Fresia (Fre'ji-System)

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Giselle war froh, als sie aus dem unbequemen Taucheranzug heraus kam und wechselte zurück in ihren Rock und ihr luftiges Top. Über ihre Haare rieb sie nur flüchtig mit einem Handtuch und ließ sie anschießend an der Luft trocknen. Sou hatte, als sie zurück in ihr Zelt gekommen war, tief und fest geschlafen, während Zera nirgends zu sehen war. Entsprechend leise hatte Giselle sich verhalten, um ihre Mitbewohnerin nicht zu wecken. Dann war sie so schnell wie möglich zum Verwaltungszelt gegangen, um zu arbeiten. Der Generator war noch immer außer Gefecht, doch was Giselle brauchte, befand sich, wenn sie sich richtig erinnerte, irgendwo auf einer der zahlreichen Datenkarten. Sie hatte begonnen einiges zu sortieren, als sie zum ersten Mal mit Exodus die vorhandenen Akten gesichtet hatte. Giselle setzte sich auf einen der beiden Stühle und sah sich um. Neben ihr stand eine Wasserflasche, die sie sich mitgebracht hatte. In einer kleinen Box lagen die verschiedenen Datenkarten. Etwa die Hälfte von ihnen war ordentlich beschriftet. Lange dauerte es nicht, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte und schon bald war Giselle, die den Inhalt der Karten über ein Datapad abrief, damit beschäftigt, die Auflagen der Regierung zu lesen, die der Wingston Corporation erteilt worden waren, um die noch völlig unberührte Natur auf und rund um Fingers Mark zu schützen. Diesen Artikel hatte sie zuvor mit Exodus nur überflogen, doch diesmal nahm sich Giselle mehr Zeit. Es hab Regularien, die genau besagten, wie viel des vorhandenen Lumiums die Wingston Corporation abbauen durfte. Die ihr vorliegenden Unterlagen gingen von 45% per Quadratmeter aus. Durch das Einhalten dieser Werte war, laut den Behörden und dem Umweltschutzamt Fresias, die Weiterversorgung der Tiere und Pflanzen in den Tiefen des Ozeans gewährt. Lumium trug, und Giselle fragte sich, wie viele der hier beschäftigten Nautolaner dies tatsächlich wussten, in erheblichem Maße dazu bei, den Lebenszyklus unter Wasser während der Dunkelphasen zu erhalten, denn während die meisten Pflanzen auf Fresia der langen Licht- und der kurzen Dunkelphase angepasst waren, gab es einige wenige Arten, die schon nach wenigen Stunden ohne direkte Lichtquelle abstarben. Dies zu verhindern war die Aufgabe der leuchtenden Steine.

Es stand für Giselle außer Zweifel, dass sie Exodus auf ihren Fund würde aufmerksam machen würde. Es würde ihm vermutlich nicht gefallen - weniger abbauen zu können, bedeutete einen Verlust für die Firma. Sollte das Vorkommen in den aktuellen Höhlen nicht ausreichen, um die Bedarfe zu decken, würde man sich im Zweifelsfall anderorts umsehen müssen, was wieder einiges an Forschung und Kosten nach sich ziehen würde. Schweigen würde Giselle jedoch nicht. Der Stimme der Natur, die nach ihr gerufen hatte, klang in ihren Ohren. Vielleicht war das der Grund, oder zumindest einer von vielen, warum sie hier auf Fingers Mark war – um dafür zu sorgen, das erhalten blieb, was erhalten bleiben musste.

Ein Schatten legte sich über den Eingang und ließ Giselle aufsehen. Exodus' Hand schob einen Teil der zur Hälfte herab hängenden Plane zur Seite und trat durch die Zeltöffnung.


"Hallo."

Sagte Giselle und deutete auf das Datapad in ihrer Hand.

"Ich bin noch nicht weit mit den Berechnungen. Eigentlich ist es bisher erst eine grobe Schätzung. Mir fehlt das Terminal für eine genaue Simulation."

Erklärte sie und warf einen Blick auf das Chrono. Vermutlich würde bald auch die Gruppe aus Hill City zurück sein - im Idealfall mit einem Techniker an Bord.

"Dafür habe ich jedoch etwas anderes gefunden, das ich dir gerne zeigen würde."

Giselle schloss das Programm zur Berechnung der zu erwirtschafteten Mengen und lud die Datenkarte, die sie zuvor eingehend studiert hatte.

"In den Auflagen der Regierung, was die Erhaltung der Natur angeht, gibt es einen wichtigen Unterpunkt zum Abbau des Lumiums."

Sagte Giselle sachlich und hielt Exodus das Datapad mit der entsprechend markierten Textstelle hin. Sie vermied es, ihn zu lange und zu direkt anzusehen.

"Am besten liest du es selbst. Demnach müssen wir die Schichtleiter anweisen, genaue Vermessungen der Gebiete durchzuführen, um sicher zu stellen, dass wir nicht mehr Lumium abbauen, als explizit genehmigt."

Giselle griff nach ihrer Flasche und trank einen Schluck Wasser. Aus den Augenwinkeln musterte sie Exodus, dessen Augen auf das Datapad fixiert waren.

"Die erlaubte Menge an Lumium, die wir abbauen dürfen, liegt bei 45% pro Quadratmeter."

Nicht einmal die Hälfte.

"Vermutlich werden wir den Minendroide früher benötigen als gedacht, um die tiefer gelegenen Höhlen als zusätzliches Gebiet zu erschließen."

Jeden Tag hatte Giselle den Eindruck, Neues über Exodus Wingston zu lernen. Dennoch hatte sie noch immer nicht den Eindruck, ihn zu kennen. Manchmal überraschte er sie mit dem, was er tat. Er war schwierig einzuschätzen. Was sie wusste war, dass er als Vizepräsident der Wingston Corporation in erster Linie im Sinne der Firma denken musste. Selbst wenn er persönlich vielleicht sogar verstehen würde, dass es wichtig war, die Natur zu erhalten - und Giselle war nicht sicher, ob er das tat - würde er in seiner Rolle als Geschäftsmann nicht begeistert über die Neuigkeiten sein, die seine Assistentin ihm brachte. Vor allem anderen hoffte Giselle jedoch, dass er eins nicht tun möge: zu bereuen, dass er sie mit nach Palm Island gebracht hatte.

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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Verwaltungszelt | Exodus und Giselle ]

Die meisten Geschäftsführer oder Personen in Führungspositionen hatten eine ganz bestimmte und für sie typische Art auf Probleme im laufenden Betrieb zu reagieren. Viele von ihnen – oder zumindest ordnete Exodus die meisten, die er kennengelernt hatte, zu dieser Gruppe – wurden schlicht wütend. Sie beschimpften Mitarbeiter oder Kollegen und beschäftigten sich vor allem schnell und voller Eifer damit einen Sündenbock auszumachen. Natürlich konnten das nie sie selbst sein. Andere – und vermutlich zählte Bas Goarland dazu – resignierten einfach. Sie duckten sich vor den Problemen weg, zuckten mit den Schultern und überließen ihren Mitarbeitern die Lösung. Ein überforderter Chef ohne Selbstbewusstsein und Optimismus stellte allerdings ein denkbar schlechtes Vorbild zum professionellen Umgang mit Problemen dar und so war nicht zwangsläufig zu erwarten, dass die Mitarbeiter es besser machten. Und dann gab es noch eine weitere Gruppe, die Exodus am besten gefiel: Diejenigen, die sich nicht in Emotionaliät verloren und schlicht ausblendeten, was die neuen Hindernisse möglicherweise für Auswirkungen haben konnten, und sich dann rational und neutral mit der Problemlösung beschäftigen. Exodus Wingston gehörte zu letzteren Vorgesetzten. Entsprechend fiel seine Reaktion aus.
Seine Augen wanderten ruhig von Zeile zu Zeile des Textes, den Giselle ihm auf dem Datapad gereicht hatte. Es stimmte, was sie sagte: Nur 45% des Lumiums durften sie pro Quadratmeter abbauen. Das bedeutete eine noch genauere Anweisung der Nautolaner, stärkere Eigenkontrollen und – vor allem – weniger Lumium für die Wingston Corporation. Sie mussten früher in die tieferen Gebiete vordringen und dafür wiederum brauchten sie den Minendroiden. Der allerdings war beim Sturm so stark demoliert worden, dass er derzeit nicht zu gebrauchen war. Schönes Schlamassel.


„Okay.“

sagte Exodus schließlich in neutral gefasstem Tonfall.

„Wie du schon festgestellt hast: Wir müssen etwas umdisponieren.“

Er beäugte Giselle nachdenklich. Sie hatten die Auflagen der Regierung schon gemeinsam durchgesehen und sich danach nicht weiter damit beschäftigt. War sie jetzt zufällig bei ihren Berechnungen darauf gestoßen oder hatte sie bewusst noch einmal nachsehen wollen und festgestellt, dass die Wingston Corporation sich möglicherweise nicht an die Vorgaben hielt?

„Du kannst die Schulung der Schichtleichter durchführen – heute Abend vielleicht schon. Allzu lange sollte das ganze nicht dauern, Prozentrechnung werdem sie wohl können. Vielleicht sollten wir auch jemanden aussuchen, irgendwen, der sich bei diesem Thema besonders hervortut, der eine genauere Kontrolle unter Wasser durchführt und vom Abbau selbst befreit wird.“

Damit hatte er die neue Aufgabe erst einmal an seine Assistentin delegiert. Und was tat er?

„Ich werde mich dem Techniker annehmen, den die Jungs hoffentlich von Hill City mitbringen. Im Zweifelsfall müssen wir ihn für ein paar Tage hier unterbringen und mit entsprechend hohen Zusatzzahlungen locken, damit er sich auch noch unseren Minendroiden ansieht.“

Exodus sah sie offen an. Ruhig, sachlich und gelassen. Nicht besonders glücklich, aber auch nicht wütend. Wieso sollte er auch wütend sein? In früheren Zeiten hatte er seine Wut stets ausgelebt und rückblickend betrachtet war nicht viel Gutes dabei rausgekommen. Er war wütend gewesen für mehrere Leben – und wenn dieses hier sein zweites war, so reichte der Vorschuss aus seinem früheren Leben immer noch an.
Außerdem war es nicht so, das Exodus und die Wingston Corporation im Allgemeinen dringend auf große Gewinne angewiesen waren. Eine geringere Lumium-Ausbeute war ärgerlich, aber kein Weltuntergang. Wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt das Unternehmen verkaufen würden, könnten sie von dem erwirtschafteten Vermögen durchaus gut leben. Nicht im Überfluss und Luxus vielleicht, aber im Grunde hatten sie genug, um sich nicht beschweren zu können.


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Seine Reaktion zeigte keinerlei Anzeichen darüber, was er von Giselles neuer Entdeckung hielt. Exodus verlor keine Zeit damit, Fragen zu stellen oder sich zu ärgern. Stattdessen fügte er sich in die Dinge, wie sie nun einmal waren, um daraus noch immer das Beste zu machen. Giselle nahm das Datapad zurück, das er ihr wieder gab, und schaltete es aus.

“Verstanden.“

Sagte sie, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, wie sie weiter vorgehen würden. Einen Moment lang fühlte sie sich an Bord der „Warblade“ zurück versetzt, doch dieser Eindruck verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war. Im Grunde war nichts hier vergleichbar mit der Atmosphäre und den Gegebenenheiten auf dem großen Mon Calamari Kreuzer, auf dem sie gedient hatte. Giselle griff nach einer neuen Datakarte, auf der die Personalliste abgespeichert waren und rief deren Inhalt auf, um sich die Namen der Schichtleiter anzusehen.

“Ich werde die entsprechenden Personen heute noch informieren.“

Bestätigte sie, was Exodus ihr bereits aufgetragen hatte und schlug dann vor:

“Zusätzlich wäre eine schriftliche Arbeitsanweisung im Sinne der Firma, gegenenfalls sogar von den Mitarbeitern gegengezeichnet - als Absicherung für den Fall, dass wir von der Regierung wegen nicht Einhaltens der Auflagen belangt werden. Ich könnte etwas formulieren und dir später vorlegen.“

Giselle erhob sich. Vor dem nächsten Schichtwechsel war es ratsam, die Verantwortlichen, die in Kürze unter Wasser gingen, noch einzuweisen.

