Das ganze hat damit angefangen, dass wir eine längere Kampagne spielen wollten. Nach einigen Ausflügen in einige recht ansprechende Geschichten um zwei kleinere Gruppen wollten wir etwas episches, das eine Reise von jungen Charakteren bis hin zu einem fast gottgleichen Status in der Welt führt. Level 1 bis nahe 30.
Epic!
Ich entschied mich, auch diese Geschichte im Umfeld der alten Geschichten spielen zu lassen, sie leicht zu verknüpfen (und das war die Geburtsstunde von Emmergens) und so eine breitere Geschichte mit Tiefe und Möglichkeiten in alle Richtungen zu erzählen. In einem Istrien-Urlaub, in dem ich viiiiel Dune las, habe ich mich dann auch für einen ersten Gegenspieler entschieden, der auf den Honored Matres basiert, eine rein weibliche Priesterschaft eines dunklen Kultes. So sollten wenigstens die ersten Schritte der Helden begleitet werden, spätere Geschichten wuchsen dann aus den Hintergrundgeschichten der Charaktere heraus oder wurden ganz von Gastspielleitern konzipiert.
Ich hatte meine Basis und hab mir damals noch eine klassische Abenteuergeschichte vorgestellt: einige Recken ziehen los, um das Königreich zu retten.
Meine Fresse, ich hab nicht falscher liegen können!
Mein Charakter sollte einer der wenigen weiblichen Charakter sein. Eine Gauklerin, die mit ihren körperlichen Attributen die perfekte Akrobatin war und so im Kampf und Co helfen konnte... oi.
Zuerst meinte mein Schatz, sie wollte auch mal ausnahmsweise eine Frau spielen. Dann kam Lain dazu und dann kam Raidi mit "ich will ne alte Geschichte von mir aufgreifen und ein Mädchen spielen"... und meine Vorstellung vaporisierte in meinem Geiste. Vier Frauen und nur einer der Spieler, Stompa, hatte vor, einen Mann zu verkörpern.
Das änderte aus vielen Gründen so einiges. Schon alleine die Einstellung meines Charakters zu den anderen (ich hab mir ne kleine Romanze für Kim eingebildet und plötzlich war der einzige Mann ein dumpfer Klotz, der von nem Macho gespielt wurde... oi, ne danke) und dann noch das Wechselspiel zwischen uns und den Gegenspielerinnen: zuvor hätte man ganz prima den rein weiblichen Kult in einer patriarchischen Gruppe als "Bedrohnung" aufsetzen können ("von Euch lassen wir uns nichts sagen, niedere Männchen!"), jetzt aber war es eher wahrscheinlich, dass sie sich ohne Probleme als der Feind verkleiden konnten, ihnen trügerisch schmeicheln und sie so täuschen würden.
Ich konzipierte etwas um, merkte aber bald, dass ich nicht allzuviel zu tun hatte. Kim setzte ich erstmal auf emotionales Eis und die Hintergrundgeschichte konnte ich so lassen. Eine Heldengruppe würde so oder so ihren Weg in dieser Welt suchen und sich gegen die Schattenpriesterinnen behaupten, da war ich mir sicher. Egal ob Mann, Frau oder dazwischen. Egal wie gemischt oder nicht gemischt die Gruppe war. Wir hatten schließlich auch ne Elfin dabei... schlimmer kanns nicht kommen
Dann trudelten die Charakterideen und -konzepte ein, gefolgt von einer wahren Orgie aus Würfeln und Rechenstunts. Die Damen und Herren nahmen Gestalt an:
Dyesce wollte eine Trickbetrügerin, Diebin und Angehörige der ältesten Zunft spielen, die absolut eigensüchtig und boshaft agierte... guuuuut, soviel zu Heldentum und gegen die Schatten
Raidi wollte eine 15-jährige Flüchtige spielen, die damals von zuhause weglief ("Ich hasse dich weil ich pubertiere, Mutter!!!"), von einem Verbrecherlord "aufgenommen" wurde, später auch da weglief und nun unter Stockholmsyndrom leidet... soviel zu Heldentum und epische Schlachten
Lain wollte eine elfische Waldläuferin spielen, die nicht viel von Männern hielt (oooh ja, diese Art von Figur ^^), brütend in der Ecke saß und im Notfall die Sache alleine anging... warum? Warum ich? Ich muss das meistern, dammit!
Stompa entschied sich für einen Barbaren Jüngling, der ebenfalls auf der Flucht vor seiner Vergangenheit war und mit Axt und Sixpack ein Leben als heldenhafter Held anstrebte... klassisch... zu klassisch?
Und schließlich ich... ich weiß: es ist schwer, ein Konzept für seinen Charakter zu basteln und sich dann nicht selbst mit dem Ausspielen zu überraschen ("der sollte cool sein... und nützlich... und jetzt spiel ich ihn nur nervig und mit dummen Witzen im Anschlag... whyyyyyy?") und schnell wurde klar, dass ich für Dyesce Charakter wie eine Klette sein werde (soviel zum früher erwähnten SM-Faktor)...
So... vier Frauen, ein Mann. Doof, dass sich die Diebin gleich an den Hünen ranwarf und damit zwei Sachen auf den Kopf stellte: mein Charakter musste jetzt um ihre Gunst kämpfen und im Grunde stand der doofe aber irgendwie doch im Herzen halbwegs gute (okay... annähernd ordentliche) Barbar unter dem sehr deutlichen Einfluss einer manipulierenden, verwerflichen Kraft.
