Das Halloween-Special 2018

Gesichter des Grafen

NSC-Account von Janus Sturn
Halloween-Special

(Leela Kaveri und Janus Sturn)

Bon appétit

Lianna

Lianna City, 13. Distrikt


Der kühle, kalte Wind zerrte an dem grauen Mantel von Kommissar Arkadi Duval, als sich der schlanke blonde Mann einen Weg durch die Seitengasse bahnte. Graue, schmucklose Gebäude, teilweise in verschiedenen Stadien des Verfalls begriffen, ragten neben ihm auf. Der 13. Distrikt der Hauptstadt von Lianna hatte definitiv schon bessere Zeiten gesehen, eine wirtschaftliche Krise hatte in dieser Gegend viele kleine und größere Industriebetriebe in die Knie gezwungen. In den Resten dessen, was einst der Stolz vieler Unternehmen gewesen war, hausten nun Ratten und auch die ein oder andere Gang hatte sich zwischen kaputten Fließbändern und Büros eingerichtet, im großen und ganzen herrschte aber eine gähnende Leere. Nur wenige verirrten sich in diesen Tagen noch hierher, aber nicht heute. Heute wimmelte es in den Gassen vor Lebewesen verschiedener Spezies in den Uniformen des Lianna City Police Departments (LCPD) und die Signalanlagen von Streifenfahrzeugen tauchten die Umgebung in ein buntes Farbenspiel, noch immer rückten zusätzliche Kräfte an, um den Bereich um den Tatort abzuriegeln und zu untersuchen. Es herrschte rege Aktivität, Polizisten entrollten Sperrbänder und Warnhinweise, wiesen ihre neu eingetroffenen Kollegen ein und sorgten dafür, dass die Teams der Spurensicherung ihre Arbeit in Ruhe erledigen konnten. Arkadi betrachtete das Gewusel mit einer gewissen Missbilligung, man konnte nur hoffen, dass sich auch alle an die Vorschriften und nicht wertvolle Spuren zertrampelten. Um nicht mitten im Chaos zu landen, hatte der Ermittler seinen Dienstspeeder ein wenig abseits geparkt und war die letzten Meter zu Fuß gegangen, eine gute Möglichkeit, um frische Luft zu schnappen und den Kopf frei zu bekommen. Das war auch bitter nötig, denn letzte Nacht hatte er wieder, von Alpträumen gepeinigt, kaum schlafen können, und nur eine Mischung aus Caf und Aufputschmitteln hielt den blonden Mann auf den Beinen. Er spürte schon die Vorboten eines Zitterns seiner Hände und verbarg sie vorsichtshalber in den Taschen seines Mantels, er wollte keine weitere Standpauke erhalten, wenn er gleich eine gewisse Gerichtsmedizinerin treffen würde. Sie war bereits da, der schwarze Speeder ein untrügliches Zeichen, und trotz des Ernsts der Lage konnte sich Arkadi ein schmales Lächeln nicht verkneifen. Die Kollegen scherzten schon, dass die Gerichtsmedizin vor dem ersten Streifenwagen eintraf, aber das war genau die Einstellung, die sie brauchten, um Fälle zu lösen, mit solchem Arbeitseifer erwarb man sich den Respekt des Kommissars.

Einen Moment hielt Arkadi inne, als er sich dem Absperrband näherte, holte noch einmal tief Luft und trat dann vor, während er beiläufig seine Dienstmarke zeigte und dem wachhabenden Beamten knapp zunickte, der für ihn das Sperrband hochhob und ihn durchließ. Er hatte den Tatort kaum betreten, als ihm bereits ein Kollege auffiel, ein uniformierter Streifenpolizist. Der unangenehm blasse Twi´lek übergab sich gerade geräuschvoll in eine Plastiktüte, während ein weiterer Polizist ihm die Schulter hielt und beruhigend auf einredete, ganz munter sah aber auch er nicht. Das musste die Streife sein, die als Erste am Tatort eingetroffen war, und ein kalter Klumpen bildete sich in Arkadis Magengrube. Seine Kollegen waren hartgesottene Leute und hatten schon einiges erlebt, wenn sie etwas derart mitnahm, dann konnte es sich nur um eines handeln: Der Serienmörder, der Lianna seit Monaten in Atem hielt, hatte wieder zugeschlagen. Arkadi fröstelte, als er näher trat und sich in den Kreis der Ermittler einreihte, die in der Mitte des Tatorts versammelt waren. Blasse, schockierte, angewiderte Gesichter, wohin er blickte, Kommissarin Delavert, seine alte Partnerin nickte ihm knapp zu und trat einen Schritt zur Seite, damit er besser sehen konnte. Der blonde Mann nahm seine Kräfte zusammen und zwang sich, hinzusehen...

Es war gut, dass seine Hände in den Taschen seines Mantels verborgen waren, das Zittern fiel so heftig aus, dass Arkadi mehrere Minuten brauchte, um es soweit unter Kontrolle bringen zu können, um einen Becher Caf trinken zu können. Der Kommissar stand ein wenig abseits und war froh darüber, die kühle Luft brannte in seinen Lungen, als er Atem holte und versuchte, die leeren, toten Augen zu vergessen, die ihn anklagend angestarrt hatten. „Warum hast du mich sterben lassen?“ Der blonde Mann zuckte zusammen, als eine leise, gemeine Stimme diesen fatalen Satz flüsterte, und er schüttelte rasch den Kopf, straffte seine Haltung und kehrte zu den anderen Ermittlern zurück. Die Stimmung war gedrückt, seit Monaten hielt das mordende Phantom die Polizei und die Bevölkerung in Atem und schien seinen Häschern immer mindestens einen Schritt voraus zu sein. Entsprechend groß war der Frust, denn man besonders Kommissar Terrin ansah, der bullige Mensch mittleren Alters, dessen Haar sich auf dem stetigen Rückzug befand, schlug wütend gegen die Seite eines Speeders.


„Das kranke Schwein ist schon wieder davongekommen. Ich sag´s euch, wenn ich den Bastard in die Finger kriege, dann...dann...“


Arkadi trat rasch zu ihm und legte seinem Kollegen beruhigend die Hand auf die Schulter. Terrin funkelte ihn zunächst wütend an, räusperte sich dann aber, schnappte hörbar nach Luft und nickte dankbar, noch immer aufgebracht, aber nicht mehr drauf und dran, alles kaputt zu hauen. Sie mussten einen kühlen Kopf bewahren, wenn sie den „Gourmet“ schnappen wollten. Gourmet. Ein makabrer, aber überaus passender Spitzname für den Serienmörder, dessen modus operandi darin bestand, seine Opfer präzise und sauber zu erledigen, ihnen die verzehrbaren Teile zu entnehmen und spöttisch – arrogant, fügte Arkadi bitter hinzu – einen passenden Auszug aus den Speisekarten der besten Restaurants von Lianna zu hinterlassen. Falls das jüngste Opfer ebenfalls auf sein Konto ging, und momentan sprach vieles dafür, hatte der „Gourmet“ mittlerweile den Status eines Serienmörders mehr als nur erreicht. Mittlerweile herrschte auch dank der Medien eine veritable Panik und der Druck auf das LCPD war enorm. Sie brauchten Ergebnisse, Erfolge, greifbare Hinweise, irgendetwas. Arkadi knirschte mit den Zähnen, der Caf hatte einen bitteren Geschmack hinterlassen, da hörte er hinter sich Schritte und für einen Moment kam ein irrationales Gefühl von Angst auf, das sich aber rasch legte, als er erkannte, wer da zu ihm kam. Vielleicht die größte Hoffnung auf den so dringend benötigten Erfolg, dachte sich der Kommissar und ein schmales, freundliches Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich umdrehte und der dunkelhaarigen jungen Frau zunickte, die immer noch Teile ihrer weißen Schutzkleidung trug.


„Dr. Kaveri, was haben Sie für mich? Ist er es?“

Hoffnung. Hoffnung auf eine Spur, einen Hinweis, irgendetwas...


Kommen Sie, Kommissar Duval. Ich möchte Ihnen etwas zeigen."

Wie auch ihr Vorgesetzter verschwendete die schlanke Ärztin ihre Zeit nicht mit höflichen Floskeln, sondern kam ohne Umwege zur Sache. Sie war noch nicht lange als Forensikerin in Arkadis Team und während sie arbeitete war sie von schonungsloser, kompromissloser Direktheit, die ihr oft als Unhöflichkeit ausgelegt wurde - aber entweder waren ihr die Irritationen, die ihr Verhalten hervorrief egal oder sie bemerkte sie einfach nicht. Und so schritt sie auch jetzt, ohne sich noch einmal umzusehen, ob er ihr tatsächlich folgte, an Kommissar Duval vorbei und auf den unförmigen, blutigen Klumpen zu, der noch vor ein paar Stunden ein lebendiges Wesen gewesen war. Mit ungerührter Professionalität nahm Dr. Kaveri das Opfer erneut in Augenschein: Ein Mensch, männlich, noch jung. Vermutlich noch keine dreißig Jahre alt. In der kalten Luft dampfte der geöffnete Körper noch. Sie zog sich frische Handschuhe über, ging in die Knie und legte den Zeigefinger auf den kurzen Schnitt am Hals des jungen Toten:

"Hier. Es ist wie bei den anderen. Ein Schnitt durch die Arteria Carotis hat ihn verbluten lassen."


Die ernste, junge Frau sah auf und begegnete dem erschöpft wirkenden Blick des Kommissars. Bevor ihre Hände tiefer wanderten und das Fleisch über der aufgeschnittenen Bauchhöhle auseinanderzogen, erlaubte sie sich ein seltenes, sparsames Lächeln.

"Das wird Ihnen gefallen: Diesmal hat er gepfuscht. Sein Werkzeug ist abgerutscht, als er die Nieren entnommen hat und hat Spuren an der Wirbelsäule hinterlassen. Sehen Sie, hier seitlich am L4."

Eine kaum sichtbare Abschürfung an dem weiß aus dem Rot schimmernden Wirbelkörper war dort zu sehen, wo Leela hindeutete.

"Mit etwas Glück kann ich damit die Tatwaffe weiter eingrenzen."

Die Forensikerin erhob sich geschmeidig und streifte sich gekonnt die Handschuhe ab, ohne dabei einen einzigen Blutstropfen auf ihre Haut zu kleckern. "Und noch etwas: Wie schon zuvor vermutet, müssen wir von einem Täter mit beträchtlichem anatomischen Wissen und chirurgischer Erfahrung ausgehen. Die Schnitte sind präzise und abgesehen von dem kleinen Ausrutscher heute ...perfekt."

Arkadis Kollegin klang beinahe bewundernd und ihre Lippen kräuselten sich in einem versonnenen, zufriedenen Lächeln.

"Wenn Sie sonst von ihm hier nichts mehr brauchen...?"


Dr. Kaveri nickte zu der grausig zugerichtete Leiche und legte anschliessend fragend den Kopf schräg.

"Ich bin hier fertig. Packt ihn ein."

wandte sie sich allsdann an die Kriminaltechniker und begann in einiger Entfernung vom Tatort ihre Schutzkleidung abzulegen und in ihrem schwarzen Speeder in einer eigens dafür vorgesehenen Box zu verstauen. Tatort-Blut war das letzte, was sie an ihren Polstern gebrauchen konnte. Als das erledigt war, kehrte sie noch einmal zu dem eigenartig verloren wirkenden Kommissar zurück, der in seinem grauen Mantel fast mit dem vom Fluss schnell heraufziehenden Nebel verschmolz, und blieb neben ihm stehen, um die letzten Handgriffe des Teams der Spurensicherung zu beobachten.

