bestand aus Sandablagerungen verschiedener Färbungen von Rostrot über Weiß bis hin zu Sonnengelb. So etwas hatte er noch nicht gesehen - dies war einer der Gründe, weshalb er sich entschied, dorthin zu gehen. Der wesentlich praktischere Anlass war, dass er von dort wohl eine sehr gute Aussicht hatte. Sich einen Überblick zu verschaffen war die wichtigste Voraussetzung dafür, seine weitere Wanderung richtig zu planen und Fehler wie den letzten - den Marsch durch die tödliche Salzebene - zu vermeiden. Er setzte sich also in Bewegung, ohne jede Hast, und interessiert die Landschaft um sich herum beschauend.

Nach einer Viertelstunde hielt er inne, als er etwas entdeckte: Eine junge, aber hoch und gerade gewachsene Chidinka, die offenbar noch einige Flüssigkeit gespeichert hatte. Sie erinnerte ihn daran, dass er während des Sturms seine gesamten Besitztümer bis hin zu seiner Kleidung verloren hatte. Auch die kostbare Chidinkalu-Flöte hatte er eingebüßt. Es war wichtig, eine zu besitzen, das hatten die älteren Stammesmitglieder vor seinem Aufbruch mehrfach betont. Nicht nur, um durch die weithin hörbaren Melodien andere Nomaden auf sich aufmerksam zu machen. Die Musik half ihm auch dabei, das Heimweh abzuschütteln und mit der Einsamkeit zurecht zu kommen. Er wollte also nicht lange ohne sein Instrument auskommen müssen. Da es jedoch nicht nur unwahrscheinlich, sondern sogar unmöglich war, es wieder zu finden, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich eine neue Chidinkalu anzufertigen. Daher nahm er sich die Zeit, die nötig war, um die Chidinka auszugraben und den Teil ihres Rohres abzutrennen, der für den Bau der Flöte am geeignetsten war. Leider war er auch seines Werkzeugs verlustig geworden, so dass er sich dabei mit unbehauenen Steinen behelfen musste und auch noch nicht wusste, wie es ihm gelingen sollte, das Holz auszuhöhlen. Aber das würde sich schon finden.

Wie einen Schatz hielt er das Stück Holz in beiden Händen, als er seinen Weg zu der bunten Düne fortsetzte.


[Kirdo-System | Kirdo III | Hügellandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot
 
[Kirdo-System | Kirdo III | Hügellandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot

Zweimal machte Zot Halt auf seinem Weg zu der großen, merkwürdig gemusterten Düne.

Zuerst bei dem ausgeblichenen, vom Sand abgeschliffenen Skelett eines großen Raubtieres - einer Art, die er nicht kannte, die aber mit Sicherheit auch für einen Kitonak sehr gefährlich werden konnte. Er studierte die Knochen in dem Versuch, mehr über das Wesen zu erfahren, um auf etwasige Begegnungen vorbereitet zu sein. Viel lehrten ihn die Überreste nicht, die teilweise tief im Sand begraben waren und teilweise wild durcheinander lagen, weil andere Tiere und die Naturgewalten an ihnen gezerrt hatten. Doch das, was er erkennen konnte, lehrte ihn, dass er auf der Hut sein musste. Das Wesen war, seinem Gebiss zufolge, eindeutig ein Jäger. Sein langer Körperbau und die breiten, flossenähnlichen vorderen Gliedmaßen deuteten darauf hin, dass es zu jenen Schrecken gehörte, die so gerne in Fließsandgruben lauerten, auf diejenigen, die unvorsichtig genug waren, sich hinein zu begeben - oder die das Pech hatten, einfach in der Nähe vorbei zu kommen. Die Zähne waren beachtlich und wohl selbst für die dicke, fast unzerstörbare Haut eines Kitonak zerstörerisch, so dass er ihnen in lebendigem Zustand nicht zu nahe kommen wollte. Doch so wie sie jetzt dalagen, waren sie etwas anderes: Eine ungenutzte natürliche Ressource. Zot suchte sich einen faustgroßen Stein und schlug damit ein paarmal auf den Kieferknochen der Bestie ein, bis dieser brach und zwei der Zähne - einen großen, breiten, und einen wesentlich kleineren, spitzeren - freigab. Sie nahm er an sich, ebenso wie das Stück Chidinka-Holz zuvor. Sie sollten einen Grundstock für eine neue Sammlung einfacher Werkzeuge bilden, die sein Überleben in der Wüste vereinfachen konnten.