Die Geschichte hatte sich im ersten Abenteuer komplett gedreht, ich erkannte immer mehr, dass den Charakteren mehr am eigenen Wohlergehen lag, als am Wohlergehen des Reiches und ich ruderte, um die Motivation der Kampagne immer stärker in die Welt der Hauptfiguren einfließen zu lassen, ohne "ihr müsst das machen!" zu sagen.
Einige Abenteuer später schloss sich uns dann noch Raidis Verlobte an und sie spielte eine halbelfische Magierin des königlichen Geheimdienstes. Das Ungleichgewicht wurde stärker und natürlich litt die Story kein bisschen... warum auch?
Wir hatten uns nicht abgesprochen (darum meine Unsicherheit und Verwirrung am Anfang) und jeder spielte das, worauf er gerade Lust hatte. Jeder spielte als Teil eines Teams aber auch unabhängig seinen Charakter und wenn Kreiia (die 15-jährige) ein Junge gewesen wäre, hätte das rein gar nix an der Story verändert, außer dass sie sich am Ende nicht dermaßen einfach in den Schattentempel hätten einschleichen können.
Das gilt auch für die anderen und auch wenn Ulfgar (der doofe Barbar) immer wieder dachte, die Kontrolle an sich zu reißen (liegt aber am Spieler, sein Samurai hatte die gleichen Probleme), entschied entweder die seltsame Demokratie der Gefährten oder ein "damn, Ulfgar läuft gerade alleine weg, gehen wir ihm nach, um ihn vor dem Heldentot zu retten." "warum?" "äääh... keine Ahnung, lasst es uns dennoch tun -.-") und genau das macht diese Gruppe (sowohl die Charaktere, als auch die Spieler) aus: sie gehen da zum Großteil ohne Vorurteile rein, lassen sich nicht auf Geschlechterrollen runterdefinieren oder einschränken (oder bestärken), sondern spielen ihre Figur, die halt das ein oder andere Geschlecht hat.
Sie zeigten ihre Stärken, zeigten ihre Schwächen, überwanten die schwierigsten Hürden und weinten, wenn sie nicht mehr konnten. Ich bin da unglaublich stolz drauf, wie sie das alle ohne Absprache (wie im richtigen Leben) hinbekamen und was für geniale weitere Abenteuer daraus entstanden...
Die Stärken, wie ich sie sehe:
- die Diebin: sie ist von Natur aus stark... sie ist das Zentrum ihrer Welt und läßt sich nicht steuern. Sie steuert. Dazu lässt sie aber auch Emotionen zu, die sie schwächen und macht sich das sehr wohl klar... die Liebe zu ihrer Familie, die "Treue" zu ihren Freunden. Erinnert mich an Cersi aus GoT
- die Elfin: sie stützt die Gruppe, sie gibt nach, wenn sie keine Chance in Diskussion sieht und sucht einen anderen Weg, um sich trotzdem auf ihr Ziel zu konzentrieren. Als sie ihre eigene freie Stadt gründet, stellt sie sich sogar gegen den Barbaren und ihren König und bedroht die "Harmonie" mit einer möglichen Freistadt ohne sich einschüchtern zu lassen
- das Mädchen: blieb nicht lange so jung und war zwar in einer riesigen Romanze verstrickt, die hat sie aber auch irgendwie komplett verändert und abhärten lassen, weil die Romanze anders lief, als man sich das so vorstellen mag (Stichwort "Farscape Season Three")... letztendlich baut sie eines der größten Handelsimperien dieser Zeit auf und verbündet sich mit dem militärischen Gewalt des Barbaren und der kulturellen Gewalt der Elfin, um deutliche Spuren zu hinterlassen
- der Barbar: er ist ein großer, dummer Klotz, aber er hatte seinen eigenen Kopf und war sich wenigstens zu 10% klar, dass ihn alle manipulieren... und im Endeffekt hat er sogar für die Gruppenmitglieder gekämpft und den Tod riskiert, die er am liebsten selbst erschlagen hätte und wenn es von Nöten war, trat er auch von seinem hohen Ross, das er so liebevoll selbstverliebt pflegte
- die Närrin: meine Närrin war letztendlich die absolute Sub... sie ließ sich verhauen, ließ sich schleifen und fraß Dreck, nur um bei ihrer Liebsten zu sein. Und dennoch gab sie sich nicht auf, blieb immer sie selber und grinste nur herausfordernd, wenn ihre Liebste sie mal wieder wütend den Wölfen vorwarf... aber Kim ist eh eine Sache für sich mit all ihren seltsamen Seiten... dazu muss man eigentlich schon die Chronik lesen...
Jo... unser episches Experiment. Wir hatten 20+ Level angepeilt und erreichten iirc 26. Wir gingen unseren Weg, ließen uns nicht irritieren, provozierten (mit Unterstützung des Königshauses) wiederkehrend die Kirche und zeigten der fiktiven Welt, dass eine eher weiblich zentrierte Gruppe aus seltsamen, unbekannten Gründen genauso viel Potential hat, wie jede verdammte andere Gruppe auch... wer hätte das gedacht?
Insofern: einen Charakter macht nicht sein Geschlacht aus. Tut er das doch irgendwie, fange ich an, mir Gedanken über ihn zu machen und frage mich, was so alles ansonsten fehlt...
Bin ich jetzt zuviel am Thema vorbei geschrammt?
Sollte ich meine Chroniken doch nochmal überarbeiten?
Wer möchte mich verlegen?
Und bekomme ich bald Hassmails von Anti-Feministen und Feministen zugleich?
Ich habe nur mehr neue Fragen aufgeworfen ^^°