"Was meinen Sie, Mr. Duval..."
, setzte Leela schließlich leise fragend an, "...was ist das für ein Mensch, der so etwas tut?"

Eigentlich hatte sie nach den Spurenfunden am Tatort fragen wollen - und den Schlüssen, die der Kommissar daraus zog. Aber all das würde sie in ein paar Stunden in der morgendlichen Besprechung ohnehin erfahren. Über die kleine Gasse, in der sie standen, hatte sich eine bleischwere Stille gesenkt, die sich dagegen wehrte, von irgendeinem Geräusch gestört zu werden. Von ihren banalen Fragen. Und selbst Atmen fiel Leela plötzlich schwer und unangemessen laut.


Es gab viele Lebewesen, die mit schnörkelloser Direktheit wenig anfangen konnten, sich davon sogar vor den Kopf gestoßen fühlten. Arkadi verstand, warum es gewisse soziale Konventionen gab und warum man sich meist bemühte, bestimmte Dinge in Watte zu packen, um andere nicht zu verletzen. Dennoch, der ehemalige Soldat fand, dass die Wahrheit am Besten offen ausgesprochen wurde, so klar und deutlich wie ein Schuss aus einem Blaster. Der unwillkürliche Vergleich missfiel dem blonden Mann und für einen Moment drohten seine Hände wieder zu zittern. Er tat sich noch immer schwer damit, ins Zivilleben zurückzukehren, sofern man davon bei seinem neuen Beruf überhaupt sprechen konnte. Die Gesellschaft kam ihm fremd vor, oberflächlich und voller Täuschungen. Es war seltsam, dort drüben hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als nach Hause zu kommen, und jetzt, wo er zu Hause war, wünschte er sich nichts sehnlicher, als zurück aufs Schlachtfeld zu ziehen. Dort gab es keine Lügen, keine Illusionen. Keine Freunde, die sich als Feinde entpuppten und einen im Stich ließen, wenn man am dringendsten Hilfe benötigte. Arkadi schüttelte innerlich den Kopf, um die marternden Gedanken an seine ehemalige Verlobte abzuschütteln, holte tief Luft und kehre ins hier und jetzt zurück. Denn auch wenn die schlanke, in weiße Schutzkleidung gehüllte Frau, die ihn in diesem Moment aus dunklen Augen ansah, sich wenig aus Konventionen machte, wollte Arkadi ihr gegenüber nicht unhöflich sein. Dr. Leela Kaveri war trotz ihres noch jungen Alters und der relativ kurzen Zeit, die er sie kannte, eine der besten Gerichtsmedizinerinnen, denen er im Lauf seiner Karriere begegnet war. Ihre unermüdliche Arbeit hatte dem LCPD schon in einigen scheinbar hoffnungslosen Fällen den entscheidenden Durchbruch verschafft. Der Kommissar schätzte ihre nüchterne, sachliche Art und als sie verkündete, dass sie ihm etwas zeigen wollte, nickte er knapp, stellte seinen Cafbecher ab und folgte ihr. Es passte, dass sie sich nicht einmal umdrehte, um zu sehen, ob er ihr folgte, und trotz der ernsten Lage musste der blonde Mann ein wenig lächeln. Wenn die dunkelhaarige Frau es so eilig hatte, musste es wichtig sein, und wenn es wichtig war, dann war es vielleicht die Chance auf einen Durchbruch.

Kühle Regentropfen tränkten seinen Mantel wie Tränen des Himmels, als Arkadi die wenigen Schritte ging und eine Zeltplane beiseite schlug, damit er eintreten konnte. Der unverwechselbare süßliche Geruch des Todes lag in der Luft und der blonde Kommissar wusste nicht, was schlimmer war – der Gestank oder die Tatsache, dass er sich langsam an ihn gewöhnte. Ein weiterer Gedanke, den er rasch verdrängte, neugierig trat er an Dr. Kaveris Seite und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Die ruhige Professionalität, mit der sie zu Werke ging, hatte etwas klinisch-kühles, aber auch beruhigendes, und paradoxerweise entspannte sich Arkadi sogar ein wenig, als er ihr zusah. Es war, wie wohl alle erwartet – oder befürchtet - hatten: Der „Gourmet“ hatte wieder zugeschlagen. Sein Markenzeichen, ein Schnitt durch die Halsschlagader, wie ein Schlachter, der ein Tier präparierte. Arkadi kämpfte aufkommende Übelkeit nieder und obwohl er ein wenig blasser geworden war, blieb er äußerlich einigermaßen ruhig. Seine Stimme klang belegt, war aber fest, nachdenklich. Er klammerte sich an die Fakten, um nicht verrückt zu werden, das war die beste Chance.


„Wenn der restliche modus operandi ebenfalls übereinstimmt, ist er es und kein Trittbrettfahrer. Wir haben versucht, so viele Details wie möglich aus der Presse raus zu halten, besonders, was die...ausgewählten Teile angeht.. Was noch?“


Gegen seinen Willen hatte Arkadis Frage etwas drängendes, forderndes. Er war – wie viele seiner Kollegen – erschöpft und frustriert, aber es war nicht fair, Dr. Kaveri das ausbaden zu lassen, und der Kommissar räusperte sich entschuldigend, als ihre Blicke sich trafen. In den dunklen Augen der Gerichtsmedizinerin lagen weder Ärger noch Zeichen von Müdigkeit, sie strahlte eine geradezu entrückte Ruhe und Gelassenheit aus, die er bewunderte und für einen Moment blinzelte seine blauen Augen, bevor er wieder zu der Leiche sah und aufmerksam zuhöre, was die Forensikerin zu berichten hatte. Als tatsächlich ein schmales Lächeln bei ihr aufblitzte, wusste Arkadi, dass sie an etwas dran war, und er sah genau hin, trat einen Schritt näher und ging in die Hocke. Der „Gourmet“, gepfuscht? Das passte nicht zu diesem überaus methodisch und sorgfältig vorgehendem Serienmörder, aber als Dr. Kaveri genau zeigte, was sie meinte, fiel es auch Arkadi auf. Ja, da waren eindeutig Spuren an der Wirbelsäule, Arkadi konnte sich bildlich vorstellen, wie eine Klinge dorthin gerutscht war. Nachdenklich strich der Kommissar übers Kinn, seine Stimme war abwesend, murmelnd.


„Das ist neu...Bis jetzt hat er noch nie Fehler gemacht. Noch nie. Immer vollkommen präzise...Was war diesmal anders? Zeitdruck? Wurde er überrascht? Hat sich das Opfer gewehrt? Ich...oh, Entschuldigung. Ich denke laut nach, Dr. Kaveri, aber Sie sind noch nicht fertig, das sagt mir Ihr Gesichtsausdruck.“


Und tatsächlich, die Forensikerin hatte eine veritable Bombe im Gepäck, zuversichtlich äußerte sie, dass sie womöglich schon bald die Tatwaffe würde eingrenzen. Arkadi war in diesem Fall schon oft enttäuscht worden, falsche Fährten und unbrauchbare Hinweise hatten die Ermittler wieder und wieder ins Leere laufen lassen, aber das klang nach einer wirklich brauchbaren Spur. Bis jetzt waren sie vor einem Rätsel gestanden, womit genau der „Gourmet“ seine Opfer tötete, aber wenn Dr. Kaveri das eingrenzen konnte, würde es möglich sein, gezielt nach Besitzern und Käufern zu suchen. Arkadi stand auf und nickte der Gerichtsmedizinerin zufrieden zu, routiniert erhob auch sie sich und streifte ihre Handschuhe ab, mit einer fast schon katzenhaften Geschmeidigkeit. Sie war noch nicht fertig, und was sie als nächstes sagte, ließ den Kommissar aus einem ihm unerfindlichen Grund frösteln. Die Art, wie sie die Präzision und Gründlichkeit des Mörders beschrieb, hatte schon etwas beinah bewunderndes, aber Arkadi schob es auf professionellen Respekt, denn offenbar besaß der „Gourmet“ Anatomiekenntnisse und wusste genau, was er tat, wenn er seine Opfer aufschnitt. Das grenzte den Kreis der Verdächtigen weiter ein und ein schmales, entschlossenes Lächeln zupfte an Arkadis Mundwinkeln, seine kühlen blauen Augen funkelten.


„Ja, er ist gut. Sogar sehr gut. Aber nicht perfekt. Früher oder später macht jeder Täter Fehler, und der „Gourmet“ ist keine Ausnahme. Ich glaube, er wird nachlässig...zu lange erfolgreich, zu lange hat er sich sicher gefühlt. Dann passieren solche Unachtsamkeiten und man hinterlässt Spuren...“


Der Blick des Kommissars schweifte ab, wanderte in die Ferne und wurde ein wenig glasig, als er sprach und Erinnerungen aufkamen, die er rasch weg blinzelte, als er feststellte, dass Dr. Kaveri ihm eine Frage gestellt hatte. Sich unangenehm ertappt fühlend nickte der blonde Mann rasch und lächelte dünn, doch sein Lächeln verschwand, als er feststellte, dass seine Hände wieder zitterten.


„Danke. Sie haben mir sehr weitergeholfen, Dr. Kaveri.“


Aus irgendeinem Grund schien der Gestank der Leiche stärker zu werden, intensiver, und Arkadi neigte leicht den Kopf und eilte dann hinaus an die frische Luft, bahnte sich einen Weg durch die Polizisten und flüchtete – ja, ein anderes Wort traf es wohl nicht – in eine Seitengasse, nach Atem ringend. Das Zittern seiner Hände wurde stärker und der Kommissar lehnte sich gegen eine alte Fabrikfassade, schnappte nach Luft und versuchte, an die Medizin in seiner Manteltasche zu kommen. Einige Tabletten fielen ihm aus den Händen, doch der Rest fand seinen Weg und erlaubten es ihm, nach einigen Minuten wieder halbwegs normal zu atmen. Rasch sah sich Arkadi um, niemand in der Nähe, und mit einem erleichterten Seufzen sammelte er die verstreute Medizin wieder auf und kehrte an den Tatort zurück, um die letzten Arbeiten zu beobachten. Kühler Wind zerrte an seinem Mantel und Nebel stieg vom Fluss aus, als wolle Lianna selbst ein Leichentuch über dem Toten ausbreiten. Erst spät bemerkte er, dass jemand an seine Seite trat – Dr. Kaveri war bemerkenswert gut darin, nahezu lautlos über den Boden zu huschen, als würden ihre Schuhe selbigen gar nicht berühren. Arkadi nickte ihr knapp zu und blickte weiter zum Team der Spurensicherung. Er war ein wenig überrascht, als die Forensikerin eine leise Frage stellte, und umso mehr darüber, was für eine Frage es war. Nachdenklich hielt der Kommissar inne, eine bleierne Stille legte sich über sie, als der blonde Mann überlegte. Schließlich kramte er in seiner Tasche und holte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug heraus.


„Stört Sie nicht, Doktor?“


Erkundigte er sich höflich, bot der Gerichtsmedizinerin ebenfalls eine Zigarette an und nutzte dann sein Feuerzeug, an dem das Wappen seiner alten Einheit prangte, um den Glimmstängel anzuzünden, er nahm tiefe Züge und entspannte sich ein wenig, bevor antwortete.


