Fresia (Fre'ji-System)

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp ]

In Gedanken war Exodus das Gespräch mit Giselle noch einige – ach was: etliche! – Male durchgegangen. Er kam immer zu demselben Ergebnis: Das Schicksal lachte mal wieder herzlich über ihn. Oder die Macht. Bei der Sache mit dem Schicksal war er sich auch nach all den Jahren immer noch nicht so sicher.
Giselles letzte Woche waren nicht nur irgendein Flirt gewesen. Sie hatte es als Flirt verpackt, das schon. Aber die tiefere Botschaft war eigentlich unübersehbar. Oder zumindest wollte Exodus es – trotz der ironischen Situation, die diese Interpretation erzeugte – so sehen. Giselle war an ihm interessiert. Sie stand auf ihn. Die Hand, die er ihr die ganze Zeit so bereitwillig hingehalten hatte – jetzt würde die Vahla sie ergreifen. Die leise Stimme in seinem Hinterkopf jubelte bei diesem Gedanken auf. Sein Körper verging ohnehin in Begehren nach ihr. Und trotzdem musste er die Hand zurückziehen. Oder etwa nicht?

Im Camp wurde über sie, das hieß Giselle und ihn, geredet. Soweit war das nichts Ungewöhnliches. Es waren immer irgendwelche Geschichten über den Chef im Umlauf. Aber die Blicke der Nautolaner hatten ihm deutlich die möglichen – und vielleicht schon eingetretenen – Folgen dieses Geredes aufgezeigt: Er verlor an Respekt. Seine Autorität wurde nach und nach untergraben.
Exodus‘ bisherige Erfahrungen hatte ihn gelehrt, dass auch ein lockerer Umgang mit seinen Mitarbeiten zielführend sein und gute Ergebnisse bringen konnte. Aber Respekt vor dem Chef – das war etwas, das immer vorhanden sein musste. Respektierten sie ihn nicht, konnte er auch keine Anweisungen mehr durchsetzen. Damit würde das Projekt erlahmen und sie konnte ihre Zelte hier über kurz oder lang abbrechen. Aber das alles nur wegen ein paar Flirts mit Giselle? So kurz vor dem Ziel gezwungen sein, aufzugeben? Bevor er dieses persönliche Opfer für den Beruf brachte, musste er Gewissheit darüber haben, ob er mit seinen Gedankengängen richtig lag. Spontan konnte er sich – neben Giselle, die aber aus naheliegenden Gründen nicht zur Wahl stand – nur einen seiner Mitarbeiter vorstellen, mit der über das Thema reden konnte: Dan’el.

Er beschloss, den Piloten nach dem gemeinsamen Abendessen um ein persönliches Gespräch zu bitten. Bewusst wählte er schon während des Essens einen Platz neben dem Menschen und sprach harmlose Themen an, wie die Arbeitsprozesse, die Technik der Gleiter und die durchgeführten Reperaturarbeiten am Generator. Als sie beide ihr Essenstablett zurück zu den Camp-Köchen brachten, sprach Exodus den Piloten von der Seite an:


„Dan’el, darf ich Sie etwas Persönliches fragen?“

Dan’el zögerte sichtlich und nestelte länger als nötig gewesen wäre an seinem Besteck herum, um es ordentlich auf dem Tablett zu positionieren. Männer wie er waren es nicht gewohnt über private Dinge zu sprechen – zumal nicht während der Arbeit und schon gar nicht mit dem eigenen Chef. Aber hierbei ging es ja nicht um ihn.

„Worum geht es denn?“

Exodus stellte sein Tablett ab und sah den Piloten fest an. Es war niemand in direkter Hörreichweite. Trotzdem ging er ein paar Schritte und bedeutete dem Menschen mit einem Nicken, ihm zu folgen.

„Es geht um Giselle und mich – und was darüber im Camp geredet wird.“

Dan’el hielt für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Bewegungen inne.

„Oh.“

Er war unangenehm berührt. Seine große Hand wanderte langsam zu seinem Nasenrücken und strich nachdenklich darüber.

„Jaah – nunja, Sir. Es wird doch immer geredet, nicht wahr?“

„Vielleicht.“

gab Exodus zu und über sein Gesicht huschte der Anschein eines Lächelns, ob Dan’els Antwort. Er war noch nicht bereit direkt etwas preiszugeben. Das gehörte sich nicht, zwischen Chef und Mitarbeiter. Gleichzeitig war seinem Vorgesetzten gegenüber verpflichtet die Wahrheit zu sagen – oder zumindest fühlte er diese Verpflichtung.

„Aber nicht so.“

Exodus‘ Blick wanderte prüfend zu seinem Piloten. Dan’el überlegte eine Weile, bis er schließlich eingestand:

„Nein, nicht so.“

Der Vizepräsident der Wingston Corporation nickte bedächtig. Die Lage war verzwickt. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, schien ihm das Opfer, das er bringen musste, unendlich groß und dazu schlicht unfair. Er hatte in Giselle eine Freundin gefunden, jemanden, dem er sich anvertrauen konnte. Die Zeit mit ihr zu verbringen war immer sehr angenehm. Jetzt hatte sie auch noch Bereitschaft signalisiert weiter zu gehen – zumindest hatte er ihre Worte so interpretiert. Eine kleine Affäre, die hier auf Fresia bleiben würde. Was konnte er sich eigentlich mehr wünschen?
Genau: Dass das alles nicht seine Position bei der restlichen Crew beeinflussen würde.


„Was genau wird denn so geredet?“

Zugegeben, eine ziemlich offene Frage für einen verschlossenen Typen wie Dan’el. Exodus erwartete schon fast, dass er eine Antwort verweigern würde. Tatsächlich aber gab er sich sichtlich Mühe, eine Antwort zu finden.

„Also … momentan wetten die Nautolaner darauf, wo man sie wohl als erstes … erwischen wird.“

Sie wetteten? Exodus zog unwillkürlich die Augenbrauen hoch. Das musste Dan’el jetzt wirklich Überwindung gekostet haben. Trotzdem war er bereit, noch mehr preiszugeben:

„Am Strand, im Dschungel, in ihrer … Hütte.“

Exodus presste die Lippen aufeinander. Er wollte Dan’el nicht noch länger quälen. Immerhin hatten seine Auskünfte gezeigt, dass er nicht überall an Respekt eingebüßt hatte.

„Verstehe.“

Das war doch wirklich die Höhe. Die Nautolaner wetteten darauf, wo man ihn und Giselle zuerst bei ihrer – vermeintlich – heißen Affäre ertappen würde? Eine trotzige Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass sie es darauf ankommen lassen sollten. Einer von ihnen würde schon auf den richtigen Ort getippt haben.
Pah. Das war doch lächerlich.


„Danke. Das wäre auch schon alles.“

Dan’el warf ihm nun seinerseits einen prüfenden Blick zu. Offenbar fiel es ihm schwer, einzuschätzen, inwieweit seinem Chef dieses Gespräch gefallen hatte. Es hatte ihm nicht gefallen. Denn einerseits war er drauf und dran, sich dem Gedanken hinzugeben, dass selbst unanständige Wetten noch im Bereich dessen waren, was Mitarbeiter über ihre Vorgesetzten nunmal so redeten – andererseits beschlich ihn das eindeutige Gefühl, dass es besser wäre, sie würden solche Wetten eben nicht abschließen. Außerdem schienen sie ja fast zu erwarten, ihn irgendwann mit entblößtem Hintern und heruntergelassener Hose vor Giselle kniend vorzufinden. Das Bild an sich gefiel Exodus trotzdem. Er wollte Giselle. Verdammte Nautolaner!

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– Fresia – Fingers Mark – Camp –

Manchmal änderte sich alles ganz pötzlich. Innerhalb von nur wenigen Minuten hatte Giselle nicht nur ein paar nebensächliche Dinge über Exodus Wingston erfahren. Sie hatte ihn in einem gänzlich anderen Licht kennen gelernt. Es war, als hätte sich eine der Türen, die zu seinem Innersten führten, kurzzeitig für sie geöffnet. Er hatte sich geöffnet. Offensichtlich hatte er jemanden zum Reden gebraucht. Giselles Schritte waren leicht, als ihre Füße sie zurück zum Camp trugen. Sie fragte sich bloß, ob er mit jedem gesprochen hätte, der ihn in seiner Einsamkeit gestört hätte, oder ob er sich bewusst an sie gewandt hatte.

Es war ein Abend wie jeder andere, der genauso dahin glitt, sich legte und verging, wie die meisten seiner Art. Das Abendessen nahm jeder dort ein, wo es ihm beliebte. Manche von ihnen saßen vor ihren Zelten, froh über das Miteinander, während sich andere zurück zogen. Giselle sah Exodus, der einige Zeit nach ihr von den Felsen zurück gekommen war, wie er sich – wie üblich - mit Dan'el unterhielt. Es kam nicht oft vor, dass sie ihn mit einem der anderen sah. Sie selbst schloss sich Jak an, der sie einlud, sich einer Partie „Panero“ anzuschließem – einem Würfelspiel, dass er ihr vor zwei Tagen erst beigebracht hatte. Später verließ sie die fröhliche Runde gemeinsam mit Sou und Zera. Die beiden Frauen sprachen noch lange über Sous zwei Veehrer unter den Nautolanern und die Vorzüge eines jeden Einzelnen. Sou fühlte sich offenbar wohl in der Rolle der Umkämpften und ließ sich Zeit, die beiden Männer zappeln zu lassen. Giselle fragte sich, wie lange die beiden das wohl noch mitmachen würden und hoffte gleichzeitig, dass sie sich möglichst bald zu einer Entscheidung herabließ. Die Spannung zwischen den beiden Konkurrenten war für jeden im Camp deutlich spürbar und die Vahla befürchtete, dass sich ihr Verhältnis negativ auf ihre Arbeit auswirken könnte. Um dem vorzubeugen, hatte sie die beiden schon absichtlich in verschiedene Schichten gesteckt. Trotzdem war das lediglich eine temporäre Lösung.

Die Nacht über schlief Giselle schlecht. Trotz dem Geschnatter ihrer beiden Mitbewohnerinnen war sie recht schnell eingeschlafen, hatte sich jedoch immer wieder von einer Seite auf die andere gewälzt und wachte nach nur drei Stunden schließlich vollends auf. Eine Weile lag sie mit geschlossenen Augen auf ihrem Lager. Um sie herum war es mucksmäuschenstill. Niemand sprach mehr, auch draußen nicht. Das einzige, das sie hörte, war das rhytmische Rauschen des Meeres. Giselle versuchte ihre Gedanken zu befreien. Sie hatte einen wirren Traum gehabt über Liam, den sie wieder getroffen und der ihr vorgeworfen hatte, die Streitkräfte der Neuen Republik im Stich gelassen zu haben. Im Traum hatte Giselle sich mit ihm gestritten, war davon gelaufen und nach Fingers Mark geschwommen – ja, im Traum war sie tatsächlich dorthin geschwommen, so als hätte sie lediglich einen Fluss überquert und nicht ein riesiges Meer. Liam war ihr gefolgt, hatte sich von ihr die Insel zeigen lassen und Exodus hinter ihrem Rücken gebeten, Giselle zu entlassen, damit sie zurück zur Flotte gehen konnte. Das hatte Giselle nur noch wütender gemacht. Sie hatte sich von Liam hintergangen und betrogen gefühlt. Unverstanden. Selbst jetzt, wo sie wach war, hallte dieses Gefühl noch nach, obwohl Giselle wusste, dass es nur ein Traum gewesen und in Wirklichkeit nichts Schlimmes geschehen war. Die Vahla schlug die dünne Decke zurück und beschloss, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Es brachte nichts, wach zu liegen und nicht einschlafen zu können. Etwas frische Luft tat ihr vielleicht gut. Draußen war es so hell wie die meiste Zeit über. Die Sonne lachte – eine Eigenheit Fresias, an die zu gewöhnen wirklich nicht einfach war. Weil sie nicht zwischen den Zelten umher schleichen wollte, ging Giselle hinüber in den Wald. Hoch in den Baumwipfeln über ihr, zirpte ein Flugtier. Was war es, das sie wach hielt? Sie schlief für gewöhnlich gut. War es wirklich nur der Traum, den sie gehabt hatte? Oder war es die Tatsache, dass ihre Gedanken, egal welchen Weg sie gingen, am Ende immer wieder zu Exodus Wingston zurück kehrten? Vielleicht war es beides, dachte sie und benutzte den schmalen Trampelfad, der sich mittlerweile zwischen dem Camp und der kleinen Quelle, von der aus sie Frischwasser bezogen, gebildet hatte und sich entlang buschiger Sträucher und filigraner Bäumchen schlängelte. Giselle war jemand, der leicht Konktakte knüfte. Sie war aufgeschlossen, für Fremde, bis zu einem gewissen Grad, leicht zugänglich und schätzte Geselligkeit. Wenn sie in eine Bar ging und auch niemanden dort kannte, es dauerte nie lange, bis sie einen Gesprächspartner gefunden hatte. Trotzdem hatte Giselle nur noch wenige Freunde, die ihr wirklich viel bedeuteten. So schnell sie auch neue Bekanntschaften machte, die meisten davon blieben genau das. Gerade in den letzten Jahren hatte sie nicht viele Leute getroffen, die ihr für längere Zeit nahe gestanden hatten. Während ihrer Zeit bei der Flotte war nicht viel Raum für Freundschaften gewesen – und das, obwohl gerade die angeblich so familiäre Atmosphäre und das gemeinschaftliche Ziel zum Teil ausschlaggebend für Giselle gewesen waren, der Neuen Republik beizutreten. Giselle erreichte Quelle, die nur ein paar Minuten Fußweg vom Camp am Strand entfernt lag, hielt ihre Hände unter das quirlig dahin plätschernde Wasser und befeuchtete ihre Stirn und ihren Hals. Exodus Wingston war ein Mann, der vieles verkörperte. Er war ein guter Anführer, einer dem man zuhörte. Er war ein Geschäftsmann, der auf Profite aus war. Er war Vater. Er war ein Ehepartner, der kurz vor einer Scheidung stand. Doch was war er für sie, für Giselle? Er war ihr Vorgesetzter, auf der einen Seite. Darüber hinaus... konnte er noch mehr für sie sein. Wieviel mehr, das hing von ihnen beiden ab.