“Wenn du also nichts dagegen hast, mache ich mich direkt auf den Weg.“

Fragend schaute sie Exodus an. Sie hatte kein schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Giselle Givenchy hatte getan, was ihre Pflicht war. Sie hatte die Auflagen der Regierung wiederholt gelesen und sorgte nun dafür, dass sie berücksichtigt wurden. Damit handelte sie im Interesse der Firma, denn andernfalls war es möglich, dass sie Probleme bekommen würden. Giselle war froh, so argumentieren zu können, denn in ihrem Innersten wusste sie, dass dies nur die halbe Wahrheit war. Ihre Loyalität galt in diesem Fall nicht der Wingston Corporation, sondern der Natur. Giselle handelte im Interesse von Fingers Mark. Was sie nicht wusste war, ob Exodus Wingston dies ahnte oder nicht.

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„Gute Idee.“

bekundete Exodus zu dem Vorschlag seiner Assistentin, eine schriftliche Arbeitsanweisung zu formulieren, die von der Crew gegengezeichnet werden musste – als Absicherung gegenüber der Regierung und zum Ncahweis, dass sie die Vorgaben gewissenhaft erfüllten. Ihr Motiv durchschaute er immer noch nicht ganz. War es wirklich die Sorge um die Wingston Corporation? Er hatte Giselle als, was ihre Arbeit betraf, sehr pflicht- und verantwortungsbewusst kennengelernt und in dieser Hinsicht passte es durchaus ins Bild, dass sie genau darauf achtete, Schaden und Ärger vom Unternehmen fern zu halten. Andererseits waren die Erlebnisse bei Big Pearl möglicherweise nicht ganz so spurlos an ihr vorbeigegangen, wie sie nach außen hin ausstrahlte. Die Vahla war schon früher hier auf Fingers Mark gewesen und hatte ihm mehrmals von der Schönheit der Inseln vorgeschwärmt. Vielleicht romantisierte sie diese leuchtenden Steine etwas zu sehr und war deshalb der Meinung, man solle nicht allzu viel abbauen und die Natur lieber schützen. Allerdings war sie in ihrem Hinweis sehr neutral geblieben – von großen Emotionen diesbezüglich keine Spur. Sie blieb in dieser Hinsicht rätselhaft.

„Nein, ich habe nichts dagegen.“

bestätigte er ihren Wunsch, sich direkt auf den Weg zu machen. Damit war der Arbeitsplan für den restlichen Tag ziemlich klar umrissen. Giselle verließ das Verwaltungszelt, um sich ihrer neuen Aufgaben anzunehmen, Exodus hingegen blieb noch eine Weile dort, um sich die Regierungsbestimmungen ebenfalls in Gänze durchzulesen. Aber es blieb dabei: Giselle hatte Recht, nichts zu rütteln. Sie mussten die erwarteten Lumium-Zahlen eindeutig nach unten korrigieren.

Nur eine halbe Stunde später bekam Exodus via Com die Meldung von Dan’el, das sie mit Lebensmitteln und einem Techniker wieder zurück in der Bucht von Fingers Mark waren. Exodus stellte ein Nautolaner-Duo ab, um die Lebensmittel in Empfang zu nehmen, da Dan’el sofort wieder in Richtung Hill City fahren wollte. Der Gleiter war schlicht nicht groß genug um alle Einkäufe in einer Fahrt nach Fingers Mark zu transportieren. Exodus selbst nahm sich dem Techniker an, einem untersetzten älteren Menschen, mit wenigen grauen Haaren, der aber offenbar auf einige Erfahrung zurückblicken konnte. Kubard, so hieß der Mann, war ein merkwürdiger Geselle, denn er überraschte Exodus mal mit Witzen, über die er spontan selbst in lautes Lachen ausbrach, und mal legte er grummlerische schlechte Laune an den Tag. Es blieb dem Projektleiter aber nichts anderes übrig als Kubard die meiste Zeit des Nachmittags zu begleiten, denn der Techniker hatte viele Sonderwünsche, was die Reperaturarbeiten betraf – und Exodus war gewillt ihm, in der Hoffnung die Erfolgschancen damit zu erhöhen, diese auch zu erfüllen. Zudem hatte Kubard einige Fragen zum Aufbau des Stromnetzes im Camp, auch wenn Exodus sich unsicher war, wofür er diese Informationen überhaupt benötigte. Zu seinem eigenen Ärger konnte der Vize-Präsident nicht alle Fragen auf Anhieb beantworten und musste innerhalb der Crew nach Fachkundigen suchen. Zu allem Übel verzögerten sich die Reperaturarbeiten weiter, als Kubard feststellte, dass ihm Ersatzteile fehlten, die wiederum Dan’el und die anderen aus Hill City mitbringen mussten. So wurden aus zwei Fahrten zum Festland bis zum Abend schließlich drei und das, obwohl Kubard den Minendroiden noch nicht einmal angefasst hatte. Es blieb der Wingston Corporation nicht viel anderes übrig, als Kubard für die Nacht einzuladen, damit er sich am nächsten Tag um den Droiden kümmern und die Arbeiten am Generator erfolgreich beenden konnte.

Das Stromnetz stand erst wieder am Mittag des nächsten Tages, was immerhin für allgemeine Freunde unter der Crew sorgte. Kubard war verhältnismäßig spät aufgestanden, hatte danach aber schnelle Erfolge erzielt und sich sogar mit den Ersatzteilen aus Hill City zufrieden gezeigt. Für die Reperatur des Minendroiden benötigte er allerdings weiteres Material, was er erst jetzt feststellte, und so musste Jost Fleetfire den Weg nach Hill City antreten, da Dan’el die Fahrt in Richtung Big Pearl übernommen hatte. Erst am frühen Abend war Kubard komplett fertig und ließ sich von Jost Fleetfire zurück zum Festland fahren. Exodus hatte auch den zweiten Tag damit verbracht, viel für den Techniker zu organisieren und sich zwischendurch mehr wie ein Laufbursche, denn ein Geschäftsführer gefühlt. Zu allem Übel hatte es nachmittags noch einen lautstarken Streit zwischen zwei männlichen Nautolanern gegeben, der das Camp in Aufruhr versetzt und auch Exodus beansprucht, bei Kubard allerdings für große Freude gesorgt hatte. Offenbar waren Eifersüchteleien der Auslöser gewesen. Die beiden Männer hatten Interesse an Giselles Mitbewohnerin Sou gezeigt – nur wer sie bekommen sollte, darüber waren sie sich weniger einig gewesen.

Was die Vahla selbst betraf: Immer wenn Exodus Giselle begegnet war, hatte er versucht, zumindest einen kurzen Small-Talk anzubringen, sie an der Schulter oder am Arm zu berühren oder ihr ein neckisches Grinsen zuzuwerfen. Jede dieser Berührungen löste noch immer das wohlige Kribbeln in ihm aus und schürte das Verlangen nach ihr. Diese Momente waren – trotz ihrer Kürze – die Highlights des zur Neige gehenden Tages gewesen. Zumindest bisher: Kubard war weg und Exodus damit wieder von seiner Rolle als Kindermädchen befreit.


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Die Schichtleiter waren schnell geschult und auch wenn sie keine Begeisterung über die Reglementierungen zeigten, die Giselle ihnen nahe brachte, hatte Giselle den Eindruck, dass sie verstanden hatten, worum es ging, und dass es wichtig war, sehr genau zu arbeiten. Natürlich bedeutete es zusätzlichen Aufwand für alle Arbeiter, auf die abzubauende Menge des Lumiums zu achten, doch dafür wurden sie, am Ende des Tages, schließlich bezahlt. Giselle war zufrieden damit, dass sie etwas in dieser Richtung hatte tun können. Sie hätte sich nicht gut dabei gefühlt, tatenlos zuzusehen, wie man den Ozean aller Vorräte an Lumium beraubte. Das war nichts, was sie unterstützen konnte. Gleichzeitig hatte sie nicht das Gefühl, ihren Arbeitgeber betrogen zu haben, ganz im Gegenteil. Sie war nicht diejenige, die die Regeln gemacht hatte, auch wenn sie sie aus tiefstem Herzen unterstützte. Giselle sorgte lediglich dafür, dass sich die Wingston Corporation an die Auflagen der Regierung hielt, um sich später nicht einer kostspieligen und Image schädigenden Klage ausgeliefert zu sehen. Exodus verbrachte, wie angekündigt, viel Zeit mit dem Techniker aus Hill City und Giselle sah ihn nur ab und zu. Sie selbst hatte nicht viel zu tun, kümmerte sich zwischendurch um die Verbuchung einiger Rechnungen, die Da'nel und Jak aus Hill City mit gebracht hatten und wertete, sobald sie wieder über Strom verfügten, die Stundenzettel der Arbeiter aus. Zwischendurch hatte sie einen Entwurf der neu in Kraft tretenden Arbeitsanweisung aufgesetzt, die sie, nach Rücksprache mit Exodus, auch gleich von allen hatte unterzeichnen lassen. Eine Besonderheit ihres Jobs war, dass sie nach Aufwand arbeitete. Sie saß nicht etwa, wie viele andere Angestellte, eine bestimmte Anzahl von Stunden an ihrem Arbeitsplatz, sondern arbeitete nur dann, wenn es etwas zu erledigen gab. Gab es nichts zu tun, nutzte sie dies als freie Zeit. Flexibel musste sie sein, hatte Exodus ihr bei ihrer ersten Begegnung gesagt. Flexibel waren Giselle und ihr Job gleichermaßen.

Giselle nutzte die freien Phasen der nächsten vier Tage, um sich in den Dschungel zurück zu ziehen, wo sie alleine lange Sparziergänge unternahm und die Gegend erkundete. Beinahe überall gab es etwas Neues zu entdecken. Der intensive, süßliche Geruch blassbläulicher Gräser, die im Unterholz wuchsen, erinnerte sie an einen guten Wein, den sie einmal auf Alderaan getrunken hatte. Seinen Namen hatte sie längst vergessen, doch der liebliche Duft war ihr immer in Erinnerung geblieben. In den Überresten eines hohlen Baumstamms fand Giselle das Nest einer Nagetierfamilie, die gerade Junge bekommen hatte und auf einem heißen Stein in der prallen Sonne sonnte sie sich, es einer Eidechse gleich tuend, die für eine Weile starr neben ihr hockte, um sich dann geschwind zwischen den Felsen zu verstecken. Der Himmel zeigte wieder das tiefe Blau, das man von Fresia gewohnt war. Die Sonne war zurück und die Wolken dorthin zurück gekehrt, wo sie warten würden, bis es wieder an der Zeit für sie war, dem Planeten seine wohlverdiente Abkühlung zu verschaffen. Mit der Sonne waren leider auch die Mücken aufgetaucht. Die Regenphase war eine beliebte Zeit für die kleinen Insekten, in rekordverdächtigen Zahlen Eier abzulegen, aus denen schon nach wenigen Tagen tausende und abertausende, wenn nicht sogar Millionen neuer Mücken schlüpften. Giselles Beine waren übersäht mit Stichen und sie hatte ihren Körper von oben bis unten eingerieben mit Zitronensaft und geschmolzenem Zucker. Wenn sie sich von den anderen entfernte, führte es sie jedoch nicht jedes Mal tief in den Dschungel. Seit ihrem gemeinsamen Tauchgang mit Exodus, nach dem er ihr das leuchtende Gestein überlassen hatte, das er eigenhändig aus den Tiefen des Meeres mitgebracht hatte, war Giselle noch einer anderen Tätigkeit nachgegangen, von der lediglich Niko wusste. Sie hatte lange überlegt, wie sie Exodus ihren Dank erweisen konnte. Seit er sie bei den Klippen aus dem Wasser gezogen hatte, schuldete sie ihm noch etwas. Bei den Vahla war es üblich, sich mit dem Austausch von Geschenken gegenseitig Respekt zu erweisen. Ein guter Gastgeber ließ seinen Gast von allen Speisen, die er in seinem Heim vorrätig hatte, kosten. Ein guter Gast kam nie mit leeren Händen. Jemand der Hilfe erhielt, bedankte sich mit dem, was er hatte und ein Mann, der ein Mädchen zu seiner Frau nahm, erwies ihrem Vater im Gegenzug seinen Respekt, indem er ihm und der großen Göttin ein Opfer brachte. Eines der wertvollsten Geschenke, das sich nicht an Materiellem messen ließ, war Sex. Große Hilfeleistungen wurden mit körperlicher Ergebenheit belohnt und Giselle war diese Tradition nicht fremd. Exodus Wingston, so wusste sie, hätte diese Ergebenheit von ihr verdient, doch sie wusste auch, dass sie sie ihm nicht gewähren durfte. Exodus war verheiratet, das hatte er ihr gesagt. Er besaß Familie und wenn einer wusste, was es anrichten konnte, seinen Partner zu betrügen, dann war das Giselle.

