[Hyperraum, VSD II Collateral, Quartier des Commodore]- Nereus
Er hatte es sich selbst zuzuschreiben. Der dumpfe Schmerz in Nereus‘ Schädel harmonierte gar wunderbar mit dem schrillen Klingen des Schiffsinterkoms, das ertönte, als Captain Donos sich pflichtbewusst eine halbe Standardstunde vor Rückfall in den Normalraum bei ihrem Vorgesetzten meldete, so, wie er es ihr zuvor befohlen hatte. Mit einem Ächzen hatte der vermeintliche Commodore Trayn sich in die Nasszelle seines Quartiers geschleppt, sich mehrere Hände voll kalten Wassers ins Gesicht gespritzt und schließlich in einer Geste der Kapitulation die Maske angelegt, die ihn endgültig in Vilius Trayn verwandelte. Erwartungsgemäß machte das Tragen dieser Maske den sengenden Kopfschmerz, den der überhastete Genuss des Rubinweins ihm beschert hatte, nicht wirklich erträglicher – eher im Gegenteil.
Trotzdem waren es noch gute zehn Standardminuten bis zum Rückfall in den Normalraum des Mytus-Systems, als der ehemalige Großadmiral der imperialen Streitkräfte schließlich auf der Brücke des Espo-Sternenzerstörers erschien und keinerlei äußerliche Anzeichen für die Tortur zuließ, die in seinem Inneren tobte. Immerhin hatte Trayns Vorgänger in Ergänzung zu den Weinvorräten ebenfalls ein bestens gefülltes Medizinschränkchen im Quartier des Commodore hinterlassen – die angeblich mit einer verzehrbaren Form von Bacta angereicherten Kopfschmerztabletten jedenfalls entfalteten mit überraschender Geschwindigkeit ihre Wirkung, die angesichts der Skepsis, die Nereus bei der Lektüre ihrer Beschreibung zunächst empfunden hatte, wohl kaum auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen war.
Donos drehte sich zu ihm um, als die beiden Espo-Posten am Zugang des Hauptbereichs der Brücke zackig Haltung annahmen, kaum, dass sie die Präsenz ihres verkrüppelten Vorgesetzten bemerkt hatten. Das Nicken der blonden Kommandantin wurde von einer ernsten Miene begleitet – auch sie, als ehemaliges Mitglied der imperialen Flotte, hatte die Berichte über Koornacht gelesen. War sie schlicht und ergreifend um die Integrität des Imperiums besorgt? Oder kannte sie womöglich jemanden, der im Sternenhaufen stationiert gewesen war?
„Commodore. Wir haben das Mytus-System in Kürze erreicht.“
Falls sie Neugierde ob ihres Ziels empfand und der Tatsache, dass die Collateral nicht mit dem Rest des Konvois nach Bonadan gesprungen war, so verbarg sie diese gut.
„Wir sind im Zeitplan.“
Nereus nickte knapp. Oh, die Tabletten wirkten wirklich gut – nur ein ganz sanftes Schmerzecho wurde durch diese Bewegung seines Kopfes verursacht.
„Ausgezeichnet, Captain.“
Er sparte sich ein aufmunterndes Lächeln in ihre Richtung – diese mimische Verrenkung wäre unter der Maske ohnehin vollends verloren gegangen.
Dann war es soweit. Diszipliniert wie auf einem imperialen Schiff zählte der Navigationsoffizier die letzten Sekunden bis zum Rücksprung hinunter, ehe der Sternenzerstörer der Victory-II-Klasse mit einem vermeintlichen Satz am Rand des Mytus-Systems erschien, in noch einiger Entfernung von jenem Planetoiden, auf dem sich das Gefängnis der Korporationssektorverwaltung, Stars‘ End, befand. Sofort machten die Sensoren des Schlachtschiffes sich an die Arbeit und förderten schnell zutage, dass die Collaterial nicht alleine war – ganz, wie Nereus es erwartet hatte.