„Was für ein Mensch das ist...Es ist kein psychologisches Profil, ich stochere hier im Dunkeln, aber...ich glaube, er ist ein Jäger. Er tut das, was er tut, nicht weil er es muss oder weil er unter Wahnvorstellungen leidet, sondern weil es ihm Spaß macht. Die Beute auszuwählen, sie aufzuspüren, fachmännisch zu erlegen und zu...verarbeiten, das bereitet ihm Vergnügen. Macht ihn stolz. Er ist klug, er ist vorsichtig, und er kann sich sehr gut tarnen. Gut möglich, dass er völlig normal wirkt, vielleicht sogar charmant und gewinnend. Aber das ist eine Maske. Der „Gourmet“ sieht andere Lebewesen nicht wie Sie und ich, Doktor. Er hält sich für jemanden, der gänzlich über allem steht. Gottähnlich. Er hält sich für klüger und besser und deshalb kann er tun und lassen, was es ihm beliebt. Aber...das ist nur eine Theorie.“


Abwesend starrte Arkadi in die Ferne und stellte dann fest, dass seine Zigarette beinah abgebrannt war, er warf den Stummel zu Boden und trat ihn aus, bevor er an seinem Mantel zerrte.


„Es wird kalt. Wollen Sie mit mir ins Präsidium fahren, Doktor Kaveri? Wir sind so schneller da als mit dem Gleiter der Gerichtsmedizin.“




Es war die Hoffnung, die das Gesicht des blonden Kommissars erhellte, als Leela davon gesprochen hatte, die Art des für die Tat infrage kommenden Werkzeugs eingrenzen, wenn nicht sogar bestimmen zu können, die auch sie nun wärmte und lächeln ließ. So selten war dieser Anblick, dass der Gedanke daran, Duval vermutlich bald wieder enttäuschen zu müssen, sie schmerzte. Denn auch wenn die junge Ärztin ihm schon bald mitteilen konnte, um welche Waffe es sich handeln musste, war das eine Spur, die sich schon bald im Nichts verlaufen würde. Ein chirurgisches Instrument, wie erwartet - aber weder selten noch schwer zu beschaffen. Arkadis Lächeln würde sie jedenfalls sobald nicht wieder sehen, wenn nicht noch andere Hinweise auftauchten. Das allerdings war etwas, woran Dr. Kaveri zweifelte. Sie hatte gründlich gearbeitet, nichts übersehen. Die Spurensicherung würde auch diesmal leer ausgehen und die Spuren, die sie selbst fand, würden die einzigen sein, die Kommissar Duval in diesem Fall weiterbrächten. Wie die Abschürfung an der Wirbelsäule. Die Hand des Täters hatte gezittert - in einem Übermaß an Emotion, in einem Moment, in dem sich der Gourmet von Gefühlen hatte mitreißen lassen, die nichts mit der klinischen Abgeklärtheit zu tun hatten, mit der er sonst zu Werke ging. Aber vielleicht lag diesem vermeintlichen Ausrutscher noch etwas anderes zu Grunde.

"Fehler, Unachtsamkeit... war es das wirklich?"


Leelas Stimme war leise geworden, ein Hauch Unsicherheit hatte sich hineingeschlichen und die junge Frau sah Duval an, aber dessen Blick war unfokussiert, gedankenfern. Nicht mehr bei ihr. Zeit zu gehen.

Mit einem viel zu lauten metallischen Klicken schloss Dr. Kaveri die Box, in der sie ihre besudelte Arbeitskleidung verstaut hatte und fast wollte sie schon in ihren Gleiter einsteigen, um vor allen anderen ihr Labor in der gerichtsmedizinischen Abteilung des LCPD betreten zu können und alles Nötige für die Obduktion des Opfers herzurichten. Und den blutigen Inhalt der Box zu entsorgen. Stattdessen zögerte die junge Frau ihren Aufbruch hinaus, kehrte zum Tatort zurück, in einer Mischung aus Neugier, ob die Spurensicherung vielleicht doch noch etwas fand und einer lähmenden Unentschlossenheit, die sie bisher noch nie verspürt hatte, wenn Arbeit auf sie wartete. Aber schließlich würde dieses weitere Opfer des Gourmet kaum Überraschungen für sie bereithalten.

Offenbar hatte sich auch der Kommissar noch nicht dazu durchringen können, den Schauplatz dieses erneuten Verbrechens zu verlassen. Sie sah ihn mit hochgezogenen Schultern fröstelnd am Rande des Geschehens stehen, eigentlich nicht mehr gebraucht, aber auch noch nicht bereit zu gehen. Die Fragen, die ihr eben noch auf der Zunge gelegen hatten, verloren plötzlich an Bedeutung. Viel angemessener schien es dagegen, einfach hier neben ihm zu stehen und zu schweigen - als stumme Mahnwache am Ort der blutigen Tat.

Als Leela ihn nach einiger Zeit doch noch ansprach, dauerte es eine ganze Weile bis der Kommissar zu einer Antwort ansetzte, nicht ohne sich zuvor eine Zigarette anzustecken und ihr ebenfalls eine anzubieten. Ob er tatsächlich wußte, dass sie zu sehr seltenen Gelegenheiten tatsächlich auch rauchte - oder wollte er einfach nur höflich sein? Nach kurzem Zögern nahm die junge Frau das Angebotene an - hauptsächlich, um ihre Ungeduld zu verbergen, mit der sie auf Duvals Antwort wartete - und kam dem blonden Mann unwillkürlich etwas näher, um sich Feuer geben zu lassen. Es war ihr wichtig, was er dachte... über den Gourmet und wie er ihn sah. Die einzigen Gedanken, die für sie zählten, außer ihren eigenen, waren seine. Aber als sich jetzt über der kleinen Feuerzeugflamme ihre Blicke trafen, zuckte sie zurück - mit großen, geweiteten Augen - als könne er, wenn er ihr so nah war, ihr Geheimnis stehlen. Die Flamme erlosch und die Gefahr war gebannt. Schweigsam rauchend standen sie wieder nebeneinander, jeder in seinem eigenen Kosmos, allein, unberührbar in der sich verdichtenden Dunkelheit, bis Duval schließlich seine Gedanken aussprach.

"Ein Jäger - ja. Vielleicht ist es so."
, reagierte sie zwischen zwei Zügen nachdenklich auf seine Einschätzung des Gourmet. "Über allem, entfernt, getrennt von allen. Anders. Aber kein Gott. Nur ein Irrlicht." In ihrer Manteltasche fand Dr. Kaveri das kleine silberne Döschen, das sie für diesen Zweck mit sich führte und drückte den aufgerauchten Zigarettenstummel hinein, bevor sie weitersprach: "Sie werden ihren Mörder finden, Kommissar Duval."

Obwohl die schlanke Ärztin von der Idee überrascht war, dass ihr Gleiter langsamer sein könnte, als der des Kommissars, willigte sie ein, ihn zu begleiten: Eine wissentlich begangene Unvorsichtigkeit, die die Gefahr barg, dass ein Wort oder ein unbedacht geäußerter Gedanke die Barrieren zwischen ihnen niederriß und ihm einen Blick hinter die Maske erlaubte. Aber war es nicht eigentlich das, was sie wollte? Dass er es wusste. Dass er verstand. Jeder ihrer Hinweise ein Brotkrumen, eine Spur zu dem Raubtier, dass er jagte. Leelas Herz schlug schneller bei diesen Gedanken: Eine gefährliche Beute für den Jäger, er würde sich vorsehen müssen, sonst würde die Fährte, der er folgte ihn geradewegs in dessen Fänge führen.

"Ihr Angebot kommt mir sehr gelegen. Ich werde nur noch schnell meine Tasche holen." Dr. Kaveris Augen funkelten und das Lächeln, mit dem sie Kommissar Duval bei diesen Worten bedachte, zeigte eine Menge weißer Zähnchen.
 
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(Leela Kaveri und Janus Sturn)


Bon appétit (Teil II)

Es war kalt geworden auf Lianna, der Herbst warf seine Schatten voraus, ließ die Tage kürzer und die Nächte länger werden. Mehr Gelegenheiten für den „Gourmet“, im Schutz der Dunkelheit auf die Jagd zu gehen, wurde Kommissar Duval bewusst, und die Kälte kroch in seine Glieder und Knochen, als er den Kragen seines Mantels hochschlug. Jeder Tag, den der Serienmörder noch frei herumlief, bedeutete eine ungeheure Gefahr für die Lebewesen auf Lianna und ein weiteres Scheitern für die ihrem Schutz verpflichtete Polizei. Bereits jetzt standen die Sicherheitsbehörden heftig in der Kritik, war der Druck, endlich Erfolge vorweisen zu könne, enorm. Umso größer war Arkadis Hoffnung, dass mit den Erkenntnissen, die Dr. Kaveri heute gewonnen hatte, eine heiße Spur einhergehen würde. Die Eingrenzung der Tatwaffe und die Gewissheit, dass der „Gourmet“ über chirurgische Kenntnisse verfügte, das engte den Kreis der Verdächtigen ungemein ein und würde die Fehler der Vergangenheit nicht wieder passieren lassen. Missmutig verzog der blonde Mann die Miene, als er an die beiden Falschverhaftungen in den letzten Monaten dachte. In ihrer zunehmenden Verzweiflung, endlich einen Verdächtigen präsentieren können, hatte das LCPD gleich zweimal daneben gegriffen, die anschließende – und vollkommen berechtigte - Schelte des Polizeichefs klang noch immer in Arkadis Ohren. Wen auch immer sie als nächstes verhaften würden, die Beweise mussten wasserdicht sein. Mehr als wasserdicht. Noch so einen Fehler konnten sich die Ermittler nicht leisten. Fehler...Dr. Kaveri hatte vorhin noch etwas gesagt, fiel Arkadi wieder ein, aber er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er es nicht richtig mitbekommen hatte. Das nagende Gefühl, etwas wichtiges verpasst und die talentierte Forensikerin vor den Kopf gestoßen zu haben, ließ den Kommissar unruhig zurück. Das war nicht richtig. Es war nicht richtig so, er musste das korrigieren.

Das Glück war mit ihm, die Möglichkeit, seine Unachtsamkeit auszubügeln, trat in Form der schlanken dunkelhaarigen Frau nahezu lautlos an seine Seite, ein Schatten, der sich aus dem Nebel löste und seinen eigenen verdrängte. Erneut stellte der ehemalige Soldat mit einem vagen Gefühl der Beunruhigung fest, dass er Dr. Kaveris Ankunft erst im letzten Moment bemerkt hatte. Einen Moment hielt der Kommissar inne, kniff die Augen zusammen, doch dann schüttelte er das Gefühl ab. Er wurde wohl langsam ein wenig paranoid, keine gute Eigenschaft für einen Ermittler, und so nickte er knapp in Richtung der Forensikerin und als er sich eine Zigarette ansteckte, um die Kälte – und die Anspannung – zu vertreiben, bot er ihr höflich ebenfalls eine an. Er wusste nicht, ob sie rauchte, tatsächlich wusste Arkadi sogar ziemlich wenig über seine Kollegin. Leela Kaveri strahlte eine gewisse kühle Entrücktheit aus, eine Distanz, die ihn wunderte – und faszinierte. Eine seltsame Spannung befiel ihn, als er Dr. Kaveri die Zigarette reichte und sich nach vorne beugte, um sie anzünden, die kleine Flamme des Feuerzeugs wärmte ihre Gesichter und dennoch konnte Arkadi den kühlen Atem seiner Gegenüber auf seiner Haut fühlen, als sich ihre Blicke trafen. Für einen langen Moment schien der Kommissar in zwei dunkle Abgründe zu sehen, und ein Teil von ihm schien sich nicht daran an deren fast schon hypnotischen Wirkung zu stören, bis...Verlegen räusperte sich der Kommissar und wich ein Stück zurück, richtete sich rasch wieder auf und zog an seiner Zigarette, ein wenig erleichtert, dass wieder Distanz hergestellt worden war, und froh, als Dr. Kaveri auf den Fall zu sprechen kam.