Sie konnte ihm nicht danken, wie sie es getan hätte, wie es bei den Vahla üblich war, doch der leuchtende Stein hatte sie schließlich auf eine andere Idee gebracht. Giselle hatte begonnen ihn zu bearbeiten, was nicht leicht war. Niko hatte ihr geholfen, ein kleines Stück aus dem größeren Gesteinsbrocken heraus zu schlagen und dieses Stück hatte sie geschliffen, bis die Ecken und Kanten verschwunden waren. Eine kleine, rundliche Scheibe lag in ihrer Handfläche und leuchtete schwach wenn sie die andere Hand darüber legte um eine dunkle Umgebung zu mimen. Dort hinein hatte sie ein Zeichen geritzt, das wie ein beliebiges Muster erschien, tatsächlich aber das Wort „Schutz“ in der Sprache der Vahla bildete. Die Veredelung des Steins war nicht einfach und forderte eine sehr genaue Arbeit. Giselle war froh, dass die Wunde an ihrer Hand, die sie sich im Wald zugezogen hatte, als sie dort im Regen auf Exodus getroffen war, dank eines intensiven Bactapflasters bereits verheilt war. Andernfalls wäre es ihr schwer gefallen, die entsprechenden Werkzeuge so fest und sicher in ihren Händen zu halten. So aber hatte sie fertigen können, was sie im Sinn gehabt hatte und war, nicht zuletzt dank Nikos Hilfe, ohne den sie es niemals fertig gebracht hätte, ein kleines Stück des Lumiums für ihre Zwecke aus dem größeren Brocken heraus zu hauen, nach einigen langen Stunden, die sie, verteilt über mehrere Tage hinweg, immer wieder dazu genutzt hatte, so gut wie fertig geworden. Es fehlte nur noch eine Kleinigkeit. Giselles Blick richtete sich zum Himmel, als ein Schwarm Vögel an ihr vorüber zog und schnatternd den Abend ankündigte. Wieder war ein Tag auf Palm Island vergangen und noch immer hatte sie das Gefühl, dass das wahre Abenteuer dieser Insel sie erst noch heraus fordern würde.


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„Hast du den Kindern schon von der Trennung erzählt?“

Alad Wingston hatte seine stumme Aufforderung bewusst missachtet. Er hatte in seiner Com-Nachricht nicht den von Exodus eingeschlagenen Weg berücktsichtigt und nur über die Arbeit berichtet. In Exodus‘ eigener Nachricht hatte wenig über ihn selbst gestanden und das war eine indirekte Aufforderung gewesen, nicht groß darüber zu sprechen. Nicht zu fragen, wie es ihm ging und ob er an Yuna dachte. Trotzdem war sein Vater auf die private Situation der Familie eingegangen. Und Exodus dadurch aus allen Wolken gefallen.
Hatte er den Kindern schon von der Trennung erzählt? Nein, hatte er nicht. Wieso auch? Er war bisher davon ausgegangen, Yuna hätte sich darum gekümmert und es ihnen gesagt. Offensichtlich war sie dieser Pflicht nachgekommen. Für Exodus gab es mehrere Gründe, die dagegen gesprochen hatten, sich diesbezüglich nicht bei den Kindern zu melden – oder besser: Die ihn davon ausgehen hatten lassen, dass dieses Gespräch nicht in seiner Verantwortung lag. Nummer eins: Yuna hatte ein viel besseres Verhältnis zu den beiden, gerade zu Adrian, dem momentan einzig erreichbaren Zwilling. Sie stand in häufigem Kontakt zu ihm, zumindest soweit Exodus wusste. Es wäre ihr ein leichtes gewesen, die neuen Umstände zu erklären. Eigentlich sogar unvermeidlich. Sie wohnte nicht mehr im Wingston-Penthouse. Wie konnte sie ihm das verschweigen?
Nummer zwei seiner Gründe: Yuna hatte sich von ihm getrennt. Nicht andersherum, geschweige denn einvernehmlich. Sie war es gewesen, die ihm die kalte Schulter gezeigt hatte. Manch einer mochte sie verstehen und auch Exodus tendierte in melancholischen Momenten dazu, ihr zuzustimmen und sich selbst die Schuld für die Trennung zuzuschieben. De facto hatte aber sie den Schlussstrich gezogen. Wenn er sich jetzt bei Adrian meldete und verkündete, Yuna habe ihn verlassen, wie wirkte das dann? Sah das nicht aus, als wollte er seinen Sohn mit unlauteren Mitteln auf seine Seite ziehen und bei ihm für Sympathie zu werben? Und trotzdem: Sein Vater sah ihn in der Pflicht sich zu melden. Die Dinge zu erklären. Sich erwachsen zu verhalten.

Das kleine Com-Gerät wanderte nervös zwischen seinen Händen hin und her, während seine Füße ihn langsam zum Strand trugen. Eine Nachricht an seinen Sohn – das hatte er schon länger nicht mehr gemacht und nie wusste er, wie er es richtig anstellen sollte. Gerade dieses Thema stellte ihn vor eine besonders hohe Hürde. Adrian war erwachsen, er kannte solche Situationen oder zumindest konnte er sie sich vorstellen. Er hatte ebenfalls schon eine Trennung hinter sich, von seiner ersten Teenager-Freundin. Das war zwar nicht genau dasselbe, aber sein Sohn wusste, anders als ein Kleinkind, wieso zwei Menschen einander verließen. Wie ging er das Thema also richtig an? Ganz lässig, seinen Sohn bewusst als Erwachsenen wahrnehmend? Oder doch auf die einfühlsame, erklärende Art und Weise, weil es ihn eben doch mitnehmen konnte? War es ihm vielleicht schlussendlich egal, ob Exodus und Yuna zusammen waren – oder würde er sich sogar darüber freuen? Die ganze Beziehung zu Adrian war kompliziert und Exodus fühlte sich dem nicht immer gewachsen. Als er seinen Sohn damals in den unteren Ebenen von Coruscant gesucht und auf ChesaraSyonette getroffen war, hatte Adrian nicht mit ihm sprechen wollen. Wie sah das jetzt aus? Würde er überhaupt eine Antwort auf seine Nachricht bekommen?
Fest stand: Er musste diese Nachricht schreiben. Er musste es tun, weil ihn sein Vater darum gebeten hatte und weil es richtig war.

Das Meer empfing ihn mit gemächlichem Rauschen. Der Himmel strahlte blau und wirkte damit optimistischer, als Exodus sich fühlte. Nur die Mücken, die sich auf Fingers Mark breit gemacht hatten, und penetrant um Exodus herum summten, entsprachen seinem Gemütszustand. Irgendwie … unruhig. Ohne genau zu wissen warum, hatte er die kleine Steinformation, die den breiten Strand des Camps von dem kleinen abgeschiedenen Teil trennten, als Ziel angepeilt. Vielleicht lag es auch nur daran, dass dort ein natürliches Hindernis in seinem Weg lag. Er konnte nicht ewig laufen und das Comlink unentschlossen von der linken in die rechte Hand legen um wieder und wieder sein Gewicht zu wiegen. Also kletterte er, das Gerät zum ersten Mal in die die Hosentasche schiebend, die Steinformation hinauf. Sie war nicht hoch, viel mehr eine große breite Fläche, auf der man sich niederlassen konnte. Der Wind pfiff ihm um die Ohren und machte es den Mücken schwer, ihn weiter zu verfolgen. Es tat gut, die frische Luft einzuatmen. Einfach hier zu sitzen. Der Ozean vor ihm und die Insel in seinem Rücken. Exodus rutschte weiter auf den Steinen nach vorne, bis seine Beine frei über dem Wasser baumelten. Es war nicht besonders tief, maximal zwei Meter, und trotzdem wurde ihm flau im Magen. Das Comlink hatte er aus der Tasche gezogen und hielt es in beiden Händen. Es zeigte ihm auffordernd einen blinkenden Strich im leeren Textfeld. Schreib hier hin, sagte es ihm, schreib deine Nachricht. Doch was sollte er schreiben? Ja, was sollte er nur schreiben? Langsam tippten seine Finger auf das Touchpad. „Hallo Adrian“ – nein. „Lieber Adrian“ – zu persönlich. „Hey“ – zu simpel. Also doch: „Hallo Adrian …“

Nur wie weiter? Exodus starrte auf das Display und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er hasste diese Momente, die ihm sein Scheitern brutal vor Augen führten. Seine Beziehung zu Adrian war nicht gut und das war seine Schuld. Er sah hinaus auf den optimistisch blauen Himmel und sein Spiegelbild auf dem Ozean. Yuna hatte ihm keine weitere Chance gegeben. Gewährte Adrian sie ihm dennoch? Er war sein Sohn. Im Gegensatz zu Yuna war Adrian sein Fleisch und Blut. Sie würden immer verbunden sein. Wieder blickte er hinab zu dem auffordernden Blinken des Comlinks, minutenlang, wie ihm erschien. Für seinen Sohn waren nur die besten Worte gut genug – nur welche waren das?


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Qing'dao hatte ihr geschrieben. Es war das erste Mal seit Monaten, dass Giselle von ihr gehört hatte. Sie standen lose in Kontakt, schrieben sich hin und wieder doch inzwischen hatte Qing'dao sich so lange nicht gemeldet, dass Giselle begonnen hatte sich Sorgen zu machen. Jetzt, endlich, hatte sie eine neue Nachricht erhalten. „Wirst du es wieder tun?“, hatte Qingdao gefragt. Seit über zehn Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen, doch ihre Schwester kannte sie noch immer sehr gut. Giselle hatte geschmunzelt, denn sie hatte gewusst, worauf sich diese Frage bezog, noch ehe sie weiter gelesen hatte. Ja, sie würde es wieder tun. Sie würde noch einmal zu den Klippen gehen und sich hinunter in die Fluten stürzen, irgendwann, wenn es windstill genug war und das Meer so ruhig, das man auf seinen Wellen ein Kind in den Schlaf wiegen konnte. Giselle hatte den Sprung genossen, jede Sekunde während ihres freien Falles, während sie das Gefühl hatte zu fliegen. Das Wasser war eiskalt gewesen, hatte sie eingeschlossen und hätte ihr jede Flucht verwehrt, wäre Exodus Wingston nicht gewesen. Exodus. Giselle lächelte, ohne dass sie es bemerkte, während sie sich ihren Weg über unebenes Gelände hinweg bahnte, zurück Richtung Camp. Sie war früher schon so gewesen und Qing'dao wusste es: Giselle liebte das Risiko und das Gefühl, wenn das Adrenalin heiß durch ihren Körper strömte - ein Sprung in die Tiefe, eine Begegnung mit wilden Tieren oder ein Balanceakt auf einer schlecht befestigten Hängebrücke. Dies waren die Dinge, die Giselle heraus forderten und die sie genoss. Sie erinnerte sich, dass sie früher oft mit der vernünftigten Qing'dao aneinander geraten war. Manchmal hatten sie tagelang nicht miteinander gesprochen. Seltsam, dachte Giselle, wie sich die Zeit und die Galaxis auf sehr einvernehmliche Art und Weise drehten. Heute wünschte sie, sie hätte öfter Gelegenheit, sich mit ihrer Schwester auszutauschen. Oft wurde einem erst, wenn man etwas verloren hatte, bewusst, wie wertvoll es wirklich gewesen war.

Giselle näherte sich Exodus' Hütte. Sie musste es auf gut Gück dort versuchen, aber vermutlich würde er dort sein. Er war nur selten Teil des gemütlichen Beisammenseins in der Mitte des Lagers und sie konnte verstehen warum. Die Stimmung, so locker sie vorher auch gewesen sein mochte, wandelte sich immer zu einem steifen Austausch von Höflichkeiten, wenn er sich seinen Mitarbeitern anschloss. Dies lag jedoch nicht an ihm persönlich. Es waren sein Titel und seine Rolle in der Wingston Corporation, die ihn von den anderen trennten. Er war der Chef und eines Tages würde er die Firma übernehmen. Dass zwischen ihm und den Nautolanern eine natürliche Grenze gezogen worden war, war nicht anders zu erwarten gewesen.


“Mr. Wingston ist nicht da.“

Giselle drehte sich um, als eine Stimme in ihre Richtung rief, noch ehe sie ganz bei der Holzhütte, die ein Stück abseits der restlichen Zelte stand, angekommen war. Es war Dan'el, der sie sich nähern gesehen hatte. Giselle machte zwei Schritte zurück.

