[Vinsoth-System | Vinsoth | kleinster Kontinent | Regierungssitz von Diktator Bosson] Vilnok Moor, Jepha Uln, Korm Bosson
Im Gegensatz zur ansonsten nomadischen Lebensart der Chevin, bestanden die Regierungsstädte der kontinentalen Diktatoren in der Regel aus halbwegs festen Bauwerken, die dafür gedacht waren, an ihrem einmal gewählten Standort zu bleiben, sofern nichts Unvorhergesehenes bestand. Der Amtssitz von Korm Bosson stellte hierin keine Ausnahme dar. Er bestand aus einer Ansammlung miteinander verbundener Gebäude, welche sich in ein felsiges Tal schmiegten und von einer mittelgroßen Siedlung umgeben waren, deren äußere Teile aus den Lodges vorübergehend hier haltender Nomaden bestanden.
Als Senator Vilnok Moor und seine Assistentin Jepha Uln aus der zivilen Fähre stiegen, die auf dem Landefeld vor dem Regierungssitz gelandet war, wurden sie sofort von einer Gruppe Chevins in einheitlich dunkelbraunen Roben empfangen. Auf den Kapuzen prangte ein Abzeichen, das sie als Mitglieder von Bossons persönlicher Leibwache auswies. Von dieser Ehrengarde ließen sich die beiden Besucher durch mehrere Räume eskortieren, bis sie schließlich eine Art Thronsaal erreichten. In der Mitte der Halle standen mehrere Stühle aus importiertem Holz um einen Tisch, der verschiedene Leckereien und gleich mehrere Karaffen mit ebenso importierten Getränken trug. Der Diktator erhob sich aus seinem Thron und schritt ihnen entgegen. Er war etwas kleiner und schmaler als die übrigen Anwesenden und für einen Diktator ungewöhnlich jung.
»Senator Moor, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?« fragte der Chevin. Dem Senator fiel auf, dass er einen freundlichen Gruß unterließ. Es war aber schwer zu sagen, ob dies eine Nachlässigkeit oder ein Zeichen von Respektlosigkeit war.
»Ich grüße Sie, Diktator Bosson. Ich bin hier, um Sie persönlich zu Ihrem überraschenden Wahlsieg zu beglückwünschen, auch im Namen des Präsidenten.«
»Sen Teflan hatte wohl nicht die Möglichkeit, persönlich zu erscheinen?« fragte Karm Bosson weiter. Auch jetzt war die Wortwahl nicht gerade freundlich, und auch sein Ton ließ vermuten, dass ihm der Besuch alles andere als angenehm war. Mit einer nicht besonders einladenden Geste deutete er auf die Stühle. Gäste und Gastgeber nahmen Platz.
Aus einer Wandnische trat ein Chev heran, um den drei Chevin aus einer der Karaffen einzugießen. Es fiel Moor auf, dass der Diener ein schlankes Armband mit elektronischen Komponenten trug. Ein Ortungs- oder Bestrafungsgerät?
»Mein Neffe befindet sich in der Hauptstadt auf einer Wahlkampfveranstaltung, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Dort ist er leider unabkömmlich, so dass ich Ihnen bedauerlicherweise nur seine Grüße entbieten kann.«
Er griff zu einem Becher, als auch der Gastgeber dies tat. Doch Bosson stürzte den eigenen Drink hinunter, ohne einen Zutrunk auch nur in Betracht zu ziehen.
»Könnte es sein, dass mein Besuch Ihnen ungelegen kommt, Diktator? Sie hätten dies bei meiner Ankündigung erwähnen können, damit wir einen Termin finden, der Ihnen besser passt.«
Die Miene des jungen Chevin verdüsterte sich bei dieser Anmerkung, doch klang seine Stimme etwas freundlicher, als er erwiderte:
»Sie sind mir selbstverständlich jederzeit willkommen, Senator. Sie kommen keineswegs ungelegen. Es ist nur immer viel zu tun, das wissen Sie bestimmt.«
»Natürlich. Jemand in unserem Gewerbe hat immer viel Arbeit. Ich habe vollstes Verständnis dafür. - Da Sie die Arbeit nun schon einmal ansprechen, werter Mr. Bosson... mein Besuch ist nicht nur rein repräsentativer Natur. Ich hatte gehofft, als Vertreter der Regierungspartei mit Ihnen über eine mögliche Zusammenarbeit sprechen zu können. Zunächst rein informell, versteht sich.«
Es war dem jungen Mann anzusehen, dass er bei dem Wort "Zusammenarbeit" beinahe aus seinem Sitz hochgefahren wäre. Das wunderte Vilnok Moor kaum. Öffentlich trat die Regierung für eine Gleichberechtigung der Chevs und einen engeren Schulterschluss mit der Neuen Republik ein. Sofern die Tarnung gut genug war, musste auch jemand wie Karm Bosson, der erst seit kurzer Zeit in der hohen Politik und noch nicht in die großen Zusammenhänge eingeweiht war, das für bahre Münze nehmen. Die vermeintliche Schnittmenge ihrer politischen Ansichten war demnach ziemlich gering, denn es war klar, wo der junge Diktator stand. Seine Worte bestätigten dies:
»Zusammenarbeit? Mir scheint, dafür sind unsere Auffassungen doch etwas zu verschieden. Ich habe nicht vor, mit Ihnen zu koalieren.«
»Das hatte ich angenommen«, meinte Moor. »Es ist ja offensichtlich, dass Sie eher ein Anhänger des alten Vinsoth sind und Ihre Sklavengeschäfte ungerne aufgeben möchten.«
Nun war es soweit: Wütend sprang Bosson auf. Moor und seine Assistentin hingegen blieben ruhig sitzen.
