Tagespolitik allgemein

Damit habe ich gerechnet. Und ich habe auch damit gerechnet, dass die Medien solch einen Vorfall wie eine Bestie eine Beute auseinander nehmen und die Schuld beim kleinen Mann (in diesem Fall den Justizvollzugsbeamten vor Ort) suchen werden. An dieser Stelle muss ich aber eben für diese die Hand erheben und in Schutz nehmen. Denn das solche Suizide trotz einer angeordneten Überwachung passieren können, liegt grundsätzlich an unserer immer wohlwollender Politik, und reicht mindestens bis zum Leiter der betroffenen Behörde.

Wie es sich gesetzlich in Sachsen verhält, kann ich derzeit nicht sagen. Ich kann jedoch sagen, wie es seit Beginn 2015 in Nordrhein-Westfalen abläuft. Denn dort dürfen Menschen aufgrund bestehender Suizidgefahr nicht ununterbrochen beobachtet werden:

Strafvollzugsgesetz NRW

§ 69
Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Gegen Gefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder der Selbstverletzung besteht.



(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:

...

2. die Beobachtung von Gefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,

...

...


(4) Eine ununterbrochene Beobachtung von Gefangenen mittels Videotechnik ist nur in besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände oder in dafür gesondert vorgesehenen Behandlungszimmern im Justizvollzugskrankenhaus zulässig, wenn dies im Einzelfall zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für das Leben oder gegenwärtigen erheblichen Gefahren für die Gesundheit von Gefangenen oder Dritten erforderlich ist. Das Schamgefühl der Gefangenen ist zu schonen. Besonders gesicherte Hafträume ohne gefährdende Gegenstände dürfen nur im Ausnahmefall zusätzlich akustisch überwacht werden.

Das sieht in der Praxis dann nun mal so aus, dass Inhaftierte nur bei akuter Selbstmordgefahr in entsprechende besonders gesicherte Hafträume untergebracht werden dürfen. Akut heißt in diesem Falle, dass ein Suizidversuch bereits erfolgt oder angekündigt wurde.
Ist dies nicht der Fall, erfolgt bei der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen die Unterbringung in einem mit einer Kamera ausgestatteten Haftraum. Diese Kamera muss dann in einem Zeitfenster von maximal 10/15 Minuten einmal eingeschaltet werden, um sehen zu können, ob mit dem Gefangenen alles in Ordnung ist.
In der Regel muss dem Gefangenen dann sogar noch durch eine Art Signallampe signalisiert werden, dass er just in diesem Moment beobachtet wird (Punkt: Schamgefühl wahren). Sind keine Kameras vorhanden, erfolgt die Sichtkontrolle durch ein Guckloch an der Haftraumtür.
Kurz zusammengefasst: selbst bei Anordnung einer Überwachung wird dem Gefangenen aufgrund der mangelhaften Gesetzgebung genügend Möglichkeiten eingeräumt, einen Suizid zu begehen. Wenn dieser nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, wartet er bis nach dem Ausschalten der Kamera oder dem Entfernen des Beamten von der Tür ab, bevor er sich suizidiert.

Leider geht die mediale Recherche in solchen Fällen nie soweit.
 
Diese Denkweise greift meines Erachtens zu kurz.
Man weiß nicht, ob er nicht noch Informationen zu anderen geplanten Anschlägen bzw. zu Helfern und Mitwissern gehabt hat. Dieses Wissen ist nun auch für die Ermittler verloren.
Abgesehen davon finde ich, dass es Sache des Rechtsstaats ist, ihn für seine Taten zur Verantwortung zu ziehen und nicht seine eigene.

Edit: Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht soeben die vorläufige Anwendung des Ceta-Freihandelsabkommens mit Kanada gebilligt: http://m.spiegel.de/wirtschaft/soziales/a-1116409.html
 
Na und ?
Dann hat er sich halt umgebracht. Wichtig ist nur das er es nicht geschafft hat unschuldige mir in den Tod zu nehmen!

Schade um die Person ist es mir auch nicht. Ich finde es jedoch immer schade, dass sich dieser Abschaum dadurch seiner Verantwortung entzieht. Der Tod ist in diesem Fall der leichtere Weg für die betroffene Person.
 