„Eine Sternengaleone voraus, Sir“, meldete Donos überrascht.
„Gültige Kennung der CSA, Identifikation als Precious Commodity. Wir empfangen eine Nachricht…“
Stirnrunzelnd warf die Blondine einen Blick auf die Konsole des Kommunikationsoffiziers, dem sie über die Schulter blickte.
„Sie werden eingeladen, an Bord zu kommen, Sir. Alleine.“
Nereus nickte knapp.
„Das ist schon in Ordnung, Captain. Lassen Sie eine Fähre startklar machen – nur mit Piloten, keine Eskorte. Veranlassen Sie außerdem, dass der Prototyp auf meinen Befehl hin der Galeone übergeben werden kann.“
„Ja, Sir.“
Unter seiner Maske musste der als Commodore posierende Offizier ob des sichtbaren Unbehagens seiner Flaggkommandantin schmunzeln.
„Keine Sorge, Captain. Dort drüben wartet kein Piratenadmiral wie auf der Steady Profit…“
Wohl aber ein Individuum, das möglicherweise ebenso gerissen war wie Jart Ga’lor – daran sollte Nereus sich stets erinnern, jetzt, da er sich dazu entschieden hatte, ein doppeltes Spiel zu spielen und damit Gefahr lief, zwischen die Fronten der Black Sun und der CSA – und später des Imperiums – zu geraten.
Nachdem er Donos die Brücke übergeben hatte, begab Nereus sich in den Haupthangar des Sternenzerstörers, wo weisungsgemäß eines der älteren Theta-Klasse-Shuttles, auf die die CSA sich nach wie vor verließ, bereitgemacht worden war. Der Pilot – außer Nereus das einzige Lebewesen an Bord – begrüßte ihn mit einem leichten Nicken, ehe sie mit dem Transfer von der Collateral zur Precious Commodity begannen.
Die Sternengaleone befand sich, wie unschwer zu erkennen war, in einem weitaus besseren Zustand als die zusammengeschossene Steady Profit, wenngleich auch das kaum über das äußerst klobige Design dieser Schiffe hinwegtäuschen konnte, die sich im Grunde lediglich zum Transport von Gütern eigneten. Ab und an hatte die imperiale Flotte sie auch zum Transport von Truppen herangezogen, doch in dieser Hinsicht war der Nutzen dieses Schiffstyps äußerst beschränkt gewesen.
Im Hangar der Precious Commodity erwartete Nereus ein einzelner, in dunkle Zivilkleidung gekleideter Mann, wohl einer von Morieras Mitarbeitern, der ihn mit einem höflichen Nicken begrüßte.
„Commodore. Wenn Sie mir bitte folgen würden…?“
Schweigend folgte Nereus dieser Bitte und fand sich wenig später in einem der geräumigen Frachträume der Galeone wieder – anders als auf der Steady Profit war dieser allerdings nicht mit Containern gefüllt, sondern schien zu einer Art provisorischem Schießstand umfunktioniert worden zu sein. Ein einzelner Mann in roter Uniform wartete dort bereits – Moriera. Nereus‘ Führer entfernte sich nach einem diskreten Nicken.
„Kratas. Fechten Sie?“, fragte der Auditor-General der CSA, nachdem sich das Schott hinter seinem Untergebenen geschlossen hatte und die beiden Männer alleine im riesigen Raum waren. In einer Hand hielt er einen kunstvoll verzierten Paradesäbel, wie sie auch zu besonders formellen Anlässen von einigen Offizieren der Flotte getragen wurden.
Nereus schüttelte langsam mit dem Kopf.
„Ich konnte mich für die Fechtkunst und die daraus resultierende Unart, sich angesichts einer jeden Lappalie duellieren zu müssen, nie sonderlich begeistern…“
„Ich verstehe.“
Moriera nickte und legte den Säbel auf einen bereitstehenden Tisch.
