Nur ein Rotweinfleck

Riker

Die einzig wahre Nr.1
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Es war schon dunkel als Er nach hause kam, der Herbst mit seinen frühzeitigen dunklen Abenden war plötzlich gekommen, fast übergangslos.


Still war es im Haus wie immer, Er zog die Tür hinter sich ins Schloss und atmete tief ein. Sein Zuhause war seine Schutzburg, vor der Welt da draußen. Wenn es Ihn auch nicht vor der Leere in seinem Inneren schützen konnte. Vor der Verzweiflung und den Depressionen die Ihn vor allem in der dunklen Jahreszeit überfielen. Seine Tage waren austauschbar, einer wie der andere, Er wachte morgens auf, arbeitete, und ging abends wieder schlafen. Leer die Tage, leer die Nächte.


Auch heute verspürte Er wieder dieses Gefühl als würde das Leben an Ihm vorbei ziehen. Ein Fluß ohne Furt der langsam an Ihm vorüber floss. Die Mauern der Häuser schienen sich über Ihm zu einem Tunnel zu vereinen. Ein Tunnel ohne Lichtschein am anderen Ende.


Eine Weile saß Er einfach nur da und sah ins Leere, dann stand Er auf und im vorbei gehen startete Er den CD Player. Kurz darauf ertönte die sanfte Stimme von Les Holroyd..


Valley's deep and the mountains so high,
If you want to see God you've got to move to the other side.
You stand up there with your head in the clouds,
Don't try to fly you know you might not come down.
Don't try to fly, dear God, you might not come down.


Er ging ins Bad und sein Blick fiel auf die längliche Schachtel die auf dem Regal lag. Er lächelte müde, nahm die Schachtel in die Hand und trug Sie mit sich in sein Wohnzimmer.
Seine Finger strichen über die schmucklose Oberfläche und fanden den Schließmechanismus.
Mit leisem Klicken sprang der Haken hervor und er öffnete den Deckel.


Jesus came down from Heaven to earth
The People said it was a virgin birth
Jesus came down from Heaven to earth
The People said it was a virgin birth


In der Schachtel, auf blauem Samt gebettet, lag ein Rasiermesser. Der Griff aus poliertem Elfenbein mit Intarsien aus Perlmutt. Ein schönes Stück meisterhaft von Hand geschmiedet und liebevoll bearbeitet. Sein Blick fixierte das Messer mit starren Augen.
Er stand auf und löschte das Licht. Ein Streichholz flammte auf und Er entzündete statt kalten Glühlampen einige Kerzen deren warmen Schein Er für solche Momente vorzog.


He told great stories of the Lord
And said he was the saviour of us all
He told great stories of the Lord
And said he was the saviour of us all



Langsam rollte Er seinen Hemdsärmel nach oben und besah sich seinen Unterarm. Seine Kollegen frozzelten Ihn weil Er selbst im Sommer nie etwas kurzärmliges trug und dachten Er würde eine Tätowierung verbergen wollen. Aber das war falsch. Sein linker Arm war übersät mit Narben. Manche dünn und nur als feine weiße Linie zu sehen, die sich niemals bräunten. Andere mit hässlichen wulstigen Rändern wo das Messer zu tief geschnitten hatte. Zickzack Muster die sich fast über die gesamte Länge des Arms zogen. Kreisrunde Narben dort wo sich heiße Zigarettenglut in das weiche Fleisch gebrannt hatte.


For this we killed him,
Nailed him up high
He rose again as if to ask us why
Then he ascended intop the sky
As if to say in God alone you soar
As if to say in God alone we fly.



Er nahm das Messer in die rechte Hand und begann mit einem Auf und abgleiten der stumpfen Seite an seinem Unterarm. Kühl fühlte sich der Stahl an und die feinen Haare stellten sich auf, als Sie einmal mehr Bekanntschaft mit dem Messer machten.


Langsam stellte Er das Messer mit der Schneide nach unten auf. Mit einem leisen Seufzer zog Er die Klinge einmal quer über die ganze Breite seines Arms. Nicht tief, nur knapp in die Lederhaut hinein. Es war kein Blut zu sehen nur ein Aufriss in der Haut. Eine bleibende Erinnerung mehr. Der nächste Schnitt ging tiefer, kleine rote Perlen zogen sich an der Schneide entlang verbunden durch eine dünne Spur aus rotem Blut.
Er atmete jetzt flacher und stossweise. Angst überkam Ihn selten wenn Er sich selbst verstümmelte. Aber selbst die Angst ist ein Gefühl und Er war für jedes Gefühl dankbar das Ihn daran erinnerte noch am Leben zu sein.