Ein zweites Mal hielt er bei einer merkwürdigen, knolligen Pflanze, die von kleinen Insekten umschwirrt wurde und diese jagte, indem sie in unregelmäßigen Abständen mit zungenähnlichen, klebrigen Tentakeln nach ihnen schlug. Auch diese Wesen - sowohl das Gewächs als auch die Insekten - kannte er aus seiner Heimat nicht. Obwohl sie in Gefahr waren, ließen sich die rot glänzenden Käfer nicht davon abhalten, sich der Pflanze immer wieder zu nähern, da sie offensichtlich von irgend etwas unwiderstehlich angezogen wurden - ganz wie eine Chooba-Schnecke vom Duft und Aussehen eines Kitonak, der ihr schließlich den Tod brachte. Über diese Parallele nachsinnend, beobachtete er das Treiben eine ganze Weile, bis er sich schließlich wieder auf den Weg machte.

Obwohl die Grundzüge dieser Landschaft dem Wandergebiet seines Stammes ähnlich waren, waren doch die Unterschiede nicht zu übersehen. Ähnlich wie in der Salzebene gab es hier viel Neues für Zot zu entdecken. Die Gelegenheit, neue Erfahrungen und Kenntnisse zu sammeln, um so sein Überleben zu sichern und später zu einem noch wertvolleren Mitglied eines neuen Stammes zu werden. Neugierig - sofern man ihm mit dem typisch gelassenen Gemüt eines Kitonak überhaupt einen solchen Charakterzug unterstellen konnte - sog er die Eindrücke in sich auf.

Die nächste Überraschung entdeckte er, als er den Fuß der Düne erreichte. Es stellte sich nämlich heraus, dass schon die Annahme, es handle sich um eine solche, völlig falsch gewesen war. Die Form war zwar ganz die einer gewaltigen Wanderdüne, aber tatsächlich war es ein Berg aus Felsgestein, grobkörnigen Sandstein, der in verschiedenen Farben übereinander geschichtet lag und vom Sturm in diese Form geschliffen worden war. Salzweiß, sonnengelb, rotbraun und in den bleichen Farbtöne der Kitonak-Haut von gelblich bis rosa war der Fels quergestreift und bei näherem Hinsehen fand Zot auch heraus, dass die Schichten eine unterschiedliche Körnung und Beschaffenheit aufwiesen. Was für ein merkwürdiger Ort... und dennoch kein gänzlich fremder, denn er hatte von ihm gehört.


›Ewige Düne‹, ›Bunter Berg‹ oder auch ›Tote Düne‹ nannten die Kitonaks diese eigentümliche, vielleicht sogar gänzlich einzigartige Formation und sie spielte eine Rolle in zahlreichen Geschichten, die sich Zots Stamm während des gemeinsamen Erzählens in den Nächten ersonnen hatte. Da in diesen Erzählungen zwar Wissen überliefert wurde, die Nomaden zugleich aber auch ihre Gefühle und Phantasie einfließen ließen, war manchmal schwer zu sagen, wieviel wirklich an ihnen dran war. Das galt auch für diesen Berg, über den man Vieles und Widersprüchliches erzählte. Manches positiv und hoffnungweckend, anderes besorgniserregend und abschreckend.

Diese Unsicherheit brachte den jungen Kitonak dazu, ein weiteres Mal innezuhalten. Er musste nachdenken, und das erforderte Zeit, wenn es gründlich geschehen sollte. Nach und nach rief er sich alle Geschichten ins Gedächtnis, die er je über die Ewige Düne gehört hatte. Kein noch so kleines Detail wollte er übersehen, wenn er die Entscheidung traf, wie er nun weiter vorgehen wollte.

[Kirdo-System | Kirdo III | Hügellandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot
 
[Lianna – Lola Curich – Jedi-Tempel – YT-1300 Frachter - Cockpit] Arkon

Arkon hatte alle wichtigen Sachen, die er aufgelistet hatte und auch vom Orden bekommen hatte (einige Dinge waren so nicht vorrätig und er musste sich die Sachen selbst zusammenbasteln und improvisieren) in dem zur Verfügung gestellten Frachter untergebracht. Er hatte die Fracht im Frachtraum fest verzurrt und den Astromech dem Schiffscomputer vorgestellt, auch wenn den Computern eines YT-1300 eine ziemliche Rüpelhaftigkeit nachgesagt wird, schienen sich der Astromech und der YT-1300 ziemlich gut zu verstehen, auch wenn Arkon das Gepiepe eines Astromechs nicht verstand. Zum Glück war der Übersetzungsdroide ein Standard-Protokolldroide, mit zusätzlicher Ausrüstung, sodass dieser auch in der Lage war archäologische und antike Schriften zu identifizieren und zu übersetzen. Der Droide saß im Stuhl hinter dem Pilotensitz und verhielt sich mehr oder weniger ruhig, was Arkon sehr erfreute, wusste er doch wie nervig ein gesprächiger Droide sein konnte.