Seine Einschätzung schien die Gerichtsmedizinern nachdenklich gestimmt zu haben, und nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, stimmte sie ihm zwischen zwei Zügen zu. Der „Gourmet“, ein Jäger, ein Sammler, lauernd und entrückt. Aber nicht größenwahnsinnig, nicht sich gottgleich fühlend, warf Dr. Kaveri ein, als die dunkelhaarige Frau so über den „Gourmet“ sprach, über seine Einsamkeit, über das Gefühl, am Rand zu stehen, glaubte Arkadi fast einen Hauch Sympathie heraushören zu können. Nein, nicht Sympathie. Verständnis. Nachdenklich starrte Arkadi in den Nebel, schweigend, dann nickte er langsam. Wenn die Taten des „Gourmet“ kein Ausdruck von Größenwahn waren, sondern...


„Vielleicht...vielleicht ist das, was er tut, sein Versuch, anderen näher zu kommen. Die einzige Art, wie er die Distanz überwinden kann. Ich weiß es nicht...manchmal habe ich das Gefühl, er ruft nach uns. Ruft nach...jemanden.“


Spekulation, sicher, aber es fühlte sich richtig an und manchmal musste man seinem Bauchgefühl vertrauten. Als Dr. Kaveri ihre Zigarette ausdrückte und verstaute, bewunderte Arkadi wieder einmal ihre Gründlichkeit, horchte allerdings auf, als sie weiter sprach. Irgendetwas an diesem Satz...so voller Gewissheit, dass es so kommen würde, dass der Kommissar den „Gourmet“ finden würde. Es klang, als wüsste die Forensikerin es ganz genau, als wäre das nicht bloß Ausdruck von Hoffnung und Vertrauen. Unsicher verharrte der Kommissar, dann nickte er, ein schmales, dankbares Lächeln auf den Lippen. Es tat gut, dass jemand so denken konnte, dass Dr. Kaveri keine Zweifel, keine Ängste oder Sorgen ausstrahlte, sondern eine ruhige, unerschütterliche Gewissheit. Sie würden den „Gourmet“ schnappen. Gemeinsam. Etwas kratzte an Arkadis Hinterkopf, ein Gedanke, eine halbe Erinnerung...er musste die Gerichtsmedizinerin noch etwas fragen. Aber nicht hier, und auch nicht, wenn andere dabei waren. Sein Herz schlug ein wenig schneller, aufgeregt, als er auf eine Antwort wartete, und als Dr. Kaveri mit einem strahlenden, fast schon räuberisch wirkendem Lächeln einwilligte, ihn zu begleiten, konnte der Kommissar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern...

Es dauerte nicht lange, bis Arkadi und die mit ihrer Tasche bepackte Forensikerin den Speeder des Kommissars erreichten, der blonde Mann beeilte sich, den Motor und damit auch die Heizung zu aktivieren und das Fahrzeug dann vorsichtig durch das Gewirr des ehemaligen Industrieviertels zu lenken. Ihm war das leichte Chaos in dem Speeder ein wenig unangenehm und verlegen räusperte er sich, bevor er Dr. Kaveri einen entschuldigenden Seitenblick zuwarf und rasch Krimskrams zur Seite schob. Er musste wirklich dringend aufräumen, sich wieder Zeit für etwas anderes nehmen als den Beruf und diesen Fall. Aber noch nicht. Nicht, solange der „Gourmet“ noch frei herumlief. Das Lächeln, das er präsentierte, war ein wenig gequält, seine Stimme leise.


„Die Unordnung tut mir leid. Ich...habe Schwierigkeiten, mich um andere Dinge zu kümmern, seit es los ging. Dieser Fall ist...er geht mir näher als sonst, verstehen Sie, was ich sagen will? Persönlicher. Ich muss den „Gourmet“ schnappen, dieser Täter ist anders als alle, die ich zuvor gejagt habe. Wenn ich ihn nicht finde...Entschuldigung. Ich rede die ganze Zeit von mir, dabei laufe ich seit Monaten nur im Kreis und erst Ihre Arbeit hat uns greifbare Ergebnisse beschert. Wir stünden ohne Sie immer noch bei Null, Dr. Kaveri. Ich bin...froh, dass Sie hier sind.“


Für den wortkargen Kommissar war das schon fast ein Redeschwall und er hatte das unangenehme Gefühl, zu viel preis gegeben zu anderen. Er wollte andere nicht mit seinen Problemen – seinen Schwächen – belasten und wie auf Stichwort meldete sich das Zittern seiner Hände mit ungeahnter Heftigkeit. Arkadi biss die Zähne zusammen, seine kühlen blauen Augen funkelten, aber es war sinnlos, als sein Atem schneller und flacher ging, aktivierte er rasch den Autopiloten und lehnte sich zurück, Schweißperlen rannen über seine Stirn und Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen.


„Medizin...im Handschuh...Handschuhfach...“


Presste der Kommissar hervor und konnte nur beten, dass Dr. Kaveri so rasch und entschlossen reagieren würde, wie er sie kannte.


Der Gourmet hatte alle an der Nase herumgeführt. Und das über Monate. Im heißen Sommer waren metallisch schimmernde Fliegen über den Kadavern geschwirrt und hatten sich in den Gassen der Hauptstadt vermehrt und in brummenden Wolken in die Luft gehoben, wenn ein neues Opfer gefunden wurde. Das allgegenwärtige Summen war eine träge machende Hintergrundmusik an den Tatorten gewesen, die sie mit Duval aufgesucht hatte. Jetzt war Herbst und es wurde stiller. Die Toten waren ohne die schillernden Besucher einsamer. Zugedeckt von Nebel oder fallendem Laub fand man sie später, manchmal bleich und leer, wenn Regen das Blut weggewaschen hatte. Doch diesmal hatte man das Opfer so schnell gefunden, dass es noch gedampft hatte. Es war gut sichtbar platziert worden, um gefunden zu werden.

Um gefunden zu werden... Die unausgesprochenen Worte hallten in Leelas Kopf, während sie ihre gut gefüllte Sporttasche vom Beifahrersitz nahm und sich auf den Rückweg zum wartenden Kommissar machte. Er hatte recht mit seiner Einschätzung, auch wenn Dr. Kaveri es ihm nicht mehr gesagt hatte, bevor sie gegangen war. Zu überrascht, zu getroffen von der Wahrheit in seinen Worten - etwas, das sie sich eingestehen mußte - zumal nach der letzten Tat: Der Gourmet war der Jagd überdrüssig, ließ zu, dass sich die Distanz zu seinem Verfolger verringerte, dass Duval, der sich als hartnäckiger und dem urbanen Raubtier gewachsenen Jäger erwiesen hatte, sich näherte. Sich umzudrehen und die Richtung zu ändern, aufregende neue Schritte in dem betörenden Tanz zu wagen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Der verführerische Gedanke, der Gefahr entdeckt zu werden so nah zu sein, von ihm gestellt zu werden, der ihr ebenbürtig und wesensgleich erschien. Nur von ihm. Sie wollte, dass Duval die Jagd beendete, die Suche, die Einsamkeit. Für den einen intimen Moment, wenn Beute und Jäger aufeinandertrafen - selbst wenn die Begegnung einen von beiden vernichten würde.

Es war ein unpraktischer Vorschlag, sich von ihm fahren zu lassen und ihren Gleiter hier im verlassenen Niemandsland zwischen Industrieruinen und verseuchten Brachen stehen zu lassen, wo sie ihn später wieder abholen müßte. Dem Kommissar war das wahrscheinlich ebenso bewußt wie ihr - und genauso egal. Der Wind und die spätherbstliche Kälte hatten die Wangen der jungen Gerichtsmedizinerin gerötet, als sie den blonden Mann erreichte und mit ihm die letzten Meter zu seinem Speeder zurücklegte. Leela hatte noch etwas sagen wollen - aber als sie ihre leidlich schwere Tasche zu dem Durcheinander auf dem Rücksitz packte und dabei eine Getränkedose in den Fußraum rollte, entfiel es ihr wieder und sie blinzelte kurz irritiert, während sie erfolglos versuchte, sich daran zu erinnern. Mit einem kleinen frustrierten Kopfschütteln wich sie auf eine andere Frage aus:

"Wenn wir zurück im Präsidium sind, würde ich mir mit Ihnen gerne Ihre Karte anschauen. Die mit den Nadeln drauf...", begann sie, während sie ihren Mantel ab und ordentlich zusammengefaltet auf ihre Tasche legte. "Vielleicht läßt sich mit dem neuen Fund ein Muster erkennen."

Ein wenig erschöpft ließ sich Leela auf den Sitz neben Duval sinken und legte für einen Augenblick die Hand über ihre Augen, während sich der Kommissar in den Feierabendverkehr der Hauptstadt einfädelte und sich mit leiser Stimme für die Unordnung in seinem Speeder entschuldigte.

"Ich weiß, was Sie meinen...", antwortete die junge Frau mit belegter Stimme.

Ihr war bewusst, dass der sonst so reservierte und sich distanziert gebende Mann, ihr gerade einen sehr persönlichen Einblick in seine Gedanken erlaubt hatte. Dr. Kaveri hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Mit derartiger Offenheit hatte sie keine Erfahrung - und auch nicht mit dem eigenartigen warmen Gefühl, dass Duvals Worte bei ihr auslösten. Ihr erster Impuls war, sich zurückzuziehen - mit einem höflichen Kommentar die sichere Distanz wieder herzustellen, stattdessen erwiderte sie sein Lächeln, mit einer Unsicherheit, die sie während ihrer Arbeit noch nie gezeigt hatte.

"Mir geht es ähnlich. Diese Jagd... verlangt uns alles ab, wühlt uns auf und berührt uns. Eine Entschuldigung ist nicht nötig, Kommissar Duval. Sie laufen nicht im Kreis - aber dieser Fall zwingt uns, an unsere Grenzen zu gehen. Und vielleicht müssen wir sie überschreiten, um ihn zu ...beenden."


Vielleicht waren es nur die Dunkelheit und räumliche Nähe hier im Speeder, der sie verleitete ebenso aufrichtig zu antworten. Verwundert, beinahe erschrocken, stellte sie fest, dass sie nur um Messersbreite davon entfernt war, sich Duval zu offenbaren. Aber dafür war es noch zu früh. Und es war ...nicht richtig. Den letzten Schritt zu dieser Erkenntnis musste er selbst tun. Ihre Worte, vielleicht auch seine eigene, wohl ebenfalls ungewohnte Freimütigkeit schienen ihn erschüttert zu haben. Er war blaß geworden, seine Kiefermuskeln hatten sich angespannt und seine Hände am Steuer zitterten. Mit einer derart heftigen Reaktion hatte sie nicht gerechnet - hatte sie unwissentlich etwa doch mehr preisgegeben und sich verraten?