„Zu schade. Aber Sie haben wohl Recht – so manche vielversprechende Karriere endete wohl bereits wegen eines unbedachten Duells. Junge Kadetten können so heißblütig sein…“
Der Auditor-General verzog seinen Mund zu einer leichten Grimasse.
„Oh, sein Sie so gut und legen Sie diese Maske ab – auf diesem Schiff wird Sie ohnehin niemand zu Gesicht bekommen.“
Bereitwillig leistete Nereus Folge und gestattete sich ein erleichtertes Seufzen, als der unangenehme Druck, den die Maske auf seinen Kopf ausübte, von ihm genommen wurde.
„Besser.“
Sein Gegenüber nickte zufrieden.
„Ich nehme an, der Prototyp befindet sich an Bord Ihres Schiffes?“
„Er wird in diesem Moment auf den Transfer vorbereitet“, bestätigte Nereus.
„Was für eine Erleichterung. Die Übergabe Coruscants an die Republik hat unseren Sponsoren bereits genug Unannehmlichkeiten bereitet, es hätte nur noch gefehlt, die Fortschritte eines unser vielversprechendsten Forschungsprojekte zu verlieren. Ein Projekt, von dem auch die imperiale Flotte dereinst profitieren könne, wie ich hinzufügen darf.“
… so wie, bedingt durch Nereus‘ Entscheidung, die Korsarenflotten der Black Sun…
„Und natürlich erfreut es mich, dass unser Arrangement so schnell erste… Früchte tragen konnte.“
Der rotuniformierte Mann warf einen Blick den Schießstand hinunter, der im Grunde lediglich aus einem länglichen Pult vor einem weiten Feld bestand, an dessen Ende in unterschiedlicher Entfernung mehrere Holoziele aufgebaut worden waren.
„Sie sagen als, Sie fechten nicht… aber im Rahmen Ihrer Grundausbildung werden Sie wohl das Schießen gelernt haben, nicht wahr?“
Vielsagend nickte Moriera in Richtung der Thunderer, die Nereus immer noch – gewohnheitsmäßig – am Uniformgürtel trug, ehe er eine bedeutend schlankere und kunstvoll verzierte Blasterpistole an seinem eigenen Gürtel tätschelte.
„Könnte ich Sie für einen kleinen Wettbewerb begeistern?“
Nereus lächelte schwach. Er hätte den Quasi-Geheimdienstchef der CSA nicht für einen derartigen Exzentriker gehalten, als dass dieser sich an Bord einer Sternengaleone einen privaten Schießstand errichten ließ, doch er musste sich wohl einmal mehr in Erinnerung rufen, dass die CSA nicht das Imperium war. Hier ging es nicht um Loyalität oder um fanatische Ergebenheit zur Neuen Ordnung – hier ging es um Credits. Und um das, was man sich von diesen Credits kaufen konnte. Im Grunde also doch kein so großer Unterschied zu einem gewissen Anteil der imperialen Elite, insbesondere im Kreise der erlauchten Großmoffs und ihrer Speichellecker…
„Warum nicht?“
Er löste die schwere Pistole aus ihrem Holster, prüfte ihre Ladung und entsicherte sie dann mit einem hörbaren Knacken des Sicherungshebels. Moriera grinste breit.
„Womit fangen wir an? Fünfzig Meter?“
Eine Viertelstunde später stand fest, dass dem ehemaligen Großadmiral der imperialen Streitkräfte wohl keine allzu glänzende Karriere in den Reihen der imperialen Flotte vergönnt gewesen wäre – zumindest, wenn man seine Fähigkeiten im Kunstschießen als Kriterium heranzog. Moriera indes schien einige Zeit auf Schießständen zu verbringen und mit seiner Leistung mehr als zufrieden – was an seinem Grinsen abzulesen war, als er seine Waffe nach einem angeberischen Herumwirbeln um seinen Finger wieder an seinem Gürtel verstaute.