Der nächste Morgen kam so schnell, wie sie ihn erwartet hatte. Nach ihrem kurzen Sparziergang war Giselle schnell wieder eingeschlafen. Sie hatte nachgedacht, worüber ihr Geist hatte nachdenken wollen und ihrem Körper seine Ruhe gestattet, nachdem ihre Gedanken sich neu sortiert hatten. Ihr morgendliches Fitnessprogramm hielt sie ausnahmsweise kurz. Anschließend begab sie sich hinüber ins Verwaltungszelt, um einen Teil des Papierkrams zu erledigen. Es war noch nicht spät und die erste Schicht war er kürzlich nach „Big Pearl“ aufgebrochen, als ein Schatten auf Giselles Gesicht fiel und ihr das Tageslicht nahm. Die Vahla sah auf, sah Taku, einen der Nautolaner, im Eingang des Zeltes stehen und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Er war außer Atem und offenbar gerannt.


“Taku, was ist los?“

Fragte Giselle ohne Umschweife und erhob sich aprubt. Der Nautolaner sah sich um, bevor er antwortete.

“Ich bin nicht sicher, Miss Giselle. Ein paar von uns waren im Wald, wo wir schon gestern eine neue Quelle in einer Höhle gefunden haben. Ich meine... es ist keine richtige Höhle. Sie ist... halb geöffnet...“

Er verstrickte sich in Details. Ungeduldig unterbrach Giselle ihn.

“Ist dort etwas passiert? Ist jemand verletzt?“

Wollte sie wissen. Taku machte eine seltsame Kopfbewegung, eine seltsame Mischung aus einem Nicken und einem Schütteln des Kopfes. Seine Tentakel zuckten nervös.

“Nein, ich meine ja. Vielleicht. Ich bin nicht sicher! Die Mon Camalari waren dort, Miss Giselle. Sie kamen wie aus dem Nichts und haben uns angegriffen. Ich bin sofort los gerannt. Most war zuerst dicht hinter mir, aber er ist zurück gelaufen, als er sah, dass sich Jak und Iver mit den Calmari angelegt haben. Ich habe ihm gerufen, er solle es lassen, aber er wollte nicht hören. Also bin ich weiter.“

Giselle fuhr sich durch die Haare. Wenn das die ganze Geschichte war, dann schien sie zwar simpel, aber bereits schlimm genug. Eine weitere Konfrontation mit den Mon Calamari war zu erwarten gewesen, dass sie jedoch sofort in Handgreiflichkeiten ausartete, hätte sie nicht gedacht, jedenfalls nich so schnell. Die Nautolaner besaßen ein nicht zu verleugnendes Temperament, die Eingeborenen auf Fingers Mark hatte Giselle jedoch als äußerst friedfertig kennen gelernt – zumindest jene auf Rings Island.

“Wir müssen Mr. Wingston informieren.“

Entschied Giselle und war bereits aus dem Zelt hinaus.

“Du läufst und holst ihn. Er müsste in seiner Hütte sein. Danach führst du uns zu dieser Höhle.“

Taku war bereits los gelaufen, noch bevor Giselle zu Ende gesprochen hatte. Sie duckte sich unter einem Schwarm Mücken hinweg zurück ins Verwaltungszelt und griff nach ihrer Umhängetasche. Es war ein neuer Tag auf Fresia und damit offensichtlich auch Zeit für ein neues Problem.

– Fresia – Fingers Mark – Camp – Verwaltungszelt -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte ]

Wie fühlte sich der Morgen eines Tages an, der alles verändern würde? Oder besser gesagt: Der Morgen nach einem Tag, der alles verändert hatte? Exodus lag mit ausgestreckten Beinen in seinem Bett und starrte an die Decke. War gestern so ein Tag gewesen? Er hatte die Entscheidung noch nicht endgültig getroffen: Ob er sich von nun an von Giselle fernhalten würde oder nicht. Ob er all seine Offerten nun begrub oder weiter versuchte sie für sich zu gewinnen. Wobei letzteres – so wie er die Situation einschätzte – gar nicht mehr nötig war. Er hatte gewonnen, er musste sich den Gewinn nur noch abholen. Und es war so verdammt verführerisch!
Der Morgen nach der großen Veränderung – nachdem er bemerkt hatte, dass seine Annäherung an Giselle offenbar seine Stellung als Chef des Camps untergrub – rief nach einem Rat. Es ging hier um die Vermischung von beruflichem und privatem und üblicherweise wäre sein Vater dafür der richtige Gesprächspartner gewesen. Aber in diesem Fall zögerte Exodus. Alad Wingston würde es missverstehen. Die Geschichte mit Giselle würde für ihn klingen wie eine gewöhnliche Affäre, eine, die sein Sohn anfangen wollte, um sich über Yuna hinweg zu trösten. Aber so war es nicht. Diese enorme Anziehungskraft von Giselle war kaum in Worte zu fassen. Niemand würde verstehen, wie es sich anfühlte, wenn seine Haut auf ihrer prickelte, wie angenehme Schauer seinen Rücken hinab wanderten, wenn er sie nur berührte. Giselle war einmalig und es gab nur wenig, was ihn davon abbringen würde, sie für sich haben zu wollen. Gehörte der Job wirklich dazu? Dieses Camp hier konnten auch andere leiten. Und er konnte sich mit Giselle nach Hill City in ein Hotel zurückziehen. Dort könnten sie dann den ganzen Tag –
Ein Klopfen an seiner Tür ließ Exodus aufschrecken. Er hatte den Morgen ungewöhnlich lange in seiner Hütte verbracht, vermutlich wurde er schon vermisst. Es war nicht so, dass er die Crew hatte meiden wollen – er hatte schlicht keine Lust auf die Blicke und Tuscheleien gehabt. Und darauf eine Entscheidung fällen zu müssen, die mit jedem Tag dringlicher wurde. Mit einer schnellen Bewegung erhob er sich vom Bett – angezogen war er schon – lief zur Tür und öffnete sie. Er sah direkt in die großen schwarzen Augen eines Nautolaners: Taku. Der junge Mann war ziemlich außer Atem und sprach schnell.


„Mister Wingston. Miss Givenchy schickt mich. Wir haben ein Problem mit den Mon Calamari, dort drüben im Wald, sie haben uns angegriffen. Ich bin noch weg, aber Jak und Iver sind dort geblieben und jetzt –“

Exodus hob die Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. Es funktionierte. Taku sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Wo ist Giselle?“

„Im Verwaltungszelt.“

„Alles klar.“

Weitere Fragen waren vorerst nicht nötig. Bevor er hier Zeit verschwendete, wollte er sich darüber in Kenntnis setzen, wieviel Giselle schon über den Vorfall wusste und dann gemeinsam mit ihr eine Entscheidung treffen. Während Exodus sich schnurrstraks auf den Weg zum Versorgungszelt machte, lief Taku neben ihm her und versuchte noch weitere Details seiner Geschichte anzubringen. Es ging um eine Quelle und eine Höhle und irgendwie hatten die Mon Calamari sie wohl dort angegriffen. Rätselhaft.

„Guten Morgen Giselle.“

begrüßte Exodus seine Assistentin knapp, als er das Verwaltungszelt betrat. Ihre Blicke trafen sich, beide sorgenvoll aber entschlossen. Selbst jetzt musste er sich zurückhalten, ihre Nähe zu suchen und sie rein zufällig zu berühren. Taku war ihm ins Zelt gefolgt und vor dem Nautolaner – so zumindest sein vorläufiger Beschluss – wollte er den Gerüchten nicht noch weitere Nahrung geben. Also blieb er in einigem, fast unnatürlich großem, Abstand stehen.

„Was ist vorgefallen? Wie schnell müssen wir eine Entscheidung treffen?“

Das war die wichtigste Frage: Hatten sie Zeit zur Observierung der Situation oder musste es schnell gehen? Im Zweifelsfall war Exodus bereit für die Sicherheit seiner Crew selbst in den Kampf zu schreiten. Nicht das die Mon Calamari eine ernsthafte Gefahr für ihn darstellen würde. Trotzdem. Die Crew gehörte zur Wingston Corporation und damit – so hatte es sein Vater immer gesagt – fast zur Familie. Umso ärgerlicher, dass diese Leute ihm das Leben jetzt so schwer machten. Unmerklich schoben sich seine Füße einige Centimeter näher an Giselle heran.

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Verwaltungszelt | mit Giselle und Taku ]
 
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– Fresia – Fingers Mark – Camp – Verwaltungszelt – Mit Taku und Exous -

Es dauerte nicht lange, bis Taku zurück war und Exodus mit brachte. Giselle war kurz zum Versorgungszelt hinüber gelaufen, hatte sich eine Hand voller Verbände und Bactapflaster in ihre Tasche gestopft und war dann zurück zum Verwaltungszelt gegangen, um dort zu warten. Sie grüßte Exodus mit einem einfachen „Guten Morgen“, fragte sich kurz, wie der gestrige Abend für ihn wohl geendet und ob er seinem Sohn wirklich noch geschrieben hatte, schob diesen Gedanken dann jedoch dorthin, wo alle privaten Dinge warten mussten, bis die wichtigen Probleme, die wieder einmal vor ihnen lagen, gelöst waren. Ebenso sah es, wie nicht anders zu erwarten, auch Exodus. Er kam direkt zum Punkt, fragte was geschehen sei und wieviel Zeit ihnen blieb. Giselle warf einen Blick auf den Nautolaner.

“Ein paar von uns haben sich in einer Art Höhle aufgehalten, die sie gestern dort entdeckt haben. Es gibt dort eine Quelle, richtig, Taku?“

Der Nautolaner nickte bestätigend, froh darüber, dass Giselle das Reden übernahm, er die Geschichte nicht ein zweites Mal erzählen musste und Zeit hatte, wieder zu Atem zu kommen.

“Die Mon Calamari haben ohne Vorwarnung angegriffen. Unsere Leute haben sie offenbar nicht näher kommen sehen?“

Erinnerte Giselle sich an das, was ihr schon zuvor berichtet worden waren. Wieder nickte Taku.

“Wie aus dem Nichts.“

Unterstrich er etwas zu dramatisch.

“Dann haben sie sich bewusst angeschlichen.“

Ein Angriff auf Mitarbeiter der Wingston Corporation setzte ein deutliches Signal: sie waren hier nicht willkommen. Dass man ihr Treiben nicht gut hieß und genau beobachtete, war schon vorher klar gewesen, doch bis jetzt hatten Exodus Wingston und seine Leute davon ausgehen können, dass man sie tolerierte. Dem war nun nicht mehr so. Was heute vorgefallen war, sah ganz nach einem offenen Konflikt aus.