Nein - das war etwas anderes, stellte die Ärztin erschrocken fest. Etwas, das sich Duvals Einfluss entzog, auch wenn er sich dagegen zu wehren schien. Ehe das Zittern seiner Hände so stark wurde, dass er die Kontrolle über den Speeder verlor, beschloss Leela einzugreifen und den Autopiloten zu aktivieren - was immer für ein Anfall oder Zusammenbruch das war, den der Kommissar gerade erlitt - darum konnte sie sich erst kümmern, wenn die drohende Gefahr eines Absturzes nicht mehr bestand. Aber Duval hatte geistesgegenwärtig schon reagiert und es gerade noch selbst geschafft, bevor er sich mit schnell atmend in seinen Sitz zurück sinken ließ. Die Worte, die er zwischen seinen durch das Zittern schnell aufeinander schlagenden Zähnen hervor presste, waren für Dr. Kaveri nur schwer zu verstehen, aber als sie deren Sinn erfasst hatte, reagierte sie umgehend und griff nach dem Geforderten.
Sie musste nicht suchen. Das Medikament lag gleich zuoberst. Griffbereit. Aber alle Fragen, die dadurch aufgeworfen wurden, wurden verdrängt, als Professionalität und Routine übernahmen und sie nach kurzer Prüfung des Etiketts die kleine Ampulle mit einer gewohnheitsmäßigen, raschen Bewegung an der nächsten harten Oberfläche aufschlug. Es hatte kein Injektor dabei gelegen, also würde Duval das Zeug wohl schlucken müssen. Dem blonden Mann war die Anstrengung anzusehen, mit der er versuchte, den Anfall und das damit einhergehende Zittern zu unterdrücken - und er machte damit alles noch schlimmer: Arme und Hände waren verkrampft, die Zähne fest zusammengepresst - keine Chance, dass er das Mittel selbst nehmen konnte. Und auch mit ihrer Hilfe würde das schwer werden. Die Hand mit der geöffneten Ampulle in sicherer Entfernung vom krampfenden Kommissar, legte sie die andere sacht an seine Wange.

"Sehen Sie mich an, Arkadi. Ich habe Ihre Medizin hier, aber Sie müssen mir helfen, damit ich Sie Ihnen geben kann. Entspannen Sie sich. Bitte. Und öffnen Sie den Mund." Leelas Stimme war leise und beruhigend, verriet nichts von der Sorge, die sie gerade verspürte, als sie über seine schweißnasse Stirn strich.

"Es ist gut. Ich bin hier, lass los, kämpf' nicht dagegen. Es ist ok.", wiederholte die junge Ärztin in ungewohnt weichem Ton bis sich die verhärteten Muskeln unter ihren Fingerspitzen entspannten und Duvals Augen wieder klarer wurden. "Da sind Sie ja wieder."

Mit einem erleichterten Lächeln hielt sie ihm flink die Ampulle zwischen die Lippen und achtete darauf, dass der immer noch zitternde Mann selbige nicht verlor oder zerbiß. Während die Substanz aus der Ampulle zu wirken begann und der Kommissar mit jedem Augenblick wieder mehr Kontrolle über sich gewann, kehrten auch die Fragen zurück. Nachdenklich sah sie ihn eine Weile an, und entschied sich schließlich dagegen, sie zu stellen. Sie wollte nicht wissen, woher er das hochwirksame und auf den meisten republikanischen Welten nicht frei verkäufliche Schmerzmittel hatte und warum er es offensichtlich recht oft zu brauchen schien, was zum einen die nicht geringe Anzahl der Ampullen und zum anderen deren prominenter Platz nahelegte. Sie brauchte diese Information nicht und sie hatte ihn vermutlich schon genug in Verlegenheit gebracht. Schweigend wartete sie, bis sie sicher war, dass sich Duval erholte und begann sich dann langsam zurückzuziehen.
 
Die Idolon Flotte | 1

Mile Toral als junger Lieutenant | Halloween-Special 2017 2018 | PSW-Kanon | Charaktervorgeschichte


„Rückfall
in den Normalraum besteht bevor. T- 5 Minuten.“ Meldete der junge Leutnant Toral von der Navigationskonsole ohne eine Spur von Hektik in seiner Stimme. Der alte Commander brummte nur zur Antwort ein „Danke“, während der erste Offizier, Lt. Commander Dorn Rey seine Stoppuhr startete, als Mile seine Meldung beendet hatte. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in dem jungen Offizier breit, der auf diesem Schiff die Navigationsabteilung leitete. Es wurde nicht dadurch leichter, dass Rey direkt hinter ihm stand und er seinen warmen Atem im Nacken spürte. „T -4 Minuten“, meldete Mile erneut, der nur ein abfälliges Schnauben seitens des älteren ersten Offiziers als Antwort bekam „4 Sekunden zu spät, Lieutenant. Das ist inakzeptabel.“ „Ja, Sir!“ entgegnete Mile in einem neutralen Tonfall, der seinen Unmut nicht zum Ausdruck brachte. „Rey, lassen sie gut sein“, brummte Cal Damaris, seines Zeichen Commander und schon Teil des Inventars, der jedoch selten bei solchen Aussagen darauf achtete, dass sie auch langfristig durchgesetzt wurden. Commander Damaris war schon Teil des Schiffes als es gebaut wurde – zumindest munkelte man das – und damals flog das Schiff noch unter Alt-republikanischer Flagge. Mittlerweile stellte niemand diese Tatsache in Frage und es wurde oft genug gescherzt, dass Cal Damaris sogar ein Geist war, der sich nicht vom Diesseits und seiner geliebten Deliverance, einem Carrack-Kreuzer im Dienste seiner Majestät, trennen konnte. Dorn Rey bestätigte die Anweisung seines Commanders nicht und ließ seine Taschenuhr weiterlaufen. „Die restliche Mannschaft soll auf die Stationen. Bemannt die Turbolaser und die Sternjäger.“

„Jawohl, Commander“, bestätigte diesmal Dorn Rey das Gesagte und entfernte sich etwas von Mile, um den entsprechenden Befehl zu geben: „Gefechtsalarm!“ brüllte der strenge erste Offizier und die Brückencrew setzte den Befehl sofort in die Tat um. Diesmal startete, zu Miles Glück, Rey seine Taschenuhr neu, um diesmal die Leistung der Crew zu überprüfen. „Ankunft in 3 Minuten“, stellte Mile vor seiner Konsole sitzend fest, etwas entspannter, da Dorn Rey nicht in unmittelbarer Nähe war, aber dennoch so konzentriert, wie es seine Arbeit von ihm verlangte.

„Waffenstationen und Sternjäger sind besetzt“, kam die Meldung von den entsprechenden Stationen.

„10 Sekunden langsamer als beim letzten Mal“, verbreitete Rey seine schlechte Laune auf der Brücke und Mile gestatte sich einen Blick zu seinem Kameraden an der Feuerleitstation, der sich unwillkürlich angespannt hatte – diesmal stand Dorn Rey hinter ihm. Die nächsten drei Minuten geschah nichts weiter Spektakuläres und die Deliverance fiel ohne große Vorkommnisse in den Normalraum zurück. Die Sensorik meldete keinerlei feindliche Schiffe vor Ort und ansonsten war auch alles ruhig. „Ist die Deliverance klar zum Gefecht?“ fragte der bärtige Commander seinen ersten Offizier. Dieser salutierte und meldete: „Die Deliverance ist bereit und erwartet ihre Befehle!“

„Sehr gut, suchen wir uns nun ein Versteck. Der Konvoi sollte bald vor Ort erscheinen.“ befahl der Commander seelenruhig. Dorn Rey machte aus diesem Befehl etwas ganz anderes, fast schon bedrohliches als er sprach: „Navigation. Halbe Kraft voraus, verstecken wir uns hinter Onith-wesk-yrt-nern-5486.“ Damit meinte er den größten Asteroiden in der näheren Umgebung. „Halbe Fahrt voraus, setze Kurs. Geschätzte Ankunftszeit in …“ Mile gab die entsprechenden Befehle in die Konsole ein und seine Finger huschten über die Tastatur: „4 Minuten.“ Er hörte das charakteristische Klicken, als die Taschenuhr wieder ansprang und ein leichtes Ziehen manifestierte sich in dem Magen des jungen Lieutenants und zeigte sich auch in seinem Gesicht, als er seine Mundwinkel genervt verzog. „Mr. Strax, geben sie halbe Fahrt voraus“, befahl Mile dem Steuermann, einen etwas älteren Petty Officer, der dies bestätigte und das Schiff anschließend langsam Fahrt aufnahm.

„Starten sie die TIE, sie sollen die Gegend auskundschaften“, kam ein erneuter Befehl des Commanders, der die Befehlskette durchlief, um dann in einer Erschütterung, die das ganze Schiff erfasste zu enden, als die Raumjäger sich von den Andockklammern trennten und in Richtung des Asteroiden flogen. Dort angekommen ließ Mile das Schiff vorsichtig an anderen Asteroiden vorbei manövrieren, während die Lasergeschütze gefährliche Brocken anvisierten und zerstörten.

„Geschätzte Ankunftszeit des Geleitzuges in 30 Standardminuten.“ meldete der erste Offizier an den Commander.

„Richten sie die Deliverance aus. Danach in den Schleichmodus übergehen. Öffnen sie außerdem einen Kanal an die Mannschaft!“ entgegnete der Kapitän. Mile begann schon mit der Umsetzung der Befehle, während Dorn Rey sie schon an ihn weitergab. Währenddessen tönte die voluminöse Stimme des Commanders durch das ganze Schiff:

„Alle mal herhören. Wir sind jetzt in Position und erwarten Zusammentreffen mit dem Feind um 1600. Ende.“

„Deliverance in Position und Maschinen auf Leerlauf“, meldete Mile dem imperialen Protokoll entsprechend.

„Jetzt heißt es warten, lassen sie die TIEs zurrückkehren“, brummte Commander Damaris, „Gibt es Hinweise über die verbündeten Handelsstörer?“, fragte er weiter.

„Nein, Sir. Kein Hinweise, aber das hat nichts zu sagen …“, meldete der Offizier an der Kommunikation.

„Ja, ja ich weiß Funkstille.“ entgegnete der Commander des Kreuzer mürrisch und murmelte noch hinter her: „hoffentlich sind wir nicht das einzige Schiff hier …“

Mile schluckte, da er doch nah genug saß, um die gemurmelten Worte seines Commanders zu hören. Es war geplant, dass sich einige weitere Carrack-Kreuzer hier sammeln sollten, doch konnte man durch die befohlene Funkstille nicht sagen, ob sie es bisher geschafft hatten. Allein wäre ihre Mission ein Selbstmordkommando. Die Zeit bis zur Ankunft des Konvois verging so zäh, wie die Schleimspur eines Hutten. Die Ventilation auf der Brücke schaffte es nicht die komplette Wärme abzuleiten und Mile musste sich oft den Schweiß von der Stirn wischen. Doch das Warten hatte jäh ein Ende, als auf einmal mehrere Lichtblitze die Brücke erhellten.

„Mehrere aufkommende Schiffe. Identifikation steht noch aus“, kam der Ruf von der Sensorik und der erste Offizier brummte: „Die Bastarde sind zu früh, dass muss die Vorhut sein, bleiben sie auf passiver Sensorik.“

Cal Damaris ging ein paar Schritte in Richtung des Sichtfensters und zog nachdenklich seine Stirn kraus. „Sehen sie das, Dorn? Die Silhouette ähnelt corellianischen Schiffen. Was meinen sie? CR90 oder CR90a?“

Auch Lt. Commander Rey folgte nun seinem Vorgesetzten und blickte aus dem Fenster hinaus während er nachdenklich die Schiffe draußen musterte. „Möglich. Hoffen wir, das wir nicht alleine sind, sonst wird das hier ein kurzer Kampf für uns.“

Diesmal ein großer Lichtblitz, der auf ein großes Schiff oder das Auftauchen mehrerer kleiner Schiffe hindeutete. „Sir, passive Sensoren melden multiple Kontakte.“

„Bereithalten! Gefechtsalarm.“ ertönte die Stimme des Commanders und kurz darauf schrillte ein Alarm an Bord des Schiffes los und die Beleuchtung wechselte von dem grellen farblosen Licht zu rot.