“Wissen Sie, wo er ist?“

Fragte sie zurück und der Pilot deutete hinunter in Richtung Strand.

“Er ist da lang gelaufen.“

Antwortete Dan'el.

“Aber er sah nicht so aus, als wollte er Gesellschaft.“

Er zuckte mit den Schultern und Giselle schürzte nachdenklich die Lippen. Sie kannte das Gefühl, allein sein zu wollen und die Abgeschiedenheit zu suchen. Sie bezeichnete sich als gesellig, doch hin und wieder brauchte sie Zeit für sich. Möglicherweise ging es Exodus ähnlich. Dennoch, sie konnte ihn suchen und wenn er alleine sein wollte, konnte er sie fort schicken. Giselle hatte Verständnis dafür und wäre ihm nicht böse darum.

“Ich versuche mein Glück.“

Sagte sie zu Dan'el und schlenderte an der Hütte vorbei in Richtung Strand. Die Sonne stand hoch am Himmel und Giselle duckte sich unter einem Schwarm von Mücken hinweg. Ihr weißer, bodenlanger Rock schleifte bei jedem Schritt über den Sand und hatte an den Rändern bereits eine leicht bräunliche Färbung angenommen. In ihrer Armbeuge baumelte eine leichte Stofftasche in Flickenoptik, der sie das Geschenke für Exodus aufbewahrte. Giselle hatte die Tasche auf einem Markt auf Alderaan erworben. Sie hatte nur ein paar Credits gekostet, doch Giselle liebte sie für ihr sorgloses, unzusammenhängendes Muster, dessen Flicken so willkürlich aneinander gesetzt worden waren, als wollte es deutlich machen, dass es jeder Regel trotzte.

Sie sah Exodus nicht sofort. Seine Silhouette verschmolz aus der Ferne beinahe mit den Felsen. Erst als sie näher kam, konnte sie ihn erkennen. Er saß dort, wo sie an ihrem ersten gemeinsamen Abend auf der Insel über die Steine geklettert waren, direkt über dem Wasser. Unschlüssig blieb Giselle stehen. Exodus wirkte gedankenverloren. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihn zu stören. Bereits im Begriff umzukehren sah sie, wie sich sein Kopf in ihre Richtung drehte. Er hatte sie gesehen. Nun gab es kein Zurück mehr, jedenfalls nicht ohne ihn kurz anzusprechen. Zögerlich näherte sich Giselle den Felsen, raffte ihren Rock, kletterte einen der größeren Steine hinauf und überbrückte dann die unebene Fläche, bis sie Exodus erreicht hatte.


“Ein schöner Ort, um die Ruhe zu genießen.“

Sagte sie statt einer Begrüßung und schaute hinaus aufs Meer, bevor sie vorsichtig ihren Blick auf Exodus richtete, ihn schräg von der Seite ansehend, noch immer neben ihm stehend.

“Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“

Fragte sie vorsichtig.

“Ich war nicht sicher, ob du alleine sein möchtest.“

Erst jetzt fiel ihr das Komlink in seiner Hand auf. Hatte auch er eine Nachricht von seiner Familie erhalten, so wie sie? Es versetzte Giselle einen kleinen Stich, als sie diesen Gedanken dachte. Exodus hatte Glück. Ihm verbot zumindest niemand, mit seiner Familie zu sprechen, wann immer er wollte.

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Giselles Aura war ihm mittlerweile so vertraut, wie der salzige Geruch des Ozeans von Fresia. Unterbewusst waren seine Machtsinne darauf eingestellt, die Vahla zu erspüren, immer in Stellung, ganz so als warteten sie nur darauf, dass sie sich in Exodus‘ Nähe begab. Er selbst konnte nicht sagen, wovon dieser Trieb eigentlich kam, diese ständige Anspannung und Erwartung, ihre Aura wieder mit seinen Sinnen zu streicheln – doch hatte es zur Folge, dass Exodus in der Sekunde ihres ersten Schrittes in den seidigen Sand des Strandes von ihrer Anwesenheit wusste. Einige Momente später war er sich zudem sicher: Sie war auf dem Weg zu ihm. Unwillkürlich blickte er von seinem Comlink auf und zu ihr hinüber. Viel geschrieben hatte er noch nicht. „Hallo Adrian“ stand dort und neben dem letzten Buchstaben blinkte abwartend ein kleiner Cursor. Was seine Assistentin wohl wollte? Sie hatten die letzten Tage nur wenig Zeit gehabt, sich über privates auszutauschen. Der Anlass der meisten – und dann auch eher kurzen – Gespräche waren Koordination und Organisation ihrer Arbeit gewesen. Vermutlich ging ihr jetziges Anliegen in dieselbe Richtung.

Giselle kletterte elegant die kleinen Felsen hoch, die sie gemeinsam ausfindig gemacht hatten – diesmal allerdings, ohne dass Exodus ihr seine Hand reichen konnte – und schloss zu seinem Platz auf. Er lächelte ihr entgegen.


„Ja, ein schöner Ort.“

Sie rückte nicht sofort mit ihrem Anliegen heraus, sondern fragte stattdessen höflich, ob sie sich setzen dürfe. Wieder Komplikationen? Größere Probleme? Exodus blickte nachdenklich auf das Comlink, schloss das Nachrichtenfenster aber noch nicht, sondern hielt es weiterhin fest in beiden Händen.

„Du kannst dich gerne setzen.“

Seine Lippen formten weiterhin ein Lächeln. In Gedanken noch bei der Nachricht an Adrian, bekam es allerdings einen traurigen Zug.

„Ich brauchte nur mal einen Moment – zum Verfassen einer Nachricht.“

erklärte er ihr knapp und hielt das kleine Gerät kurz hoch, um es dann wieder zwischen seinen Handflächen verschwinden zu lassen. Dann sah er sie offen an.

„Was kann ich für dich tun?“

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Obwohl er sie freundlich ansah, hatte Giselle das Gefühl, dass Exodus etwas beschäftigte. Er wirkte nicht wie sonst und sein Lächeln erinnerte an das unsichere Flackern einer Kerze, deren Flamme von einem Windhauch, und sei er noch so leise, ausgelöscht zu werden drohte. Die Vahla setzte sich neben ihn, das linke Bein angewinkelt unter ihrem Rock, der sich wie ein Plaid über dem Stein, auf dem sie saß, ausbreitete. Das rechte Bein ließ sie über den Rand der Felsen baumeln, so wie auch Exodus es tat. Unter ihr lockte das Meer. Sie saßen nicht hoch und ihre Füße wurden berührt vom Spritzwasser der Wellen.

“Ich bin eigentlich nur gekommen, um dir etwas Gesellschaft zu leisten.“

Sagte Giselle, weil Exodus nach ihrem Anliegen gefragt hatte.

“Und, weil ich ein Geschenk für dich habe.“

Giselle zog ihre Tasche auf ihren Schoß und der lange Riemen, an dem sie sie getragen hatte, rutschte von ihrer Schulter. Qing'dao hatte in ihrer Nachricht nach Morten gefragt und wann Giselle das letzte Mal von ihm gehört hatte. Giselle hatte ihr nicht erzählt, dass sie auf seinen Rat hin den Dienst bei der Flotte quittiert hatte. Sie glaubte nicht, dass ihre Schwester es verstanden hätte. Stattdessen hatte sie ihr von Exodus erzählt. „Es ist schön, dass du wieder jemanden kennen gelernt hast.“, hatte Qing'daos Antwort gelautet. „Ich wünsche mir für dich, dass es diesmal hält.“ Über diese Worte hatte Giselle schmunzeln müssen. Sie hatte lediglich in ein paar Sätzen über Exodus geschrieben und geschildert, dass sie für ihn arbeitete und von Glück reden konnte, dass er sie aus den Fluten gerettet hatte, nachdem sie von den Klippen gesprungen waren. Qing'dao hatte daraus sofort eine Liebesgeschichte gemacht. Aber lag sie denn so verkehrt? Giselle fischte das kleine Paket aus ihrer Tasche, das sie für Exodus gepackt hatte. Sie hatte den Lumium-Stein, den sie für ihn geschnitzt hatte, in ein feines Seidentuch eingewickelt. Exodus Wingston war alles, was eine Frau in einem Mann suchte. Er war stark und arbeitssam, konnte eine Familie ernähren und beschützen. Er war aufmkersam, freundlich und leitete die Männer und Frauen, die ihm unterstanden, mit charismatischer Entschlossenheit. Giselle war gerne mit ihm zusammen. Er hörte ihr zu und er brachte sie zum Lachen. Nur leider, war er nicht frei.

“Hier.“

Giselle reichte Exodus das Geschenk.

“Ich habe etwas für dich gemacht, als Dank für deine Hilfe.“

Sie wartete, bis er ihr das Päckchen aus der Hand genommen hatte, stützte dann die Hände hinter sich auf dem Felsen auf und lehnte sich zurück.

“Theoretisch gehört es ohnehin dir.“

Sagte sie und lächelte.

“Ich hoffe, es gefällt dir. Es ist für deine Hütte. Ich denke, du kannst es gebrauchen.“

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„Danke.“

bekundete Exodus aufrichtig lächelnd und betrachtete Giselles Geschenk genauer, in dem er es mit den Fingern an der Spitze vor seine Augen hielt. In der Mitte des kunstvoll gefertigten Stückes befand sich eine kleine leuchtende Scheibe – ein Lumium-Stein. Wenn das der Stein war – und Exodus ging davon aus – den sie bei ihrem Besuch von „Big Pearl“ mitgenommen hatten, musste Giselle sehr viel Arbeit hinein gesteckt haben. Ursprünglich war es ein ein klobiger Klumpen gewesen. Daraus eine kunstvolle Scheibe zu fertigen, war keine leichte Aufgabe. Zudem hatte sie ein Zeichen in die Scheibe geritzt, das Exodus nicht entschlüsseln konnte. Unter der Scheibe hingen einige Federn, die im Wind des Ozeans hin und her gewirbelt wurden. Exodus sah dem Spiel des Windes einige Sekunden lang zu.

„Du hast gesagt, es ist für meine Hütte. Es soll böse Träume von den Schlafenden abhalten, nicht wahr?“

Langsam ließ er das Kunstwerk wieder sinken und sah zu Giselle hinüber.

„Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Allerdings nur billige Kopien, die auf einem Basar für Ramschpreise verkauft wurden. Ein echtes habe ich aber noch nie in der Hand gehabt. Vielen Dank.“

Ein weiteres Licht in seinem Schlafzimmer war zwar nicht unbedingt das, was er für ruhigen Schlaf brauchte – und auch sonst glaubte Exodus nicht an die Wirkung dieser Gegenstände. Trotzdem war es eine sehr nette Geste der Vahla. Es hatte etwas … sehr persönliches. Exodus musterte sie genauer, betrachtete die vollen Lippen und prägnanten Wangenknochen, die ihm so überraschend vertraut geworden waren. Was war das zwischen ihnen? Hätte man ihm ein Bild gezeigt, von zwei Fremden, die gemeinsam auf einer kleinen Felsformation am Strand saßen, die Beine baumeln ließen und sich so vertrauensvolle Blicke zuwarfen, wie sie das taten – er hätte sofort gesagt, dass es sich um zwei Freunde handelte.
Freunde. Viele waren ihm nicht geblieben. Früher, als Jugendlicher und auch später bei den Jedi war Exodus immer von vielen Freunden umgeben gewesen. Im Sith-Orden war eine Freundschaft selten, wenn nicht sogar unmöglich. Doch irgendwie hatte er es trotzdem geschafft: Tear, Aramân und natürlich Arica hatte er zu seinen Freunden gezählt. Ein Vertrauensverhältnis zu drei anderen Sith aufzubauen war schwierig und ein wertvoller Schatz in einer Zeit voller Dunkelheit gewesen. Nur was war davon geblieben? Tear führte sein eigenes Leben, Arica war vermutlich voll des Hasses auf ihn, ob seines Verschwindens und sein Bruder Aramân hatte selbst noch mit den Nachwirkungen seiner Zeit im Orden zu kämpfen. Auf Coruscant war Yuna seine Vertrauensperson gewesen. Geblieben war eigentlich nur noch sein Vater. Exodus Wingston war kein Mensch mehr, der behaupten konnte, viele Freunde zu haben.
Jetzt hatte er Giselle gefunden und obwohl ihre Beziehung in erster Linie geschäftlich zu sein schien, waren sie einander erstaunlich nahe gekommen, körperlich und vor allem seelisch. Er verbarg seine Vergangenheit vor ihr, wurde aber das Gefühl nicht los, dass sie genau dasselbe tat. Vielleicht funktionierte es deshalb so gut zwischen ihnen. Vielleicht lag es auch an ihrem ähnlichen Humor. Waren sie also Freunde geworden?
Es war nicht so leicht, das zu bestimmen: Giselle hatte auf ihn diese ungewöhnlich intensive, fast unnatürliche, Anziehungskraft. Selbst jetzt musste er den Impuls unterdrücken, ihr den Träger des Tops einfach von der Schulter zu streifen. Es verlangte ihm nach Giselle, immer und immer wieder.
War das eine Basis, auf der eine Freundschaft funktionieren konnte? Es gab Freunde, die gelegentlich miteinander schliefen. Wobei in Exodus‘ Vorstellung „gelegentlich“ auch „jede Nacht“ bedeuten konnte. Wenn Giselle dafür zu haben war, dann hätte er nichts dagegen. Allerdings: Sie war verheiratet. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass er, sollte er tatsächlich eine Affäre mit ihr beginnen, nicht besser war, als der Kerl, der jetzt mit Yuna das Bett teilte. Unwillkürlich wandte er den Blick von Giselle ab. Er musste sie schon eine ganze Weile mit einem schwachen Lächeln angestarrt haben. Giselles Geschenk lag vom Wind zitternd in seinem Schoß. Der Anblick erinnerte ihn an ihren Ausflug zu der Klippe, an den Sprung, das Gefühl der Freiheit, an seine Rettung, Giselle in seinen Armen, ihre Haut auf seiner Haut. Dafür hatte sie sich bedanken wollen. Plötzlich zogen sich seine Augenbrauen nachdenklich zusammen, sein Blick noch immer von ihr abgewandt.


