[Umbara | Hauptstadt | Höchste Behörde des Äußeren | unterwegs zum Arbeitszimmer des Außenministers] Xuri VeNee (NPC)
Xuri VeNee blickte nicht auf die Uhr, als ihr endlich erlaubt wurde, das Büro des Außenministers aufzusuchen. Sie wusste auch so, dass sie über dreißig Minuten gewartet hatte. Aber darauf hatte sie sich schon eingestellt. Die Politik aller Planeten und Völker folgte gewissen gemeinsamen Grundregeln, doch sie hatte überall auch ihre Besonderheiten und eigenen Facetten. Einen Gast warten zu lassen, auch oder insbesondere wenn er einen hohen Rang innehatte, gehörte eigentlich zum Grundrepertoire. Es symbolisierte die eigene Stellung und die Wichtigkeit der eigenen Tätigkeit. Alkarin Scarwai, der neue Außenminister, würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf unaufschiebbare Pflichten verweisen. Und sie würde es lächelnd akzeptieren. Es gehörte zum ›Vorspiel‹.
Im Lift hatte Xuri noch einmal die Möglichkeit, ihr Äußeres zu überprüfen. Eine Frisur, deren Sitz sie korrigieren müsste, hatte sie nicht, und sie trug auch kein Make-Up, das beschädigt werden könnte. Somit beschränkte sich ihre Aufmerksamkeit auf ihre Kleidung. Eigentlich fühlte sie sich nackt am wohlsten, und wann immer es möglich war, verzichtete sie auf die Hüllen. Doch solange sie in offizieller Funktion unterwegs war, hatte sie diese Möglichkeit nicht. Wie den meisten humanoiden Spezies, galt auch den Umbaranern Nacktheit als unschicklich. Die Etikette war der wichtigste Grund dafür, dass sie sich verhüllt hatte. Der zweite Grund war, dass Kleidung sehr viel ausdrücken konnte: Es fügte dem nonverbalen Teil der Kommunikation eine machtvolle Facette hinzu. Sie hatte sich für eine dunkle Robe aus langem, üppig wallendem Stoff entschieden und damit einen Stil gewählt, der dem Geschmack der Umbaraner entsprach. Das gab der Xamsterin die Möglichkeit, ihr Aussehen ein klein wenig weniger fremdartig zu machen. Allerdings konnte kein noch so gut geschneidertes Gewand die offensichtlichen Unterschiede zwischen ihrer Spezies und den Einheimischen wirklich ausgleichen. Weder ihr reptilienhaftes Gesicht mit dem gekrümmten, spitzen Schnabel und den riesigen Ohren, noch die großen, vierfingrigen Füße, für die es in der ganzen Galaxis keine passenden Schuhe gab, wurden von den Textilien verdeckt. Zudem war sie kaum mehr als einen Meter groß. Ein Geschöpf, dessen Grundbauplan aus einem Rumpf, einem Kopf, zwei Armen und zwei Beinen bestand, konnte sich von den fastmenschlichen Umbaranern kaum noch deutlicher unterscheiden. Äußerlichkeiten waren wichtig in der Politik. Akzeptanz durfte sie dank ihrer Andersartigkeit nicht erwarten, doch Xuri wusste, dass sie auch ihre Vorteile hatte. Sie repräsentierte die Neue Republik, indem sie schon auf den ersten Blick deutlich machte, dass die unterschiedlichsten Spezies dort gleichberechtigt miteinander lebten. Ein Prinzip, das viele Umbaraner nicht verstanden, aber nichtsdestoweniger eines, das der Republik und auch der Botschafterin sehr wichtig war.
Noch etwas führte sie auf ihre auffällige Erscheinung zurück: Dass sie in der Zeit auf Umbara noch nicht Opfer von Intrigen geworden war. Sie wirkte so andersartig, dass man sie offenbar nicht als Teil des allgemeinen Ränkespiels um Macht und Posten betrachtete. Es war ihr ganz recht, dass sie dabei außenvor gelassen wurde, denn die Umbaraner kannten kaum ein Pardon gegenüber ihren Gegnern. Soweit sie wusste, war Alkarin Scarwai da keine Ausnahme. Die Methoden, die man auf dieser Welt teils verdeckt, teils auch ganz öffentlich anwandte, wirkten auf Außenstehende oft sehr abschreckend. Aber Xuri VeNee war lange genug hier, um das System dahinter zu durchschauen und zu begreifen, dass dieser rücksichtslose Machtkampf keineswegs nur blindes Hickhack war, sondern einen festen Platz in der umbaranischen Tradition hatte und tief in ihrer Kultur verankert war. Als barbarisch empfand man es nur deshalb, weil der ganze Planet und seine Bewohner sowieso einen düsteren, mysteriösen Eindruck machte. Am hapanischen Königshof beispielsweise herrschten weit schlimmere Zustände, doch dort, in all dem Glanz und Prunk, nahm man Verrat und Intrige ganz anders wahr.
