Corellia- Belevedere- Landefeld
Casia war zurückgetreten, als Ben die Rampe hochfuhr. Sie konnte nichts anderes tun. Sie verstand, daß er gehen mußte, aber es tat ihr auch weh. Sie hob die Hand wie zum letzten Gruß als er startete. Mit tränenblinden Augen sah sie die Juke Box in Richtung Orbit schießen. Bald konnte man sie gar nicht mehr wahrnehmen und Casia wußte nicht, ob sie ihre Sinne getäuscht hatten oder ob sie die Juke Box in den Hyperraum springen hatte sehen.
Aber das war auch gleichgültig. Bedeutungslos, denn er selbst war nicht mehr. Sie warf einen Blick auf Belevedere. Sie war zu Hause. War sie es wirklich? Was bedeutete das Haus schon? Außer jede Menge Erinnerungen, manches Glück und viele Tränen?
Was hatte Ben gesagt?
"Du musst dich um deine Republik kümmern.."
Mußte sie das wirklich? Und wieso war es ihre Republik? Sie erinnerte sich daran, wie sie hatte fliehen wollen, weil die Republik in den Abgrund schlitterte. Und jetzt? Jetzt wollte sie sich am liebsten verkriechen. Irgendwohin, wo man sie nicht finden konnte. Allein sein mit ihren Schmerz. Nur für sich selbst da sein. Und für ihre Söhne. Und warten? Worauf? Darauf, daß er wiederkam? Oder daß sie die Nachricht von seinem Tod erhielt. Wenn sie so eine Nachricht überhaupt bekäme. Und wenn er nie wiederkäme? Was dann? Alle Hoffnungen, alle Gefühle, die Ben geweckt hatte, schwiegen. Sie verspürte nichts außer Verzweiflung.
Langsam begann sie auf Belevedere zurückzulaufen.
Der Landeplatz war hinter dem Haus angelegt worden, so daß Landungen ohne Einsicht von draußen geschehen konnte. Und zwischen Landefeld und Haus lag der Garten. Jener Garten, in denen sie so liebend gerne mit ihren Kindern gespielt hatte. Und da lag der kleine Friedhof. Der Friedhof, auf dem Neivin beerdigt worden war. Und wo der Gedenkstein für Eloise stand. Sie konnte nicht anders und ging auf dem Friedhof.
Still fiel sie auf die Knie vor den beiden Gräbern. Und beinahe still schluchzte sie.
"Wieso?"
Sie nahm eine handvoll Erde in die Hand.
"Ich will nur wissen, wieso?"
Doch niemand war da, der ihr hätte eine Antwort geben können. Und vielleicht gab es keine Antwort, wieso immer die Menschen, die sie liebte, gehen mußten. Erst Eloise, dann Neivinn und nun Ben.
Kraftlos öffnete sie die Hand und ließ die Erde wieder fallen und setzte sich, zog die Beine dicht an den Körper und barg den Kopf auf den Armen. Das Weinen ließ ihren Körper beben.
Sie wußte gar nicht, wie lange sie so gesäßen hatte. Aber langsam ebbte das Schluchzen ab. Und Müdigkeit kam auf. Beinahe kraftlos und sehr schwerfällig erhob sie sich wieder.
"Oh ja, die Republik braucht mich."
meinte sie spöttisch. Sie bezweifelte, daß die Republik sie brauchte. Wieso auch? Sie war so gut wie jeder andere Politiker. Wieso sollte gerade sie gebraucht werden? Und wofür? Um noch mehr Leute in den Tod zu schicken. Für eine gerechte Sache wohlmöglich noch? Sie glaubte nicht mehr an Gerechtigkeit. Gerechtigkeit war eine Lebenslüge, unter welche viele ihr Handeln stellten. Aber in Wahrheit sollte es nur eine Rechtfertigung sein. Für Tod, Mord und Haß. Sie warf einen bitteren Blick auf die Grabsteine. Ihr Tod war nicht gerecht gewesen. Und wofür hatte er gedient? Für nichts. Für rein gar nichts. Sie waren gestorben, weil es schmerzte. Sie schmerzte. Und wieviele sollte sie noch so von sich gehen lassen?
Wer war sie überhaupt und wieso bildete sie sich ein, daß Lebewesen in den Tod schicken durfte? Wegen eines Planeten? War der Preis die Sache auch wert?
Sie schüttelte den Kopf. Das war er niemals. Oder doch? Was hing davon alles ab? Wieviele Hoffnungen waren an die Republik und auch an sie selbst geknüpft? Durfte sie diese Hoffnungen alle in Frage stellen, weil sie nicht mehr leiden wollte?