„Wie schreibt man bloß jemandem, zu dem das Verhältnis ohnehin schon nicht besonders gut ist … wenn man eine schlechte Nachricht zu überbringen hat – sie aber auch nicht verschweigen kann?“

Die Frage war unwillkürlich aus ihm herausgebrochen, ohne sich selbst darüber im Klaren zu sein, wovon er gerade sprach. Er begann einen Teil seiner Geschichte zu erzählen und vertraute sich ihr damit an – ein Stück weit. Aber dazu waren Freunde doch da, oder nicht?

„Ich – sorry, war nur so ein Gedanke.“

Er deutete mit der linken Hand auf das Comlink, das er neben sich auf den Stein gelegt hatte, schüttelte aber gleichzeitig mit dem Kopf. Vielleicht war es ein Relikt aus seiner Zeit bei den Sith: Sich nur schwer jemandem anzuvertrauen. Vielleicht lag es aber auch an der Reaktion der Welt auf ihn. Abweisung, Abneigung, Hass. Exodus Wingston spürte Angst in sich aufkeimen, ein Umstand, der ihn nicht häufig heimsuchte. Angst davor, dass auch Giselle ihm genau diese Gefühle entgegen bringen würde. Vielleicht war es doch besser, diese ganze Freundschafts-Sache zu vergessen. Sein Leben war das eines Einzelgängers. Aber wollte er das auch? Langsam sah er zu ihr hoch, unschlüssig, wie er selbst diese Frage beantworten sollte.

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Schweigend sah Giselle Exodus dabei zu, wie er den Traumfänger betrachtete, den sie für ihn hergestellt hatte, allem voran aus einem Lumium-Stein, den wiederrum er eigenhändig aus den Tiefen des Ozeans mit gebracht hatte. Man hätte sogar sagen können, dass sie ihn in Zusammenarbeit hergestellt hatten, mehr oder weniger.

“Er soll böse Träume fern halten, genau.“

Bestätigte Giselle.

“Böse Träume und Geister.“

Exodus hatte ihr Geschenk angenommen und sich bedankt. Giselle lächelte ihm zu.

“Gern geschehen.“

Erwiderte sie. Es amüsierte sie, dass er ihren selbst hergestellten Traumfänger für echt hielt, während er jene, die ihm auf einem Basar untergekommen waren, als Kopien bezeichnet hatte. Worin bestand der Unterschied von Original zu Fälschung und was qualifizierte Giselle dazu, einen Echten hergestellt zu haben? Sie hatte das Wissen ihres Volkes genutzt und mit eingebracht, was sie als Kind gelernt hatte. In ihrem Clan war es üblich, dass der Schamane junge Elternpaare mit einem Traumfänger für ihr Neugeborenes ausstattete, der dann über der Schlafstätte des Kindes aufgehangen wurde, um die Seele des Kindes vor Geistern und fremden Mächten zu schützen. Aber auch Erwachsene griffen auf die gesegneten Schmuckstücke zurück, aus ganz verschiedenen Gründen. Manche erhofften sich die Besserung von Schlafstörungen und es gab Frauen, die Schwierigkeiten bei der Empfängnis hatten. Giselle hatte keinen bestimmten Grund vor Augen gehabt, um Exodus einen Traumfänger zu schenken. Ein allgemeiner Schutz, vor welchem Bösen auch immer, konnte nie schaden. Er hatte sie gerettet und sie wollte, dass es ihm gut ging. Er beobachtete das Spiel des Windes eine Weile, das die Federn, die in dünnen Fäden von dem Stein herunter hingen, einen Tanz vollführen ließ. Giselle folgte seinem Blick. Exodus sah noch immer nachdenklich aus. Sie wusste nicht genau, was er so unternahm, wenn alleine war und die Arbeit für den Tag getan war, doch sie hatte ihn noch nie alleine am Strand sitzen sehen, die Beine über dem Wasser baumeln lassend, wie er beinahe sehnsüchtig in die Ferne starrte. Als er sie wieder ansah, war ein angedeutetes Lächeln auf seinen Lippen erschienen und Giselle hatte das Gefühl, dass er etwas sagen wollte, doch er schwieg für einige lange Momente und als er dann doch sprach, war sie überrascht über das, was sie hörte.

“Wie man jemandem schreibt, wenn man eine schlechte Nachricht zu überbringen hat?“

Wiederholte Giselle, als Exodus sich auch schon entschuldigte. Nur ein Gedanke sei es gewesen, sagte er. Nur ein Gedanke? Giselle glaubte ihm nicht eine Sekunde. Das war es, was ihn die ganze Zeit über beschäftigte. Sie sah auf das Komlink in seiner Hand. Er war hierher gekommen, um hier draußen die richtigen Worte zu finden. Offenbar hatte es noch nicht funktioniert, oder er hatte noch nicht deutlich genug gesucht.

“Du solltest schreiben, was dir in den Sinn kommt.“

Sprach Giselle, obwohl er seinen laut ausgesprochenen Gedanken und die in seiner Frage verborgene Sorge bereits wieder abgeschwächt hatte. An wen dachte er? An seinen Vater? Es hatte einige schlechte Nachrichten gegeben was den Abbau des Lumiums betraf. Exodus hatte zwar bereits vor einigen Tagen angekündigt, einen Bericht für den Präsidenten der Wingston Corporation zu schreiben, doch vielleicht hatte er es aufgeschoben. Das war denkbar. Aber hatte er ein schlechtes Verhältnis zu seinem Vater? Er hatte noch nie über ihn gesprochen. Giselle betrachtete Exodus eingehend.

“Möchtest du darüber reden?“

Bot sie ihm fragend an.

“Machmal hilft es.“

Sie lächelte, auch wenn sie mit einer Ablehnung seinerseits rechnete. Sich seiner Assistentin anzuvertrauen, und dieser Gedanke kam ihr in diesem Fall zu spät, war vermutlich unpassend. Ihre Beziehung zueinander war ohnehin schon nicht so rein geschäftlich, wie sie hätte sein sollen. Ein Gespräch über private Probleme würde das Ganze nicht einfacher machen.

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„Mir kommt nichts in den Sinn.“

Seine Erklärung klang traurig, aber wahrhaftig. Er hatte keine Ahnung, was er Adrian sagen sollte. Oder wie. Ihm sachlich von der Trennung zu berichten war einfach so … unpassend. Giselle erleicherte ihm die Entscheidung, über die Situation zu reden oder nicht, ein Stück weit, indem sie ihm das Gespräch darüber anbot. Ihr die Überschreitung der geschäftlichen Grenzen aufzuzwingen, war in diesem Fall nicht in seinem Sinn. Wenn dieses Angebot aussprach, war die Situation eine andere. Exodus wusste sofort, dass er es annehmen würde, auch wenn er sich nach außen hin Zeit mit einer Antwort ließ. Giselle war eine gute Zuhörerin, zumindest hatte er sie bisher so kennengelernt, und ihre Sicht der Dinge war meist noch etwas anders als seine eigene – teilweise bedingt durch ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergrund, teilweise durch eigene Erfahrungen. Vielleicht bekam er von ihr also einen guten Ratschlag oder eine Inspiration. Nur musste er die Sache dafür erklären. Und das war der schwierige Teil. Nachdenklich zog er sein rechtes Bein hoch und legte es angewinkelt auf den flachen Stein. Dann rutschte er ein wenig zu ihr hinüber, minimal allerdings nur, und sah sie an.

„Es ist nicht ganz leicht.“

setzte er zögernd an und ließ seinen Blick wieder hinaus aufs Meer gleiten. Wo sollte er anfangen? Wie erklärte er die Sache am besten, ohne gleich seine komplette Lebensgeschichte auszubreiten – inklusive der unschönen Kapitel über Jedi und Sith und alles dazwischen?

„Und auch nicht schön. Die Geschichten, die ich zu erzählen habe, sind selten schön.“

Oh ja, sich im Selbstmitleid ertränken konnte er gut. Darin war er geübt, vor allem im Gespräch mit sich selbst, in seiner eigenen Gedankenwelt. Vor Giselle hatte er bisher immer den starken Mann markiert. Natürlich um an Attraktivität und sie schlussendlich für sich zu gewinnen. Für eine Nacht oder zwei. Jetzt war die Situation eine andere. Sie bot ihm ein freundschaftliches Gespräch an. Dort musste man nicht immer stark sein.

„Trotzdem bereit es zu hören?“

Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Natürlich war sie bereit es zu hören, sonst hätte sie das Gespräch nicht angeboten. Er wollte nur Zeit schinden, das war ihm selbst sehr bewusst.

„Also gut.“

sagte er, ohne dass sie geantwortet hatte. Sein Pulsschlag erhöhte sich langsam und Exodus kniff die Augen zusammen, als er es bemerkte. Seine Nervosität musste auch für Giselle spürbar sein. Er nahm einen tiefen Atemzug. „Also gut“, wiederholte er in Gedanken.

„Ich muss meinem Sohn irgendwie beibringen, dass … seine Mutter und ich uns getrennt haben.“

Es klang in seinen Ohren wie die Worte eines Fremden, so selten hatte er bisher ausgesprochen, was geschehen war. Sein Blick verlor sich irgendwo da draußen, in den kräftigen Wellen, in den weiten des Ozeans. Wie Yuna wohl damit umging, wenn sie jemandem von der Trennung erzählte? Ob sie traurig darüber wahr? Oder sich freute? Das hieß: Wenn sie überhaupt davon sprach. Zumindest den wichtigsten Menschen in ihrem Leben hatte sie es nicht anvertraut. Seine nächsten Worte folgten schnell, ohne Giselle eine Möglichkeit zur Antwort zu geben. Er fühlte, dass noch mehr Erklärung kommen musste.

„Was nicht besonders leicht ist – von Fresia aus. Außerdem erleichtert es die Sache nicht, dass er sowieso in mir den Schuldigen sehen wird. Wir haben kein besonders gutes Verhältnis. Ich bin es, der Mist gebaut hat. So wird er es zumindest sehen.“

Mehr war er für den Moment nicht bereit zu erzählen. Ruckartig schwenkte sein Kopf zu Giselle hinüber, eine Reaktion erwartend. Gleichzeitig gab er sich Mühe, die Situation herunterzuspielen.

„Schonmal einen Chef gehabt, der so viel von sich preisgegeben hat? Ich zumindest nicht.“

Das Bekenntnis wurde unterlegt von einem, seine Mundwinkel umspielenden, Schmunzeln. Er war noch nicht bereit, ganz den gebrochenen Mann zu geben. Gerade vor Giselle behagte ihm diese Rolle nicht. Wie sollte sie ihn weiterhin attraktiv finden, wenn er nur noch wie ein Häufchen Elend wirkte? In seiner Vorstellung funktionierte diese Kombination nicht.