„Wissen Sie, manchmal gibt es doch nichts, was mehr entspannt, als ein kleiner, sportlicher Wettbewerb… finden Sie nicht?“
Der Auditor-General streckte sich ein wenig.
„Doch Sie fragen sich vermutlich, welchen neuen Auftrag ich für Sie habe?“
„Und welche Chance“, ergänzte Nereus diplomatisch und erinnerte sein Gegenüber somit an die etwas zweideutige Formulierung seiner Nachricht.
„Richtig. Wissen Sie, Kratas, es gibt in der Sicherheitsdivision bereits seit geraumer Zeit ein paar Strategen, die mit der Ausrichtung unserer Flotte unzufrieden sind… ausgemusterte Dreadnaughts, Sternenzerstörer der Victory-Klasse, die Invincible-Klasse – ich hörte, dass auch Ihre Protector technische Probleme hatte – all das sind eher… hm… schwerfällige Schiffe, während wir den Sektor primär gegen schnelle Angriffe von Piraten verteidigen oder Schmuggler verfolgen müssen. Gleichzeitig statten wir diese Schiffe allerdings mit Sternenjägern aus die, wenn man ehrlich ist, nicht einmal mit den älteren Modellen von Sienar mithalten können, geschweige denn mit der Hardware, die die Republik mittlerweile in ihrem Portfolio hat.“
Moriera lächelte schmal.
„Soweit ich weiß waren auch Sie nicht unbedingt mit der vorherrschenden Sternenjägerdoktrin des Imperiums zufrieden? Oder handelte es sich bei ihrer Protektion einer der bedeutendsten Staffeln, die mit moderneren Jägern ausgerüstet wurde, um einen reinen PR-Stunt?“
Nereus‘ Augen verengten sich leicht.
„Sie meinen die 152ste?“
„In der Tat. Immer noch sehr aktiv, wie ich höre… und derzeit am Vorgehen der Flotte gegen den sogenannten Eisernen Bund beteiligt, auch wenn sie weit davon entfernt ist, eine typische imperiale Jägerstaffel zu sein.“
„Das Für und Wider unterschiedlicher Typen wurde häufig im Oberkommando diskutiert“, erwiderte Nereus.
„Letztendlich war es aber auch eine Kostenfrage.“
Er nickte grimmig.
„Jetzt vermutlich mehr denn je.“
„Das mag so sein“, stimmte Moriera zu.
„Für die CSA bestand das Hauptproblem stets darin, dass an die exklusiv von Sienar produzierten Typen kaum ein Herankommen war… doch nicht alle Sternenjäger auf imperialen Schiffen werden von Sienar produziert. Einige von ihnen sogar auf Welten, die nicht enger an das Imperium gebunden sind als der Korporationssektor.“
„Cygnus.“
Nereus gestattete sich ein vorsichtiges Nicken.
„Es wäre eine Verschleierung der Tatsachen, zu behaupten, dass die im Sternenimperium entwickelten und produzierten Modelle uns nicht gute Dienste geleistet hätten. Und es gab durchaus Befürworter eines Gedankens, sie verstärkt einzusetzen.“
„Nun, solche Überlegungen dürften vor eine gewisse Zerreißprobe gestellt worden sein.“
In den wachen Augen des Auditor-General funkelte es.
„Jüngste Erkenntnisse meiner Agenten besagen, dass das Sternenimperium sich derzeit einigen… Tumulten ausgesetzt sieht. Gleichzeitig sehen sie aber auch die Möglichkeit, dass man bei Cygnus Spaceworks frischem Kapital und neuen Investoren nicht abgeneigt ist… und da kommen Sie ins Spiel, Kratas.“
Widerwillig runzelte Nereus die Stirn.
„Sie erwarten von mir, dass ich den Cygnern einen Rüstungsvertrag mit der CSA abringe und sie dem Imperium als Produzent von Sternenjägern abspenstig werden lasse?“
„Nein, natürlich nicht.“
Mit einem nonchalanten Lächeln schüttelte Moriera den Kopf.
