[Toprawa, Waldgebiet, unterirdische Anlage des republikanischen Geheimdienstes, Zelle]
Sie kamen nachts.
Eigentlich war das nichts Ungewöhnliches. Sie kamen immer nachts, wenn es Fragen zu stellen gab, wieder und wieder dieselben Fragen, wieder und wieder mit denselben Antworten, oder wenn einfach nur irgendjemand sein Mütchen kühlen wollte – schließlich waren sie in gewisser Weise hier unter der Erde ebenso Gefangene wie er selbst. Irgendwann jedoch war niemand mehr gekommen, nicht nachts, nicht tags, niemand, bis auf den schweigenden Droiden, der die Nasszelle gesäubert, das Essen gebracht und das Geschirr entsorgt, den grauen Overall gegen einen sauberen, exakt identischen Overall getauscht hatte. Wie lange war es jetzt her, dass sie gekommen waren? Dass jemand auch nur mit ihm geredet hatte? Wochen? Monate? Jahre? Zeit verlor an Bedeutung, wenn man nicht wusste, ob der Abstand, in dem die schummrige Beleuchtung der Zelle ein- und ausgeschaltet wurde, sich an dem Tag-Nacht-Rhythmus des Planeten orientierte, auf dem man sich befand – oder an dem überhaupt eines Planeten. Er begnügte sich damit, die Phasen des erloschenen Lichts als „nachts“ zu bezeichnen.
Und jetzt kamen sie wieder. Nachts.
Sie trugen keine Uniformen. Niemand hier tat das. Nur Jacken aus geschwärztem Nerf-Leder, Zivilhemden und –hosen… unauffällig, wenn auch vielleicht nicht sonderlich modisch. Gesichter, die auf jedem menschlich bevölkerten Planeten hätten mühelos untergehen können, vielleicht bis auf die Entschlossenheit im Blick, die nicht alltäglich war. Ebenso wie die schweren Blasterpistolen, die eine an der Hüfte, die andere auf ihn gerichtet. Sie sprachen ihre eigene Sprache.
„Ziehen Sie das an.“
Dutzendgesicht Eins, jener, der seine Waffe noch im Holster an seiner Hüfte, halb unter der Jacke verborgen trug, warf ein Bündel Kleidung in die Mitte der engen Zelle. Gewöhnlich, so wie die Kleidung, die sie selbst trugen. Vielleicht etwas schäbiger. Der so Beschenkte zögerte.
„Na wird’s bald?“
Keine Zeit also. Oder einfach nur gewöhnliche Ungeduld. Die ungnädig wedelnde Mündung der Pistole – Merr-Sonn Power 5, wie er desinteressiert feststellte – war Motivation genug. Sterben wollte er nicht. Immer noch nicht. Es wäre der einfache Weg. Und war er je ein Freund des einfachen Wegs gewesen?
Es kümmerte ihn wenig, dass er vor den beiden Dutzendgesichtern bis auf die Unterwäsche entblößt war, als er sich gehorsam aus dem grauen Overall befreite und langsam die dargebotene Kleidung anzog. Ein solches Detail konnte ihn nicht mehr demütigen – nicht nach den anderen Demütigungen, die er erfahren hatte, bevor der Droide sein einziger halbwegs lebendiger Kontakt geworden war. Und trotzdem funktionierte er mit einer Zuverlässigkeit, die seinem metallenen Essensbringer in nichts nachgestanden hätte.
„Jetzt bloß keine falsche Bewegung.“
Dutzendgesicht Eins war also noch nicht fertig, trat nun an seinen Gefangenen heran und zauberte einen allzu bekannten Apparat aus seiner Jacke. Lähmhandschellen. Vorsicht war offenbar besser als Nachsicht. Aus der Sicht des Gefangenen hätte die auf ihn gerichtete Waffe absolut ausgereicht. Mit einem Klicken schlossen sich die Handschellen, bevor Dutzendgesicht Eins, immer noch nicht zufrieden, dem Gefangenen eine Art schwarzen Stoffbeutel über das Gesicht zog. Auch das war zu erwarten gewesen.
„Vorwärts.“
Immerhin erbarmte Dutzendgesicht Eins sich, den Gefangenen zu führen, als dieser seine Zelle auf eben die Art verließ, auf die er sie vor so langer Zeit betreten hatte – mit verschleierter Identität, ohne sehen zu können. Er wusste nicht, warum dieses Prozedere notwendig war – sollte er nicht sehen, oder sollte er nicht gesehen werden? Wenn ersteres der Fall war, dann hätten die beiden Dutzendgesichter sich die Mühe sparen können. Er wusste mittlerweile, aus der Zeit, in der sie nachts noch zu ihm gekommen waren, dass er sich auf Toprawa befand, einem Planeten, der sich selbst für republikanische Verhältnisse am Rand befand. Für den sich so gut wie niemand interessierte. Wenn sie indes wollten, dass niemand ihn erkannte… nun, das machte mehr Sinn, oder? Ob die meisten Personen in dieser Anlage nicht wussten, wer er war? Wusste er es denn selbst noch?