Mit einer raschen Bewegung verband Er die beiden vertikalen Schnitte zu einer art Doppelkreuz. Diesmal trat mehr Blut aus und ein Tropfen fiel zu Boden, wo er langsam im dicken Teppichflor versickerte.


Er schloss die Augen und fühlte wie ein Strom von Blut über seinem Arm langsam zur Hand hinunter lief. Der Schmerz war willkommen und Er nahm Ihn dankbar an. Er fühlte und spürte. Sein seelischer Schmerz war vergessen. Die Wunden brannten jetzt und Er stand auf um Sie zu verbinden. Sein Blick fiel auf die rote Stelle im Teppich und Er sagte sich.. Ein Rotweinfleck..nur ein Rotweinfleck..
 
Rolle schrieb:
Das jemand das kommentarlos veröffentlicht, Hmm :confused: . Und jetzt? So fangen Kurzgeschichten an - ist das von Dir? :)


Ja die kleine Story ist von mir..
Ich will nicht klugscheisserisch wirken,aber in letzter Zeit ist für meine Begriffe zuviel Niveauloses im PSW zu lesen..Dagegen wollte ich mal etwas völlig anderes setzen..
 
ich finde es gelungen...

@anakin
man sollte nicht vom ersten eindruck ausgehen, sondern bedacht lesen... und erst nach begreifen urteilen
 
Riker schrieb:
Ja die kleine Story ist von mir...

Beneidenswerte Fähigkeiten Du hast. :cool: Was natürlich auch Fragen aufwirft. Wie kommt es dass Du über dieses Thema schreibst. Kennst Du etwa jemand mit solchen...Problemen? Ich kannte mal ein junges Mädchen das gewisse Tendenzen zeigte...ich war aber nicht stark genug um sie in meinen Freundeskreis zu behalten, obwohl ich Sie eigentlich geliebt habe. :(
 
Rolle schrieb:
Beneidenswerte Fähigkeiten Du hast. :cool: Was natürlich auch Fragen aufwirft. Wie kommt es dass Du über dieses Thema schreibst. Kennst Du etwa jemand mit solchen...Problemen? Ich kannte mal ein junges Mädchen das gewisse Tendenzen zeigte...ich war aber nicht stark genug um sie in meinen Freundeskreis zu behalten, obwohl ich Sie eigentlich geliebt habe. :(


Mach Dir deswegen keine Vorwürfe..die wenigsten Menschen kommen mit Borderlinern klar.. Diese Krankheit ist so vielschichtig und hat solche Auswirkungen das ein "normaler" Mensch selten das Maß an Verständnis dafür aufbringen kann,welches notwendig wäre...
 
Respekt wirklich gut mit nem richtigen Gänsehautfaktor ! Wird es eine Fortsetzung geben?
Ich versteh auch net das man sagen kann das wäre geschmacklos,leider gibt es solche Menschen wirklich!
 
Na ja, es ist allgemein bekannt, dass der November so seine Tücken hat. Nicht ohne Grund steigt die Selbstmordrate Ende Herbst rapide an. Aber dafür gibt es doch die Herren mit der Couch. Ansonsten schlage ich vor, sich mit der Vorfreude auf Weihnachten: feinen Plätzchen, Schokoladennikoläusen, Lebkuchen und feinstem Glühwein usw. abzulenken.
www.members.lycos.de/autoaggressionsforum/forum
PS @ alle, die mit dem Text nix anfangen kann, das ist HYMN von Barclay James Harvest.
 
Riker schrieb:
...die wenigsten Menschen kommen mit Borderlinern klar...

Für mich ein Erlebnis welches ich nie vergessen werde.
Wir fühlten uns beide ?Seelenverwandt? und wir verstanden uns ohne große Erklärungen. Irgendwann beschloss ich leichtsinnig etwas tiefer zu ?bohren? und stieß auf die ?seelischen Abgründe? die Sie plagten. Es traf mich völlig unvorbereitet...ich stand auf verlorenen Posten. Ich bin froh dass die Initiative von Ihr kam ?getrennte Wege? zu gehen, obwohl ich 7 Jahre älter war. Eine Zeit lang fühlte ich mich wie der letzte Überlebende einer Naturkatastrophe. Im übrigen konnte Sie nicht wissen dass ich sie schon verstanden hatte.

So einem Menschen begegnet man vielleicht einmal in seinem Leben, bei mir es der falsche Zeitpunkt. Ich war zu jung.
 