“Wir sollten uns direkt auf den Weg machen und keine weitere Zeit verlieren.“

Sagte Giselle.

“Außer Taku ist bisher niemand von den anderen zurück. Gut möglich, dass die anderen verletzt sind uns unsere Hilfe brauchen. Ihr seid zu viert gewesen?“

“Ja. Most, Jak, Iver und ich.“

“Wieviele Mon Calamari waren es?“

“Puh... ich weiß nicht... vier vielleicht, vielleicht auch fünf.“

Taku schien unsicher, aber er war ja auch direkt los gelaufen. Vermutlich hatte er wirklich nicht all zu viel gesehen, sondern nur im Sinn gehabt, heil davon zu kommen.

“Wir sollten los.“

Drängte sie und sah zu Exodus.

“Wenn wir uns beeilen, besteht die Chance, dass wir noch auf die Mon Calamari treffen. Ich würde gerne wissen, ob es die selben sind wie neulich, als wir die Bäume gefällt haben. Außerdem sollten wir versuchen mit ihnen zu sprechen.“

– Fresia – Fingers Mark – Camp – Verwaltungszelt – Mit Taku und Exous -
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Verwaltungszelt | mit Giselle und Taku ]

Wie in Spiegelstrichen reihten sich die Informationen, die Giselle und Taku ihm vermittelten, in Exodus‘ Kopf auf. Eine Höhle, mit einer Quelle. Die Nautolaner hatten sie gestern entdeckt. Ein Überfall der Mon Calamari. Aus dem nichts heraus. Drei Nautolaner gegen vier oder fünf Mon Calamari. Nur Taku war entkommen. Exodus nickte in Gedanken zu jedem dieser Stichpunkte. Insgeheim fragte er sich, wie viel Gewalt die Mon Calamari bereit waren, anzuwenden. Würden sie bis zum Tod ihrer Feinde gehen? Oder reichte es ihnen, die Störenfriede zu verjagen?
Giselle schien diese pessimistischen Gedankengänge nicht ganz zu teilen, oder äußerte sich zumindest nicht in dieser Richtung. Ihrer Einschätzung nach blieb nur wenig Zeit, um die Mon Calamari abzupassen und mit ihnen zu reden. Ja, reden wäre vermutlich das vernünftigste. Ein Teil von Exodus stellte sich dennoch auf einen Kampf ein. Er war gut darin zu kämpfen. Vielleicht sogar besser als im Reden, obwohl er auch diese Disziplin ganz passabel beherrschte. Ganz passabel! Vor sich selbst brauchte er nun wirklich nicht den bescheidenen spielen.


„Also gut.“

bestätigte Exodus Giselles Appell mit einem Nicken.

„Dann brechen wir sofort auf. Brauchen wir noch irgendetwas?“

Sein fragender Blick traf zuerst Giselle und dann Taku. Seine Assistentin schüttelte mit dem Kopf und deutete auf ihre Tasche. Sie trug Bactapflaster und Verbände mit sich.

„Nein.“

„In Ordnung. Dann los. Taku, würden Sie uns führen?“

Der Nautolaner schien unbehaglich und zögerte einen Moment, bis er schließlich nickte und ihnen ein Handzeichen zum Verlassen des Zeltes gab. Vermutlich war er nicht besonders scharf darauf, zurück zum Ort des Geschehens zu gehen. Er tat es dennoch. Er hörte auf Exodus' Anweisungen und seine Autorität. So schlimm war es also gar nicht, oder? So große Auswirkungen schien diese ganze Sache noch gar nicht zu haben. Oder redete er sich das nur ein?

„Hier entlang.“

Sie folgten Taku aus dem Camp hinaus, in den Dschungel. Exodus‘ Meinung nach hätten sie noch schneller vorankommen können, trotz der natürlichen Barrieren und Schranken, die der Wald zuverlässig und trotzdem immer wieder überraschend vor ihnen aufbaute. Aber er wollte Taku nicht mehr drängen als nötig. Möglicherweise musste sich der Nautolaner ja erst einmal an den genauen Weg erinnern. Oder er hatte einfach Angst.
Unwillkürlich fragte Exodus sich, ob Taku einer jener Mitarbeiter, die über seine Vergangenheit Bescheid wussten. Wer hatte in Anwesenheit eines ehemaligen Sith denn Angst vor fünf wilden Mon Calamari?


„Was hälst du von dieser ganzen Sache?“

wollte Exodus von Giselle wissen, als sie nebeneinander über einen am Boden liegenden Baumstamm kletterten. Für den Bruchteil einer Sekunde berührten sie sich mit ihren nackten Armen. Giselles Tunika hatte sich nur für einen Moment nach oben geschoben und Exodus hatte während des Marsches die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt. Eine Gänsehaut jagte seinen Nacken herunter. Er unterdrückte den Impuls ihr helfend die Hand zu reichen. Nicht vor Taku ...
... und nicht vor den anderen Nautolanern.


„Hey Jungs!“

rief Taku plötzlich erfreut und nahm Giselle damit die Chance auf Exodus‘ Frage zu antworten.

„Jak, Iver, ... Most!“

„Taku, du Feigling“

schallte es zurück, doch Exodus meinte leichte Ironie darin zu erkennen. Die Nautolaner schälten sich langsam aus den Tiefen des Dschungels heraus und traten der Reihe nach in Erscheinung. Jak, Iver und Most, so waren ihre Namen gewesen. Einer von ihnen war wohlauf, die anderen beiden trugen blutige Wunden primitiver Waffen davon. Aber alles in allem, verriet ihm die Macht, ging es ihnen den Umständen entsprechend gut. Keiner von ihnen würde hier sein Leben lassen müssen. Exodus hob grüßend die Hand, senkte dann aber die Stimme und wandte sich erneut an Giselle.

„Wollen wir den Mon Calamari wirklich noch hinterher? Es sieht nicht so aus, als wollten sie einfach nur … reden. Wir müssen auf alles gefasst sein.“

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle und Taku, Most, Iver, Jak ]
 
– Fresia – Fingers Mark – Dschungel – Mit Taku, Exodus, Iver, Most, Jak -

Giselle sah die anderen erst, als Taku ihnen bereits zugerufen hatte. Überrascht sah sie auf und die Antwort, die sie Exodus auf seine Frage im Begriff gewesen war zu geben, entrann ihr.

„Taku, du Feigling“

Rief einer der drei Nautolaner, es war entweder Most oder Iver, als sie direkt vor ihnen auftauchten. Giselles Blick glitt automatisch von einem zum nächsten. Sie sah einige üble Gesichtsverletzungen und aufgeschürfte Arme, aber auch ein Grinsen im Gesichts Jaks, obwohl er es auch war, der am schlimmsten zugerichtet war. Giselle öffnete bereits ihre Umhängetasche, um die mitgebrachten Bactapflaster heraus zu holen, als Exodus' Stimme in gedämpftem Tonfall neben ihr erklang. Ob sie den Mon Calamari wirklich folgen sollten, wollte er wissen. Giselles Blick fiel auf Jak. Sein linkes Auge war stark zugeschwollen, seine Wange hatte sich verfärbt. Aus einer aufgeplatzten Lippe blutete es.

“Ja, ich denke wir sollten in jedem Fall versuchen sie abzupassen.“

Antwortete sie.

“Wir können nicht einfach nichts tun. Das macht es nicht besser.“

Die Vahla schob sich an Taku vorbei zu Jak hinüber.

“Du siehst furchtbar aus.“

Teilte sie ihm mit, löste ein Bactapflaster aus seiner Verpackung und fixierte es über seinem Auge, sodass es komplett verdeckt war. Dem zweiten verletzten Nautolaner drückte sie ebenfalls zwei Stück in die Hand.

“Jetzt siehst du ein bisschen aus wie ein Pirat.“

Scherzte sie zu Jak, begann mit einem desinfizierten Tuch Blut aus seinem Mundwinkel zu tupfen und sah zu den anderen beiden hinüber.

“Wie weit ist es noch zur Quelle?“

Wollte sie wissen. Einer der anderen sah sich um.

“Viertelstunde etwa.“

“Und in welche Richtung sind die Mon Calamari verschwunden?“

Ein unterdrücktes Lachen stieg in Jak auf. Sein Körper bebte..

“Nach Norden, die Feiglinge. Sind gerannt wie kleine Kinder. Denen haben wa's gegeben! - Au!“

Der Nautolaner zuckte unter Giselles Berührung und dem schmerzhaften Brennen des Desinfektionsmittels in seinen Wunden.

“Halt still.“

Forderte Giselle.

“Ich schlage vor, ihr geht auf direktem Weg zurück zum Camp. Taku bringt Mr. Wingston und mich zur Quelle, damit wir uns dort umsehen können. Und wenn wir die Mon Calamari noch einholen können, wäre das auch nicht schlecht.“

Sie richtete sich auf, fertig mit ihrer spontanen, provisorischen Verarztung. Jak hatte wirklich etwas von einem Pirat, mit seiner neuen Augenklappe. Er grinste sie an.

“Danke, Gis.“

Den Verschluss ihrer Tasche wieder schließend, hob Giselle ihren Blick zum Himmel. Sie konnten sich direkt Richtung Norden halten, oder zuerst zur Quelle gehen. Letzteres war vermutlich sinnvoller. Von dort aus konnten sie die Spur der Mon Calamari besser aufnehmen. Fragend richtete sie ihren Blick zu Exodus.

“Wollen wir weiter?“

Fragte sie.

“Wenn unsere Jungs ihnen wirklich so zugsetzt haben, kommen sie vielleicht nicht ganz so schnell voran.“

“Gis... bist du sicher?“

Ziemlich zweifelnd sah Jak sie an und deutete, um ihr ein Beispiel zu geben, was einem bei einer Begegnung mit feindlichen Mon Calamari passieren konnte, auf sich selbst.

“Die Inselhüter spaßen nicht.“

Warnte er sie. Natürlich hatte er Recht. Was machte sie so sicher, dass sie nicht ein zweites Mal angreifen würden? Wirklich wissen konnte Giselle es nicht, aber sie konnte auch nicht einfach vom Schlimmsten ausgehen. Exodus hatte sie eingestellt, damit sie die Vermittlerrolle einnahm, also würde sie genau das tun. Außerdem glaubte sie nicht, dass die Mon Calamari ihr als Frau etwas tun würden. Der Angriff auf die Nautolaner war eine Warnung gewesen, vielleicht etwas mehr als das. Im Grunde wollten sie keinen Krieg, sondern nur ihre Ruhe.

“Ich bin ja nicht alleine.“

Erwiderte Giselle, Jak zuzwinkernd, und warf einen vielsagenden Blick in Exodus' Richtung. Jak grinste noch immer.

"Na, dann viel Glück."

Wünschte er ihr und klopfte ihr auf die Schulter. Giselle lächelte zurück, aber eigentlich glaubte sie nicht, dass sie es unbedingt brauchte. Nicht, solange Exodus bei ihr war.

– Fresia – Fingers Mark – Dschungel – Mit Taku, Exodus, Iver, Most, Jak -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle und Taku, Most, Iver, Jak ]

In dieser Vorstellung spielte Giselle die Hauptrolle. Sie plauderte mit den Nautolanern, kümmerte sich um sie, scherzte und stand im Mittelpunkt der ganzen Szenerie. Der, den sie einen Piraten nannte – Jak – hatte sogar einen Spitznamen für sie: Gis.
Exodus verzog das Gesicht. Er stand völlig unbeteiligt daneben, niemand fragte ihn was zu tun war oder holte seine Meinung ein. Die Nautolaner hatten nur Augen für Giselle. Aber konnte er es ihnen denn wirklich verübeln? Giselle war die Hauptdarstellerin, sogar für ihn selbst. Und genau deshalb hatte er sie schließlich auch eingestellt. Sie kannte sich aus auf Fingers Mark und sie konnte einen schnellen Draht zu verschiedensten Leuten aufbauen. Sie war wirklich sehr gut darin. Gis. Dieser Jak war anscheinend ziemlich vertraut mit ihr. Ob sie auch schon Strandspaziergänge zusammen unternommen hatten und abends lange beieinander saßen und sich unterhielten? Ob da sogar schon mehr gelaufen war …? Exodus schüttelte unmerklich den Kopf. Das war genau der Grund, wieso er privates und berufliches nicht vermischen durfte. Er konnte sich keine Eifersucht leisten. Auch wenn sein Körper danach schrie, Giselle ganz für sich zu haben. Nur für sich allein.
Und dann waren da noch diese Blicke, die Jak Giselle und ihm zuwarf. Was sollte das jetzt? War das doch wieder eine Anspielung auf die Gerüchte? Lief zwischen den beiden vielleicht doch nichts? Oder amüsierte ihn, dass das Camp Giselle eine Affäre mit ihrem Chef angedichtet hatte, obwohl Jak am besten wusste, dass es in Wahrheit ganz anders lief?
Verdammt. Andere Gedanken! Schnell.