Arkon verließ das Cockpit und gesellte sich im mittleren Bereich des Schiffes zu dem Astromech und gab ihm neue Befehle: „Geh ins Cockpit und übertrag die berechnete Route in den Navigationscomputer.“ Anschließend ging er mit dem Droiden ins Cockpit zurück und überprüfte die verschiedenen Routen, die der Astromech berechnet hatte. Er wählte ein paar viel versprechende davon aus, legte sich auf eine davon fest und verließ anschließend mit dem YT-1300 Lianna in Richtung Kirdo III.

- Einige Tage später –

Arkon hatte die letzten Tage damit verbracht zu meditieren und einige Texte über die Manipulation von Materie und von Energie zu studieren. Er selbst hatte sich in die Arbeit und das Studium gestürzt, nachdem er einige wiederkehrende Träume von Coruscant und von Zannah hatte. Es hatte sich eine Bitterkeit und Dunkelheit in ihm breit gemacht, die er, wie er meinte, nur verdrängen konnte, wenn er sich davon ablenkte und sich mit anderen Dingen beschäftigte. Auch wenn er es von früher gewohnt war, alleine zu reisen, vermisste er nun die Gesellschaft anderer Wesen mit denen er sich austauschen konnte. Die zwei Droiden an Bord waren da allerdings nicht wirklich mitgezählt.
Arkon hatte außerdem einen kleinen Trainingsdroiden mit dabei und übte ab und zu das Blocken von Schüssen mit seinem Schwert, aber auch die Absorption durch die Technik der Energieabsorption, die er geradeso in den Grundzügen erfasst hatte. Auch wenn die Texte sehr aufschlussreich waren, so die war praktische Übung doch so viel besser. Er schaffte es ab und zu einen Treffer mit niedrigem Energiegehalt zu absorbieren, mehr allerdings noch nicht.

Doch jetzt hatte er keine Zeit mehr dazu weiter zu üben. Er war im Orbit von Kirdo III angekommen und Arkon war im Cockpit damit beschäftigt den Landeanflug auf den Planeten und den damit verbundenen Eintritt in die Atmosphäre zu vollziehen. Der Planet selbst hatte einen beigefarbenen Sandton und war wie er es sich vorgestellt hatte: eine Kugel aus Sand. Irgendwo im Nordwesten tobte einer der berüchtigten Sandstürme des Planeten. Arkon flog auf die groben Koordinaten zu, die ihm der Navcomputer ausspuckte. Was er suchte war eine bestimmte Felsformationen, die ihm die Richtung zum Kloster weißen sollte. Der Flug durch die Atmosphäre verlief etwas … unbeholfener, als es sich Arkon vorgestellt hatte, aber es war ein ziemlich windiger und stürmischer Planet, bei dem scheinbar eine stetige Durchmischung der verschiedenen Schichten stattfand, die nun das Schiff zu spüren bekam.
Er steuerte den corellianischen Frachter in Richtung Osten und überflog dabei Meere aus Sand, Sand und noch mehr Sand. Der Planet schien nur so aus oxidiertem Silizium zu bestehen und Arkon wunderte es, dass sich noch kein Mikrochiphersteller hierher verirrt hatte um den Planeten komplett zu entsanden. Dann tauchte vor ihm am Horizont ein etwas hellerer Berg auf, der eine ihm eigentümliche Musterung besaß, die ihn von der Umgebung absetzte.

