Schicksal oder Zufall

Re: Re: Schicksal oder Zufall

Ich glaube nicht an Schicksal.Weils einfach unmöglich ist.Ich glaub einfach dass niemand anders als ich die Steuerung meines Lebens besitzt.
 
"Schicksal" ist für mich, wenn ein Ziel vorgegeben ist, das der Mensch nicht kennt, die Masse (der Menschen) nicht kennt, aber das trotzdem eintritt. Zum Beispiel wäre das, wenn wir Menschen aufgrund technischer Möglichkeiten in ferner Zukunft entscheiden, das Auseinanderdriften des Universums zu stoppen und es zu fixieren, um unsere Lebensgrundlage zu sichern, da die Materie sonst irgendwann zerfällt.
Dann könnten man das als den "Überlebenstrieb des Universums" auslegen und somit wäre die Entstehung des Lebens dann Schicksal, nicht bloß Zufall.
Hm, aber das könnte das einzige Beispiel für "Schicksal" sein.
Es kann dem Universum schließlich egal sein, wie der Mensch das anstellt und es kann sich auch ein paar Millarden Jahre mehr Zeit lassen.

/edit:

Aber das führt zu der Rückfolgerung, daß "Schicksal" nur ein von menschen gemachter Begriff sein kann, der für einen besonders umwälzenden Zufall steht. Denn die Menschen spielen dann ja nicht mehr die Hauptrolle, sondern sind vom Universum "benutzt" worden. Also ist ihr Denken vom Universum "eingegeben" und Teil des Willens des Universum. Und wenn er ein Teil des Wissens ist, dann ist er sich des Sinns des ganzen einfach nicht bewußt. Und wenn ihm der Sinn verborgen bleibt, mißt er Ereignisse im falschen Maßstab, es kann etwas sinnvolles für nutzlos halten und umgekehrt. Wenn er also von Schicksal spricht, kann das gar nicht richtig sein, denkt sich dann das Universum, denn ich weiß ja, was ich mache.

Und daraus mache ich für mich den Hinweis, daß es auch so sein kann, daß jeder Mensch ein eigenes "Universum" mit sich herumträgt, das sich ins "große Universum einspielen" will. Und es überhaupt kein Schicksal gibt, sondern man "es" selbst in der Hand hat. Nicht das Schicksal. Das Glück. Den Gedanken finde ich eigentlich viel beruhigender. Da hört man nämlich auf, ständig darüber nachzudenken, wie man das Universum "ausbeuten" kann. Sondern denkt eher daran, daß man eigentlich viel zu wenig "lebt".
Also: Carpe prosperitum! ("Nutze das Glück!" Ich hoffe, ich habs richtig übersetzt, auch egal. ;-))
 
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Original geschrieben von dunkler Lord

das is aber alles naturwissenschaftlich nachvollziehbar und somit planbar. Das Pärchen hat also für sich eine Entscheidung getroffen (Eltern werden) und "Maßnahmen" eingeleitet.

also ist schicksal zwar etwas geplantes aber nicht naturwissenschaftlich?

weil schicksal wird so ausgelegt, dass es von irgendetwas vorhergesehen war. wenn ich aber etwas vorhersehe dann ist das eigentlich zufall, oder?

wenn ich nun einen traum hatte, indem zb. ein unfall passiert an dem ich beteiligt bin, die situation aber rechtzeitig im realen erkenne und somit den unfall verhindere ist es dann zufall oder schicksal? ich habe es vorhergesehen habe es aber verhindert somit hätte ich das schicksal verändert, somit wäre meine person ein übersinnliches wesen??

das beispiel ist nun etwas arg an den haaren herbeigezogen aber es dient ja nur als beispiel ..... kann man schicksal und zufall wirklich definieren? ich glaube nicht
 
Hm, ich glaube, ich muß es nochmal ergänzen, Stasia, sorry. Also das, was ich geschrieben hab, mein ich.