„Ich passe schon auf dich auf.“

raunte Exodus seiner Assistentin vieldeutig zu. So viel also dazu. Dass er auch immer sein Revier verteidigen musste. In solchen Momenten war der Mund dann schneller als der Kopf. Oder er ignorierte ihn schlichtweg. Jetzt aber:

„Also Taku: Führen Sie uns erneut den Weg?“

fragte der Projektleiter überflüssigerweise, um wenigstens ein wenig den Eindruck der starken Führungsperson aufrecht zu erhalten. Den Eindruck, den er befürchtete durch die Gerüchte zu verlieren. Immerhin: Der Nautolaner nickte und machte sich auf den Weg, während sich die anderen drei – von Giselle gut verarztet – auf den Rückweg zum Camp machten. Am liebsten hätte er Taku gleich mit ihnen zurück geschickt. Das Verlangen, alleine Zeit mit Giselle zu verbringen wuchs mit jedem Schritt durch den dichten Dschungel und mit jedem Gedanken daran, dass zwischen ihr und Jak tatsächlich etwas laufen könnte. Bewusst ließ Exodus sich etwas hinter Taku zurückfallen und lief neben Giselle her. Ein dämliches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht und während er bewusst nach vorne auf den Boden stierte, fragte er mit ironischem Unterton:

„Gis, hm?“

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– Fresia – Fingers Mark – Dschungel – Mit Taku und Exodus -

Giselle war ein Schauer den Rücken hinunter gelaufen, als Exodus ihr ins Ohr geraunt hatte, dass er auf sie aufpassen würde. Das war genau das gewesen, was sie hatte hören wollen. Woher hatte er das nur gewusst? Sie winkte Jak zum Abschied. Er brauchte sich wirklich keine Sorgen zu machen. Sie war in guten Händen. Die winzige Andeutung eines Lächelns schlich sich auf ihr Gesicht, als sie ihren Weg zu dritt fortsetzten. Taku wäre vermutlich liebend gerne mit seinen Kameraden zurück zum Camp gegangen. Mit seinem Chef und dessen Assistentin durch den Dschungel zu laufen und eine Gruppe wütender Mon Calamari zu suchen, nachdem seine Kollegen bereits eine schwere Prügelei mit diesen hinter sich hatten, war sicher nicht das, was er sich als Ziel vorgestellt hatte, nachdem er am Anfang eigentlich vor ihnen davon gelaufen war. Wieviel Jak wohl übertrieben hatte, als er gemeint hätte, sie hätten es den Mon Calamari ordentlich gezeigt? Giselle konnte es schwer einschätzen. Fakt war, die Nautolaner waren durchtrainiert. Sie hätte niemandem geraten, sich mit ihnen anzulegen. Selbst Taku, der „Feigling“, wie seine Kumpel ihn genannt hatten, brauchte sich vor keinem Gegner zu verstecken.

Exodus ging mit ihr auf einer Höhe, während Taku vorneweg führte und Giselle spürte, dass sie Durst bekam. Da passte es gut, dass sie unterwegs zu einer Quelle waren. Sprechen tat von ihnen niemand. Stattdessen sprach der Dschungel mit ihnen. Es vibrierte überall, überall schien es voller Leben zu sein. Vögel zwitsherten über ihnen, Blätter rauschten im lauen Wind und von irgendwo her schnatterte es. Giselle lauschte vertieft auf diese Geräusche und hätte bei der einseitigen Konversation, die der Dschungel zu führen schien, fast Exodus überhört, der nur zwei winzige Worte sagte:


“Gis, hm?“

Leicht irritiert sah Giselle ihn an. Exodus lief direkt neben ihr, blickte jedoch zu Boden, fast so als wäre er vollkommen auf jeden seiner strammen Schritte konzentriert. Er hätte leicht den Eindruck erwecken können, gar nichts gesagt zu haben, doch Giselle war sich sicher, dass sie sich nicht eingebilet hatte, seine Stimme zu hören. Aber was genau wollte er von ihr? Hatte er den Kosenamen, mit dem Jak sie benannt hatte, hinterfragt? Konnte sie in seinen Mundwinkeln ein amüsiertes Zucken erkennen? Unschlüssig runzelte die Vahla die Stirn.

“Jak ist sehr engagiert.“

Sagte sie, bemüht, ein gutes Wort für ihren Freund und Kollegen einzulegen. Ihn zu loben erschien ihr das naheliegendste, wo Exodus ihn schon zitierte.

“Er leidet unter Schlafstörungen, ist aber trotzdem in der Lage die gleichen Schichten abzuleisten wie die anderen.“

Erkärte sie und erinnerte sich daran, dass Jak sogar der erste aus dem Camp gewesen war, mit dem sie überhaupt gesprochen hatte.

“Oft liegen seine Ertragszahlen des abgebauten Lumiums sogar über denen seiner Kameraden.“

Bewusst hatte Giselle etwas leiser gesprochen. Trotz des kleinen Vorsprungs, den Taku vor ihnen hatte, wollte sie nicht riskieren, dass er solch vertraulichen Themen mitbekam. Was Exodus und sie über die Leistungen der Mitarbeiter dachten, musste er nicht unbedingt erfahren.

“Darüber hinaus ist er sehr teamfähig. Er hat einen guten Draht zu allen im Camp und...“

Während sie sprach, sah Giselle Exodus automatisch an und brach ab. Er wollte keinen Vortrag über Jaks Leistungen hören.

“Warte mal... du machst dich darüber lustig, wie er mich genannt hat, oder?“

Fragte sie, ebenfalls ein Lachen auf den Lippen. Ob Exodus Wingston glaubte, über Kosenamen erhaben zu sein? Manche Leute verabscheuten sie, andere machten sich gar nichts daraus. Für einige Leute waren sie sehr wichtig. Mit Kosenamen konnte man leicht zum Ausdruck bringen, wenn man Zuneigung – gleich welcher Art – für jemandem empfand. Giselle mochte das. Kosenamen erinnerten sie an ihre Kindheit, aber vor allem an ihre Familie. Beides schien Lichtjahre entfernt.

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Eine Lobeshymne auf Jak zu hören, war eigentlich das letzte, das Exodus mit seiner kleinen Stichelei hatte erreichen wollen. Jak war engagiert, Jak hatte hohe Ertragszahlen, obwohl Jak unter Schlafstörungen litt, Jak war sehr teamfähig, Jak hatte einen guten Draht zu allen. Letzteres war offensichtlich. Jak schien Giselle um den Finger gewickelt zu haben. Und Giselle wiederum hatte ihn, Exodus, in ihren Bann gezogen. Hatte er ihren Kommentar am Strand wirklich richtig gedeutet? Sie war frei und froh, dass er es genauso war. Das waren ihre Worte gewesen – reine Belanglosigkeit oder steckte so viel dahinter, wie er bisher hinein interpretiert hatte? Diese Frau trieb ihn noch in den Wahnsinn! Und trotzdem schaffte sie es mit ihrem nächsten Kommentar ihn wieder im Handumdrehen zu bezaubern. Denn endlich begriff sie, dass er sie eigentlich hatte aufziehen wollen – und nahm ihm das sogar nicht einmal übel, sondern reagierte spielerisch charmant darauf, statt weiter Jak in den Himmel zu heben. Exodus mimte den Unschuldigen, während er tief vor ihnen hängende Blätter mit der rechten Hand aus dem Weg schob.

„Ich mache mich doch nicht über dich lustig.“

Sein Ton war voller Ernst und er legte eine Kunstpause ein, während er versuchte abzuschätzen, ob Taku noch in Hörreichweite war und ob er sie beobachtete.

„Das würde ich niemals wagen“ setzte er an, um sie dann anzugrinsen und zu ergänzen: „… Gis.“

Lachend legte er seinen Arm um sie und drückte sie kurz an sich. Seine Mundwinkel umspielte ein fröhliches Lächeln und während er wieder nach Taku sah, streichelte er ihr mit der Hand über die Schulter. Dann löste er sich von ihr und zwinkerte der Vahla zu.

„Jak ist sicher ein guter Mann.“

sagte er gönnerhaft und versuchte das Grinsen aus seinem Gesicht zu verbannen. Der Nautolaner war als Mitarbeiter wirklich vorbildlich und entsprechend wollte er die Leistung Giselle gegenüber nicht herunterspielen. Er hatte im Gefühl, dass sie ihm das übel genommen hätte. Taku, den er immer noch mit den Augen verfolgte, drehte sich jetzt zu ihnen herum und rief:

„Wir sind gleich da.“

„In Ordnung.“

bestätigte Exodus knapp, berühte Giselle noch einmal auffordernd an der Schulter und schloss dann zu Taku auf. Es war wie ein Spiel. Immer wenn der Nautolaner nicht hinsah, durfte er sich Giselle wieder nähern. Das hieß: Eigentlich durfte er es nicht oder zumindest war es in höchstem Maße unklug. Er konnte es nur nicht lassen.
Vor ihnen löste sich der Dschungel sich in eine kleine Lichtung auf. Von Bäumen umrahmt, tauchte eine Art Höhle vor ihnen auf, wie eine auf die Seite gekippte Schüssel. Einige Meter konnte man hinein laufen, aber wirklich tief war sie nicht. Am Fuß der Höhle breitete sich ein Becken voller Wasser aus, in das langsam, aus dem Inneren des Gesteins, Wasser träufelte und es bis zum Rand füllte. Der kleine Teich war etwa knöcheltief, schätzte Exodus, und an einer Seite schwappte das Wasser in einen kleinen Bach aus dem Becken hinaus. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, dieser große Stein, den der Dschungel in sich hatte aufnehmen wollen, der sich aber offenbar standhaft dagegen wehrte. Viele kleine Pflanzen hatten versucht die Höhle hinauf zu klettern, doch ein Großteil des Gesteins war unbedeckt. Gemeinsam mit dem ruhigen Teich bildete der Koloss etwas Andächtiges. Wenn an diesem Ort Blut vergossen worden war, hatte das Wasser jegliche Erinnerung daran schon wieder hinfort gespült. Die Mon Calamari hatten sich zumindest schon zurück gezogen. Sie waren allein. Giselle und Exodus - und Taku.


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Giselles Blick wanderte über die Felswände der Höhle, die nicht etwa ein Dach über ihr bildete, sondern nach oben hin offen war, wie ein Trichter. Sie konnte das helle Blau des Himmels über ihr sehen, während unmittelbar vor ihr das Wasser der Quelle glitzerte. Der Höhleneingang war stellenweise überwuchtert gewesen von grünen Ranken, sodass ein langer Vorhang die Öffnung verdeckte. Der Ort hatte etwas märchenhaftes an sich, etwas geheimnisvolles. Entsprechend still bewegten sich die drei Personen, die ihn aufgesucht hatten. Taku war direkt neben dem Eingang stehen geblieben. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, offenbar nicht daran interessiert, sich den Ort weiter anzusehen. Im Gegensatz zu den den anderen beiden kannte er ihn allerdings auch schon. Exodus hingegen sah sich um, genau wie Giselle. Als er auf dem Weg hierher seinen Arm um sie gelegt hatte, hatte Giselle für einen kurzen Moment lang das Bild eines glücklichen Paares vor sich gesehen. Ein Sparziergang in die Natur, ein ruhiger Nachmittag zu zweit – dies waren die Dinge, die ihr sofort eingefallen waren. So war es nicht. Sie waren kein Paar, waren nicht alleine und waren nicht hier um ungestört Zeit miteinander zu verbringen. Aber es könnte so sein und Giselle konnte es sich gut vorstellen. Zwischen dem Rückblick ihrer Gedanken und dem Erkunden der Höhle sah die Vahla zu ihm hinüber. Noch vor ein paar Minuten hatten sie zusammen gelacht. Es hatte ihr nichts ausgemacht, dass er sie wegen Jak aufgezogen hatte. Giselle konnte Spaß vertragen und außerdem wusste sie, dass Exodus es nicht böse gemeint hatte. Die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach und das gefiel ihr sehr gut.