»Wie können Sie es wagen, mir illegale Aktivitäten vorzuwerfen! Ich wurde auf demokratischem Weg in mein Amt gewählt und halte mich strikt an die Gesetze! Oder können Sie mir etwas anderes beweisen?«
Seine heftige Reaktion war verständlich. Es hatte in der Vergangenheit mehrere Fälle gegeben, in denen selbst hochrangige Mitglieder der Gesellschaft wegen Verstößen gegen die Sklavereigesetze verhaftet und zu schweren Strafen verurteilt worden waren.
»Nein, werter Diktator, Beweise habe ich keine. Aber die Hinweise sind schon ziemlich deutlich. Der einzige Chev, den ich bisher in Ihrem Regierungssitz habe herumlaufen sehen, ist ein Diener, der offenbar eine Art Sklavenarmband trägt. Gleichberechtigung sieht anders aus, und ich kann Ihnen nur raten, Ihre Tarnung zu überdenken. Aber keine Sorge, das wird keine negativen Folgen für Sie haben. Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot zu unterbreiten, von dem wir beide profitieren können.«
»Um was geht es?« schnaubte der Jüngere.
»Ich denke, dass wir dies möglichst diskret besprechen sollten. Unter so wenigen Augen wie möglich. Wie vielen Ihrer Mitarbeiter vertrauen Sie tatsächlich in jeder Beziehung?«
Schweigend gab Bosson seinen Leibwächtern und Dienern einen Wink, sich zu entfernen. Jepha Uln begleitete sie. Nicht weil sie nicht hätte hören dürfen was geredet wurde, sondern um das Gefühl der Diskretion zu steigern. Außerdem zog der Diktator eine kleine Fernbedienung aus seiner reich bestickten Robe. Sie gab ein bestätigendes Signal von sich, als er einen der Knöpfe drückte; Vilnok Moor vermutete, dass er damit die Überwachungsanlage ausgeschaltet hatte.
»Diktator, ich weiß sehr genau, wie Ihr Vorgänger ums Leben gekommen ist, und auch, wie Sie zu Ihrem Posten gekommen sind. Außerdem weiß ich, dass Sie nicht nur die politischen Geschäfte, sondern auch den Sklaven- und Drogenhandel Ihres verstorbenen Kollegen übernommen haben.« Moor äußerte diese gravierenden Vorwürfe, ohne sich um den finsteren, bedrohlichen Blick des Gastgebers zu kümmern. Es war nicht möglich, den Senator während eines offiziellen Besuches zu töten, also bestand keine Gefahr. »Es ist ein sehr lukratives Unternehmen, das Sie auf diese Weise an sich gebracht haben. Gesicherte Handelsbeziehungen, gut getarnte Vertriebswege... ein hoher Profit ist beinahe garantiert. Meinen Glückwunsch.«
»Sie wissen ziemlich viel, Moor...«
»In der Tat. Glauben Sie, dass Diktator Fonn Unternehmungen dieser Größe durchführen könnte, ohne dass staatlichen und republikanischen Kontrolleuren irgendwelche Unregelmäßigkeiten auffallen? Ich weiß wahrscheinlich mehr über seine Geschäfte als Sie. Das liegt daran, dass wir sehr einvernehmlich zusammengearbeitet haben.«
Die Überraschung stand deutlich in Karm Bossons Gesicht geschrieben.