Also Schicksal ist ein von einem höheren Wesen vorgegebener Weg, den der Mensch einschlägt. So hat man das früher gesehen, und heute denken das auch noch manche. Dieses höhere Wesen trug irgendwann in der Renessaince oder so (hört lieber net auf mei schlecht geschwätz) den Namen "Schicksal", sozusagen. D.h. das Schicksal war eine Entität wie der Tod oder das Verderben. So zumindest habe ich das verstanden.
Dieses höhere Wesen oder besser höhere Macht bewegt dann die Leute, etwas zu tun, kann aber auch von ihnen bestimmt werden. Also so wie mit der Macht.
Diese Vorstellung läßt sich allerdings kaum in die spätere Zeit und die Gegenwart übertragen. Das Schicksal als eigenwilliges Wesen konnte im Zeitgeist nicht überleben. "Was ist das für ein Wesen?" war die Art und Weise, zu fragen. Und später dachte man dann gar nicht mehr an ein bestimmtes Wesen oder sowas, weshalb das Schicksal als Phantom dennoch im Sprachgebrauch überlebte. Das ist schon mal ne komische Geschichte.

Und jetzt komm ich zu mir, ich sehe es halt so, daß das Schicksal ein Wesenzug des Universums ist, den Willen zu zeigen, dem Menschen zu helfen oder ihn zu strafen. Allerdings völlig "unverbindlich".
Und dann dachte ich mir, wenn es überhaupt ein Ziel für das Universum gibt, dann eines, wovon es profitieren kann, denn zu einem Willen gehört ein Bewußtsein, und das hat einen Selbsterhaltungstrieb. Und hier schließt sich der Text von oben an. Daß das Universum den Menschen irgendwie "benutzt", um sich selbst zu erhalten wäre allerdings anzunehmen genau so vermessen, wie zu sagen: Die egoistischen Gene benutzen den Menschen, um sich Fortzupflanzen. Oder: Wohin der Mensch geht, hängt nicht vom einzelnen ab, sondern von Ideen und Konzepten, die nicht der einzelne, sondern die Masse trägt. (Also so, wie wenn etwas lange in der Schublade liegt, aber immer wieder jemand daran weiterarbeitet, obwohl es für den Menschen extrem gefährlich ist. So war das imho bei "the Cube")
So denke ich jetzt. Aber man muß ja nicht davon ausgehen, daß der Gedanke, daß man fremdgesteuert sein könnte[I/], überhaupt eine bedeutung hat, auch wenn er einem kommt. (Das war das, was ich mir beim ersten Post gedacht hatte)

Nunja, da das Schicksal schon seit ein paar Jahrzehnten ins Reich des Aberglaubens gehört, dieser aber ab und zu wieder salonfähig wird, wird es wohl als Phantom weiterexistieren. Man sollte aber nicht aus den Augen verlieren, daß, wenn überhaupt (es sollte jeder glauben, woran er will), zumindest nicht alles "Schicksal ist", sondern der Mensch einen freien Willen besitzt.
Carpe prosperitum!
 
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Es gibt kuriose Zufälle rund um das amerikanische Präsidentenamt:


1. Die verflixte Hundert



Das Attentat auf Kennedy ist durch die Zahl 100 mehrfach mit dem Attentat auf Lincoln verwoben:


Abraham Lincoln wurde 1846 in den Kongress gewählt, John F. Kennedy 1946.


Lincoln wurde 1860 zum Präsidenten gewählt, Kennedy 1960.


Der Nachfolger von Lincoln hieß Andrew JOHNSON und wurde 1808 geboren, der Nachfolger von Kennedy hieß Lyndon B. JOHNSON und wurde 1908 geboren.


Auch die Attentäter werden durch die Zahl 100 miteinander verbunden: John Wilkes Booth, der Lincoln im Theater von Washington erschoss, erblickte 1839 das Licht der Welt, der Kennedy-Attentäter Harvey Lee Oswald 1939.


Booth rannte nach dem Attentat aus dem Theater in ein Lagerhaus, wo er sich stundenlang verbarrikadierte, während Oswald seine Schüsse aus dem sechsten Stock eines Lagers für Schulbücher abfeuerte und hinterher in einem Filmtheater Zuflucht suchte.


Kurios ist auch, dass Lincoln im FORD-Theater in Washington letztendlich tödlich getroffen wurde, während Kennedy in einem FORD-Lincoln erschossen wurde.


2. Der Tod kommt am 4. Juli


Am 4. Juli 1776 erklärten sich 13 englische Kolonien in Nordamerika für unabhängig. Dies war die Geburtsstunde der Vereinigten Staaten von Amerika. Genau 50 Jahre später, am 4. Juli 1826, starb der Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson (dritter amerikanischer Präsident). Am gleichen Tag verstarb auch der zweite amerikanische Präsident, John Adams. Dieses erstaunliche Zusammentreffen trug sehr dazu bei, den Mythos von den "Gründervätern" zu festigen und den Glauben an die lenkende Hand der Vorsehung“ zu stärken.