Die Erde unter ihren Füßen war trocken. Giselle hatte sich etwas von dem breiten Wasserbecken entfernt. Der Boden war nicht durchgehend felsig, doch selbst dort, wo er nicht aus Stein bestand, wuchs kein Gras. Sie näherte sich einer der Felswände und legte ihre flache Hand darauf. Der Stein war angenehm kühl, so wie man es erwartet hätte. Unmittelbar vor ihr befand sich eine Anhäufung von Steinbrocken, die wie künstlich aufgeschichtet erschien. Giselle ging erst in die Hocke, betrachtete die großen Steine genauer und setzte sich dann auf den Boden. Warum hatten die dMon Calamari die Nautolaner ausgerechnet hier angegriffen? Warum hier, wenn sie sie ohnehin ständig am Strand beobachteten? War es, weil sie sie hier besser hatten abfangen können? So relativ weit vom Camp entfernt war es unmöglich für die Nautolaner gewesen, sofort Verstärkung zu holen. Exodus und Giselle waren erst jetzt eingetroffen und die Mon Calamari bereits über alle Berge. Ein Kampf nahe des Lagers wäre anders verlaufen. Nachdenklich stützte Giselle ihre Hände auf dem felsigen Untergrund ab, auf dem sie saß. Sie hatte noch immer Durst und wenn sie schon einmal hier waren, konnte sie auch gleich etwas trinken.


“Vielleicht hatte es taktische Gründe, dass die Mon Calamari hier angegriffen haben.“

Dachte sie laut, als sie sich neben das Wasserbecken kniete.

“Oder dieser Ort hat eine besondere Bedeutung.“

Mit nachdenklichem Blick, den Giselle noch einmal von links nach rechts wandern ließ, sah sie Exodus an. Dann hob sie ihre Hände, um sie in das klare Wasser zu tauchen. Ihre Handballen waren schmutzig vom Staub der Erde. Urplötzlich, die Fingerspitzen bereits im Wasser, hielt Giselle inne. Der Schmutz an ihren Händen war kein Staub: es war Asche. Augenblicklich fuhr Giselle hoch und schoss hinüber zu dem Platz, an dem sie vor wenigen Sekunden noch gesessen hatte. Ihre Hände strichen über den unebenen Boden und eine hauchdünne Ascheschicht von dunkelgrauer Farbe legte sich auf ihre Handflächen. Langsam erhob Giselle sich. Exodus stand genau hinter ihr.

“Wir sollten von hier fort.“

Sagte sie, wandte sich zu ihm um und fing seinen Blick auf.

“Diese Höhle scheint ein heiliger Ort zu sein.“

Sie streckte ihre Arme aus und hielt Exodus ihre dunkel verfärbten Hände entgegen.

“Ich glaube, die Mon Calamari verbrennen hier ihre Toten.“

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Es war ein Friedhof. Giselle streckte Exodus ihre aschebedeckten Handflächen entgegen und unterstrich damit überdeutlich ihre Erkenntnis. Die Steine, die in der Mitte der Höhle zusammengetragen worden waren und damit vermutlich eine Art Altar oder Opferstätte darstellten und dazu die Trichterform der gesamten Höhle, über die der Rauch der brennenden Leichname nach oben ziehen konnte: Das hier war eine Totenstätte. Niemandem wäre wohl bei dem Gedanken, dass Fremde über die irdischen Überreste der eigenen Ahnen trampelte. Viele wären bereit gewesen, dieses Andenken mit Gewalt zu verteidigen. So auch die Mon Calamari.

„Du hast Recht. Wir sollten hier weg.

Exodus nickte und sah Giselle fest in die Augen. Dann setzte er sich in Bewegung. Doch statt hastig die Höhle zu verlassen, setzte er bedächtig einen Fuß vor den anderen und griff in der Macht voraus, um die Umgebung nach den Auren weiterer intelligenter Lebenwesen abzusuchen. Ihm entfuhr ein Seufzer der Erleichterung, als er feststellte: Es waren wirklich keine Mon Calamari in der Nähe. Ihr erneutes Einbrechen in diese Stätte war bisher unbeobachtet geblieben.

„Was machen wir jetzt?“

fragte Exodus seine Assistentin mit unwillkürlich gedämpfter Stimme. Es kam ihm vor, als stellte er ihr diese Frage in letzter Zeit überdurchschnittlich oft. Und wieder einmal, sagte er sich, dass er sie genau für diesen Job eingestellt hatte und dass er dementsprechend keinen Autoritätsverlust befürchten musste. Ein guter Chef konnte auch eigenes Nichtwissen zugeben und verlor dadurch keinen Respekt. Trotzdem verspürte er das Bedürfnis gleich selbst einige Lösungsvorschläge anzubieten.

„Gehen wir zu ihrem Lager und entschuldigen uns für den Zwischenfall?“

Mit großen Schritten hüpfte Exodus am Rand des Wasserbeckens aus der Höhle hinaus. Bloß nicht zu viele weitere Spuren hinterlassen.

„Wie läuft sowas üblicherweise? Muss man da ein Geschenk mitbringen, um seine guten Absichten zu unterstreichen?“

Zumindest kannte er diesen Brauch aus dem Geschichtsunterricht. Wenn zivilisierte Völker auf Wilde trafen und es keine gemeinsame Verständnisbasis gab, halfen materielle Geschenke, um Vertrauen aufzubauen und einander kennenzulernen. Er wollte die Mon Calamari nicht kennenlernen, er wollte nur, dass sie ihn in Ruhe dieses Projekt durchziehen ließen. Aber vielleicht war – so ungern Exodus damit auch seine Zeit verbrachte – eine Entschuldigung genau das, was die Mon Calamari wieder beruhigen würde. Außerdem wäre das eine willkommene Gelegenheit Taku vorzeitig nach Hause zu schicken. Dann wären es nur noch er und Giselle.

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Giselle schob den Vorhang aus Hängemoos mit der Hand bei Seite und trat durch die Öffnung der Höhle wieder hinaus in den Wald, wo sie sich umgehend umsah, ob sie beobachtet wurden. Die Mon Calamari hatten bereits die Gruppe Nautolaner, die vor ihnen hier gewesen war, an ihrer Totenstätte erwischt. Es wäre äußerst ungünstig, ihnen einen weiteren Grund für einen Angriff zu geben. Exodus und Taku standen ebenfalls draußen. Der Nautolaner hielt sich im Hintergrund. Er war ohnehin nur ungerne wieder mit hier her gekommen. Je eher sie von hier verschwanden, desto angenehmer würde es ihm sein. Sie wussten also nun, was vorgefallen war und Giselle konnte den Ärger der Mon Calamari durchaus verstehen. Im Grunde hätten sie zwar vernünftig genug sein müssen zu erkennen, dass die Nautolaner keine böse Absicht verfolgten und nicht planten, einen für sie heiligen Ort mutwillig zu schänden, doch was geschehen war, war nun einmal geschehen und ließ sich nicht mehr ändern. Das einzige was sie tun konnten war, eine Lösung zu finden um die Dinge wieder ins Lot zu bringen und das Misverständnis aus der Galaxis zu schaffen. In diese Richtung zielte auch Exodus' Vorschlag ab.

“Wir wissen ja nicht mal, wo ihr Lager ist.“

Bemerkte Giselle als Antwort und deutete ein Seufzen an.

“Aber wir müssen das wieder in Ordnung bringen, so oder so. Ich bin dafür, dass wir sie wirklich noch versuchen einzuholen. Sie haben zwar einen enormen Vorsprung, aber es ist einen Versuch wert.“

Überlegte sie und hob die Schultern, als Exodus vorschlug, den Mon Calamari ein Geschenk als Zeichen des Friedens zu machen.

“Der Gedanke ist nicht schlecht, aber ich habe nichts Passendes bei mir.“

Sagte Giselle und öffnete probeweise ihre Umhängetasche, in der sich neben zwei übrigen Bactapflastern, ihrem Komlink, Lipbalm, ein paar Haarspangen und einem Vibromesser in Taschenformat nicht viel befand. Den Eindruck, mit diesen Sachen bei dem anderen Volk Eindruck schinden zu können, hatte sie nicht.

“Aber wenn wir sie einholen wollen, dann müssen wir jetzt gehen. Wir haben ohnehin schon viel Zeit auf sie verloren.“

Giselle zögerte. Sie war auch nich sicher, welches die bessere Alternative war: sofort das Gespräch mit ihnen suchen, ohne ein Geschenk mitzubringen, oder erst zurück zum Camp zu gehen? Jetzt hatten sie zumindest noch eine frische Spur, der sie würden folgen können. Dennoch war es nicht an ihr, diese Entscheidung zu treffen. Es war Exodus, der sagen musste, was sie tun würden.

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Sein Versuch, sich mit einer guten Idee zu profilieren, konnte nicht unbedingt als geglückt bezeichnet werden. Giselle erkannte den grundsätzlichen Gedanken zwar an, zeigte aber auch gleich den Fehler dabei auf: Sie hatten nichts, was sich als Geschenk für die Mon Calamari eignen würde. Da musste etwas großes, wichtiges, nützliches her. Also nichts, das sie gerade bei sich trugen oder zügig im Lager holen konnte. Und selbst wenn: Ein Marsch zurück zum Camp würde wertvolle Zeit kosten. Sie mussten es wieder in Ordnung bringen, so wie Giselle gesagt hatte. Sie wirkte nicht besonders glücklich mit der Situation und Exodus konnte es ihr nicht verübeln. Er versuchte es mit einem Lächeln:

„Gut, dann muss es ohne Geschenk gehen. Du lässt einfach deinen Charme spielen, dann werden sie uns keine Entschuldigung abschlagen können.“

Er zwinkerte ihr zu, in der Hoffnung sie zum Lächeln zu bringen. Dann wurden sein Blick und Ton ernster und er sah ihr fest in die Augen.

„Ich vertraue auf dich – und ich vertraue deinen Entscheidungen. Gemeinsam kriegen wir das schon hin.“

Nachdenklich rieb er sich über den Nasenrücken. Ein Lächeln konnte vieles bewirken, eine Problemlösung hatten sie dadurch nicht zwangsläufig parat. Es blieben weitere offene Fragen und Probleme.

„Nur wie kommen wir zum Lager? Hm. Ich könnte mich natürlich mit deiner Hilfe noch einmal als Spurensucher versuchen.“

deutete er vage an, auf ihre Sorge eingehend, dass sie das Lager nicht finden würden. Während er sprach lief er am Rande des Beckens entlang und sah zu den Spitzen der hohen Bäume, die sie umringten.

„Aber beim letzten Mal hatte ich viel Glück. Das muss jetzt nicht wieder zutreffen. Ansonsten hast du Recht: Wenn wir uns beeilen, holen wir sie vielleicht noch ein.“

Obwohl sie dafür wirklich schnell sein mussten, dachte er im Stillen. Er war nicht besonders optimistisch, was diese Variante betraf. Mit der Macht nach dem Camp zu suchen, wäre vielversprechender. Das konnte Giselle aber natürlich nicht wissen. Unschlüssig zuckte er mit den Schultern und dachte laut nach:

„Eine verwundete und wütende Gruppe bewaffneter Mon Calamari …“

Ob mit einer solchen Truppe wirklich gut zu reden und verhandeln war? Sein Stirnrunzeln wurde begleitet von einem winzigen ironischen Grinsen. Langsam senkte er den Blick wieder und sah von Giselle zu Taku, der immer noch bei ihnen stand, wenn auch kaum aktiv ins Geschehen eingreifend. Der Nautolaner war die Demonstation von Unlust, sich der Suchaktion anzuschließen und wenn Exodus ehrlich war, dann wäre es ihm ebenfalls lieber, nur alleine mit Giselle unterwegs zu sein. Auch wenn er wusste, dass Taku mitkommen würde, wenn sie es nur verlangten.

„Taku? Du kannst zurück zum Camp. Wir kriegen das hier schon alleine hin.“

Das war doch eine Win-Win-Situation. Jeder bekam, was er wollte. Exodus die Zeit mit Giselle und Taku seine Ruhe im Camp. Entsprechend erleichtert nickte der Nautolaner ihnen zu, schenkte ihnen ein zögerliches Lächeln und bestätigte dann den Vorschlag seines Chefs. Zwar blickte sich Taku noch mehrmals um, während er aus ihrem Blickfeld verschwand, doch legte er dabei ein erstaunliches Tempo vor und ließ Exodus und Giselle nach wenigen Sekunden allein zurück. Der Mensch und die Vahla standen gemeinsam am Rande des Wasserbeckens der heiligen Stätte. Sachte legte Exodus ihr seine Hand auf den Rücken. Als Aufforderung, ihr Gespräch wieder aufzunehmen und – weil er sich jetzt, wo Taku weg war, nicht mehr zurückhalten musste. Seine Muskeln spannten sich bei der Berührung an, doch seine Mundwinkel zuckten zufrieden.