Arkon korrigierte seinen Anflugvektor und reduzierte seine Geschwindigkeit. Er überflog einige Male langsam den Berg, konnte allerdings keine großartigen Hinweise erkennen, wie ihn dieser geschichtete Sandstein in Richtung des Klosters bringen sollte. Einer Eingebung der Macht – so beschrieben Jedi ihre impulsiven Entscheidungen nun einmal – folgend landete Arkon kurzerhand den Frachter in direkter Nähe des Berges. Er ging mit den zwei Droiden in den Frachtraum und bestückte seinen Schlitten mit allem Notwendigen, zog sich seine sandfarbene Wüstenkleidung an zog sich seine Schutzbrille an, und vermummte seinen Kopf um ihn vor der Sonne und dem Sand zu schützen. Den Wasserkanister packte er auch auf den Schlitten nur den Rucksack mit Schlafsack und anderen nicht so schweren Sachen zog er sich selbst an. Er platzierte den Schlitten auf einer Rampe, um anschließend die Rampe herunter zu fahren und den Planeten zu betreten.

Heiße Luft schlug ihm entgegen und ein kleiner Sandteufel wanderte an ihm vorbei. Die Luft war trocken und er spürte die brennende Sonne auch durch seine schützende Kleidung hindurch. Lange würde er der direkten Sonne wohl nicht widerstehen können und er bewegte sich rasch mit dem Übersetzungsdroiden in Richtung des Berges. Der Astromech blieb mit dem Materialschlitten zurück, aber in Bereitschaft.

Arkon war schon im Schatten des Berges angekommen, als er ein ihm unbekannte Wesen (Zot) stieß. Er konnte nicht wirklich sagen, welcher Spezies es angehörte und ob es ihn auch gesehen hatte, den es schien über keinerlei Augen zu verfügen, die Arkon erkennen oder sehen konnte. Die Tatsache, dass es aber auf zwei Beinen ging, interpretierte Arkon als Zeichen von Intelligenz.

Langsam aber sachte ging er auf das Wesen zu, dabei bedacht sich nicht anschleichen zu wollen, aber dennoch schwebte seine rechte Hand über seinem Lichtschwert, bereit es zu aktivieren, sollte es sich um eine gefährliche und aggressive Spezies handeln. Vier Schritte vor ihm blieb Arkon stehen und sprach es an:

„Wer bist du? Und kannst du mich verstehen?“

Anstelle eine Antwort zu erhalten, meldete sich der Droide mit einem arroganten Tonfall zu Wort:
„Die Wahrscheinlichkeit eine Antwort auf Basic von einer Ihnen unbekannten Spezies auf einem nicht erschlossenen Planeten zu erhalten liegt bei 1 zu einer Millionen, Meister. Ich schlage vor sie sollten es ignorieren und sich ihrer eigentlichen Mission zuwenden.“

Arkon wandte seinen Kopf von dem unbekannte Individuum ab und blickte die synthetische Lebensform, den archäologischen Übersetzungsdroiden an. Ihm antwortete er mit eisiger Stimme: „Sei still und halte dich bereit zu übersetzen.“


[Kirdo-System | Kirdo III | Hügellandschaft am Rand eines trockenen Salzsees] Zot, Arkon
 
[Kirdo-System | Kirdo III | am Rand eines trockenen Salzsees | Hügellandschaft | Fuß eines Sandsteinberges] Zot

Während Zot noch mit der schwierigen Entscheidung haderte, ob er weiter auf den Berg zu gehen sollte oder nicht, vernahm er plötzlich ein fremdartiges, brausendes Geräusch. Zuerst konnte er die Quelle nicht orten, stellte dann aber fest, dass sie sich über ihm befinden musste. Langsam wandte er den Kopf nach oben, doch sah er nichts Außergewöhnliches und der Laut verklang in der Ferne - was auch immer es gewesen war, es war schnell wieder verschwunden. Wie angewurzelt verharrte er nun. Nach wie vor stellte er sich die Frage, ob er irgend etwas über den dünenähnlichen, bunt gestreiften Sandsteinfelsen wusste, das ihm riet, sich fernzuhalten. Nun kam noch die Überlegung hinzu, was wohl die Ursache des Brausens gewesen war und ob eine Bedrohung davon ausging.