Und auch der fünfte amerikanische Präsident, James Monroe, starb 1831 am 4. Juli, dem 55. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung.

3. Die "böse" Zwanzig


Von den acht Präsidenten, die während ihrer Amtszeit starben, wurden sieben zufällig in einem Jahr in ihr Amt gewählt, welches durch 20 teilbar ist.


Wahl 1840: William H. Harrison --> stirbt 1841 an einer Lungenentzündung

Wahl 1860: Abraham Lincoln --> stirbt 1865 an den Folgen eines Attentats

Wahl 1880: James A. Garfield --> stirbt 1881 an den Folgen eines Attentats

Wahl 1900: William McKinley --> stirbt 1901 an den Folgen eines Attentats

Wahl 1920: Warren G. Harding --> stirbt 1923 an den Folgen eines Schlaganfalls

Wahl 1940: Franklin D. Roosevelt --> stirbt 1945 an den Folgen eines Gehirnschlags

Wahl 1960: John F. Kennedy --> stirbt 1963 an den Folgen eines Attentats


Wahl 1980: Ronald Reagan --> überlebt 1981 schwerverletzt ein Attentat
 
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Der folgende Zufallskette dreht sich um den 9. Dezember 2005.

Zeitsprung ins Jahr 1997: Stadtbücherei Münster. Ich bin auf die "Spiegel"-Sammlung des Hauses gestoßen und blättere einen ganzen Nachmittag in den ehemals taufrischen Kommentaren zum Zeitgeschehen. Eine faszinierende Beschäftigung, da man im Gegensatz zu den damaligen Artikelschreibern die nachfolgende Zukunft kennt. Schließlich vervielfältige ich einen mehrseitigen Artikel aus dem Jahr 1980 anlässlich des Todes von John Lennon. Die Kopien liegen in der folgenden Zeit lange auf meinen Schreibtisch und geraten schließlich in Vergessenheit. Etwa zur selben Zeit sammele ich für ca. zwei Jahre die Ausgaben der Filmzeitschrift "cinema". Diese kleine Sammlung landet nach der Auflösung meiner Studentenbude in einem kleinen Schränkchen in meinem Elternhaus.

Zeitsprung ins Schuljahr 2005/2006, 1. Halbjahr. Freitags gebe ich im 8. Jahrgang in den ersten beiden Unterrichtsstunden Kunst. Nach meiner Planung sollen die Schüler ungefähr im November/Dezember die Umrisse einer Gesichtsaufnahme auf ihr Zeichenblatt übertragen und danach Licht- und Schattenbereiche im Original in der Zeichnung durch das Setzen von schwarzen Punkten abbilden. Dunkle Bereiche - enger Abstand, helle Bereiche - großer Abstand. Die Schüler haben fast drei Monate Zeit, sich eine geeignete Vorlage aus einer Zeitschrift zu besorgen. Die Zeit vergeht. Wie erwartet hat sich kaum einer von den Schülern eine Woche vor Start des Themas um die Besorgung des Materials gekümmert. Die Uhr tickt, geeignete Fotos sind rar gesät. Ein holpriger Start ins Thema zeichnet sich ab. Als mögliche Sicherheitsreserve fallen mir plötzlich meine alten Kinozeitschriften ein, deren Existenz ich fast vergessen hatte. Nach einem Kurzbesuch bei meinen Eltern, nehme ich einige davon nach mit in den Unterricht und verteile sie an diejenigen, die mit einem ungeeigneten Bild aufgekreuzt sind. Die Minuten verstreichen. Plötzlich meldet sich ein Schüler und berichtet, dass in einer Zeitschrift Zettel liegen. Ich starr auf die Zettel. Es sind die alten Spiegel-Kopien zum Tode von John Lennon. Ich blicke auf meine Armbanduhr. 9. Dezember 2005, der 25. europäische Todestag von John Lennon.
 