Die Botschafterin hatte sich jedenfalls mit den Besonderheiten der umbaranischen Kultur abgefunden und mit ihnen arrangiert. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass politische Ämter häufiger neu besetzt wurden als in anderen Staatsgebilden. Und dass Absetzungen manchmal auf radikalere Weise passierten. Sie hatte schon mehr als einen Premierminister erlebt und auch mehr als einen Außenminister. Alkarin Scarwai bisher war ein weitgehend unbeschriebenes Blatt für sie und es war gut möglich, dass auch er nicht lange auf seinem Posten bleiben würde. Was für sie nur bedeutete, dass sie dann versuchen musste, mit einem anderen zusammenzuarbeiten, ebenso wie es auch jetzt der Fall war.
Doch dies war nicht nur ein Antrittsbesuch.
Das Büro des Außenministers hatte sich nicht verändert, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Es war noch immer ein düsteres, steinernes Loch, das eher einer Höhle ähnelte als einem Arbeitszimmer. Beim ersten Mal hatte es etwas einschüchternd auf sie gewirkt, doch mittlerweile hatte sie sich auch daran gewöhnt.
Wie erwartet bedauerte Scarwai die Wartezeit und begründete sie mit seinem vollen Terminkalender, zugleich bedankte er sich dafür, dass sie gewartet hatte. Nunja, natürlich hatte sie das - schließlich wollte sie etwas von ihm. Ihre Begegnung war also asymmetrisch: Er hatte sich über sie gestellt und sie hatte ihn auf dieser Position bestätigt.
»Um so mehr danke ich Ihnen, dass Sie ein wenig Ihrer kostbaren Zeit für mich erübrigen können, verehrter Minister«, antwortete sie glatt.
Dankend nahm sie Platz (was bedeutete, dass ihre krallenbewehrten, grünhäutigen Füße weit über dem Boden baumelten) und nahm auch ein Glas Sekt entgegen. Vorsichtig nippte sie an dem Kelch aus geschliffenem, düsterem Rauchglas. Nicht weil sie befürchtet hätte, dass man sie vergiften könnte, sondern einfach deshalb, weil sie alkoholische Getränke nicht besonders mochte. Doch einen Willkommenstrunk auszuschlagen, galt in keiner ihr bekannten Kultur als besonders höflich.
»Ich möchte Sie zunächst zu Ihrem Amtsantritt beglückwünschen und Ihnen im Namen der Neuen Republik eine lange und erfolgreiche Amtszeit wünschen. Ich hoffe, dass wir ebenso konstruktiv zusammenarbeiten werden, wie das mit Ihrem Vorgänger der Fall war.«
So außerordentlich konstruktiv war sie eigentlich nicht gewesen, aber der Satz war eine nette Verklausulierung dafür, dass man es in Zukunft ja besser machen konnte. Und dass die Botschafterin die Schuld nicht bei sich selbst sehen würde, wenn es nicht funktionierte.
»Ich hoffe, dass Sie schon die Gelegenheit hatten, sich einzugewöhnen, denn es wird sicherlich nicht lange dauern, bis schwierige Aufgaben besonnene und geschickte Lösungen erfordern werden.«
Mehr als eine Prophezeiung. Xuri wusste es. Denn sie brachte eine solche Aufgabe mit.
»Man hat mich von höchster Stelle beauftragt, mit einem besonderen Anliegen an Ihre Regierung heranzutreten, und ich bin der Überzeugung, dass Sie der beste Ansprechpartner dafür sind. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die für die Neue Republik und vielleicht auch für die ganze Galaxis von großer Wichtigkeit ist und ich hoffe, dass Sie in Ihren und Umbaras Händen gut aufgehoben sein wird. Eine Angelegenheit, die vorerst noch nicht allzu bekannt werden sollte, wie ich hinzufügen möchte.«
Die Umbaraner waren gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Aber sie waren ebenso gut darin, sie an der richtigen Stelle preiszugeben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Doch gab es irgendeinen Ort in der Galaxis, wo es nicht so war?
»Mit Sicherheit haben Sie schon erfahren, dass kürzlich ein Waffenstillstand zwischen der Republik und dem Imperium zustande gekommen ist. Bei den Verhandlungen wurde auch beschlossen, dass baldmöglichst eine Friedenskonferenz stattfinden soll, um über die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens zu sprechen. Zum ersten Mal seit vielen Kriegsjahren sieht es so aus, als könnte der Konflikt vielleicht mit diplomatischen Mitteln beigelegt werden.
Allerdings wird es ein weiter Weg sein, bis das gegenseitige Misstrauen überwunden ist. Deshalb haben die Abgesandten sich darauf geeinigt, die Konferenz auf einer neutralen Welt abzuhalten, einer, der beide Seiten vertrauen, und die auch in der Lage ist, die nötige Infrastruktur und Sicherheit einer solchen Veranstaltung zu gewährleisten. Dabei wurde schnell der Name Ihres Heimatplaneten ins Gespräch gebracht.
Minister Scarwai, glauben Sie, Ihre Regierung könnte sich bereit erklären, diese große Verantwortung auf sich zu nehmen und als Gastgeber der Friedensgespräche zu fungieren?«
[Umbara | Hauptstadt | Höchste Behörde des Äußeren | Arbeitszimmer des Außenministers] Xuri VeNee (NPC), Alkarin Scarwai