Dunkelheit. Hitze. Dumpfe Schmerzen.
Mehr vermochte Roar nicht über seine Lage zu bestimmen. Das Atmen machte ihm Schwierigkeiten. Als ob die Luft dick wie Sirup wäre. Seine sicht war verschwommen und er nahm nur ein leicht rötliches Glühen wahr, dessen Ursprung seine eigenen, dämonenartigen Augen waren. Er war ein Chiss. Er war ein Soldat und das gebot ihm, schleunigst Herr der Situation zu werden. Von diesem Zustand war jedoch weit entfernt. Er versuchte sich zu bewegen, doch seine Bemühungen scheiterten. Offenbar war er an seinen Handgelenken und Knöcheln durch Fesseln fixiert. Mehrere Male versuchte er, die Fesseln mit roher Gewalt zu sprengen, doch wer immer ihn hier hergebracht hatte, musste seine Arbeit ordentlich gemacht haben. Schließlich gab er seine Anstrengungen auf, da ihn unerwartete Schmerzen in seinen Muskeln plagten. Sein physischer Zustand war demnach ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch es dauerte für gewöhnlich einige Wochen, bis sich ein Trainingsdefizit auf die körperliche Verfassung derartig schlimm abzeichnete. Der Mai'Dan schloss daraus, dass er hier seit Monaten gefangen gehalten wurde. Die Frage war nur, weshalb? Seine Ausbildung zu einem Krieger des Sith-Ordens hatte nicht einmal wirklich begonnen. Es war unwahrscheinlich, dass er für die Sith oder die Jedi eine ernstzunehmende Gefahr darstellte. Der Widerstand gegen das Chiss-Empire? Denkbar, doch das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war ein Gespräch. Ein Gespräch mit Syndic Phollow Hal'Oun'Tian auf dem Planeten Bastion. Es hätte den Widerstand schon enorme Mühen gekostet, die imperiale Hochburg und somit das am besten geschützte Reservat des Imperiums zu infiltrieren. Sorgen überkamen ihn. Sorgen um das Chiss-Empire, welches er zu schützen geschworen hatte. Sorgen um seinen Bruder Amadeus. Und dann war dort noch Overlord Janem Menari Hal'Oun'Tian. Sein Todessternprojekt musste längst abgeschlossen sein, wenn die Vermutung von Roar richtig war und er hier tatsächlich seit Monaten festgehalten wurde. Zögerlich kamen ihm Phollows warnende Worte zurück ins Gedächtnis. Er hatte seinem Bruder Janem misstraut. Vielleicht war sein Overlord für seine Lage verantwortlich? Dieser Gedanke war absurd! Aber er hatte die Arbeitsweise von Janem Menari schon häufig mit angesehen. Zu seinen sorgen kamen somit auch noch Selbstzweifel. Er hatte versagt, sonst wäre er nicht hier. Wo auch immer dieses hier nun sein mochte. Ein leises Piepsen unterbrach seine Gedanken und das Geräusch schien die Luft um ihn rum förmlich zu erfüllen. Es hörte sich merkwürdig an, als ob er unter Wasser wäre. Und das Atmen bereitete ihm immer noch Probleme. Das Piepsen verstummte und kurz darauf hörte er ein Zischen. Dann spürte er es: Etwas wurde in seine Vene gespritzt. Seine Gedanken verflüchtigten sich und es blieb nur Dunkelheit. Roar setzte seine ganze Willenskraft ein und kämpfte gegen die Drogen an, die ihm verabreicht wurden. Doch das Mittel war stärker; er glitt immer weiter ab und verlor zusehends die Kontrolle. Furcht breitete sich in ihm aus und erfüllte mehr und mehr. Er sammelte seine ganze verbliebene Kraft zu einem Schrei, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er war fast all seiner Sinne und seiner Freiheit beraubt worden. Seine Furcht wandelte sich in Zorn. Zorn über die Machtlosigkeit, die ihn umgab. Und dieser Zorn gab ihm Stärke. Ein uralter animalischer Trieb, das Letzte, was er noch hatte, bahnte sich seinen Weg in sein Bewusstsein und machte die Droge unwirksam. Langsam klärte sich Kopf und er konnte wieder einen bewussten Gedanken formulieren. Er hatte einen weiteren Schritt auf die dunkle Seite gemacht. Nicht viel, aber dennoch ausreichend. Sein Körper indes reagierte trotz seiner Anstrengungen auf die Droge und Müdigkeit machte sich in seinen Gliedern breit. Doch er war ein Soldat und er hatte gelernt, Schmerz und Müdigkeit mit seinem Willen zu bekämpfen und so gut es ging zu ignorieren. Und das er jetzt einen freien Willen besaß, war nur der Macht zu verdanken. Plötzlich verwandelte sich die Dunkelheit in gleißendes Licht, welches ihn zwang, seine