Aufeinmal zuckten Turbolasersalven durch das All vor ihnen und zerfetzten einen Transporter des Konvois – scheinbar waren doch noch verbündete Kräfte vor Ort.
„So beginnt es … Mr. Toral. Äußerste Kraft voraus. Kurs auf drei-vier-drei.! Jäger starten, aktiven Scan beginnen.“

„Kurs drei-vier-drei liegt an. Äußerste Kraft voraus!“

„Jäger sind gestartet!“

„Aktiver Scan beginnt. Feindkontakt bestätigt.“

Ein kleines Schlachtfeldhologramm erschien und zeigte verbündete sowie feindliche Kräfte. Auch auf Miles Navigationskonsole wurden die feindlichen und verbündeten Schiffe angezeigt. So konnte der junge Lieutenant erkennen, dass noch fünf weitere Carracks anwesend waren – und auch somit 24 TIE-Jäger – der Feind allerdings hatte neben einer Vorhut aus zwei corellianischen Korvetten noch einen Neutron-Star Transportkreuzer, samt Geleitschutz aus zwei Nebulon-B Fregatten und zwei weiteren CR90 Korvetten. Der Hauptteil des weiteren Konvois bestand aus mehreren GR-75 Transportern, die schon fast ein Sinnbild der Rebellion waren.

„Unsere Jäger sollen mit den anderen TIEs zusammen Feindjagd machen! Konzentriert unser Feuer auf die vordere Korvette.“

Die Befehle wurden umgesetzt und die vier Jäger der Deliverance schlossen zu den anderen TIEs auf, um sich der Übermacht von ganzen sieben feindlichen Staffeln zu stellen. Mile rechnete damit, dass keiner der Piloten diesen Einsatz überleben würde. Jägerpiloten waren im Imperium nicht mehr als Kugelfutter und das war etwas das der junge Lieutenant angesichts der feindlichen Überlegenheit bei den Jagdmaschinen ziemlich wurmte und kurz fragte er sich, ob es fair war, dass er hier so gut geschützt war und den Piloten der Tod schon vorherbestimmt war. Die Waffen der Schiffe feuerten ununterbrochen aufeinander und die beiden CR90 der Vorhut hielten auf die Deliverance zu, begannen aber mit einem Wendemanöver, als sie merkten, dass der schnellere Carrack-Kreuzer ihre Formation durchbrechen wollte. Der Carrack wurde durchgeschüttelt, als die Turbolasersalven der Korvetten auf ihn einhämmerten, Mile wurde hin und her geworfen und er hatte Problem damit sich an seiner Station zu halten.

„Wir haben die feindlichen Korvetten passiert“, meldete die Sensorik und veranlassten den Commander einen neuen Befehl zu geben: „Mr. Toral, bringen sie uns unter den Neutron-Star Kreuzer. Feuer auf ihn konzentrieren.“

„Aye, Sir, setze neuen Kurs … neuer Kurs liegt an“, die langsamen Nebulon-B Fregatten waren überfordert damit eine effektive Verteidung aufzubauen, da die Carracks ihnen zu schnell entwischen konnten und die geschickten Kommandeure sich immer im Heck einer der Fregatten aufhielten und somit der massiven Frontbewaffung entgingen. Allerdings passierte das, womit nicht nur Mile gerechnet hatte. Die massive feindliche Jägerüberlegenheit hatte alle verbündeten TIEs erledigt und nun konnten sich die sieben Staffeln des Feindes, bestehend aus X-Flüglern nun den Carracks widmen. Eine der Staffeln hatte es nun auf die Deliverance abgesehen und schoss dabei eine Salve Protonentorpedos ab – ein weiterer Vorteil der X-Flügler gegenüber TIE-Fightern. Mile begann schon die Front des Kreuzers auf die Torpedosalve auszurichten, während sein erster Offizier den Befehl brüllte und die Vierlingslaser begannen auf die herannahende Gefahr zu feuern.

„Auf Einschlag vorbereiten!“ brüllte der Commander, als eine weitere Staffel X-Flügler heranraste und ihre Torpedos abfeuerte und die Deliverance somit in die Zange nahmen, wenn nicht …

„Neuer Kurs …“, befahl Mile dem Steuermann und überging dabei seinen ersten Offizier, sowie den Commander, und ließ das Schiff abdrehen und unter der einen Torpedosalve hinwegtauchen, doch nun hatten sie alle 24 zielerfassenden Protonentorpedos hinter sich. Die Heckgeschütze konnten aber jetzt besser auf die nun weniger gefächerten Torpedos feuern und sie so leichter auf’s Korn nehmen. Der Carrack schoss aus dem Schatten des Neutron-Star hervor und sofort hämmerten weitere Salven auf die Schilde ein. Diesmal konnten die beidrehenden Nebulons gut auf sie feuern …

„Hüllenschäden in Sektion C. Wartungsteams unterwegs“, Explosionen und weitere Erschütterungen schüttelten den Kreuzer durch. Diesmal heftiger als zuvor und Miles Magen versuchte dagegen zu rebellieren, während sich der junge Mensch an seiner Station festkrallte.

„Konzentriert all das Feuer auf die Gallofrees!“ ertönte die Stimme des Commanders, „Mr. Toral, bereiten sie den Sprung durch die Lichtmauer vor, auf mein Zeichen“, sofort begann Mile mit den Berechnungen für einen Notsprung, während sein XO, Sub-Lieutenant Barak Elson, Miles andere Pflichten übernahm und das Schiff durch die Gallofrees hindurch steuern ließ und für ideale Feuerpositionen sorgte. Einige Gallofrees fielen dem Feuer des Carracks zum Opfer, doch auch diese Transporter waren bewaffnet und deckten das imperiale Schiff Salven über Salven mit Feuer ein.

„Der Geheimdienst hat mit weniger Gegenwehr gerechnet“, fluchte der erste Offizier, „diese Versager…“

„Hüllenbruch in Sektion D. Abschottung läuft.“

„Notsprung berechnet!“ meldete Mile erleichtert und führte den Sprung aus, als der Befehl dazu kam. Der junge Mann gestattete sich ein erleichtertes Seufzen, als er sah, wie die Sterne sich zu Streifen zogen, nur um dann dem charakteristischem Blau des Hyperraums zu weichen. Er betätigte einen Knopf und sofort fuhren Durastahlplatten vor die Sichtfenster.

„Commander! Der LI meldet einen Abfall der Reaktorleistung. Wir…“ Eine Explosion erschütterte das Schiff, Mile schlug es von seinem Sitzplatz und er rappelte sich wieder auf, um schnell seinen Platz an der Navigationskontrolle einzunehmen. Seine linke Hand schmerzte und seine Stirn pochte.

„Commander, wir haben …“, er stockte kurz verwundert und begann damit die Panzerplatten vor dem Sichtfenster wieder hochfahren zu lassen. „… wir haben den Hyperraum wieder verlassen!“

Der erste Offizier stürzte sofort zur Sensorik, leichte Panik schwang in seiner Stimme mit: „Wie das? Ein Abfangkreuzer?“

„Negativ“, kam es überraschenderweise von der Maschinenraumüberwachung, „der Reaktor hatte eine automatische Sicherheitsabschaltung und wir wurden vorzeitig aus dem Hyperraum geholt. Die Explosion war nicht wirklich eine, sondern nur der unsaubere Rückfall in den Normalraum.“

„Sir, melde multiple Kontakte. Dreadnought Klasse. Zwei Klicks vor uns.“

Kurze Stille auf der Brücke, ehe Commander Cal Damaris räuspernd das Schweigen durchbrach: „Gibt es eine Kennung?“

„Negativ, Sir. Es werden keine Identifikationscodes ausgestrahlt oder irgendeine andere Art von Emission. Keinerlei Aktivität, Sir.“

„Wie steht es mit dem Maschinenraum? Berichte vom LI?“

„Er konnte den Reaktor wieder auf halbe Leistung hochfahren. Sublicht funktioniert. Lebenserhaltung auch, doch für einen Hyperraumsprung reicht die Energie nicht aus.“

Murmelnd wandte sich der Commander an seinen ersten Offizier und sie besprachen das weitere Vorgehen. Mile wusste, dass er nicht lauschen sollte, doch fingen seine Ohren, dass ein oder andere Wort auf: „…sollten uns das ansehen … Ersatzteile … Prisengeld … Risiko … Seuche? … nur einen Teil rüber schicken …“ Dann wandte sich Dorn Rey ab und seine kalten Augen fixierten Mile, dessen Nackenhaare sich sofort aufstellten: „Mr. Toral setzen sie Kurs zwo-null-null auf den vordersten Dreadnought. Kleine Fahrt Voraus. Andocken vorbereiten.“

Lieutenant Toral bestätigte die Befehle und der Carrack flog langsam – um die Maschinen nicht zu überlasten – in Richtung des nächsten Dreadnoughts. Der Anblick war atemberaubend und gruselig zugleich. Eine Flotte von Dreadnoughts, unfassbar viele, weiß-grau lackiert, wie ein Haufen Knochen, hing vor ihnen im Weltraum und zeigten keinerlei Anzeichen von Leben.

„Wie laufen die Reparaturen von Sektion D und C?“ kam eine geflüsterte Frage Damaris‘ an einen von Miles Kameraden.

„Vermutlich in einem Standardtag abgeschlossen, Sir. Allerdingsollten wir danach die Werft aufsuchen …“

„Hm …“ brummte der Commander nur zur Antwort in seinen Bart und wandte sich wieder ab.

„Lieutenant Toral, wie lange noch?“ kam eine schneidende Frage von Dorn Rey, der seine Stoppuhr bereithielt und Mile bekam leider nicht mit, wie viele der Gallofrees zerstört wurden, als Damaris diese Frage an die Sensorik stellte.

„Zwei Standardminuten, Sir“, antwortete Mile geflissentlich und seufzte unhörbar auf, als er das charakteristische Klicken der Stoppuhr hörte. Doch zum Erstaunen Miles und zum noch größeren Erstaunen Dorn Reys schaffte es Mile sogar, das der Carrack innerhalb dieser zwei Minuten an dem Dreadnought andockte und sogar eine Verbindung herstellte. Immer wieder blickte Mile aus dem Sichtfenster und bestaunte diese altehrwürdigen Schiffe. Die Dreadnoughts waren zwar doppelt so lang wie ein Carrackkreuzer, aber dafür massiver und größer und fassten bis zu 20.000 Seelen. Der Carrack hingegen nur knapp 1.000 Seelen. Und da draußen waren viele dieser Schiffe. Was wohl passiert war? Eine Katastrophe? Gab es Überlebende.