Eine kleine Anekdote vom heutigen Tag: Nach Schulschluss klingelt im Raum meines Jahrgangsstufenteams nach 17:00 Uhr das Telefon. Eine Mutter aus meiner Parallelklasse berichtet, dass ihre Tochter einen ukrainischen Jungen (11 Jahre) aus einer anderen Parallelklasse mit nach Hause gebracht hat. Er ist in den falschen Bus eingestiegen und weiß nicht, wo er wohnt und weint bitterlich. Seine Mutter ist nicht erreichbar. Sie befindet sich im Krankenhaus. Ich kann seine Adresse einsehen und biete an, ihn abzuholen und zu seiner Unterkunft zu fahren. Eine russischsprechende Bekannte der Familie, in die der Junge gestrandet ist, erklärt ihm, bevor wir abfahren, dass ich ihn zu seiner Wohnung fahren werde und bei ihm bleiben werde, bis jemand von seiner Familie nach Hause kommt, sollte niemand da sein. Einen Haustürschlüssel besitzt er nicht. Es soll noch einen älteren Bruder geben, auf den ich hoffe. Der Vater ist in Kiew zurückgeblieben. Ich fahre ihn zur angegebenen Adresse. Angekommen, merke ich, dass sie nicht stimmen kann. Der Junge schüttelt den Kopf. Ich rufe eine russischsprachige Mutter eines Schülers an, damit sie mit meinem Fahrgast telefonisch Kontakt aufnimmt. Er kann keinerlei Hinweise liefern. Er kennt auch nicht den Namen des Dorfes, in dem er wohnt. Glücklicherweise ist nach dem Telefonat mit meiner Übersetzerin erstmals seine Mutter erreichbar, mit der ich mich aber nicht verständigen kann. Sie spricht mit ihrem Sohn. Zuvor wurde mein Fahrgast mittels der russischsprachigen Übersetzerin instruiert, sich bei seiner Mutter nach der richtigen Aufenthaltsadresse zu erkundigen. Nach dem Gespräch zwischen Sohn und Mutter rufe ich wieder meine Übersetzerin an, die sich bei meinem Fahrgast über das Ergebnis des Mutter-Sohn-Telefonats erkundigen soll. Das Ergebnis: Auch die Mutter meines Fahrgastes kennt nicht die Adresse, nicht den Ort ihrer Unterkunft. Sie wird sich erkundigen und später melden. Ich sitze mit meinem Fahrgast weiterhin im Auto vor der falschen Unterkunft. Eine Viertelstunde später bedeutet mir mein Fahrgast, nach einem Blick auf sein Smartphone, seine Mutter anzurufen. Eine Männerstimme ertönt (wahrscheinlich der Großvater) aus meinem Smartphone. Sie nennt mir einen mir wohlbekannten Straßennamen. Seine Unterkunft liegt in Luftlinie nur ca. 200 m von meinem Haus entfernt. Das Stadtgebiet umfasst insgesamt 230 Quadratkilometer. Ich war sogar bereits 2014 in seiner Unterkunft. Damals war das ansehnliche Haus noch im Besitz einer wohlhabenden Familie, die kurz vor einer Scheidung stand – ein abendlicher beruflicher Elternbesuch. Meine heutige Odyssee nahm gewissermaßen dort ihr Ende, wo sie heute früh begann, nachdem ich insgesamt gut 50 Kilometer im Stadtgebiet zurückgelegt habe.
 
Ich glaube nicht an Schicksal. Dennoch fasziniert mich dass es viele Dinge im Leben gibt, die augenscheinlich genauso und kein bisschen anders ablaufen mussten. Mein Lieblingsbeispiel ist da wie sich meine Großeltern kennen gelernt hat. Der zweite Weltkrieg hat, bei all seiner Schrecklichkeit, dazu geführt dass sich zwei Menschen getroffen haben, die sich unter anderen Umständen nie begegnet wären. Mein Großvater väterlicherseits, aus dem damaligen Ostpreußen stammend, musste am Ende des Krieges mit seiner Familie in den Westen fliehen und landete letztendlich in der Bremer Gegend, wo er meine Großmutter kennengelernt hatte. Bei meinen Großeltern mütterlicherseits war es genau umgekehrt. Meine aus Schlesien stammende Großmutter hat ihren Mann nach ihrer Flucht im Westen kennengelernt.
Daraus kann man letztendlich schlussfolgern: Hätte es den zweiten Weltkrieg nicht gegeben würde es mich mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht geben.
 
