[Vinsoth | Steppen | Mobile Black-Sun-Basis | Gemächer des Vigo] Vigo Zula (alias Vilnok Moor), Bedienstete
Die breitschultrige Klaatoinianerin faltete die Hände vor der Brust und neigte demütig ihr kahles Haupt, bevor sie meldete:
»Herr, die Tupono’hou setzt zur Landung an.«
Vigo Zula ließ sich unter normalen Umständen nicht dazu herab, sich persönlich mit einem rangniederen Mitglied wie Captain Koh'ren zu befassen. Ein Mann seines Kalibers hatte zuviel zu tun, um die Strippen all seiner Marionetten selbst zu ziehen; deshalb gab es in der Black Sun und auch in Zulas Teil der Organisation eine vielschichtige Hierarchie. Es gab Leute, die sich darum kümmerten, dass alle wichtigen Aufträge an geeigente Leute weitergegeben und deren korrekte Ausführung anschließend kontrolliert wurde. Der Vigo lenkte seine Geschäfte aus großer persönlicher und oft auch räumlicher Distanz, denn er hielt sich weit öfter auf Mon Calamari auf als hier, in den Wüsten und Steppen seiner Heimatwelt Vinsoth. Doch hin und wieder gab es triftige Gründe, hierher zu reisen; so wie es auch Gründe gab, scheinbare Nebensächlichkeiten selbst in die Hand zu nehmen.
Einer dieser Gründe mochte sein, dass es zum Erhalt seines Einflusses unentbehrlich war, Präsenz zu zeigen. Seine direkten Untergebenen, aber auch die niederen Ränge mussten ihn gelegentlich leibhaftig zu Gesicht bekommen, damit sie nicht vergaßen, wem sie Rechenschaft schuldeten. Einen Anführer, der seinen Gefolgsleuten niemals auf die Finger schaute, nahm man bald nicht mehr als solchen wahr, geschweige denn ernst. Wenn man nicht das Gefühl hatte, dass er jederzeit auftauchen und ihr Verhalten kontrollieren konnte, war die Versuchung groß, es mit der Befolgung von Befehlen nicht so genau zu nehmen und lieber den eigenen Interessen zu dienen als denen des Vigo. Sein gelegentlicher Aufenthalt in der Basis, verbinden mit einem einschüchternden Auftreten, das keinen Zweifel an seinem uneingeschränkten Machtanspruch ließ, erinnerte seine Untergebenen an ihre Pflichten und erstickte Ungehorsam im Keim. So kam hin und wieder auch ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe, wie es Koh'ren war, in den Genuss einer Audienz, beziehungsweise in die Bedrängnis einer Inspektion.
Doch dass der Chevin sich für den dicken, blauhäutigen Twi'lek und dessen gealterte Piratenkorvette, die Tupono'hou, interessierte, hatte noch einen anderen Grund; einen, den der Captain nicht kannte und vermutlich nicht einmal ahnte. Es ging dabei um den letzten Auftrag, der ihm erteilt worden war: Dahinter steckte mehr, als es zunächst den Anschein hatte. Vordergründig hatte der Befehl nur darin bestanden, einige flüchtige Chevs zu fangen und nach Vinsoth zu bringen. Dass Sklaven entkamen und wieder eingesammelt werden mussten, war keine Seltenheit; Koh'ren hatte in der Vergangenheit schon ähnliche Aufgaben wahrgenommen. Diesmal jedoch ging es um mehr. Die Chevs, die der Twi'lek und seine Crew von verschiedenen nahegelegenen Welten entführt hatten, waren nicht einfach irgendwelche ehemaligen Sklaven. Sie waren allesamt Angehörige, Freunde oder Weggefährten von wichtigen Leuten innerhalb der Chev-Gemeinschaft.