„Lieutenant Toral! Machen sie sich bereit. Sie und eine Gruppe Techniker werden übersetzen und überprüfen, ob sie den Dreadnought flugbereit machen können. Sie setzen über, sobald die Marineinfanterie den Maschinenraum samt Brücke gesichert hat.“ wandte sich der erste Offizier an Mile, der erst einen Augenblick brauchte um verstehen, was ihm da gerade befohlen wurde: Er sollte an Bord eines Schiffes gehen, das groß genug war für 20.000 Mann und überprüfen ob es sich bewegen konnte? Und die 142 Marineinfanteristen des Carracks sollten das Schiff ‚sichern‘, das im Idealfall knapp 3.000 Infanteristen an Bord hatte? Der Carrack war für solch eine Aufgabe sicherlich nicht ausgelegt und Mile konnte die Gier in den Augen seines Vorgesetzten sehen. Doch auf der anderen Seite: Die Infanterie ging zuerst rein und wenn sie auf Widerstand stoßen würde, würde Mile sicherlich nicht rübergeschickt werden. Bevor Dorn das Zögern Miles beanstanden konnte, antwortete der Lieutenant von Muunilinst: „Jawohl, Sir!“ er wandte sich dann an seinen XO: „Sie übernehmen die Navigation!“ Anschließend erhob er sich und verließ die Brücke, er hatte sowieso keine andere Wahl. Die Gänge auf dem Carrack waren eng und an jedem Schott musste Mile sich ducken, um hindurch zu passen. Er ging zur Materialausgabe und ließ sich Waffe, samt Munition, sowie weitere Ausrüstungsstücke geben. Beim Gehen merkte er, dass seine Knie ein wenig zitterten. Vermutlich noch das Adrenalin der zurückliegenden Schlacht und auch ein wenig die Sorge um das, was ihn auf dem Dreadnought erwarten würde. Kurz darauf kamen schon die Techniker, mit denen er auf die Brücke gehen sollte, während ein anderes Team in den Maschinenraum sollte. Gemeinsam warteten sie in der Nähe der Luftschleuse darauf, dass die Marineinfanterie das Zeichen gab, dass alles in Ordnung sei. Leises Gemurmel besserte die Stimmung nicht gerade auf. Das Zeichen der Infanterie kam auch nach einiger Zeit und mit einem kurzen Blick zurück marschierte Mile mit seinem Team durch die Luftschleuse an Bord des Dreadnoughts. Einer der dort wartenden Soldaten kam mit schussbereiter Waffe im Arm auf Mile zu: „Lieutenant Toral, Sergeant Taluka. Mein Trupp wird sie zur Brücke eskortieren. Wenn sie mir bitte folgen würden …“ Mile schickte einen lässigen Salut in Richtung der Maschinenraumtechniker, der von Lieutenant Erran Defelice erwidert wurde. Und die beiden Technikerteams wurden von jeweils einem Trupp Marineinfanteristen zu ihrem Bestimmungsort gebracht. Der Weg war lange und folgte einem geraden und breiten Gang entlang, der klinisch sauber und wie fabrikneu wirkte. Fast so als ob sie dem Rückenmark des Schiffes folgen würden. Keine Anzeichen einer Benutzung und die helle Beleuchtung spiegelte sich schon fast unangenehm in dem weiß verkleideten Gang. Es war ruhig, zu ruhig für ein Schiff solch einer Größe und das einzige Geräusch war das stete Brummen der Belüftung.

„Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür was mit diesen Schiffen passiert ist? Mit der Besatzung? Hinweise zu der Herkunft?“, fragte Mile Sergeant Taluka.

„Negativ, Sir“, kam unvermittelt die Antwort, die mit einem Kopfschütteln des Flottensoldaten begleitet wurde, „meine Männer und ich haben keinerlei Hinweise gefunden. Es wirkt so, als ob die Besatzung, wenn es je eine gegeben hat, einfach wie von Geisterhand verschwunden ist.“ Ein leises Raunen ging durch die Gruppe der Techniker und als Mile sich umblickte konnte er sehen, wie einer der Flottensoldaten sich ein Grinsen verkniff. ‚Vermutlich packt der Sergeant gleich eine seiner Gruselgeschichten aus, die man sich so am Lagerfeuer erzählt‘, dachte Mile mürrisch.

„Wenn sie mich fragen, Sir“, die Stimme des Sergeants wurde verschwörerisch, „dann ist dieses Schiff und die gesamte Flotte verflucht und wir werden hier nie mehr heil rauskommen“

Ein leises Ächzen ertönte hinter Mile, der sein Gesicht missgelaunt verzog:

„Nun, ich habe sie aber nicht nach Aberglauben gefragt, Sergeant“, entgegnete Mile mit schneidender Stimme, der noch im Hinblick auf sein Team einen weiteren Satz hinzufügte: „Wenn wir alle unserer Arbeit nachkommen, dann kommen wir hier heil raus. Wir sollen das Schiff nur flugbereit machen und mit dem Carrack zurückbringen.“

„Wenn sie das sagen, Sir“, antwortete der Sergeant zerknirscht und Mile konnte fast erahnen, wie einer der Soldaten hinter ihm sich das Lachen verkneifen musste.

„Wie sieht es mit Turboliften aus?“, fragte Mile nun wieder, der des Laufens langsam überdrüssig war.

„Zu riskant, Sir. Könnten steckenbleiben…“

Mile nickte nur und entgegnete knapp: „Damit haben sie Recht, Sergeant. Danke.“
 
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Mile Toral als junger Lieutenant | Halloween-Special 2017 2018 | PSW-Kanon | Charaktervorgeschichte


Nach knapp 5 Minuten Marsch durch die Gänge des Dreadnoughts erreichten sie die Brücke und der Trupp Soldaten verteilte sich, um die Eingänge zu sichern. Zur gleichen Zeit befahl Mile seinen Technikern die Brückenstationen zu besetzen und stellte seinen Rucksack neben der Navigationskonsole ab. Er begann sich sofort dem Navigationscomputer zu widmen.

„Lieutenant“, meldete sich Sub-Lieutenant Vora Yeh, die genauso alt war wie Mile, allerdings aufgrund offensichtlicher anatomischer Merkmale bei der letzten Beförderung übergangen wurde.

„Was gibt es Sub-Lieutenant?“ wandte Mile sich ihr zu und bekam ein schüchternes Lächeln zugeworfen.

„Ich habe das Gefühl, dass die Konsole verrücktspielt, nach jeder meiner Eingaben, scheint sie sich wie von selbst zurückzusetzen.“ Mile runzelte die Stirn und es schien so, als ob sich die junge Offizierin dafür zu schämen schien. Er ging langsam zu ihr rüber und sah sich die Konsole an. Er betätigte selbst ein paar Eingaben, doch die schienen von der Konsole akzeptiert zu werden und Mile blickte Vora Yeh fragend an.

„Sir, ich habe es genauso ausgeführt wie sie eben …“

Mile blickte sie nur stoisch an und entgegnete dann: „Nun jetzt scheint es ja zu funktionieren …“ und ging dann wieder zu seiner Konsole zurück. Hier gab er auch eine Befehlsfolge ein, drückte verschiedene Knöpfe, arbeitete sich durch das Menü durch. Dann erschien ein kleines Flackern, ein Flimmern, unmerklich zu erkennen, fast schon typisch für alte Bildschirme, bei denen sich das Bild nicht anders darstellen ließ und Mile war wieder im Startmenü und all seine vorherigen Eingaben waren verschwunden. „Was zum …“, fluchte Mile und sein Blick wanderte unwillkürlich zu Sub‑Lieutenant Yeh. „Bei ihnen jetzt auch, Sir?“ Mile nickte nur, als sie zu ihm rüber kam und sich seine Konsole ansah. „Bei mir funktioniert jetzt nichts mehr, keine weitere Eingabe ist mehr möglich.“ Miles Finger huschten nun erneut über die Konsole, doch diesmal begann auch hier nichts zu reagieren. Keine seiner Eingaben wurde akzeptiert.

„Merkwürdig“, er zückte sein Komlink, um mit Lieutenant Defelice in Kontakt zu treten: „Maschinenraum? Hier Brücke. Wie ist ihr Status?“

„Toral? Defelice hier. Reaktor läuft auf 25%, aber jeder Versuch ihn weiter hochzufahren scheitert. Wie sieht es bei euch aus?“

„Ähnliche Situation. Andere Geräte. Wir werden wohl die Konsolen neustarten müssen.“

„Ja, verstehe. Das ist hier bei uns ähnlich. Wenn das nicht klappt, sollten wir zum Hauptrechner und versuchen ihn neuzustarten.“

„Alles klar, Brücke Over and Out.“ beendete Mile die Verbindung und nahm sich kurz die Mütze ab um durch seine kurzen Haare zu fahren. Er setzte sich danach die Mütze wieder auf und richtete sie zurecht.

„Okay, alle mal herhören! Der Maschinenraum hat ähnliche Probleme wie wir. Reaktorleistung hängt bei 25% und wir haben beschlossen, dass wir die Terminals neu starten. Also schraubt die Abdeckungen auf und zieht ein paar Stecker!“

Sofort kam hektische Betriebsamkeit auf der Brücke auf während sich die imperialen Marineangehörigen, darunter auch Mile daran machten die Verkleidung der Konsolen zu entfernen und die Leitungsstränge zu separieren, die für die Stromzufuhr zuständig waren. Doch anstatt wie wild die Stecker zu ziehen meldete jede Station die Bereitschaft dazu und Mile ging mit Sub‑Lieutenant Yeh von Terminal zu Terminal um sich zu vergewissern, dass auch alles richtig überprüft wurde. In unbekannten und alten Schiffen wollte hier niemand einen Fehler machen.

„Lieutenant Defelice”, meldete sich Mile bei dem Offizier der den Maschinenraum leitete, um sich mit ihm abzustimmen, „wir sind bereit die Konsolen neuzustarten. Halten sie sich bereit. Over and out.“

Mile nickte Vora Yeh zu und die junge Frau gab den entsprechenden Befehl die Stecker zu ziehen und die Konsolen neuzustarten. Mehr oder weniger zeitgleich, Mile war zufrieden - Dorn Rey wäre es nicht gewesen – erstarben die Bildschirme der verschiedenen Terminals und nach einem weiteren Befehl erwachten eben jene wieder flackernd zu Leben. Mile blickte zufrieden über die Brücke und erntete ein zufriedenes Lächeln von Vora Yeh voller Tatendrang widmeten sich die Anwesenden wieder den Terminals, als sich knackend Miles Funkgerät meldete.

„Toral? Defelice hier! Ich weiß nicht, was sie gemacht haben, aber der Reaktor scheint nun etwas unruhiger zu laufen, so als ob jemand einen Kaltstart probiert.“

Mile hielt in seiner Bewegung inne und bekam nur aus den Augenwinkeln mit, wie eine Benachrichtigung über seinen Bildschirm huschte nur um zu verschwinden, als er sich ihr widmen wollte. Er runzelte verwirrt die Stirn.

„Einen Kaltstart? Sie meinen jemand hat die Kontrolle über den Reaktor? Bei uns reagieren nämlich die Konsolen überhaupt nicht. Wir können das nicht gewesen sein.“

Es dauerte ein wenig bis Defelice zu einer Antwort ansetzte und Mile fragte sich ob die Funkverbindung überhaupt noch bestand hatte, als knisternd sein Komlink wieder zum Leben erwachte und sich Lieutenant Defelice meldete:

„Verstanden, wir versuchen den Reaktor am hochfahren zu hindern und mögliche Fremdeinwirkung zu lokalisieren und zu unterbinden. Defelice over and out.“

„Brücke Over and out“, beendete auch Mile die Komverbindung zu Defelice. Er sah sich wieder auf der Brücke des unbekannten und merkwürdigen Dreadnoughts um und blickte dabei in die nervösen Gesichter der Techniker, die fluchend versuchten irgendetwas aus den Konsolen zu holen.