Uh, wenn es um Zufälle in der Familiengeschichte geht: Ich und meine Familie väterlicherseits würden wohl ohne eine technisch defekte Stielhandgranate gar nicht existieren. Danke deutsche Wertarbeit :)
 
Über den Zufall unserer Existenz hat Richard Dawkins in seinem Buch "Der entzauberte Regenbogen" ein paar schöne Zeilen geschrieben:

„Wir alle müssen sterben, das heißt, wir haben Glück gehabt. Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie geboren werden. Die Männer und Frauen, die es rein theoretisch an meiner Statt geben könnte und die in Wirklichkeit nie das Licht der Welt erblicken werden, sind zahlreicher als die Sandkörner in der Sahara. Und unter diesen ungeborenen Geistwesen sind mit Sicherheit größere Dichter als Keats, größere Wissenschaftler als Newton. Das wissen wir, weil die Menge an Menschen, die aus unserer DNA entstehen könnten, bei weitem größer ist als die Menge der tatsächlichen Menschen. Und entgegen dieser gewaltigen Wahrscheinlichkeit gibt es gerade Sie und mich in all unserer Gewöhnlichkeit.

Moralphilosophen und Theologen messen dem Augenblick der Empfängnis großes Gewicht bei: Er ist in ihren Augen der Zeitpunkt, ab dem die Seele zu existieren beginnt. Und auch wer sich wie ich durch solch eine Meinung nicht rühren lässt, muss einen bestimmten Moment neun Monate vor der Geburt als das entscheidendste Ereignis seines persönlichen Schicksals betrachten. Es ist der Augenblick, in dem unser Bewusstsein plötzlich billionenmal genauer vorhersehbar wird als noch einen Sekundenbruchteil zuvor. Sicher, der embryonale Mensch, der nun existiert, hat noch viele Hürden zu überwinden. Die meisten Befruchtungsprodukte enden in einer frühen Fehlgeburt, bevor die Mutter überhaupt davon weiß, und wir alle haben Glück gehabt, dass es uns nicht so ergangen ist. Außerdem besteht die persönliche Identität nicht nur aus Genen. Dennoch war der Moment, in dem eine bestimmte Samenzelle in eine bestimmte Eizelle eingedrungen ist, in unserem persönlichen Rückblick von Schwindel erregender Einzigartigkeit. Damals verschob sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir zu einem Menschen wurden, von Astronomischen in den einstelligen Bereich.

Begonnen hat die Lotterie schon vor der Empfängnis. Unsere Eltern mussten sich kennen lernen, und ihre Empfängnis war ebenso unwahrscheinlich wie unsere eigene. Und so weiter rückwärts in die Vergangenheit über unsere vier Großeltern und acht Urgroßeltern bis in eine Zeit, an die wir nicht einmal denken mögen. Desmond Morris beginnt seine Autobiographie „Mein Leben mit Tieren (1981)“ in seinem charakteristischen, fesselnden Tonfall so:

„Mit Napoleon hat alles angefangen. Wenn er nicht gewesen wäre, säße ich jetzt wahrscheinlich nicht hier, um dieses Buch zu schreiben... eine seiner Kanonenkugeln, abgefeuert im Spanischen Krieg von 1808 – 1814, hat meinem Großvater James Morris einen Arm weggerissen und dadurch der Geschichte meiner Familie eine ganz andere Richtung gegeben.“

Dann berichtet Morris, wie der erzwungene Knick in der Berufslaufbahn seines Ahnen verschiedene Schneeballeffekte hatte, die schließlich in seinem eigenen Interesse für Naturgeschichte ihren Höhepunkt fanden. Aber eigentlich hätte Desmond nicht so vorsichtig sein müssen. An der Geschichte ist kein „wahrscheinlich“. Natürlich verdankt der Napoleon schon sein Dasein als solches. Napoleon brauchte James Morris nicht in den Arm zu schießen, um das Schicksal des kleinen Desmond – aber auch meines und Ihres - zu besiegeln. Nicht mit Napoleon, sondern auch der kleinste mittelalterliche Bauer brauchte nur zu niesen, um irgendetwas zu beeinflussen, das etwas anderes veränderte, das nach einer langen Kettenreaktion schließlich dazu führte, dass einer meiner potentiellen Vorfahren nicht mein Vorfahre, sondern der eines anderen Menschen wurde. Ich rede hier nicht von der „Chaostheorie“ oder der ebenso modernen „Komplexitätstheorie“, sondern nur von der schichten Statistik der Kausalbeziehungen. Der Faden des historischen Geschehens, an dem unser Dasein hängt, ist erschreckend dünn.