Schon immer gab es einzelne Mitglieder des grauhäutigen humanoiden Sklavenvolkes, die sich gegen ihre Herren auflehnten und andere aufhetzten, dasselbe zu tun. Seit die Chevs offiziell für frei und gleichberechtigt erklärt worden waren (und dieser Schein gewahrt wurde, indem man einen Teil von ihnen tatsächlich selbstbestimmt leben ließ) hatte diese Tendenz nicht abgenommen: Unter den vielen, die nach wie vor in Unfreiheit lebten, herrschte einige Unzufriedenheit. Wenn diese ein kritisches Maß überstieg, konnten Rebellionen die Folge sein. Jene konnten schlimmstenfalls zur Enttarnung der geheimen Sklavenhalternetzwerke führten, die sich durch die gesamte Gesellschaft Vinsoths erstreckten und eng mit der Regierung verwoben waren. Dieses Risiko durfte auf keinen Fall eingegangen werden. Potentielle Aufrührer wurden oft gewaltsam aussortiert, doch dadurch drohte man Märtyrer zu produzieren. Manch ein Rebell opferte gern sein Leben für seine Ideale. Anders sah es aber normalerweise mit den Leben ihrer Lieben aus. Kinder, Lebensgefährten, Geschwister, Eltern, alte Freunde und ehemalige Mentoren... sie stellten das beste Druckmittel dar. Der Frachtraum der Tupono'hou war angefüllt mit solchen Geiseln, die sicherstellen sollten, dass einige Unruhestifter ihre Füße stillhielten und ihren Gedanken an Rebellion aufgaben. Insbesondere in der jetztigen Situation war das wichtig: Sen Teflan, der Marionettenpräsident Vinsoths und Neffe des Vigo, stand kurz vor seiner Wiederwahl; der schlechteste Moment für negative Publicity. Und in den letzten Monaten war es wiederholt zu Sicherheitsverletzungen gekommen; gefährliche Informationen waren nach draußen gelangt, so dass mehr Augen als gewöhnlich sich auf Vinsoth und die dortigen Vorgänge richteten. Deshalb war die Angelegenheit wichtig genug, dass sich der Vigo persönlich mit ihr befasste.
»Gut. Verstärkt die Wachen und bereitet Zellen für die Gefangenen vor. Ich gehe selbst zum Schiff: Du und dein Bruder begleitet mich. Wartet draußen.«
Die Klatooinianerin verneigte sich noch einmal und entfernte sich dann. Der Chevin hatte es nicht eilig, ihr zu folgen. Jemanden warten zu lassen war ein Ausdruck von Macht, deshalb wollte er nicht schon am Landefeld stehen, wenn die Korvette eintraf, sondern erst hinzukommen, wenn sie bereits gelandet war. In aller Ruhe trank er den bauchigen Kelch mit dem rauchgrauen Branntwein aus. Er war ohnehin zu schade, um ihn einfach hinunterzustürzen. Eine Flasche davon kostete mehr, als ein durchschnittlicher Bewohner dieses Planeten im Monat verdiente. Dabei blickte Zula auf das Gemälde, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Es war ›Kaschyyyks stählernes Relikt‹ von Ethea Caileta Nynies. Allerdings war es nur ein Duplikat. Das Original war im Besitz von Horatio Kraym. Der Chevin hatte das Bild aufhängen lassen, nachdem er auf Thyferra bei Kraym zu Gast gewesen war, um als Abgesandter des Senats über eine neue Bacta-Verteilungsquote zu verhandeln. Er hatte einen guten Abschluss für die Neue Republik erzielt, sich den Menschen aber zum Feind gemacht. Ein mächtiger Feind: Wie es hieß, sollte Horatio Kraym demnächst zum Sector Adjutant befördert werden! Das Bild erinnerte den Vigo daran, diesen Gegner nicht aus dem Blick zu verlieren und ständig auf Racheakte seinerseits gefasst zu sein. Außerdem war es zweifellos recht dekorativ und passte gut in das ansonsten zwar recht kostspielig eingerichtete, aber doch ziemlich schmucklose Gemach.