„Okay, keinen Grund zur Beunruhigung“, sagte Mile mehr zu sich selbst, als zu seinem Team auf der Brücke „Lieutenant Yeh? Wie sieht es bei ihnen aus?“

„Die Konsolen scheinen nun zu reagieren, sie nimmt unsere Eingaben an, auch wenn das System sehr träge reagiert …“

„Brücke! Hier Maschinenraum, wir haben ein Reaktorleck“, ertönte auf einmal eine unbekannte Stimme durch das Schiffsinterne Kommunikationssystem, die durch ein Rauschen überdeckt und zerhackt wurde.

Nervöse Finger huschten über die verschiedensten Konsolen, als jedes Teammitglied auf seine Weise versuchte mehr über die Nachricht zu erfahren. Mile schluckte nervös, als seine linke Hand nach seinem Komlink griff und er versuchte direkt Defelice anzufunken.

„Brücke an Maschinenraum. Kommen.“

„…“ Rauschen. Doch es schien nicht das einzige Geräusch zu sein, das aus dem Kanal zu hören war. In dem Rauschen schien eine Art Flüstern, Gemurmel versteckt zu sein. Doch gerade in dem Moment als Mile eben jenes herausfiltern wollte öffnete sich knackend ein weiteres Geräusch.

„Brücke, hier Maschinenraum. Wir haben alles unter Kontrolle“, ertönte eine Stimme aus dem Komlink, die nicht zu Defelice gehörte und Mile runzelte die Stirn, ehe er auf den Funkspruch antwortete: „Maschinenraum, hier Brücke. Wer spricht da? Wo ist Lieutenant Defelice?“

Eine kurze Funkpause trat ein und kurz bevor Mile erneut nachfragen wollte, meldete sich die Stimme erneut.

„Brücke, hier Maschinenraum, hier spricht Sub-Lieutenant Zaern“, antwortete eine irritierte Stimme, die dann weiter fortfuhr: „allerdings kann ich nicht sagen, um wen es sich bei Defelice handelt …“

Für einen Sekundenbruchteil blickte Mile irritiert die Konsole von sich an, in der Hoffnung eine Regung, einen Zeichen, dass dies nur ein Witz war zu erkennen. Dann blickte er auf und sah die gleiche Verwirrung im Gesicht von Lieutenant Yeh. Erneut öffnete er einen Kanal zum Maschinenraum: „Was ist mit Defelice passiert? Ich habe bis vor kurzem noch mit ihm geredet.“

Erneut herrschte eine Pause, die etwas länger dauerte. Vermutlich lachten sich im Maschinenraum alle schlapp über diesen schlechten Scherz, oder es war wirklich etwas Merkwürdiges passiert. Lag es am Reaktorleck?

„Sir“, meldete sich erneut Zaern mit besorgtem Unterton in der Stimme, „niemand hier unten kennt einen Lieutenant Defelice. Ich hatte von Beginn an die Befehlsgewalt über den Maschinenraum.“

„Verstanden“, entgegnete Mile nun, den irgendwie das Gefühl beschlich, dass Zaern nicht scherzte und wirklich glaubte was er sprach. Er beendete die Komverbindung und fuhr sich genervt mit den Händen über die Augen. So eine beschissene Situation hatte gerade noch gefehlt. Hatte das Reaktorleck Defelice gebraten und dem Rest der Mannschaft die Erinnerung gelöscht? Das wären eigentlich zwei Zufälle zu viel.

„Lieutenant Yeh, versuchen sie von der Brücke aus die Umweltwerte im Maschinenraum zu prüfen. Sergeant Taluka, ich möchte, dass sie und ihre Männer sich bereithalten. Bereiten sie einen Trupp vor, der mit kompletter Strahlenschutzausrüstung in den Maschinenraum vorrücken kann.“

In der Zwischenzeit versuchte Mile Kontakt zur Deliverance aufzunehmen, um diese merkwürdige Situation zu schildern.

„Deliverance, hier Toral. Defelice ist verschwunden. Erbitten Unterstützung“, gab Mile mit etwas Beklemmung in der Stimme die Meldung durch. Unterbewusst erwartete er direkt einen Rüffel von Rey, doch es kam nur eine kurze und knappe Antwort zurück:

„Lieutenant Toral, hier Deliverance. Verstärkung ist unterwegs. Ende.“

Ein erleichtertes Seufzen entwich seinen Lippen, während er sich wieder Sub-Lieutenant Yeh zuwandte. „Wie schaut’s im Maschinenraum aus?“

„Ist sauber, Sir. Kein Strahlungsleck vorhanden.“ Mile nickte bestätigend und blickte dann zu Taluka herüber, der sofort seinen Trupp Soldaten in kompletter Strahlenschutzmontur losschickte. Er fragte sich aber nun insgeheim, ob Defelice vor seinem Verschwinden wirklich ein Strahlungsleck gemeldet hatte oder … etwas anderes.

Mile sah den Soldaten kurz nach und wandte den Blick sofort ab nachdem sich die hydraulische Tür hinter ihnen geschlossen hatte. In einem kurzen Moment der Müdigkeit begann er sogar selbst schon daran zu zweifeln, dass Defelice mit auf das fremde Schiff gekommen war, doch er schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Gewiss erlaubte man sich da unten doch einen Scherz mit ihm. Er kannte genug solcher Geschichten und Mile nahm sich bereits jetzt grimmig vor das ein oder andere Disziplinarverfahren folgen zu lassen, wenn sich das als kleines Späßchen der Crew im Maschinenraum herausstellte. Allerdings konnte er nicht nur davon ausgehen, dass dies nur ein schlechter Scherz war. Es könnte wirklich etwas Schlimmes passiert sein und nur ein schlechter Offizier nahm solche Sachen nicht ernst. Mit einem etwas lauteren Tonfall, der mehr oder weniger an alle auf der Brücke gerichtet war gab er nun neue Befehle:


„So, dann schauen wir mal, dass wir alle Kontrollen soweit umlegen, dass wir das Schiff von hier oben komplett steuern können …“

Sie gingen mit absoluter Gründlichkeit vor. Präzise arbeiteten sie sich durch das System durch leiteten Befehl für Befehl auf die Brücke um und versuchten dabei sicher zu stellen, dass sie von hier ‚oben‘ im Notfall die Kontrollen des Maschinenraums übernehmen konnten. Mile war dabei so konzentriert, dass er die Zeit vergaß und nur ein Räuspern Sergeants Talukas riss ihn aus seiner Arbeit.

„Sir, ich bekomme keine Meldung vom Feuertrupp. Sie müssten schon längst im Maschinenraum angekommen sein, auch die versprochene Verstärkung von der Deliverance ist noch nicht angekommen …“

Der junge Mann von Muunilinst blickte von seiner Konsole auf und sah in das besorgte Gesicht des älteren Sergeants. Mile erinnerte sich an die früher gefallenen Worte Talukas, dass dieses Schiff verflucht war und suchte für irgendwelche Anzeichen in seinem Gesicht, dass er versuchte Mile hereinzulegen, doch fand er keine. Anschließend ließ er seinen Blick über die Anwesenden auf der Brücke schweifen, nur um am Ende wieder in das Gesicht des Sergeants zu blicken.

„Das sind beunruhigende Neuigkeiten. Lieutenant Yeh, nehmen sie erneut Kontakt mit der Deliverance und den Maschinenraum auf. Bitten Sie sie um ein Statusupdate. Wir brauchen hier mehr Einsatzkräfte.“

Er blickte den Sergeant nun aber ernst an. Irgendetwas sagte ihm, dass das gleiche was den Maschinenraum heimgesucht hatte, nun auch die Verstärkung und den Feuertrupp neutralisiert hatte.

„Sir“, meldete sich Sub-Lieutenant Yeh zu Wort, „wir können keine Funkverbindung mehr aufbauen.“

Die Blicke von Lieutenant Toral und Sergeant Taluka trafen sich und in beiden Gesichtern trat deutlich die Sorge zu Tage, die jeden Soldaten traf, der mit einem unbekannten Feind zu tun hatte. Mile zögerte nicht lange, genauso wenig Sergeant Taluka. Beide hatten in diesem Moment den gleichen Entschluss gefasst.

„Sperren sie alle Konsolen, ich will, dass nur noch wir darauf Zugriff haben. Sergeant Taluka, sichern sie mit ihren verbleibenden Männern die Brücke, wir machen uns Abmarschbereit.“

Der Sergeant war ein erfahrener Soldat und hatte die Befehle Miles schon vorhergesehen und sich und seine Männer bereit gemacht abzurücken. Sie kauerten nun, bekleidet in ABC Schutzanzügen und mit ihren Waffen im Anschlag vor der Panzertür der Brücke. Währenddessen hatte das Team von Mile unverzüglich damit angefangen die Konsolen der Brücke mit Passwörtern zu sichern und diese dann anschließend abzuschalten.

Als alle damit durch waren zückten sie ihre Hold-Out Blaster und machten sich hinter den Soldaten bereit abzurücken. Taluka gab den Befehl und nachdem die Tür geöffnet wurde rückte die gesamte Mannschaft vor und verließ die Brücke. Das Schiff schien sich mittlerweile verändert zu haben. Es war zwar immer noch klinisch steril und sauber zu sein, doch aus den Augenwinkeln fühlte sich Mile beobachtet, es schien sogar aus, als ob er einen Schatten wahrnahm, doch wann immer auch dort hinblickte, war dieser verschwunden. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er spürte das Pochen in seinem Hals. Die Nervosität schien aber nicht nur von ihm Besitz ergriffen zu haben, auch der Rest der Anwesenden schien sich unwohl zu fühlen.

Mit einem Wumms schloss sich hinter ihnen die Panzertür ohne, dass Mile oder sonst jemand den Knopf betätigt hatte.


„Wer hat die Tür geschlossen?“, fragte Mile etwas zu energisch, fast schon panisch. Seine Nerven lagen blank. Nur seine Disziplin und Ausbildung sorgten für einen Rest Beherrschung. Irritierte Gesichter blickten ihn an, keiner war es gewesen und Mile eilte sofort zur Tür zurück, die er aber nicht mehr öffnen konnte. „Verdammt“, fluchte er und schlug dabei mit der Faust gegen die Türkonsole. Er wandte sich um und lief strammen Schrittes nach vorn zu Sergeant Taluka, mit seiner Hand gab er den anderen den Befehl ihm zum folgen. Im Flüsterton sprach er den Sergeant an:

„Wir gehen unverzüglich zur Luftschleuse. Dann holen wir Verstärkung von der Deliverance und rücken unverzüglich weiter in Richtung Maschinenraum vor. Alles andere können wir vor Damaris nicht verantworten.“

Taluka nickte nur grimmig und führte den Trupp in Richtung des Ausgangs von diesem Schiff. Der Lauf seiner Waffe folgte immer seinem Blick, der nicht mehr ganz so gelassen war wie zu Beginn der Mission. Mile konnte erkennen, dass sich mittlerweile die ersten Schweißtropfen im Gesicht des Sergeants bildeten und auch in Mile machte sich mittlerweile eine ungewohnte und in der Ursache unbekannte Unruhe breit. Irgendetwas auf diesem Schiff sprach seine ureigensten Ängste an und trieb ihn fast in den Wahnsinn.

„Wir sind gleich an der Luftschleuse“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu seinen Untergebenen, an die diese Aussage eigentlich gerichtet war. In diesem Moment achtete er aber nicht darauf was vor ihm passierte und lief fast in den Rücken eines fassungslos stehen gebliebenen Sergeants vor ihm.

Leicht genervt und irritiert konnte Mile noch stehen bleiben und brachte nur ein fragendes:
„Was ist ...“, über die Lippen, ehe er den Grund für das plötzliche Stehenbleiben des Sergeants selbst sah:

Die Deliverance. Sie war nicht mehr da ...
 
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