„Ich hatte vielmehr daran gedacht, Ihnen die Möglichkeit zu geben, gewisse Synergien zwischen den Interessen des Imperiums und der CSA zu ihrer vollen Entfaltung zu bringen. Ungeachtet unserer Aufrüstungspläne wird der Korporationssektor niemals hochwertige Sternenjäger in Dimensionen abnehmen können wie das Galaktische Imperium… doch die zusätzlichen Mittel, die wir dank der großzügigen Ausstattung unserer Sponsoren fließen lassen können, sollten die Produktion auf eine Art und Weise ankurbeln können, von der auch das Imperium profitiert.“
Für einen Moment schwieg Nereus. Er konnte sich noch sehr gut an die Querelen erinnern, die die imperiale Flotte in der Sternenjägerfrage beschäftigt hatten – Namen wie de Vries und schließlich Nerethin hatten gen Ende seiner Amtszeit für einigen frischen Wind, womöglich sogar die Einleitung einer umfassenden Modernisierung und eines Aufholprozesses zum republikanischen Sternenjägerkorps gesorgt, doch wenn er raten müsste, würde er vermuten, dass diese Bemühungen im Rahmen der Umstrukturierung des Oberkommandos nach der Machtübernahme Darth Allegious‘ zerschlagen worden waren.
„Sie sprachen von Tumulten im Sternenimperium?“
Der Auditor-General zuckte mit den Achseln.
„Genaueres wissen selbst meine Agenten nicht. Natürlich ist es ein offenes Geheimnis, dass sich Cygnus aufgrund seiner astrographischen Nähe des Öfteren im Konflikt mit den Hutten befand… Fakt ist nur, dass das Galaktische Imperium alarmiert genug ist, um eine ausgewachsene Gefechtsflotte zur Stabilisierung der Region zu entsenden.“
Nereus schnaubte.
„Sie sind ja bestens informiert.“
„Bitte, Kratas, schmollen Sie nicht… keine Sorge, so gravierend sind die Sicherheitslücken in ihrer geliebten Flotte auch nicht. Nun ist es aber so, dass sich der Marschbefehl für eine ganze Gefechtsflotte schwer verheimlichen lässt… außerdem sieht der Vertrag von Umbara bei derartig umfassenden Flottenoperationen eine Unterrichtung der Gegenseite vor. Dank unserer… Kontakte im republikanischen Verteidigungsministerium ließ sich diese Information also recht leicht verifizieren. Die dritte Gefechtsflotte ist von Rendili nach Cygnus aufgebrochen und vermutlich mittlerweile dort angekommen.“
Der ehemalige Großadmiral verschränkte die Arme vor der Brust.
„Und Sie legen mir nahe, dass ich mit einer kleinen Espo-Einheit in eine Stabilisierungsoperation einer ausgewachsenen Gefechtsflotte hineinplatze?“
„Bei dieser Gefechtsflotte schon.“
Das geheimnisvolle Lächeln Morieras ließ Nereus einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
„Sie steht unter dem Kommando von Admiral Elysa Nerethin.“
Diese Neuigkeit traf Nereus gänzlich unvorbereitet.
„Nerethin…“
„Sie mag nicht mehr dem Oberkommando angehören, doch offenbar ist sie einflussreich genug, um nicht vollends ins Abseits geschoben zu werden – auch wenn die Dritte Gefechtsflotte dem Hörensagen nach zu urteilen nicht unbedingt in der Gunst des Oberkommandos und der COMPNOR steht. Aber ihre Entsendung zeigt, dass man sich auch im neuen Oberkommando darüber im Klaren war, dass eine politische oder gar militärische Krise im Cygnus-Sternenimperium nicht ignoriert werden kann. Und ob wissentlich oder nicht – mit Nerethin haben sie die exakt richtige Flaggoffizierin zur Beilegung dieser Krise entsandt. Ich vermute, wenige andere Offiziere im Admiralsrang wüssten den strategischen Wert einer intensiven Partnerschaft mit Cygnus wirklich zu schätzen. Oder würden es wagen, dies auch offen zu vertreten.“
Moriera vollführte eine Ambivalenz suggerierende Handbewegung.