Einige Minuten später hörte er den Laut erneut. Solange er nicht wusste womit er es zu tun hatte, hielt er es für klug, sich überhaupt nicht zu regen, um unauffällig zu bleiben. Somit konnte er das Unbekannte aber auch nicht betrachten. Den Geräuschen zufolge flog es über ihn hinweg und dann auf den Berg zu. Im Augenwinkel sah er für einen kurzen Augenblick etwas Großes, unheimlich Schnelles, die Form konnte er jedoch nicht zuordnen. Er versuchte, das Verhalten des Dings anhand seiner bisherigen Erfahrungen zu analysieren. Dabei kamen ihm besonders die Beobachtungen der einheimischen Tierwelt zu gute, die er an dem Wasserloch im Bett des Salzsees angestellt hatte. Verglichen damit, schien das fliegende Wesen nach etwas zu suchen. Nach Beute vielleicht? Und kam ein Kitonak als Beute in Frage? Er erinnerte sich an das gewaltige Skelett, das er kürzlich gefunden hatte. Zwar gehörte es ganz sicher nicht zur gleichen Tiergattung, aber es ermahnte ihn doch daran, dass es hier unbekannte Bedrohungen gab.

Eine Weile war nichts mehr zu hören. Zot harrte noch etwa eine Viertelstunde reglos aus, bis er einigermaßen sicher war, dass das Etwas nicht mehr über ihm kreiste. Dann entschloss er sich, nicht weiter hier im leeren Raum herumzustehen, sondern Deckung zu suchen. In der Nähe gab es eine Ansammlung hoher, dichter Dornenbüsche, in denen er Schutz suchen und in aller Ruhe über weitere Schritte nachdenken konnte. Ohne Hast setzte er sich in Bewegung, um in gemächlicher Kitonak-Gangart zu dem Gebüsch zu trotten. Sicher fühlte er sich zwar nicht, doch sah er keinen Vorteil in Eile und unüberlegtem Handeln. Auf diese Weise konnte er zumindest die Umgebung im Auge behalten und zügig reagieren, wenn sich wieder etwas Unerwartetes ereignete.

Das war der Fall. Noch bevor er das Gestrüpp erreichte, sah er zwei Gestalten auf sich zu kommen. Sie ähnelten dem fliegenden Wesen nicht im geringsten, waren aber nicht minder fremdartig. Zot reagierte instinktiv und blieb abermals stehen. Er erstarrte regelrecht und nichts unterschied ihn von einer Statue seiner selbst. Die Augen waren so tief unter dicken Hautfalten verborgen, dass sie nicht gesehen werden konnten, aber durch den haarfeinen Schlitz hindurch konnte er die beiden Fremden dennoch mustern, während sie weiter auf ihn zu kamen. Sie hatten zwei Arme und Beine, ähnlich wie Kitonaks, damit endeten die Ähnlichkeiten jedoch. Sie waren weit größer und hagerer und hatten merkwürdige eiförmige Köpfe. Das eine Wesen hatte dünne, leicht zerreißbar wirkende Haut und trug darüber fremdartige Kleidung, das andere hatte ein schimmerndes Exoskelett; ansonsten waren sie sich in seinen Augen aber so ähnlich, dass er sie zur gleichen Spezies zählte. Zot hatte nicht lange Zeit für diese Beobachtungen, denn die Fremden bewegten sich beunruhigend schnell; sie brausten regelrecht auf ihn zu, und da er dies als aggressiv empfand, befürchtete er das Schlimmste. Er ahnte, womit er es zu tun hatte: Mit Wesen aus einer anderen Welt! Aber noch fehlte es ihm an Fakten, um ganz sicher zu sein.

Die beiden fremdartigen Zweibeiner blieben in einiger Entfernung stehen und sprachen ihn an. Ihre Worte wirkten ebenso hektisch wie ihre Bewegungen. Der Kitonak verstand kein Wort. Die Melodie der Sprache ähnelte der, welche die alte Eka während der Jahre auf fremden Planeten gelernt hatte. Nach der Rückkehr hatte sie sich bemüht, ihren Stammesgeschwistern diese Sprache beizubringen, um sich bei Begegnungen mit den Außenweltlern verständigen und Handel treiben zu können. Zot kannte ein paar wenige Brocken, allerdings hatte er noch niemals gehört, dass jemand sie so schnell und unsauber aussprach. Er wusste gar nicht, ob Vokabeln darunter waren, die er schon einmal gehört hatte; zuordnen konnte er sie so jedenfalls nicht.

Aber auch wenn er es gekonnt hätte, so hätte er keine Antwort gegeben. Denn er wusste ja noch nicht, ob dies überhaupt ratsam war. Eka hatte unter den Schnellstapfern zwar auch viel Gutes erfahren, begonnen hatte die Reise jedoch damit, dass man sie in die Sklaverei verschleppt hatte. Solange er nicht wusste, ob von diesen beiden eine Gefahr ausging, war es das klügste und natürlichste Verhalten für ihn, einfach reglos zu verharren. Raubtiere verloren so meist das Interesse. Vielleicht galt das auch für Sklavenfänger oder sonstige feindselige Geschöpfe. Die Hektik, die sie zur Schau stellten, war jedenfalls schon einmal geeignet, sein schärfstes Misstrauen zu erregen.