Sie konnte sich im Moment keine Antwort geben. Der Schmerz war noch zu präsent. Zuviele Erinnerungen, die sie tief und fest weggeschlossen glaubte, hatte Ben ans Tageslicht geholt. Dinge, mit denen ihren Frieden gemacht hatte. Zumindest hatte sie das gedacht, aber dem war nicht so, denn der Schmerz war genauso präsent wie am ersten Tag. Nein, er war schlimmer. Viel schlimmer. Denn nun kam der Schmerz um Ben hinzu.
Langsam lief sie vom Friedhof, der von einer eisernen Mauer begrenzt war. Und auf Belevedere zu. Das Haus lag dunkel und verlassen dar. So verlassen und dunkel wie sie sich fühlte. Sie suchte die versteckte Schüsselkarte und fand sie nach einer Weile auch, öffnete die Tür und versteckte die Karte wieder. Langsam trat sie in die Küche. Das war der Lieblingsort der Kinder gewesen. Die Köchin hatte immer etwas für sie gehabt. Aber auch sie hatte die Küche geliebt. Der Raum hatte immer etwas heimisches gehabt. Wie oft hatten Neivinn und sie hier mit den Kindern gespielt. Ihnen etwas erzählt. Oder einfach einen Kakao getrunken.
Sie wischte sich mit der Hand durch das Gesicht. Daran daß die Hand von der Erde dreckig war, dachte sie nicht. Wieso auch? Es war egal.
"Hallo?"
rief sie leise. Aber das Haus gab ihr keine Antwort. Niemand war zu Hause. Wenn es überhaupt noch ein Zuhause war. Sie wußte es nicht. Langsam ging sie durch die Küche und kam in der geräumigen Halle, die auch die Treppe beheimatete, welche in den Oberstock führte. Dort waren die privaten Räume untergebracht. Zögerlich lief sie auf die Treppe zu. Sie war schon so lange nicht hier gewesen. Das letzte Mal, als sie nach Coruscant aufgebrochen war. Damals war sie nichts mehr als eine corellianische Senatorin. Dann wurde sie Fianzministerin und am Ende Kanzlerin. Und dann kam die Entführung, die alles auf den Kopf stellte. Die ihr Stunden des Glücks, aber auch Tränen, Leid und Schmerz beibrachte.
Sie merkte, wie die Tränen ihr wieder in die Augen stiegen. Langsam trat sie auf die Stufen.
"Wieso nur?"
Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Die Hand am Geländer stieg sie die Stufen hoch. Endlich war sie im Obergeschoss. Sie stolperte beinahe in Richtung ihres Zimmers. Sie öffnete die Tür, aber behielt die Klinke in der Hand und lehnte sich gegen die Tür. Sie schaute sich im Zimmer um. Neivinn und sie hatten es eingerichtet. Wie jedes Zimmer auch. Sie hatte an der Einrichtung nichts verändert. Nur seine Sachen mit der Zeit entfernt. Der Anblick war zu schmerzvoll gewesen. Oft hatte sie gedacht, daß er wiederkäme, weil seine Sachen noch da waren. Eines Tages hatte sie Kartons genommen und seine Sachen und auch die von Eloise zusammengepackt und auf den Speicher schaffen lassen. Sie wollte diese Erinnerungen nicht mehr haben. Und nach und nach ließ auch der Schmerz nach. Und eines Tages kam das Lächeln und das Lachen wieder. Aber ihre Freundin hatte ihr gesagt, daß es nicht mehr dasselbe war. Die Geschehnisse hatten sich auf ihre Seele zu tief eingebrannt. Und Spuren hinterlassen. Feine Linien nur, aber sie waren da.
Sie ging gedrückt zu ihrem Bett. Dunkles Holz hatte Neivinn damals gewollt. Und es machte sich sehr gut zu dem hellen Orangeton, in dem das Zimmer gestrichen war. Müde setzte sie sich auf das Bett.
Was sollte sie jetzt machen? Weiterkämpfen? Wie? Wie wenn sie sich leer fühlte. Es schien ihr, als habe Ben ihr Herz mitgenommen.
Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Hatte er nicht auch die Hoffnung gehabt, daß sie die Republik wieder zurück ins Licht führen würde? Und wie saß sie jetzt da? Wie ein kleines Mädchen, das sich fürchtete. Sich fürchtete, wieder Schmerz erdulden zu müssen. Schmerz von dem sie dachte, daß sie genug von ihm erduldet hatte. Zuviel.
Sie zog sich die Stiefel aus. Braune Lederstiefel. Ben hatte sie ihr gekauft. Genau wie die Sachen, die sie trug.
Wieso hatte er auch gehen müssen?