Wieso muss ich hier eigentlich wieder an Oury Jalloh denken?

Im vorliegenden Fall muss ganz dringend Transparenz geschaffen werden. So weit ich weiß, fällt eine Untersuchungshaft (=vor dem Gerichtsurteil) nämlich nicht unter die Gesetzmäßigkeit des Strafvollzugs (=nach dem Urteil).
 
So weit ich weiß, fällt eine Untersuchungshaft (=vor dem Gerichtsurteil) nämlich nicht unter die Gesetzmäßigkeit des Strafvollzugs (=nach dem Urteil).

Mea culpa, soweit habe ich gar nicht gedacht. Aber auch hier (zumindest in NRW) fällt die Beobachtung fast deckungsgleich zum StVollzG aus:

Untersuchungshaftvollzugsgesetz

§ 42
Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn eine erhebliche Störung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht auf andere Art und Weise vermieden oder behoben werden kann. Besondere Sicherungsmaßnahmen sind insbesondere zur Abwehr der Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen sowie zur Verhinderung von Selbstverletzungen zulässig.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,

2. die Beobachtung von Untersuchungsgefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,
...

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§ 34
Einsatz von Videotechnik

...

(2) Die Beobachtung von Hafträumen und besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände mittels Videotechnik ist nur im Einzelfall und auf Anordnung der Anstaltsleitung zulässig, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für das Leben oder erheblichen Gefahren für die Gesundheit von Untersuchungsgefangenen oder Dritten erforderlich ist.

...

(6) Die Beobachtung mittels Videotechnik ist durch geeignete Hinweise erkennbar zu machen.
 
Ein Blick ins Untersuchungshaftgesetz von Sachsen, besonders §46 (Videoüberwachung) und §49 (Besondere Sicherungsmaßnahmen) zeigt deutliche Unterschiede zur Gesetzgebung in NRW:

In §46 heißt es: "Die Videoüberwachung von Hafträumen ist ausgeschlossen."

§49:

(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustands in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht.

(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:

1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
2. die Beobachtung der Untersuchungsgefangenen,
3. die Absonderung von anderen Gefangenen,
4. der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
5. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und
6. die Fesselung.

Bei dem ganzen Vorspiel (Hungerstreik, Steckdosenmanipulationen), welches Al-Bakr seit Montag veranstaltet hat, kann man wohl von fahrlässiger Schlamperei ausgehen, die dessen Tod ermöglicht hat. Der Gesetzgeber in Sachsen lässt eine persönliche Beobachtung von derartigen Selbstmordkandidaten und auch deutlich drastischere Maßnahmen jedenfalls zu.
 
Wenn Videoüberwachung ausgeschlossen ist, dann bleibt meines Verstehens nach nur noch die gelegentliche Sichtkontrolle, dessen Abstände nicht mehr als zehn/fünfzehn Minuten überschreiten dürfen. Auch dieser Zeitrahmen kann ein Gefangener nutzen, um sich das Leben zu nehmen.
Die Anstaltsleitung hätte im Falle eines Hungerstreikes die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum anordnen müssen. Dort wäre die Unterbringung auch mit der entsprechenden Entkleidung verbunden, bzw. hätte der Gefangene dort keinerlei Möglichkeit, sich irgendwo aufzuhängen.
Worauf ich letztendlich auch mit meinem Ursprungspost hinaus wollte: die Schuld sollte nicht beim kleinen Mann gesucht werden.

Um übrigens mal das Verhalten des Al-Bakr kurz anzukratzen: bestimmte kriminelle Bürger aus bestimmten Regionen gehen jedwedes Risiko ein, um bestimmten Haftbedingungen zu entgehen. Brandaktuell dazu folgender Artikel:

http://www.nw.de/lokal/bielefeld/mi...-Leiter-spricht-ueber-gesteuerte-Randale.html