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Dass er frei war, zum Camp zurück zu kehren, musste Exodus Taku nicht zweimal sagen. Giselle sah dem Nautolaner hinterher, wie er zwischen den Bäumen verschwand. Jetzt waren es nur noch Exodus und Giselle und sie würden sich beeilen müssen, wenn sie heute noch Erfolg haben wollten.

“Sie sind Richtung Norden verschwunden.“

Erinnerte sie sich an das, was Jak gesagt hatte und begann um die Höhle herum zu gehen. Exodus war direkt hinter ihr. Die Berührung seiner Hand auf ihrem Rücken hallte noch seltsam in Giselle nach. Er berührte sie häufig, fiel ihr auf. Meistens nahm sie es nicht bewusst wahr, doch heute bemerkte sie es sofort. Ob das seine Art war und er es bei anderen auch tat, oder hatte es etwas speziell mit ihr zu tun? Fast immer waren es kleine, beiläufige Berührungen, die sich nahtlos in eine Situation einfügten, doch gerade in diesem Moment schien Exodus' Geste absichtlich herbei geführt und Giselle hatte das prickelnde Gefühl, das ihr Herz ein klein wenig schneller schlagen ließ, genossen.

“Dass wir ihr Lager finden, glaube ich nicht.“

Sagte sie, als sie sich nach Spuren umsah, die die Mon Calamari hinterlassen hatte und denen sie folgen konnten. Sie fand reichlich. Jak schien nicht übertrieben zu haben, als er behauptet hatte, sie seinen davon gerannt.

“Sie einzuholen wird schwierig genug. Aber wer weiß, vielleicht gelingt es uns.“

Sie sah sich nach Exodus um, bereit die Verfolgung aufzunehmen, und nach einem bestätigenden Nicken seinerseits liefen sie los. Er vertraute ihr, hatte er gesagt. Das waren große Worte. Große Worte, die gut taten. Er gab ihr damit das Vertrauen zurück, das sie in ihn gesetzt hatte, als sie die Klippen hinunter gesprungen waren. Giselle hätte den Sprung nicht gewagt, wäre sie alleine gewesen, jedenfalls nicht bei diesem Wetter. Sie hatte gewusst, dass das Meer wild, mächtig und unberechenbar war und dass die Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie es nicht alleine zurück an Land schaffen würde. So war es dann auch gekommen. Ein Gefühl purer Freiheit hatte Giselle empfunden, als sie, von allen Bandagen los gelöst, in die Tiefe gesprungen war. Der Rausch des Adrenalins in ihrem Körper war unbezahlbar gewesen.

Während sie gingen, fragte Giselle sich, was sie tun würden, wenn ihr Plan nun doch nach hinten los ging, ihre Entschuldigungen nicht fruchten würden und man sie ebenso angreifen würde wie die Nautolaner. Ihren „Charme“ spielen zu lassen, wie Exodus vorgeschlagen hatte, war nicht zwangsläufig eine garantiert erfolgreiche Methode, um mit den Mon Calamari zu kommunizieren, so nett es auch von Exodus gewesen war vorzugeben, sich ganz darauf zu verlassen. Die beiden erhöhten ihr Tempo und fielen in einen Laufschritt. Wer andere einholen wollte, musste schneller sein.


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Noch brauchte es keinen großen Spurenleser, um die Fährte der Mon Calamari aufzunehmen. Die Spuren des Kampfes mit den Nautolanern – und die anschließende Verfolgungsjagd – waren deutlich im weichen Boden des Dschungels zu sehen. Giselle übernahm die Führung, nachdem Exodus ihrer Einschätzung, in Richtung Norden zu gehen, zugestimmt hatte. Sie ließen die Höhle zügig hinter sich und folgten im Laufschritt den Fußabdrücken. Exodus bemühte sich, in einen gleichmäßigen Rhythmus zu verfallen. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. In diesem Zustand fiel es ihm am leichtesten, sich zu konzentrieren und tief in der Macht vorauszugreifen. Giselle hatte bezweifelt, dass sie das Lager der Mon Calamari finden würden, doch Exodus war nicht ganz so pessimistisch. Schon bei der Höhle war ihm aufgefallen, dass sie mit starker Energie aufgeladen gewesen war. Der ganze Hass und die Wut, die sowohl Mon Calamari, als auch Nautolaner verspürt hatte, hallten in der Macht nach. Ihr Echo war für einen geübten Machtnutzer gut hörbar – und war es auch den weiteren Weg entlang, immer dort, wo die beiden Gruppen wild aufeinander losgegangen waren. Atemzug für Atemzug nahm Exodus ihre Emotionen in sich auf. Es war vielleicht gefährlich, sich so für diese Emotionen zu öffnen, doch sah er keine andere Möglichkeit. Irgendwo im Dschungel würden sich ihre Spuren zerlaufen und dann stünden sie vor dem Nichts. Außer natürlich, er hätte – so würde es dann für Giselle wirken – eine spontane Eingebung, welcher Richtung sie weiter folgen mussten. Ihr Tempo war nach wie vor hoch, nur gelegentlich verlangsamten sie ihre Schritte, um sich die Spuren genauer anzusehen. An große Gespräche war dabei nicht zu denken. Dass Exodus ein Stück hinter Giselle lief und dabei wieder einmal einen sehr attraktiven Ausblick zu sehen bekam, war grundsätzlich zu begrüßen, lenkte aber auch einige Male seine Aufmerksamkeit von den Echos in der Macht ab. Wie von einer höheren Kraft gelenkt, zeichnete sein Blick ihre Konturen immer wieder nach. Vom Nacken hinunter zur Hüfte, den Hintern entlang, bis zu ihren nackten Füßen, an denen sie nur Sandalen trug. Es war fast ironisch, dass es Giselle war, die es Exodus erschwerte, ein für sie befriedigendes Ergebnis – nämlich die Mon Calamari zu finden – zu erzielen.

Nachdem sie einer Weile dem Weg der Verwüstung, anhand von abgeknickten Zweigen, tiefen Spuren im Boden und umgetretenen Pflanzen, gefolgt waren, kamen sie schließlich ganz zum Stehen. Vor ihnen breitete sich ein Fluss aus, unschuldig dahin plätschernd. Auf der anderen Seite des Flusses waren nur noch wenige Fußabdrücke zu erkennen, aber am Ufer war der Boden von vielen Füßen in Mitleidenschaft gezogen worden. So wie Exodus die Spuren deutete, war es hier zu einem letzten Showdown gekommen. Die Macht ließ ihn wissen, dass hier viele starke Emotionen erlebt wurden. Er konnte sie förmlich greifen. Giselle und Exodus sahen sich an. Es war merkwürdig, so lange neben und hinter ihr gegangen zu sein, aber die ganze Zeit kein Wort zu sagen. Bisher waren ihre Treffen und Unternehmungen immer von lebhaften Gesprächen geprägt gewesen. Nun, in diesem Fall, war es unumgänglich gewesen. Ausschweifende Gespräche hätten ihnen bloß die Luft zum Laufen genommen.


„Hm. Hier endet unsere Spur also …“

Exodus sah dem Treiben des Flusses hinterher. Wohin waren die Mon Calamari von hier aus weitergegangen? Die Nautolaner waren zum Camp zurückgekehrt, vermutete er. Und die Mon Calamari? Sein Blick hing an den kleinen Wellen, die sich ihren Weg durch das Flussbett bahnten. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie dem Fluss abwärts gefolgt waren. Er schenkte Giselle nur einen knappen Seitenblick, verbunden mit einem Lächeln und streifte sich dann die Schuhe von den Füßen. Danach begann er, sich die Hose hochzukrempeln. Das Wasser des Flusses musste etwa bis zu den Knien gehen. Wenn sie hindurch waten mussten, waren das die mindesten Vorkehrungsmaßnahmen, sollten sie nicht mit durchnässten Sachen weitergehen wollen. Giselle schien seinen wortlos geäußerten Gedanken zu verstehen und bückte sich, um ebenfalls die Sandalen von den Füßen zu streifen.

„Hey.“

Er sah in ihre Richtung und schüttelte mit dem Kopf, konnte sich ein Grinsen dabei aber nicht verkneifen. Giselle schien irritiert, hielt aber tatsächlich für einen Moment inne. Diese Zeit reichte ihm aus, um sein zweites Hosenbein ordentlich hochzukrempeln und sich vor ihr aufzubauen. Seinen linken Arm legte er ihr ohne zu zögern um die Schulter und zog sie damit näher zu sich heran. Den rechten hielt er ihr auf Hüfthöhe leicht angewinkelt demonstrativ hin und zwinkerte vergnügt.

„Darf ich? Ich bin ganz gut im Tragen.“

Jedem Außenstehenden musste klar sein, dass Giselle den Fluss auch selbst hätte durchqueren können. Trotzdem: Für Exodus bot es eine willkommene Gelegenheit das Gefühl von seiner Rettungsaktion im Meer erneut aufleben zu lassen. Wie er sie schützend an sich gedrückt und ihren Herzschlag hatte fühlen können …

„Die Mon Calamari sind dem Fluss gefolgt. Vermutlich sind sie sogar im Fluss entlang gelaufen, denke ich.“

erklärte er knapp. Einen Anhaltspunkt dafür hatte er nicht. Nur die Macht.

„Ist nur so ein Gefühl. Vertraust du mir?“

Wieder zwinkerte er ihr zu. Selbst wenn er nicht Recht behalten würde oder sich ihre Spur nach einigen Metern auch über die Macht verlieren würde: Er würde sie über diesen Fluss tragen und an sich drücken, ihre Wärme spüren und das angenehme Kribbeln auf seiner Haut genießen.

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Die Spur endete, als sie den Fluss erreichten, doch allein die Tatsache, dass es Mon Calamari waren, die sie verfolgten, bot ein gutes Indiz dafür, wo sie weiter gehen würde. Dennoch war es so gut wie aussichtslos, ihre Fährte wieder aufzunehmen, wenn sie tatsächlich dem Flusslauf gefolgt waren, anstatt ihn lediglich zu überqueren und auf der anderen Seite des Ufers wieder an Land zu gehen. Exodus hatte begonnen, seine Schuhe auszuziehen und seine Hosenbeine hoch zu krempeln. Er wollte noch nicht aufgeben und Giselle sah ein, dass ein anderes Verhalten auch nicht zu ihm gepasst hätte. Exodus Wingston war kein Mann, der leicht aufgab und Hartnäckigkeit war eine gute Eigenschaft für einen Mann. Etwas verspätet bückte auch Giselle sich, um ihre Sandalen auszuziehen, doch Exodus hielt sie ab. Zuerst verstand die Vahla nicht, was er wollte. Erst, als er ihr deutlich einen Arm um die Schulter legte und ihr den anderen darbot, wurde ihr klar, dass er sie zu tragen gedachte, um sie trockenen Fußes durch oder auch über den Fluss zu bringen. Exodus Wingston, der Charmeur. Exodus Wingston, der Fürsorgliche.

Giselle betrachtete ihren Arbeitgeber mit gemischten Gefühlen. Wollte sie, dass er sie hielt? Dass er seinen Arm um sie legte und sie fest an sich drückte? Ja, das wollte sie. Ein leiser Wunsch flammte in Giselle auf, der sie aufforderte, sich von ihm halten zu lassen, die Augen zu schließen und sich sicher in seiner Umarmung zu fühlen. Sie konnte alle diese Dinge tun, jetzt sofort. Doch es war weder die Zeit noch der Augenblick.


“Wir sind vermutich schneller, wenn ich zu Fuß gehe.“

Sagte sie pflichtbewusst und ein Teil von ihr bedauerte die Ablehnung, die ihre Worte bedeuteten. Wie einfach wäre es gewesen, zuzustimmen und ihren Kopf gegen den seinen zu lehnen, die Arme um seinen Hals zu schlingen? Wäre es möglich gewesen, Momente der Vergangenheit noch einmal zu leben, Giselle hätte jenen Augenblick, in dem Exodus sie aus dem Meer zurück an den Strand getragen hatte, immer und wieder neu leben wollen. Sie sah ihn an und ihre zielgerichteten Gedanken vermischten sich mit ihren Gefühlen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte ihre Worte zurück genommen. Stattdessen trat sie einen Schritt zurück, bückte sich, streifte ihre Sandalen nun doch ab und krempelte ihre Hose ein Stück weit nach oben. Als sie fertig war und sich wieder aufrichtete, sah sie Exodus direkt an.