»Sie sind nicht der einzige, der in der Lage ist, sich durch Wahlbetrug an die Spitze zu bringen, Diktator. Andere sind schon vor Ihnen auf diese Idee gekommen. Und Ihr Kontinent ist keineswegs der einzige, auf dem mehr Dinge so geblieben sind wie früher, als es nach außen hin den Anschein hat. Sie sind sicherlich schon dahinter gekommen, dass die Neue Republik und die Reformen nur dann schlecht für unsere Geschäfte sind, wenn wir sie in der Öffentlichkeit betreiben wollen. Gleichberechtigung und Demokratie kosten Geld und Macht, aber sie können auch ein Weg zu deren Erhalt sein, wenn man es richtig angeht. Aber wieso erzähle ich das einem Mann, der erst letzte Woche seinen demokratischen Amtsantritt öffentlich zelebriert hat, obwohl er es legal nicht einmal auf zehn Prozent der Stimmen gebracht hätte.«
»Was wollen Sie von mir?« fragte Karm Bosson lauernd.
»Sie mit den Regeln vertraut machen, das ist alles. Sie sind zu auffällig, und das darf nicht sein. Ihre Unternehmungen müssen besser getarnt werden, sonst gefährten Sie nicht nur Ihre eigene Existenz, sondern auch die aller anderen, die daran beteiligt sind.«
»Und wer soll das sein?«
»Das müssen Sie jetzt noch nicht wissen. Wichtig ist für Sie zunächst nur, dass ich und einige meiner persönlichen Mitarbeiter Ihre Ansprechpartner sind. Sie kümmern sich darum, dass Ihre Aktivitäten besser verborgen bleiben; dazu zählt auch, dass Sie zumindest versuchen, den Anschein eines freien Chevvolkes auf Ihrem Kontinent zu wahren, wie auch Ihr Vorgänger es getan hat. Im Gegenzug halten wir Ihnen die republikanischen Kontrolleure und die Patrouillen der Systemverteidigung vom Hals. Dieses Spiel funktioniert nur, wenn beide Seiten sehr konzentriert und diskret arbeiten, das verstehen Sie doch?«
»Ja, ich... verstehe«, sagte der junge Chevin zögernd. Die unerwarteten Eröffnungen schienen ihn ein wenig zu überrumpeln.
»Gut, das ist sehr gut. Denn Ihnen muss klar sein, dass ein Bruch dieser Diskretion ein schwerwiegendes Problem für uns alle ist.
Sie erhalten demnächst eine Reihe von Anweisungen, was bei der Ausübung Ihrer illegalen Aktivitäten zu beachten ist und welche Reformen formal durchgeführt beziehungsweise aufrecht erhalten werden müssen, um eine sichere Tarnung zu gewährleisten. Außerdem wird Ihnen der Prozentsatz mitgeteilt, zu dem wir an Ihren Gewinnen zu beteiligen sind. Der stellt übrigens keine Verhandlungsbasis dar, also versuchen Sie es gar nicht erst. Des weiteren gibt es eine Reihe von politischen Plänen, in die ich Sie gerne einbeziehen würde, unter anderem in den Wahlkampf meines Neffen Sen Teflan. Es ist, wie Sie nun sicher verstehen, auch in Ihrem Interesse, dass er an der Macht bleibt.
Also, mein lieber Bosson: Ich verlasse mich auf Sie. Was aber nicht heißt, dass ich Sie nicht im Auge behalte. Wenn Sie erlauben, empfehle ich mich jetzt. Ich danke Ihnen für die Snacks und den Wein. Sie sind ein sehr zuvorkommender Gastgeber!«
Zehn Minuten später saßen Vilnok Moor und Jepha Uln wieder in ihrem Shuttle und hoben vom Landefeld ab.
»Waren Ihre Sondierungsgespräche erfolgreich, Senator?« fragte die Frau verschwörerisch.
»Ich bin nicht sicher«, lautete Moors Antwort. »Bosson ist ein Narr. Er verdankt seine jetztige Position nicht seiner Intelligenz, sondern Ehrgeiz gepaart mit etwas Glück. Sobald ihn das verlässt, kommt er in Schwierigkeiten und zieht uns mit hinein, wenn er nicht sehr schnell lernt, Dinge bis zuende zu denken und Anweisungen genau zu befolgen. Doch dafür ist er wohl zu stur. Ich werde ihn genauestens im Blick behalten. Gut möglich, dass er abgelöst werden muss.«
Was dies in letzter Konsequenz bedeutete, musste nicht ausdrücklich erwähnt werden.
[Vinsoth-System | Vinsoth | kleinster Kontinent | Luftraum | ziviles Shuttle] Vilnok Moor, Jepha Uln