Nelle-Cornelsen: Wir haben zwei Phänomene ausgemacht. Viele der Nordafrikaner sind hochgradig suchtanfällig, weil sie in ihrer Heimat als Droge ein Antiepileptikum nehmen, das bei uns nicht gebräuchlich ist. Das führt zu massiven Entzugserscheinungen mit teilweise psychotischen Folgen. Zum anderen wird erzählt, dass man in anderen Ländern mit so einem Verhalten aus der Haft kommen konnte. [...] Wir wissen nicht, ob die Geschichte mit den Entlassungen stimmt. Aber die Betroffenen halten diese Form der Auffälligkeit über Monate aufrecht. Sie eskalieren sogar bei den Selbstverletzungen. Manche haben sich selbst den Bauch oder die Kehle aufgeschnitten. So etwas ist seit einem guten Jahr bei uns Alltag.

Aufgunddessen ist die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich dabei ums Leben zu kommen, bei diesem Klientel unwahrscheinlich hoch.
 
Was mich immer wieder den Kopf schütteln läßt ist die Tatsache das jetzt aus solch einem mutmaßlichen Terorristen gleich wieder ein Opfer gemacht werden soll.

Hier in diesem Thread wird dieselbe Person ja auch ohne Beweise oder Gerichtsverhandlungen zum Täter vorverurteilt und gar als Abschaum bezeichnet.

Unschuldig bis zum Beweis der Schuld? Ist hier offensichtlich kein Thema. Vielleicht wäre daher eine generelle Mäßigung hier angebracht, was solche Extreme angeht, und zwar ganz gleich in welche Richtung die nun gehen.
 
Ich rekapituliere mal:

1. Der ursprüngliche Hinweis auf den mutmaßlichen Terroristen kam von einem ausländischen Geheimdienst (vielleicht von der viel escholtenen NSA?), ohne diesen Hinweis wären die deutschen Sicherheitsbehören evtl. gar nicht auf den Mann aufmerksam geworden. BND und BfV bekleckern sich nicht mit Ruhm.
2. Beim Zugriff kann der Verdächtige trotz eines großen Polizeiaufgebots entkommen, ohne dass er dabei allzu große Schwierigkeiten hatte. Hätte er Sprengstoff oder eine Schusswaffe mitnehmen können, dann hätte er einen Anschlag verüben üben. Die Landespolizei bekleckert sich nicht mit Ruhm.
3. Trotz Großfahndung kann der Verdächtige ein gutes Stück reisen und nutzt dabei zwei große Bahnhöfe, an denen sich tausende Menschen aufhalten. Landes- und Bundespolizei bekleckern sich nicht mit Ruhm.
4. Die Festnahme (endlich!) erfolgt nicht dank der Polizei, sondern durch das mutige Handeln dreier Syrer, die ihn festsetzen. Landes- und Bundespolizei bekleckern sich nicht mit Ruhm.
5. Trotz Hinweisen darauf, dass der Verdächtige, ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter, Suizidabsichten hat, behandelt ihn die JVA wie einen Taschendieb (nach Untersuchung durch eine Psychologin, die null Erfahrung mit Terrorverdächtigen hat, und am Dolmetscher hapert es offenbar auch), dehnt nachdem (!) er Deckenlampe und Steckdose in seiner Zelle beschädigt hat, die Abstände zwischen den Kontrollen von 15 auf 30 Minuten und lässt diese von einer Auszubildenden durchführen. Die entsprechende JVA und die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die den Verdächtigen nicht verlegen lässt, bekleckern sich nicht mit Ruhm.

Mehr und mehr drängt sich der Eindruck auf, dass Deutschland bisher nur mit verdammt viel Glück größeren Anschlägen entgangen ist. Ein solches Versagen wirf ein Schlaglicht auf die Probleme. Jetzt kann der Verdächtige auch nicht mehr dazu befragt werden, ob er evtl. als Teil einer Zelle gehandelt hat und Helfer und Unterstützer hatte. Die Pressekonferenzen waren in dieser Hinsicht auch erhellend, zunächst kräftig Eigenlob und Kleinreden von Fehlern, dann "Wir haben doch alles nach Vorschrift gemacht" und das übliche Blame game, und natürlich klebt jeder der Beteiligten am Stuhl. Es herrscht ein Klima des Durchwurstelns, des "Ist ja nochmal gut gegangen" und Konsequenzen werden auch keine gezogen, im schlimmsten Fall wird halt in eine andere Abteilung versetzt oder mit leicht verringter Pension die Karriere etwas früher beendet. So eine mangelnde Verantwortungskultur findet man auch bei staatlichen Bauprojekten, wobei dort "nur" Steuergelder verschwendet werden und nicht Menschenleben gefährdet wie in diesem Fall.
 