„Verglichen mit der Zeit, die wir nicht kennen, o König, ist unser Leben auf Erden wie der Flug eines Sperlings durch jenen Saal, wo Ihr im Winter mit Euren Heerführern und Dienstmannen sitzt. Der Sperling fliegt zur einen Tür herein und zur anderen hinaus, und solange er drinnen ist, ist er gefeit gegen die Winterstürme; doch diese kurze Ruhepause ist im Nu vorbei; er kehrt zurück in den Winter, aus dem er gekommen, und verschwindet aus Eurer Sicht. Mit dem menschlichen Leben ist es ebenso, und was danach sein wird oder davor war, entzieht sich unserer Kenntnis.“

Beda Venerabilis, A History of the English Church and People (731)

Auch in anderer Hinsicht haben wir Glück gehabt. Das Universum ist über 100 Millionen Jahrhunderte alt. Nach einem vergleichbar langen weiteren Zeitraum wird die Sonne zu einem roten Riesen angewachsenen sein und die Erde verschlingen. Jedes dieser vielen hundert Millionen Jahrhunderte war zu seiner Zeit „das derzeitige Jahrhundert“ oder wird es sein, wenn seine Zeit kommt. Interessanterweise können sich manche Physiker mit der Vorstellung von einer „wandernden Gegenwart“ nicht anfreunden: Sie ist in ihren Augen ein subjektives Phänomen, für das sie in ihren Gleichungen keinen Platz finden. Aber ich argumentiere hier durchaus subjektiv. Für mich – und ich nehme an, auch für andere Menschen – fühlt es sich so an, als ob die Gegenwart aus der Vergangenheit in die Zukunft wandert, wie ein winziger Scheinwerferkegel, der an einem riesigen Zeitlineal entlang kriecht. Hinter dem Lichtkegel liegt alles im Dunkeln, in der Düsternis einer toten Vergangenheit. Und alles vor dem Lichtkegel liegt in der Dunkelheit der unbekannten Zukunft. Die Chance, dass unser Jahrhundert gerade dasjenige ist, auf dem der Scheinwerfer ruht, ist ebenso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufällig in die Luft geworfener Pfennig auf eine ganz bestimmte, auf der Straße von New York nach San Francisco krabbelnde Ameise trifft. Mit anderen Worten: Jeder von uns ist mit überwältigender Wahrscheinlichkeit tot.

Trotz dieser schlechten Chancen bemerken wir, dass wir in Wirklichkeit lebendig sind.

Nach einem Schlaf von vielen hundert Millionen Jahrhunderten schlagen wir endlich auf einem Planeten des Überflusses die Augen auf, auf einem Planeten voller leuchtender Farben und überschäumenden Lebens. Und in wenigen Jahrzehnten müssen wir sie wieder schließen. Ist es nicht eine edle, erleuchtete Art, unsere kurze Zeit unter der Sonne zu verbringen, wenn wir zu verstehen streben, was das Universum ist und wie es kommt, dass wir darin erwacht sind? Das ist meine Antwort, wenn ich – erstaunlich oft – gefragt werde, warum ich mir die Mühe mache, morgens aufzustehen. Oder anders herum ausgedruckt: Ist es nicht traurig, wenn man ins Grab sinkt, ohne sich jemals gefragt zu haben, warum man geboren wurde? Wer würde bei einem solchen Gedanken nicht aus dem Bett aufspringen, voller Eifer, mit der Erkundung der Welt fortzufahren und sich zu freuen, dass man dazugehört?"
 
Daraus kann man letztendlich schlussfolgern: Hätte es den zweiten Weltkrieg nicht gegeben würde es mich mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht geben.
Wobei an unserer Stelle dann wiederum andere Leute gelebt hätten, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre. Muss man einfach dazu sagen.

Wenn ich z. B. daran denke, wie viele Personen in der NS-Zeit umgebracht wurden, die möglicherweise etwas Wunderbares hätten schaffen können, macht mich das ehrlich gesagt etwas wehmütig... :-(
 
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Wobei an unserer Stelle dann wiederum andere Leute gelebt hätten, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre. Muss man einfach dazu sagen.