Weil er sie auch schützen wollte. Aber auch weil er sich selbst schützen mußte. War es denn nicht wichtiger, daß er lebte, als daß er bei ihr war?
Er hatte eine Aufgabe und sie auch. Und beide mußten sie ihren Aufgaben gerecht werden. Ben saß sicherlich auch nicht weinend in der Juke Box und verdammte die Galaxis für ihre Ungerechtigkeit. Er hatte gelernt, sich mit dem zu arrangieren, was ihm widerfuhr. Obwohl es ihm sicherlich nicht leicht gefallen war. Sie wußte nicht, was ihm geschehen war. Und sie wußte, daß sie niemals die Frage stellen würde. Und niemals würde sie eine Antwort haben wollen als diejenige, die er ihr sagte.
Sie seufzte leise und begann sich auszukleiden. Die Sachen legte sie behutsam in den Wäschekorb. Erinnerungen. Erinnerungen an ihn und an beinahe unbeschwerte Stunden. Fernab von allen Pflichten, Kriegen und Entscheidungen. Beinahe wie eine normale Reise.
"Betrachten Sie sich im Urlaub",
hatte Nat gesagt. Doch Casia wollte nicht an Nat denken. Sie war tot. Ob nun gerechter- oder ungerechterweise. Darüber würde sie nicht nachdenken.
Sie lief ins angrenzende Badezimmer und stellte die Dusche an. Während das Wasser anfing zu laufen, schaute sie in den Spiegel. Ihr Gesicht war dreckig von der Erde und voller Tränenspuren. Sie strich sie durch das Gesicht und verschmierte noch mehr. Sie war nicht mehr diejenige, die sie gewesen war. Die Ereignisse hatten Spuren hinterlassen. Nicht unbedingt äußerlich aber innerlich.
"Das Leben ist das, was wir daraus machen. Und wir sind das, was das Leben aus uns macht."
sagte sie leise zu sich.
Danach ging sie unter die Dusche. Das heiße Wasser tat ihr gut. Sie hielt ihr Gesicht unter das Wasser. Die Tränen- und Dreckspuren wurden vom Wasser weggespült. Und es beruhigte sie auch. Sie stellte das Wasser nach einer Weile ab und schlang ein Handtuch um ihren Körper. Darüber zog sie einen Bademantel. Auch um ihren Kopf wickelte sie ein Handtuch. Dann sah sie wieder in den Spiegel. Dieser war von dem Wasserdampf noch beschlagen. Langsam konnte sie sich wieder darin erkennen.
"Wenn er sagt, daß ich mich um eine Republik kümmern muß, dann muß ich das wollen machen."
sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Sie cremte sich das Gesicht ein und verließ danach das Badezimmer, um sich anzuziehen. Was sollte sie anziehen? Sie entschied sich nach einer Weile für ein paar schlank geschnittene Hosen und ein Oberteil mit langen Ärmeln. Darüber zog sie eine Art ärmellose Robe, die fast bodenlang war und offen getragen wurde. Rasch putze sie noch die Stiefel und zog sie ebenfalls an. Die Haare trockente sie auf und steckte sie auf, so daß die Naturlocken, die sie hatte auch zur Geltung kamen. Ernst schaute sie in den Spiegel. Nun war sie wieder Kanzlerin. Zumindest äußerlich. Ob sie dem auch innerlich gewachsen war, würde sich zeigen. Sie nahm einen Kapuzenumhang aus dem Schrank und zog sich ihn über. Dann verließ sie das Schlafzimmer ohne einen Blick zurück zu werfen. Sie lief ins Büro und holte aus dem Safe einige Credits heraus. Die würde sie für das Taxi brauchen. Danach verließ sie Belevedere durch den Hintereingang und lief die Straße hinunter. Die Kapuze trug sie über den Kopf gezogen. Noch wußte niemand, daß sie wieder hier war. Und das war auch besser so. Als sie nach einer Weile an eine belebtere Straße kam, wartete sie auf ein Taxi. Und sie hatte Glück. Eines war tatsächlich frei und hielt an. Sie stieg hinten ein.
"Bitte fahren Sie mich in die Nähe des Regierungsgebäudes"
wies sie den Fahrer an. Dieser fuhr los und Casia blickte auf die Straßen. Diese waren belebter als früher. Schließlich war Corellia schon immer ein Planet gewesen, der viele anzog. Aber nun hatten sich viele hierher geflüchtete, um den Sturm abzuwarten. Schließlich waren sie dort, wo sie hinwollte. Der Fahrer hielt an und nannte ihr den Preis. Sie gab ihm den gewünschten Betrag und ein Trinkgeld und stieg aus.
Corellia- Coronet City- Straße