„Ich sage nicht, dass ein solcher Ausflug ohne Risiko ist… sie werden außer der Collateral kein Schiff mitnehmen können und selbst das war bereits ein sehr großes Zugeständnis der Cygner… eines, dass es vermutlich nicht gegeben hätte, wüssten sie nicht sehr gut, dass die Schiffe unserer Sicherheitsflotte in der Praxis mit imperialen Schiffen der gleichen Klasse kaum mithalten können. Vielleicht war auch ein Vorteil, dass der Korporationssektor mitnichten als Freund der Hutten oder der Black Sun gilt. So oder so – man wird zumindest von cygnischer Seite nicht sofort das Feuer auf Sie eröffnen, wenn Sie im System eintreffen. Und im Grunde hat auch das Galaktische Imperium keinen Anlass für Feindseligkeiten gegenüber Einheiten der CSA, die eine Delegation zu wirtschaftlichen Verhandlungen begleiten.“
„Ich verstehe jetzt jedenfalls, was Sie mit Chance meinten“, erwiderte Nereus leise. Er hatte mit Ga’lor über die Gefahr gesprochen, die es für ihn bedeutete, sich zu erkennen zu geben – doch welch besseren Ort konnte es dafür geben, als eine Gefechtsflotte, die von jemandem kontrolliert wurde, der einst zu seinem Vertrautenkreis gehört hatte? Nur traf das auf Elysa noch zu? Was hatten die letzten Monate und Jahre ihr abverlangt? Welche Kompromisse hatte sie eingehen müssen, um nicht von Allegious‘ Ambitionen verschlungen zu werden?
„Sie sind noch skeptisch“, stellte Moriera fest.
„Lassen Sie mich Ihnen noch etwas zeigen. Folgen Sie mir.“
Der rotuniformierte Funktionär der Korporationssektorverwaltung setzte sich in Bewegung und steuerte, mit Nereus auf den Fersen, den Übergang zu einem weiteren Frachtraum benachbart zu jenem an, der zum Schießstand umfunktioniert worden war. Dieser Frachtraum war nicht leer – doch er war auch nicht besetzt mit Frachtcontainern oder anderen Dingen, die man im Frachtraum einer Sternengaleone erwartet hätte. Stattdessen befand sich in ihm ein riesiges halbtransparentes Zelt, das Nereus spontan an ein e Art Gewächshaus erinnerte.
„Die Technologie hierfür stammt zu einem gewissen Teil von ithorianischen Herdenschiffen“, erläuterte Moriera im Plauderton, während sie sich einer Art Schleuse am Eingang des Zeltes näherten.
„Einer unserer Sponsoren trug sich mit dem Gedanken, in den entsprechenden Markt einzusteigen… letzten Endes wurden nur ein paar Feldversuche daraus. Und die Möglichkeit, selbst den Frachtraum einer Sternengaleone in ein kleines Biotop zu verwandeln.“
Kaum hatten sie die Schleuse durchquert, merkte Nereus, wie sich die Atmosphäre spürbar veränderte – es war bedeutend wärmer und die Luft feuchter, als man es vom Inneren eines Raumschiffes eigentlich erwartet hätte. Mit einem überraschten Blinzeln stellte er fest, dass er und Moriera in einer Art Waldlandschaft standen. Leises Zirpen erfüllte die Luft.
Moriera holte tief Luft und lächelte dann, was fast ein wenig entrückt wirkte.
„Sagt Ihnen der Planet Myrkr etwas, Kratas? Dieses Biotop ist seinen Wäldern nachempfunden.“
Nereus schüttelte mit dem Kopf.