“Ich vertraue dir.“

Sagte sie ernst, doch mit einem unverkennbar vorhandenen Blitzen in den Augen.

“Aber ich traue mir nicht.“

Mit ihren Sandalen fest in der linken Hand setzte Giselle einen Fuß nach dem anderen in das kalte Wasser. Der Untergrund war steinig.

“Vielleicht schauen wir erst am anderen Ufer, ob wir wirklich keine Spuren sehen. Wenn nicht, folgen wir dem Fluss, wie du gesagt hast.“

Mit dieser Vorgehensweise würden sie beide Möglichkeiten abdecken. Die Chancen, dass sie die Gruppe Einheimischer wirklich noch einholen würden, sank erheblich. Noch würden sie es allerdings weiter versuchen. Noch gab es eine Chance. Hätte Giselle Exodus' Angebot angenommen und sich von ihm über das Wasser tragen lassen, hätte sie nicht garantieren können, diese Chance zu nutzen. Es war ihre Aufgabe und es war das, wofür er sie eingestellt hatte. Giselle Givenchy war hier, um zwischen der Wingston Corporation und den Mon Calamari zu vermitteln. Doch wenn er sie getragen hätte, den Arm fest um sie gelegt, sein Herz so dicht an ihrem und ihr Gesicht so nahe an seinem, dass sie ihren Mund auf seine Schläfe hätte drücken können... sie hätte es getan. Sie hätte ihn geküsst, vorsichtig erst und zurückhaltend seine Erlaubnis suchend und dann wild, um seine Nähe auszukosten und um ihren Durst zu stillen.

“Hörst du das Rauschen?“

Fragte Giselle, inzwischen mit beiden Beinen fest im Wasser stehend und schaute flussabwärts.

“Es ist ungewöhnlich laut... könnte ein Wasserfall sein.“

Man sah jedoch nichts, noch nicht. Aber sie würden zweifellos mehr sehen, wenn sie dieser Richtung folgten. Die Strömung war bereits aufällig stark. Sie konnten gegensteuern oder sich mitreißen lassen. Das sichere Ufer war nah, so lange sie es im Blick behielten. - Wenn sie es denn wollten. Andernfalls würden sie dem Risiko entgegen schwimmen und sehen, wohin es sie trieb.

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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle ]

Exodus Wingston war kein Mann, dem man Enttäuschungen leicht ansehen konnte. Das Lächeln ließ er sich fast nie aus dem Gesicht wischen, er ließ nicht die Schultern hängen, lamentierte nicht. Er sah nicht zu Boden, vergoss keine Tränen. Stattdessen hatte er immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, dazu ein undurchdringliches Grinsen, das sein Gegenüber glauben ließ, er nähme jeden Rückschlag leicht und nichts konnte ihn ernsthaft aus der Fassung bringen. Giselle Givenchy war die Frau, die all diese Eigenschaften und Angewohnheiten mit einem simplen Satz und einer knappen Geste aus den Fugen reißen konnte. Sie lehnte es ab, von ihm getragen zu werden und Exodus spürte den Schmerz der Enttäuschung fast körperlich. Ein Schlag in die Magengegend, der ihn zusammenzucken und das Grinsen auf seinen Lippen gefrieren ließ. Nur für einen Moment zwar, doch hätte ein aufmerksamer Beobachter all das deutlich wahrgenommen. War Giselle eine solche Beobachterin? Wollte sie seine Reaktion überhaupt wirklich sehen? Exodus wusste es nicht. Er verstand es nicht. Sie beide waren frei – oder nicht? Sie waren frei zu tun, was immer sie wollten. Er wollte sie im Arm halten und sie wollte gehalten werden. Oder hatte er sich das leichte hinneigen ihres Körpers zu seinem nur eingebildet? Es knisterte zwischen ihnen und er hätte jeden einen Narren genannt, der diese Tatsache verleugnete. Sein Blick verdüsterte sich und er blieb wie angewurzelt stehen, während Giselle sich nun langsam die Sandalen auszog. Zu Fuß war sie schneller, logisch. Ihr Nachsatz allerdings verursachte einen Schauer, der die Härchen auf seinen Oberarmen aufrichtete. Nur langsam, wie in Zeitlupentempo, drehte er sich zu ihr herum. Sie vertraute ihm. Aber sie vertraute sich selbst nicht.
Exodus öffnete den Mund um etwas zu sagen. Die Gedanken durchströmten seinen Kopf wie ein riesiger Schwarm Vögel, jeder einzelne mit einer eigenen Botschaft. Er musste nur einen davon schnappen und ihn laut aussprechen. Doch er ließ sie vorbeiziehen und klappte schweigend den Mund wieder zu. Sie vertraute ihm – aber sich selbst nicht. Was hatte das zu bedeuten?


„Ich höre das Rauschen.“

antworte er mechanisch auf ihre Frage, doch es kam ihm vor, als sprächen sie gar nicht über den Geräuschpegel des Wassers, sondern über das Rauschen seinem Kopf. Das Blut, das seinen Körper in Wallung brachte, sobald sie in seiner Nähe war. Die Anziehungskraft, die zwischen ihnen beiden bestand – die sie elektrisierte. Das Wasser an seinen Füßen war kalt, als er in den Fluss hinab stieg. Gleichzeitig war diese physische Empfindung weit weg, übertönt von all den Gefühlen die Giselles Ablehnung in ihm ausgelöst hatte. Es war wie eine Sucht. Er musste sie haben, jede Trennung von ihr tat weh, verursachte ihm Entzugserscheinungen. Er musste ihre Haut auf seiner spüren, es ging nicht anders. Es war keine Sache des Kopfes und auch keine des Herzens. Sein Körper schrie nach ihr.

„Könnte ein Wasserfall sein, ja.“

Giselle stand mit beiden Beinen schon fest in der Strömung des Flusses, als Exodus sich neben ihr aufbaute. Den Strömungen und Widerständen ihn ihrem Leben, die sie versucht hatten mit sich zu reißen und in die Tiefe zu ziehen, hatten sie ebenfalls mit festem Stand getrotzt. Natürlich kam Giselle auch ohne ihn klar und er ohne sie. Aber wieso ließ sie sich nicht darauf ein, sich für einen Moment von ihm über diese Strömungen hinweg tragen zu lassen – oder sie zumindest zu vergessen? Für eine Nacht, einen Tag. Was hielt sie davon ab? Exodus sah sie von der Seite an, musterte sie einen Augeblick.

„Hast du Angst?“

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Kein Wort fiel mehr darüber, wie Giselle den Fluss überquerte. Die Ränder ihrer Hose färbten sich dunkel, als sie die Mitte des Flussbettes erreichte. Exodus watete neben ihr durch das knietiefe Wasser, lauschte auf Giselles Geheiß hin und fragte sie, ob sie Angst hatte. Angst? Giselle schüttelte den Kopf und lächelte.

“Angst wovor? Vor einem Wasserfall?“

Fragte sie nach, nicht ganz sicher, worauf er hinaus wollte, aber amüsiert über seine Frage.

“Ich denke, so lange er mich nicht angreift, komme ich schon klar.“

Sie überließ es Exodus, sich als Erster ans Ufer zu begeben und die nächste Umgebung dort nach möglichen Spuren zu inspizieren. Giselle bewegte sich unterdessen bereits einige wenige Schritte flussabwärts, in die Richtung aus der das Rauschen kam.

“Ich denke, es ist ist wirklich ein Wasserfall.“

Sagte sie, als sie Exodus wieder direkt hinter sich spürte und drehte sich halb zu ihm um.

“Kein Glück, was Spuren angeht, nehme ich an?“

Er schüttelte den Kopf. Das bedeutete, dass sie dem Flusslauf tatsächlich folgen würden. Die ersten Meter wateten sie weiter im Wasser entlang. Als es mehr Sinn machte, den Fluss weiter vom Ufer aus zu verfolgen, liefen sie nebenher. Giselles Gedanken führten sie zurück zu der Entscheidung, die sie ein paar Minuten zuvor getroffen hatte und zu der Frage, ob es die Richtige gewesen war. Exodus hatte nicht gekränkt gewirkt. Genau genommen hatte er kein einziges Wort mehr darüber gesagt. Oder war vielleicht genau das ein schlechtes Zeichen? Giselle wusste es nicht. Es konnte alles bedeuten, oder auch nichts und hing letztendlich davon ab, wie wichtig es Exodus überhaupt gewesen war. Da sie nicht einmal das wusste, war jede Spekulation sinnlos. Wenn er einfach nur höflich oder hilfsbereit hatte sein wollen, machte sie sich dort viel zu viele Gedanken, wo es überhaupt nicht nötig gewesen wäre. Aber vielleicht war es auch, weil es ihr wichtig gewesen wäre und sie sich wünschte, dass es ihm genauso ging.

Als das Rauschen lauter wurde, fühlte sich Giselle in ihrer Vermutung ob eines Wasserfalls bestätigt, und der Weg war nicht sonderlich lang, bis sie ihn erreicht hatten. Sie standen noch immer am Ufer, die Strömung war reißerisch und zu ihren Füßen fiel das Wasser einen kleinen Hang hinunter. Er war nicht hoch, es mochten vielleicht vier bis fünf Meter sein und unter ihnen lief das Wasser in einen ruhigen See, von dem aus einer weiter idyllischer Bach, sehr viel schmaler, sich seinen Weg in den Wald hinaus schlängelte. Giselle spähte nach unten, schwenkte ihren Arm und warf ihre Sandalen in hohem Bogen hinunter. Der Aufprall ihrer Schuhe im Gras, irgendwo zwischen den Büschen, war im Getöse des Wasserfalls nicht zu hören. Das Wasser war wieder eiskalt, als Giselle sich anschickte wieder zurück in den Fluss zu steigen. Nach ein paar Minuten an Land hatte sie fast vergessen wie kalt es war.


“Ich schätze, eine andere Spur als hinunter haben wir ohnehin nicht.“

Sagte sie zu Exodus, blickte sich zu ihm um und grinste. Sie brauchte nur noch zwei Schritte zu machen, bis die Strömung sie einem Paukenschlag gleich erfassen und hinunter in den See spülen würde. Den Weg nach unten stellte Giselle sich vor wie einen Ritt auf den Wellen.

“Komm! Wer zuerst unten und wieder an Land ist, hat gewonnen!“

Sie tauchte ihre Hände ins Wasser, spritzte Exodus lachend nass, bildete sich noch ein, das Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen und machte dann eienen Satz nach vorne, als er ebenfalls in den Fluss hinein stieg, um auf jeden Fall schneller zu sein als er. Im nächsten Moment auch schon spürte sie dann den Sog vor und den Druck hinter sich, als der Fluss sie erfasste und mit sich zog. Der Lärm des Wasserfalls, als sie sich mitten in ihm befand, war ohrenbetäubend. Umso überraschender war der Moment, in dem sie unter Wasser gezogen wurde und alles um sie herum plötzlich wie in Zeitlupe und wie durch einen Schalldämpfer zu geschehen schien. Giselle hatte die Luft angehalten und schlug die Beine zusammen, nachdem der Druck sie für ein paar Sekunden unten gehalten hatte. Ihre Arme bahnten sich einen Weg zurück an die Oberfläche. Sie befand sich in der Mitte des Sees, als sie wieder auftauchte, schnappte nach Atem und lachte ein lautes, zufriedenes Lachen, zufrieden über dieses kleine, unverhoffte Abenteuer.

“Exoduuuuus?“

Rief sie, suchend hinter sich blickend. Ihre Beine traten gleichmäßig Wasser und ihr Kopf richtete sich nach oben, doch Exodus stand nicht mehr oben auf den Felsen. Stattdessen tauchte sein Kopf jetzt links, ein Stück weit von ihr entfernt auf. Giselle grinste. Wer erster an Land war, hatte gewonnen, hatte sie gesagt!

“Und, hat dich der Wasserfall angegriffen?“

Rief sie fragend, das Lächeln noch immer auf ihrem Gesicht. Sie schwamm einige Züge Richtung Ufer, bestrebt ihre Wetter zu gewinnen, bis sie plötzlich inne hielt und ihre Züge gefroren.Dort am Ufer, direkt vor ihr, standen sie: Die Mon Calamari.

– Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel – Mit Exodus und Mon Calamari -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle ]

Eigentlich hatte er es wissen müssen. Mit der Formulierung seiner Frage hatte er Giselle die Möglichkeit gegeben, auf das zwischen ihnen stehende Thema einzugehen – oder es eben zu lassen. Sie wählte die unkomplizierte Variante, die, in der sie nicht darüber sprachen, was zwischen ihnen war. Das Knistern und die Anziehungskraft – diese fast greifbare Spannung zwischen ihnen würde jetzt nicht thematisiert werden. Und trotzdem musste ihr bewusst sein, dass gerade etwas zwischen ihnen passiert war. Oder eben nicht passiert war. Denn sie versuchte die Stimmung aufzulockern – zumindest interpretierte er es so – in dem sie in ihrer gewohnt charmanten Art auf seine Frage antwortete. Sie hatte keine Angst vor dem Wasserfall – wieso auch? Exodus lag eine Erwiderung auf den Lippen, die in Richtung ihrer Erlebnisse bei der Klippe zielten und sie an die Gefahr der Naturgewalten erinnern sollten. Doch zu mehr als einem schmalen Lächeln reichte es dann doch nicht. Ernüchtert watete er zum Ufer und sah sich pflichtbewusst nach weiteren Spuren um. Die Natur wirkte unberührt. Hier waren zumindest keine wütenden Mon Calamari entlang gepoltert. Die Macht schien diese Vermutung zu bestätigen, auch wenn es jetzt schwerer wurde, ihre Emotionen noch genau aufzusaugen. Nach der großen Entladung beim Fluss hatten sie sich wohl etwas beruhigt oder waren einfach zu schnell fortgelaufen, um tatsächliche Eindrücke in der Macht zu hinterlassen. Er drehte sich auf der Stelle herum und schloss erneut zu Giselle auf, die ihm anzusehen schien, dass er nichts entdeckt hatte. Ihre Frage danach, ob er nichts gefunden hatte, bestätigte er knapp mit einem Kopfschütteln und wunderte sich ob seiner wortkargen Reaktionen selbst darüber, wie sehr ihn die Ablehnung offenbar getroffen hatte. Er hatte das Gefühl wieder ein kleiner Junge zu sein, der sich nichts sehnlicher wünschte, als diese köstliche Tafel Schokolade zu bekommen. Und jetzt, wo jemand anderes für ihn die Entscheidung getroffen hatte, dass er nicht naschen durfte, war er angefressen. Das passte gar nicht zu ihm, das war eine neue Seite. Aber bisher war er auch noch keiner Frau wie Giselle begegnet.

Gemeinsam folgten sie dem Flussverlauf noch einige Meter, bis sie entschieden, im Gras und auf festerem Boden weiterzulaufen. Der ehemalige Sith-Executor konzentrierte sich weiterhin darauf, in der Macht nach den Spuren der Mon Calamari zu suchen – doch sie wurden immer spärlicher und damit nahm auch sein Optimismus rapide ab. Vermutlich konnten sie den kompletten Fluss bis zum Meer entlang laufen, aber ob sie dabei die Mon Calamari finden würden, war höchst fraglich. Dass sich kurz darauf vor ihnen der Wasserfall ausbreitete, den Giselle schon von weitem gehört hatte, machte die Sache nicht besser. Innerlich stellte Exodus sich schon darauf ein, ungetaner Dinge zum Camp zurückzukehren.
Doch Giselle schien die Sache etwas anders zu sehen. Ohne etwas zu sagen, warf sie ihre Sandalen in hohem Bogen den Abhang hinunter, stieg dann mit den nackten Füßen zurück in den Fluss und erklärte knapp, dass diese Richtung ohnehin ihre einzige Spur sei. Damit hatte sie natürlich nicht Unrecht. Die Frage war nur, wie vielversprechend diese eine Spur tatsächlich sein würde – und ob es sich lohnte ihr weiter zu folgen. Exodus verfolgte ihre Bewegungen mit vor der Brust verschränkten Armen und rang mit sich, ihr die Sache auszureden. Erst als sie ihn grinsend herausforderte und ihm dann lachend Wasser entgegen spritzte, ließ er sich ebenfalls zu einem Grinsen hinreißen. Unmerklich schüttelte er den Kopf – über sich und seine bezaubernde Assistentin. Vielleicht mochte die Spur nicht besonders gut sein, aber sie versprach zumindest mehr Spaß, als die sofortige Rückkehr zum Camp wäre. Genauer genommen versprach Giselle Spaß. Wie so oft.


„Also gut.“

bekannte Exodus und schleuderte sein letztes Paar Schuhe ebenfalls tief hinunter in die Büsche. Mit einem großen Schritt stieg er zurück in die kalte Strömung. Für Giselle war das offenbar schon gleichbedeutend mit dem Start ihres kleinen Wettbewerbs und stürzte sich vor ihm in die Fluten, ohne dass er die Chance hatte auf ihre Höhe zu kommen.

„Hey, du schummelst!“

rief er ihr protestierend hinterher und versuchte möglichst schnell zu ihr aufzuschließen. Seine hastigen Schritte hielten der Strömung nicht lange stand und so riss ihn das Wasser schon von den Beinen, ehe es bergab ging. Mit einem Klatschen landete er ungeschickt im Flussbett und es dauerte nur Momente, bis in die Strömung nach unten zog. Das Wasser stieg ihm in die Ohren und in die Nase, während er fiel und rutschte, sich kleine Schürfwunden und sicher auch Prellungen zuzog. Doch er hatte Spaß. Mit Giselle erlebte er immer wieder diese Momente der Freiheit. Die Momente, in denen er einfach loslassen und Dinge tun konnte, die er sonst nicht tat. Wenn sie sich doch nur ebenso gut an ihr eigenes Vorbild halten und endlich, endlich loslassen würde.

Ihren lang gezogenen Ruf nach seinem Namen konnte er trotz des Rauschens in seinen Ohren und unter Wasser vernehmen. Mit kontrollierten Bewegungen von Beinen und Armen drückte er sich zurück an die Oberfläche. Als er die Augen öffnete blickte direkt in Giselles strahlendes Gesicht und setzte zur Erwiderung auf ihre Frage an, während er versuchte mit schnellen Schwimmzügen zu ihr zu kommen. Sein Blick folgte ihrer Gestalt, die sich jetzt zügig dem Ufer näherte. Wenn sie jetzt gewann, dann nur, weil sie geschummelt hatte, dachte er halb grummelnd, halb belustigt. Doch plötzlich hielt Giselle inne und auch Exodus bemerkte den Grund für ihr Zögern: Sie hatten ungebetenen Besuch.
Die Mon Calamari standen mit grimmigen Mienen und handgefertigten Speeren am Flussufer und stierten zu ihnen herunter. Exodus‘ Puls erhöhte sich, auch wenn er nach wie vor keine Angst vor den Nichtmenschen verspürte. Er konnte nicht einschätzen, was sie vorhatten und diese Speere würden Giselle aus der Entfernung zumindest schon ernsthaft verletzen können. Es dauerte endlose Sekunden, bis er schließlich neben ihr im Wasser stand. Sie hatte noch keine Reaktion gezeigt. Er legte ihr behutsam seine nasse Hand auf den Rücken, ob sie es wollte oder nicht, und wischte sich mit der anderen die Haare aus der Stirn.


„Naja – immerhin haben wir sie jetzt gefunden.

stellte er mit gedämpfter Stimme fest und blickte von einem Nichtmenschen zum anderen.

„Auch wenn sie selbst nicht so richtig glücklich darüber aussehen.“

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle und Mon Calamari ]
 
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Sie waren zu dritt und sahen so aus wie bei ihrer letzten Begegnung kurz vor Ausbruch des Sturms. Giselle blieb einen Moment reglos im Wasser stehen und sah sich zu Exodus um. Der Moment der Ausgelassenheit war so schnell verschwunden, wie Giselle ihn oben auf den Felsen ergriffen hatte, bevor sie auf dem Rücken des Wasserfalls hinunter in den See gerutscht war. Sie schwamm das letzte Stück in Richtung Ufernähe, bis sie nah genug war um stehen zu können und richtete sich dann auf. Dort, wo das Wasser ihr nur noch knapp bis zum Bauch ging, blieb sie stehen.

“Os'wa'schau.“

Sagte sie laut, die Hände erst zusammen legend und dann mit einer Hand einen Kreis in die Luft zeichnend. Von den Mon Calamari kam keine Reaktion. Wasser rann Giselles Haare hinunter und in ihre Augen. Die Vahla fuhr sich über die Stirn. Wie schon beim letzten Mal trugen die drei Mon Calamari fremdartige Zeichen auf ihren Gesichtern, die sie mit weißer Farbe aufgetragen hatten, doch alleine anhand ihres Aussehens und der Bemalung ihrer Gesichter war es unmöglich zu sagen, ob es sich um die selben Personen handelte wie bei ihrer letzten Zusammenkunft. Es war ein winziges Detail, das Giselle davon überzeugte, dass zumindest der Anführer der Drei – den sie wieder an den weißen Linien in seinem Gesicht erkannte, die die anderen beiden in dieser Form nicht trugen – eben jener Mann war, mit dem sie bereits vor Tagen gesprochen hatte. Er trug einen breiten Ledergürtel, wie auch seine Begleiter, in den verschiedene Muster und Bildnisse geritzt worden waren, die einem Kunstwerk glichen. Aus der Ferne ließen sie sich nicht erkennen und Giselle hätte sich schon neben die Männer hocken müssen, um jedes einzelne Bild wirklich deutlich zu erfassen. Der Gürtel des Anführers jedoch wies ein Manko an einer Stelle auf: er war an einer Seite leicht ausgefranst, bedingt durch ein dunkles Brandloch. Das fiel Giselle nicht zum ersten Mal auf.

“Wir freuen uns, Euch wieder zu treffen.“

Sagte sie, sich ihrer Beobachtung sicher und stellte mit dieser Bemerkung gleichzeitig klar, dass sie wusste, dass ihr Gegenüber Basic nicht nur verstand, sondern auch sprach. Die drei Mon Calamari regten sich nicht. Ihre Blicke waren bestenfalls mit finster zu beschreiben. Bisher war nicht das geringste Entgegenkommen von ihnen zu bemerken. Die langen Speere, die jeder von ihnen trug, ignorierend, trat Giselle zwei Schritte weiter aus dem Wasser, ihre Hände ließ sie dort, wo die Mon Calamari sie sehen konnten, die Handflächen nach oben hin geöffnet – ein Zeichen des Friedens und der Redebereitschaft. Die Mon Calamari bewegten sich keinen Zentimeter.

“Wir haben Euch gesucht.“

Sprach sie weiter.

“Um zu reden.“

Das Kopf des fremden Anführers reckte sich leicht in die Höhe und Giselle fühlte sich von den großen Augen des Nichtmenschs vernichtend angestarrt.

“Es gibt zu reden nichts.“

Stellte er klar und seine Worte klangen abgehakt.

“Ihr seien nicht hier um zu reden! Von Euch wir nur sehen Taten! Alles, sofort machen, ohne denken!“

Der Arm des Mon Calamari und mit ihm der Speer, den er hielt, schwang in einer wilden Gestik von rechts nach links.

“Wir gewartet haben. Geduldig! Nicht gut. Ihr nur machen ohne denken und alles zerstören!“

Der Blick des Mon Calamaris ruhte noch immer auf Giselle. Die Vahla begegnete ihm mit gemischten Gefühle. Sie wollte ihm widersprechen, ihn von ihren guten Absichten überzeugen, erklären was es mit ihrer Anwesenheit auf der Insel auf sich hatte und dass sie die Natur nicht zerstören würden, so wie er ihnen vorwarf, doch es war nicht so einfach. Es war nicht so einfach, weil er nicht Unrecht hatte. Sie waren in die Heimat der Mon Calamari eingedrungen, hatten sich erlaubt ihre Bodenschätze für ihre eigenen Zwecke abzubauen, fällten Bäume nach ihrem Belieben und entweihten rücksichtslos die Totenstätte ihrer Gastgeber. In all diesen Dingen, die sie taten und die sich Giselle als Vorwurf gefallen lassen musste, war es schwierig, eine Entschuldigung zu finden.

“Os'nun'mutsullsu.“

Sagte die Vahla und legte ihre Hände aneinander.

“Bitte. Os'nun'mutsullsu.“

Die Worte der Bitte um Entschuldigung hatte sie auf Rings Island gelernt. Sie wusste nicht, ob sie das Verb richtig konjugiert hatte, doch Grammatikfehler waren nicht das, worauf es heute ankam. Die Mon Calamari waren wütend und es stand viel auf dem Spiel.

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