Wenn ich z. B. daran denke, wie viele Personen in der NS-Zeit umgebracht wurden, die möglicherweise etwas Wunderbares hätten schaffen können, macht mich das ehrlich gesagt etwas wehmütig... :-(
Manchmal frage ich mich, ob wir nicht mittlerweile das potenziell größte Genie aller Zeiten, das alle Probleme dieser Welt hätte lösen können, verpasst haben, nur weil es nicht irgendwo im Westen sondern in einem indischen Slum oder Somalia geboren wurde und mit 10 Jahren an Hunger starb, bevor es irgendetwas Großes wie den Warp Antrieb vollbringen konnte. Das ist so ein bisschen wie die Geschichte mit dem Mädchen in „Hitchhiker’s Guide through the Galaxy“, was endlich verstanden hat warum alle Menschen unglücklich sind und wie man das ändern kann, und dann wird sie vom Auto überfahren.

Auch so ein Punkt, über den ich mir schon Gedanken gemacht habe: Die privilegierte westliche Welt stellt eine Minderheit dar und wir alle haben großes Glück, da hineingeboren worden zu sein.
 
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Auch so ein Punkt, über den ich mir schon Gedanken gemacht habe: Die privilegierte westliche Welt stellt eine Minderheit dar und wir alle haben großes Glück, da hineingeboren worden zu sein.

Wir haben in der Tat das große Glückslos in der Lebenslotterie gezogen. Normale Bürger haben heute mehr Möglichkeiten bezüglich ihrer Freizeitgestaltung und Reisemöglichkeiten als Reiche in der Vergangenheit. Und wir sind vor den meisten Infektionskrankheiten gefeit, denen in der Vergangenheit die Menschen machtlos ausgeliefert waren. Niemand konnte sich sicher sein, egal ob reich oder arm, dass ihm nicht eine heute behandelbare Krankheit im Laufe der nächsten Wochen dahinraffte. Wir haben einen enormen Zuwachs an Lebenszeit, auch gesunder Lebenszeit gewonnen. Und es gab in den letzten Jahrzehnten, dank des sozialen Netzes, keine echten Existenzängste mehr. Wir leben im Grunde in dem Paradies der bisherigen Menschheitsgeschichte.
 
Ich finde ja total faszinierend, wie viele Menschen überleben und zusammenfinden kommen mussten, damit ich lebe. All die Menschen haben all die Kriege überlebt oder zumindest so lange, um eine/n VorfahrIn zu zeugen.
 
Wir haben in der Tat das große Glückslos in der Lebenslotterie gezogen.

Das ist kein Glück, sondern alle unsere Optionen und jeder Wohlstand von uns haben ihren Preis. Das alles hat Konsequenzen. 120 Jahre Industrialisierung, Monokulturen und Massentierhaltung, billige Kernenergie und grenzenlose Freizügigkeit über den ganzen Planeten haben uns die großen Probleme dieses Jahrhunderts (und der darauf folgenden) beschert.

Es sind unsere Kinder und alle zukünftigen Generationen, die die Zeche zahlen müssen und das ist kein Schicksal, sondern die Konsequenz unseres "Glücks".
 
Das ist kein Glück, sondern alle unsere Optionen und jeder Wohlstand von uns haben ihren Preis. Das alles hat Konsequenzen. 120 Jahre Industrialisierung, Monokulturen und Massentierhaltung, billige Kernenergie und grenzenlose Freizügigkeit über den ganzen Planeten haben uns die großen Probleme dieses Jahrhunderts (und der darauf folgenden) beschert.

Es sind unsere Kinder und alle zukünftigen Generationen, die die Zeche zahlen müssen und das ist kein Schicksal, sondern die Konsequenz unseres "Glücks".
Es ist schon lustig, wenn man auf Facebook und co naive Aussagen liest wie "was sollen wir wegen dem Klimawandel denn noch alles opfern??"
Da denke ich mir nur, Junge, du hast bisher noch gar nichts geopfert...
 
Es ist schon lustig, wenn man auf Facebook und co naive Aussagen liest wie "was sollen wir wegen dem Klimawandel denn noch alles opfern??"
Da denke ich mir nur, Junge, du hast bisher noch gar nichts geopfert...

Ja, für manche Zeitgenossen ist es schon ein "Opfer", wenn sie nur eine Fernreise pro Jahr machen, oder wenn sie mal auf 5 Tage Saufurlaub auf Malle verzichten müssen. Bei vielen wird das Bewusstsein wohl erst einsetzen, wenn Köln an der Nordsee liegt.

C.
 
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