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Zot erfuhr nicht, ob es sich bei den beiden hektischen Außenweltlern um Sklavenfänger, Händler oder etwas ganz anderes handelte. Denn die Worte, die sie weiter miteinander wechselten, verstand er ebenfalls nicht. Da er sich in seine dicken Hautfalten zurückgezogen und auch Augen und Ohren fast absolut dicht verschlossen hatte, bekam er sowieso nicht viel von seiner Umwelt mit. Zwar bezweifelte er, dass die Fremden auf seine Tarnung hereinfielen und ihn für eine Sulfaru-Pflanze hielten, wie die Chooba-Schnecken es taten. Aber zumindest schienen sie irgendwann das Interesse an ihm zu verlieren, da eine Kontaktaufnahme nicht gelang. Nach einer Zeitspanne, die Zot eigentlich als erstaunlich kurz empfand, wandten sie sich ab und gingen ihrer Wege.

Der Kitonak traute dem Frieden nicht und blieb geduldig stehen. Er bewegte sich nicht, gab keinen Ton von sich und atmete so flach, dass man ihn wirklich für etwas Totes halten könnte. An Langmut mangelte es ihm generell nicht, so wurde ihm während der verfließenden Zeit nicht langweilig. Erst als sich lange Zeit nichts geregt hatte (weder waren die beiden Gestalten zurückgekehrt, noch war wieder so ein furchteinflößendes Flugding aufgetaucht), wagte er, sich zu regen. Mit atemberaubend langsamer Geschwindigkeit schoben sich die zähen Falten seiner Gesichtshaut auseinander und mit fast unsichtbaren Äuglein blinzelte er in die untergehende Sonne. Mit aller gebotenen Vorsicht wandte er einmal den Kopf nach links und nach rechts und drehte sich dann einmal gemächlich auf der Stelle, um die Umgebung zu begutachten. Nichts Ungewöhnliches war zu entdecken. Die Spuren der beiden Fremden im Sand hatte der auffrischende Wind bereits weitgehend ausgelöscht.

Zot setzte einen Fuß vor den anderen, verharrte, sah sich noch einmal um. Als wieder nichts Verdächtiges geschah, machte er den nächsten Schritt und ließ weitere folgen. Seine dicken, schwieligen Sohlen kreuzten die halb verwehte Fährte und die Geruchsrezeptoren an den Zehen nahmen die sonderbaren Düfte der beiden Schnellstapfer auf. Sie waren mit nichts vergleichbar, das der Kitonak je zuvor gerochen hatte. Doch schon nach wenigen weiteren Schritten verblasste die ungewöhnliche Wahrnehmung und war nun nur noch eine denkwürdige Erinnerung. Von seinem Vorhaben, die Gegend um den Sandsteinberg zu erkunden, nahm er nun Abstand. Stattdessen marschierte er einfach schnurstracks in das mit dürren Wüstenpflanzen bewachsene Hügelland hinein. Wieder beeilte er sich nicht sonderlich, obwohl er ein Interesse daran hatte, Raum zwischen sich und die unbekannten Gefahren jener Gegend zu bringen. Aber wenn das Leben in der Wüste Kirdos sein Volk eines gelehrt hatte, dann, dass man mit Geduld zum Ziel kam, nicht mit Hast. Ein wenig bedauerte er die Außenweltler dafür, dass sie ihr Leben in rastloser Eile zubrachten. Dass ihnen dies einen echten Vorteil einbrachte, bezweifelte er.


[Kirdo-System | Kirdo III | Wüste | Hügellandschaft] Zot
 
[Kirdo-System | Kirdo III | Wüste | Hügellandschaft] Zot

Die Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Nach seinem abenteuerlichen Trip über das Gebirge hinweg und durch die Salzwüste sowie seinen ungewöhnlichen Begegnungen an dem Sandsteinmassiv kehrte langsam aber sicher wieder die Routine ein, die während der ersten Tage seiner Wanderung geherrscht hatte. Diese Landschaft war dem vertrauten Hügelland, in dem sein alter Stamm seit jeher umherzog, nicht unähnlich. Flora und Fauna wiesen einige interessante Unterschiede auf, aber keine wirklich gravierenden; Zot fand sie eher im Detail.