@Stasia: Ich verweise wie immer auf meine Signatur. Und man sollte bei meinen Kommentaren immer meine Wahrnehmung berücksichtigen die Millionen Male kälter ist als alles, was ich bisher kannte. Auf nüchterne Beobachter muß diese Geschichte beeindruckend sein, schon wegen der Wortwahl, die echt Qualität hat. Dann die Einwürfe - die Songs - alles perfekt komponiert.

Dennoch sitze ich hier im Kühlhaus und bekomme jeden Tag die Todesspritze, und in diesem Zustand ist jede Zugabe überflüssig. Bitte mich zu verstehen...
 
Meister Reinhold schrieb:
Na ja, es ist allgemein bekannt, dass der November so seine Tücken hat. Nicht ohne Grund steigt die Selbstmordrate Ende Herbst rapide an. Aber dafür gibt es doch die Herren mit der Couch.
PS @ alle, die mit dem Text nix anfangen kann, das ist HYMN von Barclay James Harvest.

Vielen Dank für Deine Sorge um mein Seelenheil..
Allerdings bin ich der Überzeugung anhängig das Dir ein Besuch bei besagten Herren ebenfalls gereichen würde.Schließlich bist Du ja mit Madame Furrer zusammen.. :rolleyes:
 
Eine recht kurzgeschichten-artige Kurzgeschichte (ich schreibe auch gerne auf wenigen Seiten oder gar nochweniger) mit einer überraschend angenehmen Wortwahl. Meist liest man heutzutage in solchen Geschichten viel zu schwülstige Ausdrücke...

das Thema spricht mich jetzt nicht sonderlich an, was aber an meinem Studium und meiner Erfahrung mit solchen Menschen liegt: ich kenne einfach ein paar, die ähnliche Sachen machen und es ist für mich schon lange nichts "grusliges" oder fremdes mehr. Es ist ein Teil des Lebens ...und somit ist die Kurzgeschichte gut konzipiert, da sie ein Teil aus dem Leben nimmt und wiedergibt. Als "Horror" kann ich es aber halt nicht sehen...


@Eastwood: zu sagen, daß du das kälteste bist, was du kennst klingt etwas nach Angabe und auch wenn dus nicht so meinst: versuche einfach auch die anderen und ihre Meinung zu verstehen... wie du es von ihnen verlangst ;)
 
Minza schrieb:
das Thema spricht mich jetzt nicht sonderlich an, was aber an meinem Studium und meiner Erfahrung mit solchen Menschen liegt: ich kenne einfach ein paar, die ähnliche Sachen machen und es ist für mich schon lange nichts "grusliges" oder fremdes mehr. Es ist ein Teil des Lebens ...und somit ist die Kurzgeschichte gut konzipiert, da sie ein Teil aus dem Leben nimmt und wiedergibt. Als "Horror" kann ich es aber halt nicht sehen...

nicht dass du jetzt denkst wegen meiner wortwahl fände ich das gruselig.
mir schauderte es, weil die geschichte so greifbar geschrieben ist, dass ich (obwohl ich solche gedanken nicht hege) irgendwie ein stück weit das gefühl verstanden/selbst gespürt habe, das beschrieben wird. ich betone extra "ein stück weit", weil man sowas wahrscheinlich nur verstehen kann, wenn man selbst so fühlt.
 
Eine wirklich gute geschriebene und vor allem fesselnde Geschichte...diese Niedergeschlagenheit und das Verlangen endlich wieder Leben zu spüren,egal auf welche Weise und um welchen Preis ist wirklich verdammt gut dargestellt... Auch wenn ich sicher ebenso zu denen gehöre,die diese Borderliners nicht verstehen können, kann ich mich schon zu einem gewissen Bruchteil in diese Person hineinversetzen und ich denke, dass ist es auch, was Opi's Wahn erschaudern lässt...man kann dem Protagonisten schon irgendiwe nachfühlen...
 
Wow. Sehr plastisch geschrieben und wirklich gut. Riker ich wusste gar nicht das sowas in dir steckt. Habe auch neulich mit jemandem zu tun gehabt der sowas macht. Ist schon heftig.

Danke für solch einen Niveauvollen Beitrag :)
 
Janem Menari schrieb:
Wow. Sehr plastisch geschrieben und wirklich gut. Riker ich wusste gar nicht das sowas in dir steckt. Habe auch neulich mit jemandem zu tun gehabt der sowas macht. Ist schon heftig.

Danke für solch einen Niveauvollen Beitrag :)

Danke *verbeug*
Du weisst noch lange nicht was alles in mir steckt.. :D
 
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