„Anhalten.“
Mitzuzählen, wie oft sie wohin abgebogen waren, hatte sich als sinnlos erwiesen. Der Weg allerdings war kurz gewesen, was darauf schließen ließ, dass sie nun in ein schnelleres Transportmittel umsteigen würden. Ein Verdacht, der bestätigt wurde, als man den Kopf des Gefangenen plötzlich unsanft irgendwo hinein beförderte – das geräuschvolle Schließgeräusch einer metallenen Klappe und das kurz darauf ertönende Summen von Repulsoraggregaten verriet, dass dieses „irgendwo“ aller Wahrscheinlichkeit nach der Kofferraum eines handelsüblichen Gleiters war.
Wieder verstrich Zeit, in der der Gefangene die Muße fand, sich innerlich über den steifen Hals zu beklagen, den ihm seine unbequeme Liegehaltung einbrockte. Seltsamerweise fühlte er keinerlei Neugierde in Bezug darauf, wohin man ihn wohl zu verfrachten Gedanke. Eine enge Zelle auf Toprawa, so dachte er sich, war schließlich nicht schlechter oder besser als eine enge Zelle auf irgendeinem anderen Planeten der Republik. Zu mehr – einer Verhandlung, vielleicht einer geheimen Exekution – schien man sich jedenfalls nicht hinreißen zu können.
Irgendwann hielt der Gleiter an, die Klappe wurde geöffnet und der Gefangene unsanft aus dem Kofferraum gezerrt, ohne dass man sich dabei um Blessuren scherte, die er dabei erleiden mochte. Immerhin hatte man sich offenbar entschieden, ihm den Stoffbeutel wieder abzunehmen, was ihm den Blick auf eine gut ausgeleuchtete und saubere Landebucht eröffnete. In ihrer Mitte stand ein Frachter der YT-1930-Klasse, dem äußeren Anschein nach in tadellosem Zustand. Die auf ihn gerichtete Pistole von Dutzendgesicht Zwei war freilich noch dieselbe – darüber hinaus schien bis auf ihn und seine beiden Bewacher niemand die Bucht zu bevölkern, abgesehen von einem grauhäutigen Twi’lek, der in diesem Moment die Einstiegsrampe des Frachters herunterstieg. Die Art, mit der der Nichtmensch sein Blastergewehr hielt, sowie sein Gesichtsausdruck, als er den Gefangenen kurz musterte, ließen auf überraschende Nervosität schließen.
„Ist alles startbereit?“
Dutzendgesicht Eins hatte offenbar auch mit seinen Partnern keinerlei Geduld.
„Natürlich.“
Fast klang die Antwort des Twi’lek etwas beleidigt.
„Wir haben Starterlaubnis für die nächste halbe Standardstunde.“
„Gut.“
Dutzendgesicht Eins stieß den Gefangenen leicht in Richtung Dutzendgesicht Zwei.
„Bring ihn rein.“
Er erntete ein knappes Nicken als Zeichen von Einverständnis, gefolgt von einem leichten Wedeln der Waffe in Richtung des Gefangenen.
„Vorwärts.“
Im Frachter stellte der Gefangene fest, dass man sich die Mühe gemacht hatte, eine der Crewkabinen an Bord in eine Art Zelle umzubauen – indem man die undurchsichtige Tür gegen ein massiv wirkendes Gitter umgetauscht hatte, durch die etwaige Gefangene bestens zu beobachten waren. Außerdem fehlten die üblichen Annehmlichkeiten im Inneren des Raumes – lediglich eine Pritsche war vorhanden sowie eine Gelegenheit, seine Notdurft zu verrichten, mit kaum genügendem Sichtschutz. Die Pritsche war dann auch das Ziel des Gefangenen, als das Gitter hinter ihm ins Schloss fiel. Immerhin war er nun die Handschellen los.
„Machen Sie es sich nicht zu gemütlich“, beschied Dutzendgesicht Zwei dem Gefangenen, ehe er Richtung Cockpit verschwand.
„Wir haben es nicht weit.“
[Toprawa, Salik City, Landebucht, Unbekannter YT-1930, Zelle]- Nereus Kratas