4. Die Festnahme (endlich!) erfolgt nicht dank der Polizei, sondern durch das mutige Handeln dreier Syrer, die ihn festsetzen. Landes- und Bundespolizei bekleckern sich nicht mit Ruhm.

Du hast noch vergessen, dass die Landespolizei einen Anruf der Syrer nicht ernst genommen/nicht glauben wollte und man erst ein Foto des gefesselten, mutmaßlichen Attentäters persönlich zur Polizei bringen musste, damit da mal was passiert. :nope:
 
Du hast noch vergessen, dass die Landespolizei einen Anruf der Syrer nicht ernst genommen/nicht glauben wollte und man erst ein Foto des gefesselten, mutmaßlichen Attentäters persönlich zur Polizei bringen musste, damit da mal was passiert. :nope:
Darf ich fragen, woher du diese Information hast? Der Spiegel schreibt nur von "Verständigungsproblemen":
A.s Anruf bei der Polizei sei zunächst aufgrund von Verständigungsproblemen erfolglos geblieben. Deshalb sei er mit einem Foto von Albakr zu einem Polizeirevier gefahren - darauf ist zu sehen, wie einer der Flüchtlinge den Gesuchten auf einem Sofa im Schwitzkasten hält. Die Füße Albakrs sind mit dem Kabel einer Verteilersteckdose gefesselt.
Quelle: http://m.spiegel.de/politik/deutschland/a-1116026.html
Diese Erklärung erscheint mir schon glaubhaft.
 
Was mich immer wieder den Kopf schütteln läßt ist die Tatsache das jetzt aus solch einem mutmaßlichen Terorristen gleich wieder ein Opfer gemacht werden soll. Herr Beck hat sich ja gleich wieder zu Wort gemeldet.
Ob es einigen wohl lieber gewesen wäre er hätte sein Vorhaben durchgeführt ?

Da hat man einen Mann, der voraussichtlich einen Terroranschlag plant, die Überwachung verläuft derart dilettantisch, dass nicht nur die Nachbarn merken, dass die Polizei da ist, der Mann kann auch noch entkommen und als er dann geschnappt wird, wofür man nicht der Polizei danken kann, schafft man es auch noch, dass diese Person sich in der Untersuchungshaft aufhängt. Wenn man das skandalös findet und fragt, wie das passieren kann, dann wird da doch aus niemanden ein Opfer gemacht und auch Beck fragt doch völlig zurecht "Wie konnte das geschehen?“.

Ganz allgemein muss man fragen: Was zum Kuckuck ist da in Sachsen eigentlich los?
 
Allerdings sollte zu dem Zeitpunkt jeder Polizist in Sachsen den Namen al Bakr einordnen können.
Das stimmt. Aber ich würde von einem syrischen Flüchtling jetzt auch nicht erwarten, dass er gut genug deutsch kann, um den Sachverhalt einem Polizisten beschreiben zu können. Zumal in so einer Stresssituation auch gerne mal das ein oder andere Wissen flöten geht. Da kann bei einem entsprechend starken Akzent und gebrochenem Deutsch der Name al-Bakr auch durchaus mal akustisch untergehen.
Die Arbeit der Behörden war in diesem Fall sicher alles andere als fehlerlos. Aber den Anruf kann man der Polizei meines Erachtens nun nicht krumm nehmen.
 
Sehe ich übrigens ähnlich. Ich habe schon öfter mit Leuten beruflich telefoniert und schon deutsch kann teilweise recht schwierig zu verstehen sein, wenn dann ein türkischer aber auch westeuropäischer, wie französischer Akzent dazu kommt, kann das Telefonat schon mal äußerst anstrengend werden und in diesem Fall hatte man es ja nicht nur mit einem schwierigen Akzent zutun.
 
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