Unterdessen setzte draußen die Korvette zur Landung an. Er musste nicht aus dem Fenster blicken, um den Vorgang mitzuverfolgen. Eine 150 Meter lange Korvette, die sich auf die Steppe niedersenkte, verursachte enormen Lärm, heftigen Wind und starke Vibrationen. Zulas persönliche Unterkunft hatte, ebenso wie die übrigen Bauwerke der Basis, kein stabiles Fundament und war leicht genug gebaut, um es mit einem Repulsor anzuheben und zu bewegen: Wie andere Niederlassungen der Chevins war der Stützpunkt der Black Sun darauf ausgelegt, von Ort zu Ort zu ziehen. Die Landung der Tupono'hou war also deutlich zu hören und zu spüren. Erst als es wieder ruhiger geworden war, erhob er sich. Er legte den schwarzen Umhang aus umbaranischer Seide ab: Es war eines seiner kostbarsten Kleidungsstücke und er wollte es nicht dem Staub des unbefestigten Landefeldes aussetzen. Stattdessen nahm er ein bordeauxrotes Exemplar aus nicht ganz so edlem Material. Auch dieses war aber so geschnitten, dass es seine gesamte Gestalt einschließlich des Gesichtes verhüllte. Mehr als seine schwarzen, blitzenden Augen bekamen selbst hochranige Mitglieder der Black Sun normalerweise nicht zu sehen. Dass Vigo Zula, einer der mächtigsten Verbrecherbosse der Galaxis, ein Alterego des unbescholtenen Senator Vilnok Moor war, musste wirklich nicht jeder wissen.
Als die bullige Gestalt mit schweren Schritten nach draußen stapfte, erwarteten ihn die Klatooinianerin und ihr Bruder bereits. Er war etwas kleiner als sie und auch unerfahrener; es war das erste Mal, dass er als Leibwächter des Vigo auftreten durfte, eine große Auszeichnung für einen so jungen Pateessa. Beide Humanoide trugen die Tracht ihres Volkes und darüber Brustpanzer, denen von mandalorianischen Kriegern nicht ganz unähnlich. Beide hatten Vibro-Glefen in den Händen und zudem Blaster im Gürtel. Mit ernsten Gesichtern eskortierten sie ihren Boss, der nun auf das Schiff zuschritt. Der Landebereich war mit Scheinwerfern ausgeleuchtet und von bewaffneten Wachen umstellt. Die Rampe war bereits herabgelassen worden und mehrere Personen hatten sich davor versammelt. Schon aus einiger Entfernung erkannte Zula die Chevs: Gebeugte, gedemütigte Gestalten unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Sie lagen in altmodischen Ketten - sie so zu sehen, verschaffte ihm Genugtuung. Es schien, als hätte Koh'ren die ganze Liste erfolgreich abgearbeitet.
Aber wo war der Captain? Seine massige Gestalt mit den vier breiten Lekku sollte sich eigentlich deutlich von der restlichen Crew abheben. Er war nicht dabei; das musste triftige Gründe haben, ansonsten war es ein nicht geringer Affront gegen den Vigo! Misstrauen keimte in Zula auf, doch sein Gesicht war verborgen, seine Körperhaltung und Gangart blieben unverändert selbstbewusst. Seine Augen suchten in der Zwischenzeit nach Bia'mod, dem Ersten Offizier. Ihn fand er, doch in einer Verfassung, die nicht seinem Rang entsprach. Bia'mod war nackt und trug ein Sklavenhalsband. In Fesseln kniete er im Staub neben einer rothäutigen Twi'lek (Rianna).
Vigo Zula wusste nicht, wer sie war. Er kannte nicht alle Besatzungsmitglieder der Tupono'hou persönlich. Aber es hatte ganz den Anschein, als hätte diese Frau nun das Sagen. Das war in der Art zu erkennen, wie sie ihn anblickte, als er näher kam. Der Chevin war gespannt, die Geschichte zu hören, die hinter diesem Machtwechsel lag. Noch bevor er ganz angekommen war und bevor sie eine Gelegenheit hatte, ihn zu grüßen, rief er mit grollender Stimme:
»Wo ist Koh'ren und warum ist Bia'mod ein Gefangener? Ich hoffe, es gibt eine plausible Erklärung dafür!«
[Vinsoth | Steppen | Mobile Black-Sun-Basis | Landefeld | vor der Tupono'hou] Vigo Zula (alias Vilnok Moor), Rianna Ta Cham