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Giselle betrachtete Exodus lange, während er sprach und aus dem starken, gefestigten Mann, von dem sie glaubte, dass er alles tun würde, um Frau und Familie zu schützen, wurde ein Mann mit einer gefühlvollen, sensiblen Seite, auch wenn er sich vermutlich nicht dabei wohl fühlte, diese zu zeigen. Den wenigsten Männern behagte dies. Er hatte einen Sohn, so wie Giselle vermutet hatte. Von einer Tochter war jedoch keine Rede. Das Bild einer Bilderbuchfamilie, das sie sich von ihm zurecht gelegt hatte, zerbrach. Exodus Wingston lebte von seiner Frau getrennt. Giselle wandte den Blick ab. Meer und nichts als Meer war in der Ferne zu sehen und dort wo das Wasser endete und der Himmel begann, traf Exodus' Leben auf Giselles.

“Du hast Recht.“

Sagte sie, fand mit ihrer Hand einen Stein und warf ihn hinunter in die Fluten.

“Es ist keine schöne Geschichte.“

Er hatte gesagt, die Dinge, die er zu erzählen hatte, seien selten schön. Giselle dachte darüber nach. War es nicht immer ein Wechsel, von guten und weniger guten Erlebnissen, die jedes Leben mit sich brachte? Erlebte nicht jeder von ihnen gute wie auch schlechte Zeiten? Manchmal, dachte sie, liefen sie Gefahr, die negativen Erfahrungen zu stark im Gedächtnis zu behalten und die positiven davon überschatten zu lassen.

“Aber sie wird auch nicht besser werden, egal mit welchen Beschreibungen du sie schmückst, oder wie lange du wartest.“

Eine simple Feststellung, die Exodus nicht helfen würde. Giselle hob die Schultern.

“Es tut mir Leid, dass ihr euch getrennt habt.“

Sagte sie. Sie hatte ihn sich vorgestellt, als zufriedenen Familienvater auf Coruscant. Seine beiden Kinder wohlgeraten, seine Frau hübsch und jung geblieben. Sie mochte es, einzukaufen und Freunde zum Abendessen einzuladen. Für Dinnerparties kochte sie selbst, die Wohnung dekorierte sie mit Kerzen und penibel arrangierten Blumenbouqets. Exodus arbeitete in der Firma seines Vaters, würde sie eines Tages übernehmen. Manchmal ging er abends nach der Arbeit auf einen Drink in eine Bar. Vielleicht flirtete er mit der Kellnerin oder mit einer fremden Brünetten. Ob er jemals mit einer von ihnen mehr ausgetauscht hatte als nur ein paar Worte? Giselle wusste es nicht. Sie konnte es sich vorstellen. Exodus Wingston war kein Kind von Traurigkeit. Er flirtete mit ihr, er scherzte mit ihr, trotz der Trennung von seiner Frau, die sie ihm bis zu diesem Moment nicht ein einziges Mal angemerkt hatte. Wie so oft, musste Giselle an Morten denken. Sie waren nicht einmal zwei volle Jahre zusammen gewesen. Ihre gemeinsame Zeit war kurz gewesen, aber intensiv und die Trennung machte ihr bis heute zu schaffen. Manchmal glaubte sie, dass sie ihn niemals vollständig überwinden würde. Ob es Exodus genauso ging, insgeheim? Und dann war da noch die Sache mit seinem Sohn...

“Du scheinst dir sehr sicher zu sein, dass er dir die Schuld geben wird.“

Stellte sie fest. Aber was war mit ihm selbst? Fühlte er sich schuldig? Die Frage wallte in Giselle auf, doch sie wagte nicht, sie zu stellen. Er war noch immer derjenige, der die Richtung des Gesprächs bestimmte und entschied, wieviel er von sich preis geben wollte. Er hatte ihr bereits genug erzählt und es war nicht ihr Recht, nach mehr zu fragen. Das Wichtigste jedoch hatte er ihr bereits offenbart: Exodus Wingston war ein freier Mann.

“Ich weiß nicht, was ich dir raten soll.“

Sagte sie schließlich.

“Aber ich würde ehrlich und offen mit ihm sein. Nur so hat er überhaupt die Möglichkeit zu verstehen. Und wer weiß, vielleicht gibt er dir am Ende gar nicht die Schuld, wenn er sieht, wie es wirklich war.“

Giselle schaute ihren Chef an. Sie kannte nur ihn, wusste nicht einmal den Namen seiner Frau. Seine Familie und sein Leben waren ihr fremd und dennoch... und dennoch hätte sie sich auf seine Seite gestellt, ganz gleich, wessen Fehler es tatsächlich gewesen war.

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Es passierte nicht häufig, dass sich Exodus Wingston seiner Worte unsicher war. Nachdem Giselle geendet hatte, entstand ein längeres Schweigen zwischen den beiden. Exodus war am Zug.
Er hatte sich hinsichtlich der Trennung noch niemandem wirklich anvertraut. Mit seinem Vater hatte er oberflächlich darüber gesprochen, aber eben so knapp, wie Vater und Sohn es meistens taten, wenn beiden das Gespräch unangenehm war. Miku hatte er sich nicht anvertrauen wollen, weil er unschlüssig gewesen war, auf wessen Seite sie stand und ob sie nicht schon längst in ihm den Schuldigen ausgemacht hatte. Sein Bruder war nicht auf Coruscant geblieben und entsprechend war auch Aramân kein möglicher Gesprächspartner gewesen. Schlussendlich hatte Exodus versucht, die Sache mit sich selbst auszumachen. Erst jetzt bemerkte er, wie gut es tun konnte, einfach über die Dinge zu reden. Auch wenn es ein ständiges Spiel mit dem Feuer war, das ihn unermüdlich an den Rand seiner Vergangenheit trieb. Eine Vergangenheit, von der Giselle bisher noch nichts wusste. Sein nachdenklicher Blick fiel wieder auf den Traumfänger, den sie ihm gebastelt hatte. Sie hatte gesagt, er solle ehrlich zu Adrian sein.


„Würdest du ihm also offen sagen, dass ich einfach nicht genau weiß, woran es gescheitert ist? Dass ich mir selbst unsicher bin? Ich dachte immer, Kindern gegenüber sollte man klare Aussagen treffen, und … stark für sie sein.“

Im Grunde genommen war Adrian längst kein Kind mehr. Gleichzeitig würde er es immer bleiben, auch wenn sein Sohn selbst das vermutlich anders sah. Exodus war ihm früher nicht der Vater gewesen, den er sich gewünscht hatte und zwischen ihnen würde es nie so sein, wie es hätte sein können.

„Ich war nicht immer voll für meine Familie da, musst du wissen. Früher habe ich mich sehr stark … auf die Arbeit konzentriert. Ich hatte den Blick für die wichtigen Dinge verloren. Das hat einiges zerstört, was so leicht nicht zu reparieren ist.“

Er kam sich vor, als legte eine Beichte ab, hatte aber gleichzeitig das angenehme Gefühl, das Giselle nicht allzu schlimm über ihn urteilen würde. Oder lag das nur daran, dass er ihr bis hierhin wenig Grund gegeben hatte, anzunehmen, er sei Schuld an der kaputten Familie?

„Umso wichtiger ist es doch, jetzt stark zu sein. Oder nicht? Ich werde nicht mehr allzu viele Gelegenheiten bekommen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Yuna hat mir eine zweite Chance gewährt, aber nach meiner letzten längeren Geschäftsreise war sie dann einfach weg. Sie hat mir nicht gesagt warum. Aber vielleicht konnte sie mir die Vergangenheit doch weniger verzeihen, als sie sich selbst und mir eingeredet hat.“

Hilflos zuckte er mit den Schultern und bemühte sich, Giselle nicht anzusehen. Er wagte nicht, nachzusehen, ob sie denselben Blick trug wie der Rest der Welt: Schuldig. In allen Belangen. Denn wenn sie ihn trug, wäre er außerstande weiter zu erzählen. Und für den Moment fühlte es sich gut an, die Worte einfach fließen zu lassen. Seine Finger strichen nachdenklich über die Federn des Traumfängers. Es kam ihm so vor, als hätte ihn schon immer ein Traumfänger in seinem Leben begleitet. Statt ihn allerdings vor schlechten Träumen zu beschützen, so wie es Giselles Geschenk tun sollte, hatte dieser jeden seiner Träume aufgesogen und versiegelt. Den Traum von einem ruhigen Leben, von einer kleinen Familie und schlussendlich: Vom Glück.

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Der Name seiner Frau war Yuna. Es war das erste Mal, dass Exodus ihn aussprach. Für Giselle begann die Frau an seiner Seite, oder die, die es gewesen war, ein Gesicht zu bekommen. Es war ein Bild, das lediglich in ihrer Vorstellung existierte und nichts mit der Realität gemein haben musste, doch es formte sich ganz von selbst. So wie Exodus es beschrieb, war seine Beziehung zu ihr nicht von heute auf morgen zerbrochen. Es musste ein längerer Prozess gewesen sein. Er hatte sich schon früher sehr stark den Geschäften der Wingston Corporation gewidmet, erklärte er und darunter hatte bereits die Beziehung zu seinem Sohn gelitten. Das konnte sich Giselle gut vorstellen. Als Erbe eines Familienbetriebes war es nur natürlich, dass er tief in die Arbeit involviert war und viele Terine wahr nahm. Eine Familie und besonders eine Ehe, konnte das belasten. Anscheinend war genau das der Fall gewesen.

“Natürlich solltest du stark sein für deinen Sohn.“

Stimmte Giselle Exodus zu, als er anzweifelte, seinem Sohn zu direkt zu sagen, wie die Dinge lagen.

“Aber vielleicht könnt ihr auch gemeinsam stark sein. Er kann dir helfen, genauso wie du ihm und wenn du, wie du sagst, vielleicht nicht mehr viele Gelegenheit bekommst, um wieder gut zu machen, was früher schief gelaufen ist, dann solltest du diese Chance nutzen und ehrlich mit ihm sein. So ehrlich, wie du eben sein kannst.“

Sie sah Exodus von der Seite an. Wie seltsam, dass er plötzlich über all diese Dinge redete. So offen und privat war er noch nie gewesen. All die Scherze, die sie sonst für gewöhnlich miteinander austauschten, waren, so spaßig sie auch waren, am Ende des Tages doch nur oberflächlich im Vergleich zu dem, worüber sie heute sprachen. Das hier berührte ihn wirklich. Der weltmännische, windige Exodus Wingston, den sie in der Red Square Bar in Hill City kennen gelernt hatte, war für den Moment verschwunden und der starke, umsatzorientierte Geschäftsführer hatte bereits Feierabend.

“Damit wären wir dann auch wieder beim Thema, stimmt's?“

Fragte sie, zog ihre Beine an und schlang ihre Arme um die Knie.

“Wieviele Chancen jemand verdient hat oder eben, was er aus ihnen macht.“

Den Kopf auf ihre Knie legend schaute Giselle eine Weile hinaus aufs Meer und dann wieder zu Exodus hinüber. Er wirkte uneins mit sich und sie hätte ihm diese Bürde gerne genommen.

“Darf ich dich etwas fragen?“

Fragte sie dann und richtete sich wieder etwas auf.

“Wie lang bist du mit ihr zusammen gewesen...mit Yuna?“

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Schritt für Schritt offenbarte Exodus die Puzzle-Teile die zusammen sein Leben ergaben. Er spürte förmlich, wie Giselle sie aufnahm und nach und nach zusammensetzte. Ein kleiner Teil in der Mitte des Puzzles würde jedoch leer bleiben und ohne ihn konnte man niemals das komplette Bild sehen. Die Zeit bei den Sith war der schwarze Fleck auf seiner Seele.
Trotzdem gelang es Giselle einige Dinge richtig zusammen zu setzen. Ohnehin sagte sie viele richtige Dinge – oder zumindest kamen sie ihm, so wie sie es sagte, richtig vor. Adrian und er mussten zusammen stark sein und dafür musste Exodus ehrlich zu ihm sein. Sie standen doch auf derselben Seite, im Endeffekt: Yuna hatte sie beide verlassen.


„Du hast Recht.“

bekundete er ernst. Vor sich selbst musste er eingestehen, dass Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber Adrian bisher nicht zu seinen Stärken gezählt hatten. Seit seiner Rückkehr hatte er immer versucht die Themen der Vergangenheit zu umgehen und nicht anzusprechen. Vielleicht war es an der Zeit all diese Dinge aufzuarbeiten. Oder zumindest mit Ehrlichkeit zur aktuellen Situation den ersten Schritt zu machen.