„Nein.“
Abgesehen vielleicht davon, dass der Name entschieden zu wenige Vokale enthielt…
„Ein überraschend isolierter Planet, wenn man bedenkt, dass er sich im Inneren Rand befindet… gar nicht weit entfernt von Obroa-skai, zum Beispiel.“
Der Auditor-General trat an einen der Bäume und legte seine Hand an den Stamm.
„Schmuggler verstecken sich dort gerne. Der Metallgehalt der örtlichen Pflanzenlandschaft hat sich als effektiver Störmechanismus gegenüber gängigen Sensoren erwiesen. Ich glaube, formal gehört er derzeit sogar zum Imperium, aber ich bezweifle, dass man dort eine ausgewachsene Garnison etabliert hat. Oberflächlich betrachtet findet sich dort nichts von Wert.“
Moriera ließ seine Hand wieder sinken, während Nereus geduldig darauf wartete, dass sein Gesprächspartner zum Punkt kam.
„Wenn man spezielle Interessen verfolgt indes… wussten Sie, dass das Anbieten von Intergalaktischen Safaris eine recht lukrative Angelegenheit sein kann? Ob Nexu, Rancor, Kraytdrache… Individuen mit gewissen finanziellen Mitteln finden oft nur noch Abwechslung in ihrem Leben, wenn sie sich auf die Pirsch nach den gefährlichsten Raubtieren der Galaxis begeben können. Und auf Myrkr findet sich eines dieser Raubtiere – das Vornskr.“
Nereus lächelte dünn.
„Und jetzt wollen Sie mir ein mörderisches Schoßhündchen schenken, dessen Namen ich nicht einmal aussprechen kann?“
„Nein.“
Moriera lenkte seinen Blick in die Wipfel der Bäume.
„Aber Sie haben Recht – ursprünglich waren die Vornskrs in der Tat das Interessanteste an Myrkr. Die CSA war an einem Safarianbieter beteiligt, der eben auch Trips auf diese Welt anbot… und das diskret, schließlich wollte sich niemand mit dem Vorwurf der Wilderei konfrontiert sehen. Nun ja. Letzten Endes waren die Profitmargen zu mager und man überlegte, inwieweit die lokale Fauna sich wohl für pharmazeutische Experimente eignen würde. Dabei stieß man auf interessante Berichte und Theorien bezüglich der Vornskr… und ihrer Beute.“
Das stets leicht vorhandene Lächeln des Mannes wurde breiter.
„Angeblich jagen die Vornskr, indem sie eine Verbindung mit der Macht eingehen… mit deren Hilfe sie ihre Beute aufspüren. Das würde bis in die Tage der Alten Republik zurückreichende Erzählungen erklären, die besagen, dass Vornskr sich wie besessen an die Fersen machtsensitiver Individuen geheftet und diese in erbitterte Kämpfe verwickelt haben. Der zweite Teil dieser Theorie ist allerdings weitaus interessanter – so sollen Jahrtausende der Evolution der primären Beute der Vornskr einen ebenso wirkungsvollen Verteidigungsmechanismus eröffnet haben.“
Moriera winkte Nereus an einen der Bäume heran und dieser – zugegebenermaßen ein wenig fasziniert von der Geschichte und entsprechend neugierig – trat näher. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass die braune Rinde des Baumstammes nicht alles in seinem Sichtfeld war – ein schlankes, echsenartiges und ungefähr einen halben Meter langes Tier hatte sich dort eng an die Pflanze gepresst und wandte nun träge seinen vieräugigen Kopf, um die beiden Menschen zu mustern.
„Wie wehrt man sich gegen einen Feind, der die Macht kontrolliert, Admiral? Indem man eben diese Kontrolle neutralisiert.“
Der Auditor-General streckte seine Hand nach dem Tier aus und streichelte es behutsam am Kopf.
„Und genau das tun die Ysalamiri.“
[Korporationssektor, Mytus-System, Rand, Sternengaleone Precious Commodity, Frachtraum 2]- Nereus, Auditor-General Moriera