Bei Tag wanderte er. Ohne jede hast, immer ein Schritt vor dem anderen, und dabei behielt er die Umgebung gut im Auge. Er hatte mittlerweile gelernt, vorsichtiger und vorausschauender zu sein als bei seinem Aufbruch: Ein Talent, mit dem er sich manche Gefahr hätte ersparen können. Zugleich war sein Blick nun offener für die Natur und ihre Bewohner, die ihn immer neu faszinierten. Sein Horizont hatte sich mit seinem Erfahrungsschatz geweitet. Man konnte sagen, in den Wochen seiner Reise hatte er sich weiterentwickelt. Zot war gereift, endgültig vom Kind zum Mann geworden.

Des Nachts jedoch befiel ihn häufig die Schwermut. Meist saß er auf dem Kamm einer Düne, blickte über das Land oder in die Sterne und sehnte sich danach, wieder unter Seinesgleichen zu sein. Solange das Dämmerlicht am Abend und am Morgen ausreichte, schnitzte er mit einfachsten Werkzeugen an der Chidinka-Wurzel, die er mitgenommen hatte. Es war eine langwierige Arbeit, vor allem deshalb, weil er beim Schnitzen ebenso bedacht und vorsichtig vorging wie bei allem anderen, was er tat. Jede Bewegung der spitzen oder scharfkantigen Werkzeuge wollte wohlüberlegt sein, denn einen einmal abgelösten Span konnte man nie wieder anbringen. Doch er kam Stück für Stück voran. Nach und nach formte sich das Stück Holz zu einer neuen Chidinkalu-Flöte. Und als gut zwei Wochen nach dem Verlust seines alten Instrumentes das neue erklang, mit einem etwas anderen, vertrauten und zugleich fremdartigen Klang, und die Wüste mit den Tönen seiner Kindheit und seiner eigenen Phantasie erfüllte, da fühlte Zot sich von tiefer Zuversicht erfüllt.

Die ganze Nacht hindurch spielte er. Und als er am Morgen das Mundstück absetzte, da hallten die Töne zwischen den Dünen nach. Doch halt! Es war kein Nachhall! Dafür hielt er zu lange an - und ein Echo neigte auch nicht dazu, neue Tonfolgen hinzuzufügen! Gespannt lauschte Zot, bis die ferne Musik verstummte, dann setzte er seine Flöte wieder an und spielte eine kurze, kräftige Melodie. Kaum hatte er geendet, so setzte auch das fremde Instrument wieder ein.

Es konnte keinen Zweifel geben: Dort, im Osten, waren andere Kitonaks! Sie hatten ihn gehört und antworteten mit ihren eigenen Tönen. Ohne die Musik wären sie wohl im Abstand von nur wenigen Kilometern aneinander vorbei gewandert, doch die heilige Chidinkalu hatte sie einander finden lassen. Zot musste nicht lange überlegen. Er erhob sich und marschierte auf die aufgehende Sonne zu, in die Richtung, in er er die Quelle des fremden Flötenspiels vermutete. Während des Gehens hielt er immer wieder inne und blies erneut, um an der Antwort zu hören, ob er auf dem richtigen Weg war. Und schließlich, als am Nachmittag die Sonne längst hinter ihm stand, sah er sie. Eine Gruppe aus etwa vierzig Individuen. Männer und Frauen, Junge und Alte, und auch ein paar ganz kleine Kinder, die während der Regenzeit geboren worden waren. Sie wirkten gesund und wohlgenährt - kein Zeichen der Armut, die zu vermeiden Zot seinen Stamm verlassen hatte.

Gemäß ihrem Wesen ohne Überschwang und Hektik, aber doch gastfreundlich und aufgeschlossen, hießen sie den einsamen Wanderer willkommen. Über die Begrüßung und eine erste Vorstellung verging genug Zeit, um die Sonne im Westen untergehen zu lassen. Die Nomaden gaben all ihren kostbaren Brennstoff für ein großes, die Nacht weithin erhellendes Feuer und versammelten sich darum zum allabendlichen Erzählen der Geschichte. In dieser Nacht, da waren sie sicher, würden sie viele neue Geschichten zu hören bekommen. Voller fremdartiger Abenteuer und unerwarteter Wendungen. Und Zot begann zu erzählen...


~ ENDE ~

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