„Danke.“

Ihre Erkenntnis, dass sie schon im Dschungel das Thema angeschnitten hatten, ohne es wirklich anzusprechen, rang ihm ein Lächeln ab. Es stimmte, schon dort hatte er ihr gegenüber Andeutungen gemacht. Sie setzte die Teile gut zusammen.

„Genau. Wieviele Chancen hat jemand verdient?“

Er wiederholte ihre Worte nachdenklich, ohne die Frage wirklich erneut zu stellen. Er hatte keine Antwort darauf, das war ihm bewusst. Auf ihre letzte Frage, wie lange er mit Yuna zusammen gewesen war, hatte er eine Antwort – wollte sie aber nicht geben. Wie konnte er schon erklären, dass sie beide sich im jungen Alter als Padawane kennengelernt hatten, dann getrennt wurden und er von seinem Bruder bei den Sith aufgenommen worden war, sodass er die Geburt der Zwillinge nicht einmal mitbekommen hatte? Wie konnte er das erklären und wie konnte er ihr begreiflich machen, dass er danach nicht sofort nach Coruscant zurückgekehrt war, um das Leben eines normalen Familienvaters zu führen? Er konnte es nicht, ohne seine Rolle im großen Spiel zwischen Jedi und Sith, heller und dunkler Seite, Republik und Imperium zu erklären. Diese Erklärung war er nicht bereit zu geben. Nur noch der Schatten eines Lächelns war in seinen Mundwinkeln zu erkennen, als er nach einem kleinen Kiesel griff und ihn ins Meer schnippte.

„Yuna und ich waren … eine Weile zusammen.“

sagte er schließlich ausweichend.

„Mal hat es geklappt, dann wieder nicht. Eine Zeit waren wir getrennt, eine Zeit waren wir zusammen. Richtig rund lief es nie. Wir konnten nicht miteinander, aber auch nicht ohne. Nun … jetzt muss es wohl endgültig ohne gehen.“

Ganz so, wie er es geschildert hatte, war es nicht gewesen. Aber im Grunde traf es den Kern ihrer Beziehung – und mehr konnte er nicht sagen. Gleichzeitig schien diese letzte Trennung für ihn so endgültig, wie er es formuliert hatte. Es war nicht so, dass diesmal nur Yuna verletzt worden war. Auch Exodus war verletzt. Er bezweifelte, dass sie zu ihm zurückkommen würde, aber er wusste auch nicht, wie er darauf reagieren würde, wenn sie es doch täte.

„Darf ich dich auch etwas fragen?“

spielte er jetzt den Ball zurück und sah Giselle offen an. Etwas, das er während des Großteils des Gesprächs vermieden hatte. Einen Moment lang musterte er ihre Züge. Sie hatte auch ihre Geheimnisse. Er fragte sich, ob sie schon bereit war, eines davon zu enthüllen. Gleichzeitig war er schlicht neugierig.

„Wie lange bist du schon verheiratet?“

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Nicht mit und nicht ohne einander. So beschrieb Exodus die Beziehung zu seiner Frau. Es war anders, als sich Giselle ihr Zusammenleben vorgestellt hatte. Das vorbildliche Familienleben, das sie bei Exodus vermutet hatte, schien weit her geholt. Er und Yuna waren schon vorher getrennt gewesen. Was machte es diesmal anders? Exodus jedenfalls schien ziemlich sicher, dass es jetzt endgültig vorbei war. Er hätte es wohl nicht dazu kommen lassen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Es war seine Frau gewesen, die ihn verlassen hatte. Trotzdem fragte Giselle sich, ob dies vielleicht nicht sogar das Beste für ihn war. Ein ständiges Hin- und Her, ein ewiges Auf- und Ab. Welche Beziehung hielt das schon lange aus? Zudem hatten sie einen Sohn, der immer zwischen ihnen stand. Vielleicht war Fresia wirklich eine neue Chance für Exodus, eine positive neue Chance, die ihm dabei helfen konnte, sich ein für allemal von seiner Yuna zu lösen, um seinetwillen.

“Trennungen scheinen nie leicht zu sein.“

Sinnierte Giselle.

“Man verliert so viel dabei.“

Sie dachte an die Beziehungen, die sie hatte scheitern sehen: Romanzen, Freundschaften und selbst familiäre Bande. So lange die Erinnerungen blieben, hatte man noch etwas, woran man fest halten konnte. Manchmal jedoch, verblassten selbst die. Wie oft Exodus in Zukunft wohl seinen Sohn wohl sehen? Es klang nicht danach, als würde er ihn zu sich holen. Wenn die Beziehung zwischen ihnen so war, wie er beschrieb, wäre das vermutlich auch nicht das Klügste, es sei denn, sie nutzten genau diese Basis, um wieder zueinander zu finden. Ein Bild von Exodus, wie er mit seinem Sohn spielte, formte sich in Giselles Gedanken. Selbst diese Rolle passte gut zu ihm. Wie alt sein Sohn allerdings war, wusste sie nicht. Die Vahla wandte ihren Blick in Exodus Richtung, um ihn zu fragen, hielt ihre Worte jedoch zurück, als er ihr zuvor kam und ihr seinerseits eine Frage stellte – eine Frage, mit der sie nicht gerechnet hatte. Er wollte wissen, wie lange sie bereits verheiratet war.

“Oh... woher weißt du...?“

Begann Giselle überrascht und alle selbst gestrickten Bilder waren aus ihrem Kopf verschwunden. Dann fiel es ihr ein: natürlich wusste er Bescheid. Er war ihr Arbeitgeber. Ihr Familienstand ging aus ihrer Personalakte und ihren Unterlagen hervor. Ihre ID war entsprechend angepasst. Verstehend nickte sie.

“Ah, natürlich. Meine ID.“

Giselle sah in den Himmel. Sie hatte noch immer ihre Arme um ihre Beine geschlungen und wippte jetzt leicht vor und zurück. Es gab keinen Grund, Exodus' Frage nicht zu beantworten, schon gar nicht, nachdem er so ehrlich und so offen von sich erzählt hatte.

“Es sind jetzt sieben Jahre.“

Antwortete sie.

“Theoretisch zumindest. Ich habe mit 19 Jahren geheiratet, aber es hat nur zwei Jahre gehalten.“

Ihre Erklärung erfolgte nüchtern, auch wenn es sich um einen der größten Verluste handelte, die Giselle jemals erlitten hatte. Morten zu verlieren war unsagbar schwierig für sie gewesen und auf die erste Zeit nach der Trennung sah sie heute lediglich wie durch einen Nebelschleier zurück. Machmal fragte sie sich selbst, wie sie diese Phase überhaupt überstanden hatte. Sie konnte sich nicht einmal an alles erinnern.

“Wir haben uns nie scheiden lassen.“

Fuhr sie fort, löste die Riemen ihrer Sandalen und öffnete den Verschluss der Schnallen aus dem schlichten Drang heraus, einen Grund zu haben, sich auf sich selbst zu konzentrieren und Exodus' Blick zu meiden. Sie wusste, dass sie noch immer tiefe Gefühle für Morten hegte, vermutlich sah man es ihr an, und trotzdem konnte sie mit der selben Gewissheit sagen wie Exodus, dass es endgültig aus war zwischen ihnen. Giselle streifte ihre Schuhe ab, ohne zu wissen, was sie jetzt mit ihnen tun sollte, stellte sie schließlich neben sich und streckte ihre langen Beine weit von sich.

“Es war einfach nie eine Gelegenheit dafür und keinem von uns wichtig.“

Sie zuckte mit den Schultern und ein winziges, trauriges Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie ihren Kopf um wandte und Exodus' Blick begegnete.

“Es war meine Schuld, dass es nicht funktioniert hat.“

Gestand sie ein.

“Es war allein meine Schuld.“

Es gab Beziehungen, die scheiterten, ohne dass es ein Schlüsselerlebnis gegeben hätte, das Liebe auseinander brechen ließ. Manche Paare waren schlicht nicht für einander gemacht, aber bemerkten es zu spät. Andere lebten völlig unterschiedliche Leben und damit aneinander vorbei. Giselle und Morten waren anders gewesen. Sie hatten einander geliebt, wild und leidenschaftlich, selbst über den Tag hinaus, an dem Giselle Mortens Vertrauen für immer erschüttert hatte. Trotzdem war es von da an vorbei gewesen, der Riss zwischen ihnen zu tief, um ihn zu kitten. Es gab keinen Zweifel daran, dass Giselle die alleinige Schuld trug. Dies hatte sie vor langer Zeit eingestanden. Vielleicht, dachte sie, half dieses Geständnis Exodus, seine eigenen Schuldgefühle zu verarbeiten.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | mit Giselle ]

„Achso.“

Exodus betrachtete Giselle von der Seite. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihm so umfassend von ihrer Ehe erzählte. Dieses kleine Detail – ihren Beziehungsstatus – hatte er über ihre Personalakte erfahren. Giselle war verheiratet, doch bisher hatte sie sich noch nicht dazu geäußert oder auch nur eine Anspielung gemacht. Nun verstand er wieso: Ihre Geschichte spielte in ähnlichen Dimensionen wie seine. Es ging um Schuld, Verlust und Trauer. Sie war seit sieben Jahren verheiratet, aber seit fünf Jahren getrennt. Und sie gab sich die Schuld dafür. Dieses Geständnis kostete sie ähnliche Überwindung, wie Exodus seines. Während er erzählt hatte, war er ihrem Blick ausgewichen. Nun tat sie dasselbe. Es hätte gut passieren können, dass sie das Gespräch nicht in diese Richtung hätte weiterführen wollen. Dass sie abgeblockt und er damit die intime Stimmung ruiniert hätte. Das war nicht passiert. Exodus rutschte auf dem kühlen Stein zu ihr hinüber, legte ihr seine Hand auf die linke Schulter und ließ sie dort für einen Moment ruhen. Ihre Haut auf seiner. Einem Impuls folgend, ließ er seine Hand zu ihrer rechten Schulter hinüber wandern, legte damit den Arm um Giselle und drückte sie kurz an sich. Ein schwaches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Es sah nicht mehr so traurig aus.

„Dann sitzen wir wohl im selben Boot.“

Und auf derselben Insel, mit demselben Ziel. Vergessen, neu anfangen, eine zweite Chance bekommen.

„Alle Welt sagt immer, es gehören zwei zu einem Streit, zu einer Trennung, zu großem Schmerz. Aber so fühlt es sich nicht an. Es fühlt sich einfach nicht so an. Ich habe das Gefühl ganz allein schuld zu sein. Wenn ich nur einige Dinge anders gemacht, andere Entscheidungen getroffen hätte – teilweise nur winzige Dinge, die große Folgen nach sich gezogen haben – dann sähe alles ganz anders aus.“

Sein Arm hatte sich noch nicht von ihr gelöst, nur den Druck etwas gelockert. Sein forschender Blick suchte ihre Augen.

„Oder nicht …?“

Dann sah auch Exodus wieder nach vorne, hinaus aufs Meer. Der Ozean stand sinnbildlich für all die neuen Chancen, die das Leben einem bot. Für die Hoffnungen, für die Möglichkeiten. Natürlich auch für die vielen Gelegenheiten, es wieder zu versauen. Unwillkürlich drückte er sie noch einmal an sich. Giselle hatte sich ihm geöffnet, genauso wie er ihr sein Herz ausgeschüttet hatte. Sie kannten beide noch nicht alle Geheimnisse, aber vielleicht mussten sie das auch nicht. Für den Moment reichte es ihm, jemanden zu haben, der zuhören konnte und der verstand, wie es ihm ging. Tatsächlich war das sogar mehr, als er sich je hatte erhoffen können.

„Aber jetzt gerade … geht es mir eigentlich ganz gut.“

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- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –

Im warmen Licht der sie umkreisenden Sonne saßen zwei Gestalten auf den kühlen, von Wasser besprenkelten Felsen, die sich eigentlich so kurz erst kannten und sich doch inzwischen so weit vertrauten, dass sie über Dinge sprachen, die sie nicht mit jedem hätten teilen können. Exodus war es schwerer gefallen, glaubte Giselle. Er hatte sehr zögerlich gewirkt und seine Position ihr gegenüber spielte da sicherlich eine Rolle. Außerdem war seine Wunde noch frisch, während Giselles Trennung von Morten – oder vielmehr seine Trennung von ihr – schon viel länger zurück lag. Jetzt hatte Exodus den Arm um sie gelegt und die Vahla fühlte sich erinnert an den Tag, an dem er sie aus dem Wasser zurück zum Strand getragen hatte.