schmerzenden Augen zu schließen. Personen betraten den Raum. Das konnte er fühlen. Er konnte es beinahe sehen, wie zwei Männer den Raum betraten. Doch sein Sinnesorgan, welches er zum Sehen benutzte, war nicht seine Augenlicht. Die Macht gab ihm diese Fähigkeit. Der Nachhall des Zorns gab ihm noch immer Kraft und langsam fügte sich seine Umgebung zu einem Gesamtbild zusammen. Er befand sich in einem Raum, der eine Mischung aus Gefängniszelle und Krankenstation war. Er konnte das Leben, welches in direkt umgab erspüren. Er wurde in einem Behälter gefangengehalten, welcher mit einer Flüssigkeit gefüllt war, die ihn mit Sauerstoff versorgte, ihn gleichzeitig jedoch am Sprechen hinderte. Er war nicht hier, weil man ihn verhören wollte, sondern weil er im Weg stand. Warum hatte man ihn dann nicht getötet? Sein Overlord hätte kurzen Prozess mit ihm gemacht, wenn Roar in irgend einer Weise die Gunst seines Meisters verloren hätte. Er hatte darauf nur eine mögliche Antwort. Er wurde am Leben erhalten, weil er mächtige Freunde und Verbündete hatte. Sein Dämmerzustand, der durch seinen täglichen Drogencocktail verursacht wurde, hinderte ihn bisher jedoch daran, eine Gefahr durch seine Fähigkeiten in der Macht darzustellen. Anscheinend ist er mit der Zeit gegen das Gift resistent geworden. Eine Variable, die seine Wärter anscheinend nicht bedacht hatten. Dieser Fehler würde die verantwortlichen Personen das Leben kosten. Wenn er es schaffte, hier auszubrechen, würde niemand vor seinem Zorn in Sicherheit sein. Er öffnete seine Lider ein wenig und erspähte durch die Augenschlitze seine Umgebung. Die beiden Männer waren Wissenschaftler und beugten sich über ihre Konsolen. Vermutlich war Roar Teil eines Experiments. Sie würden ihr blaues Wunder erleben. Und das würde gleichzeitig auch das Letzte sein, was sie erleben würden. Roar gestattete sich einen weiteren Zornesausbruch und vertrieb die Drogen, die ihn matt setzten, aus den restlichen Teilen seines Körpers. Ein Alarmton ließ die beiden Wissenschaftler aufschrecken, doch ehe sich auch nur einer der beiden zu der Konsole bewegen konnte, deren Töne den Raum erfüllten, hatte Roar schon seine mächtigste Hand nach ihnen ausgestreckt. Er fand halt und drückte zu. Wissenschaftler Nummer eins griff sich auf seine Brust und erschreckende Erkenntnis machte sich in seinem Gesicht breit. Er begriff, dass er gerade einen Herzinfarkt erlitt und ohne Hilfe nicht überleben würde. Roars Miene verzog sich zu einer Grimasse der Anstrengung, doch sein Hass auf seine Wärter wuchs weiter. Er steigerte sich fast zu einer Ekstase, doch er musste sich beherrschen, damit er seinen einzigen Ausweg aus dieser Lage nicht auch umbrachte. Stattdessen packte er die Kehle des Mannes und drang in seinen Geist ein.
"Lass mich raus!"
Mehr brachte Roar nicht fertig. Aber mehr war auch gar nicht nötig. Der Befehl zeigte Wirkung. Zuerst wurden seine Fesseln gelöst und dann wurde sein "Atemwasser" abgepumpt. Der Chiss blieb alleine in einer Glasröhre zurück. Er hustete den letzten Rest der Flüssigkeit aus seinen Lungen heraus. Der Wissenschaftler betätigte den letzten Knopf an der Sicherungskonsole und befreite Roar somit endgültig. Er holte tief Luft und erfreute sich einen Moment an der wohltuenden Leichtigkeit des Luftatmens und der schmeichelnden Kälte, die das verdunstende Liquid auf seiner Haut hinterließ. Danach galt seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Wissenschaftler. Der Mai'Dan wollte wissen, wie Leistungsfähig seine geschundenen Muskeln waren und trieb das Nasenbein des Mannes hoch bis in sein Gehirn, ohne dabei auf die Macht zurückzugreifen. Das Ergebnis dieses Versuchs war niederschmetternd. Sein Opfer war tot, doch sein Arm wurde von schmerzenden Wellen durchzogen, welche auf die lange Unterforderung in dem Glastank zurückzuführen waren. Doch die Schmerzen würden bald vorbei sein. Er würde seine Kraft schon wiederbekommen. Bis es soweit sein mochte, würde die Macht ihm seine körperlichen Defizite ausgleichen. Aber das wichtigste war es, dass Whi'Ceb'Ae'Roar wieder im Spiel war. Und dieses Mal würde es nach seinen Regeln gespielt werden...