“Ich weiß, was für ein Gefühl das ist.“

Erwiderte Giselle leise.

“Wenn du alleine die Schuld trägst. Es ist, als hättest du dein Leben weg geworfen.“

Oder als hätte man die Galaxis und alle ihre Chancen, die sich boten, mit Füßen getreten. Wenn man plötzlich alleine war, konfrontiert mit der Suche nach einem neuen Leben...

“Und wenn du dabei jemanden verletzt, den du liebst, ist es umso schlimmer.“

Fuhr sie mit leiser Stimme fort.

“Es brennt, genau hier.“

Giselle legte eine Hand auf ihr Herz. Sie wusste, wovon sie sprach, denn sie hatte es selbst erlebt, mehr als einmal. Leider nur, ließ sich die Zeit nicht zurück drehen. Sie lehnte sich an Exodus, der noch immer seinen Arm um ihre Schultern gelegt und sie ein kleines Stück näher an sich gezogen hatte. Für einen Moment schloss Giselle die Augen. Seit Morten sie verlassen hatte, war sie mit ein paar Männern zusammen gewesen, doch keiner von ihnen hatte ihr das Gefühl vermittelt, sie auch über das Körperliche hinaus zu berühren. Mit Liam hatte sie sich am besten verstanden und sie hatte ihn sehr gern gehabt, doch sie hatte auch gewusst, dass sie ihn niemals würde lieben können und so war es zwischen ihnen geblieben, wie mit den anderen auch: ein lockeres, ungezwungenes Verhältnis ohne Versprechen. Heute, während sie zusammen mit Exodus Wingston auf den Felsen am Strand saß, Fingers Mark in ihrem Rücken und das ungebändigte Meer vor sich, hatte sie zum ersten Mal seit vielen Jahren das Gefühl, dass ein bestimmer Mann mehr in ihr entflammte als nur einen unbedeutenden Funken, der schon bald wieder verglühte. Sie atmete mit gleichmäßigen Atemzügen die befreiende, salzige Luft des Meeres ein. Hier auf Fingers Mark, diesem magischen Ort, war alles möglich. Giselle hob den Kopf und richtete sich auf, fing für einen Moment Exodus' Blick auf und löste sich dann aus seiner Berührung.

“Ich denke, ich werde dich jetzt wieder alleine lassen.“

Sagte sie, griff nach ihren Sandalen, die noch immer neben ihr standen und nickte in Richtung seines Komlinks, wo noch immer eine Nachricht darauf wartete, von ihm geschrieben zu werden.

“Wenn ich mich nich irre, hast du noch etwas zu erledigen.“

Giselle erhob sich und ein starker Windstoß wehte ihr ihre Haare ins Gesicht.

“Trotzdem, nur für's Protokoll...“

Sagte sie im Gehen, während sie schon barfuß von einem Felsen zum nächsten gehüpft war, und auf ihrem Gesicht erschien ein fröhlicher Ausdruck, als sie sich wieder zu Exodus umwandte.

“Mir geht es ebenfalls gut: Fingers Mark, das Meer, gefährlich hohe Klippen, eine neue Chance alles besser zu machen und ein Mann, der genauso frei ist wie ich.“

Sie zuckte mit den Schultern, ein unergründliches Lächeln, das alles bedeuten konnte, noch immer auf ihren Lippen.

“Was will ich mehr?“

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | mit Giselle ]

Ein Mann und eine Frau. Beide frei und ungebunden. Was wollte man mehr?
Exodus grinste seiner Assistentin mit einer Spur Anzüglichkeit im Blick hinterher. Giselle hatte die Fähigkeit auch aus traurigen Situationen wieder eine schöne zu zaubern. Sie verstand seinen Schmerz, denn sie trug ihn ebenso in sich, gleichzeitig verstand sie es aber auch, ihm die richtigen positiven Impulse zu geben. Die Vahla zog sich zurück, damit Exodus sich der Nachricht an Adrian widmen konnte. Und sie hinterließ ein gutes Gefühl. Sie waren beide frei, hatte sie festgestellt, und Exodus fühlte zum ersten Mal, dass diese Freiheit etwas Gutes sein konnte. Es war merkwürdig: Früher war Freiheit sein höchstes Ziel gewesen, war stets die Motivation all seiner Taten gewesen. Je mehr Macht er als Sith erlangte, desto freier würde er in seinen Entscheidungen sein. Dann konnte er über alles bestimmen und sein Leben völlig frei bestimmen. Das hatte er sich zumindest eingeredet. Tatsächlich hatte er sich immer stärker gebunden – an die dunkle Seite, das Imperium und den Sith-Orden. Der harte Schnitt war irgendwann nötig geworden. Sich konsequent und dauerhaft dem Hass zu verschreiben, hatte ihn von innen heraus zerstört und er war froh, diesen Absprung mit der Zeit geschafft zu haben.
Jetzt also war er frei, zumindest faktisch gesehen. Nur sein Herz war noch an Yuna gebunden. Er würde es langsam lösen müssen. Giselle hatte das Gefühl des selbstverschuldeten Verlusts einer geliebten Person damit verglichen, sein Leben weg zu schmeißen. Dieses Gefühl kannte er nur zu gut. Aber Fresia war der Neuanfang, die Chance ein neues Leben zu beginnen, wenn man das alte schon achtlos weggeschmissen hatte. So einen Neuanfang konnten auch Adrian und er gebrauchen. Vielleicht war jetzt wirklich eine gute Gelegenheit, reinen Tisch zu machen und sich nicht in weitere Lügen und Unwahrheiten zu verstricken. Adrian verdiente die Wahrheit. Entschlossen griff er nach dem Comlink, welches er neben sich auf die Steine gelegt hatte. Seine Finger tippten fast wie von selbst. Einige Male korrigierte er die Sätze und Wörter noch, dann las er ein letztes Mal über die fertige Nachricht.


<< Nachricht an Adrian Reven >>

„Hallo Adrian,

ich melde mich bei dir, weil ich dir etwas Wichtiges von zu Hause mitteilen muss.
Es ist keine schöne Nachricht und ich will sie dir eigentlich nicht ohne eine Vorerklärung präsentieren,
aber ehrlich gesagt fällt mir nichts ein, was die Sache besser machen würde. Also …

Deine Mutter und ich haben uns getrennt.
Sie lebt jetzt bei einem anderen Mann und nicht mehr in unserem Penthouse.

Wenn du darüber reden willst, kannst du dich gerne bei mir melden.
Ich bin derzeit allerdings nicht auf Coruscant,
sondern auf Fresia um unseren neuen Lumium-Abbau zu betreuen.

Im Penthouse bist du natürlich jederzeit Willkommen.
Es wird immer dein Zuhause bleiben, wenn du das willst.

Dein Vater

<< Ende der Nachricht >>

Exodus blickte zufrieden auf den kleinen Ladebalken, der anzeigte, dass die Nachricht erfolgreich verschickt wurde. Das war also erledigt. Für einen Moment trommelte er mit den Fingern auf das Display des Comlinks. Er verspürte eine merkwürdige Mischung aus Anspannung und Erleichterung. Es war gut, die Nachricht endlich verschickt zu haben. Gleichzeitig beunruhigte ihn der Gedanke an eine mögliche Antwort Adrians. Womöglich würde sein Sohn ihn mit weiteren Vorwürfen konfrontieren und ihm die Andeutungen, dass es sich um keine einvernehmliche Trennung gehandelt hatte, nicht abnehmen. Wieviele Chancen verdiente ein Mensch? Verdiente Exodus diese Chance noch? Optimstisch nickte er dem Meer entgegen. Dort draußen warteten noch viele Gelegenheiten. Diese ließ er sich nicht entgehen. Er wollte für Adrian stark sein – gleichgültig, ob er eine Ablehnung zu erwarten hatte oder nicht.

Sein Zeitgefühl hatte ihn während des Schreibens der Nachricht vollkommen verlassen. Es konnte fünf Minuten her sein, dass Giselle den Weg zurück zum Camp angetreten hatte – oder dreißig. Exodus folgte ihren Spuren im Sand und sah nachdenklich zu Boden. Die schmalen Füße der Vahla hatten kaum tiefe Abdrücke hinterlassen, so leichtfüßig war ihr Gang. Sie war eine Tänzerin, durch und durch. Umso erstaunlicher, wie gut sie auch den Job als assistierende Projektleitung meisterte. Giselle steckte voller Geheimnisse – sie konnte gleichzeitig Freundin sein, Kollegin und die mysteriöse Schönheit, die es zu erobern galt. Irgendwie funktionierte das alles.
Schon nach der Hälfte der Strecke blies ihm der Wind das Lachen einiger Nautolaner entgegen. Wie so häufig vertrieb sich eine Gruppe der Nichtmenschen die Zeit damit, im Wasser einem Ballsport mit recht simplen Regeln nachzugehen. Es gab zwei Tore, die durch Bojen angezeigt wurden und einen Ball, der zwischen den Bojen hindurchgeworfen werden musste. Für jeden Treffer gab es ein Tor. Wirklich einfach. Aber offenbar bereitete es ihnen eine Menge Spaß. Exodus lächelte milde. Zwar hatte Bas Goarland die Zügel für seinen Geschmack etwas zu locker gehalten, dass sich die Crew auch untereinander so gut verstand, war allerdings ein sehr positives Zeichen. Auch bei ihrer Unterwasser-Expedition hatte er gemerkt, wie wichtig das Vertrauen der Nautolaner untereinander bei der Arbeit war. Gemeinsame Freizeitaktivitäten konnten diese Basis nur verbessern.

Einem Impuls folgend schlenderte Exodus der spielenden Gruppe über den Strand entgegen. Vielleicht war das Spiel ja sogar interessant anzugucken und er konnte dem ganzen als Zuschauer beiwohnen. Er hatte sich ohnehin vorgenommen, nach und nach die Namen der Nautolaner zu lernen. Hier beim Spiel riefen sie sich gegenseitig häufig ihre Namen zu, um Pässe oder andere taktische Manöver anzusagen. Das konnte eine gute Hilfestellung bei seinem eigenen Lernprozess sein.
Seine Ankunft blieb nicht unbemerkt. Als er die Gruppe fast erreicht hatte, hielten viele in ihren Bewegungen inne und das Spiel kam für einen Moment zur Ruhe. Offenbar erwarteten sie einen Arbeitsauftrag, Instruktionen oder ähnliches. Exodus machte Anstalten ihre Erwartungen lächelnd abzuwinken – bis er das Grinsen des nächststehenden Nautolaners sah. Irritiert und zögerlich hielt er inne und sah zu den anderen Spielern. Alle Blicke ruhten auf ihm. Zwei Nautolaner, die bis zum Bauchnabel im Wasser standen, tuschelten miteinander und einer von ihnen deutete in Richtung der Hütten. Immer noch das Grinsen des Nautolaners. Er kannte dieses Grinsen nur zu gut. Es hieß so viel wie: „Hey Kumpel, hast du die Kleine aus der Bar gestern noch klar gemacht?“
Exodus hatte diesen Gesichtsausdruck schon häufig gesehen: Früher, bei Freunden, in seiner Freizeit. Aber das hier waren nicht seine Freunde und es war auch keine Freizeit. Es war Arbeit und er der Chef der Nautolaner. Was dachten sie sich bloß?! Ging es etwa um Giselle?
Schon vor einigen Tagen hatte die Mitbewohnerin von Giselle sie beide bei der Rückkehr zum Camp entdeckt – und sie irritiert und mit großen Augen angesehen. Bildete sich die Crew etwa ein, da liefe was? Wurde etwa schon über sie geredet? So ging das nicht. Es konnte nicht sein, dass er zur Figur von Klatsch und Tratsch wurde, auch wenn er ihnen selbst Anlass dazu gegeben hatte. Das untergrub seine Autorität und das wiederum konnte sich nur negativ auf alle Arbeitsprozesse auswirken. Das Lächeln auf Exodus‘ Gesicht erstarb vollends und ohne etwas zu sagen, ging er weiter. Die Nautolaner sahen ihm hinterher, während er den Strand verließ und nun doch direkt das Camp ansteuerte, ohne Ziel und mit leisem Groll.
Ein Mann und eine Frau – und beide waren frei? So einfach war das nicht.


[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp ]
 
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