Heute vor 16 Jahren, am 07. Oktober 2001, begann als Vergeltung für die Terroranschläge vom 11. September die Operation "Enduring Freedom", womit hauptsächlich der Krieg in Afghanistan (OEF-A), aber auch Terrorismusbekämpfung in den Philippinen und am Horn von Afrika verknüpft sind. Mit Angriffen von Kampfflugzeugen und Cruise Missiles auf Stellungen von Al-Qaida und der Taliban und zunächst hauptsächlich von Spezialeinheiten und afghanischen Kräften (der sogenannten Nordallianz) am Borden getragen verfolgte der amerikanische Präsident George W. Bush kurzfristig drei militärische Ziele, die er am 20. September in einer Rede vor dem Kongress erläuterte:
1. Die Gefangennahme oder Tötung der Anführer von Al-Qaida, hauptsächlich Osama bin Laden
2. Die Zerstörung der Ausbildungslager von Al-Qaida
3. Die Ausschaltung der Taliban als Unterstützungsfaktor für Al-Qaida, damit sollte Al-Qaida ein wichtiger Standort für Ausbildung, Nachschub, Finanzierung und Planung entzogen und weitere Terroranschläge verhindert werden
Unter Führung der USA beteiligten sich zahlreiche Mitgliedsstaaten der NATO und auch einige Nichtmitglieder, darunter Georgien, die Ukraine, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emirate an dem Einsatz. Die NATO-Kräfte wurden unter der Bezeichnung International Security Assistance Force (ISAF) zusammengefasst. Neben Truppen stellten die beteiligten Länder auch Ausrüstung, humanitäre Hilfsgüter und Geld zur Verfügung.
Auf eine Übersicht der danach folgenden Ereignisse möchte ich an dieser Stelle verzichten, mir geht in diesem Beitrag mehr darum, eine Art vorläufige Bilanz zu ziehen.
Zunächst die positiven Punkte:
Afghanistan besitzt seit 2004 und eine Verfassung, die unter anderem demokratische Wahlen, die Gleichstellung von Mann und Frau und die Freiheit der Religionsausübung vorsieht.
Seit 2001 sind über 6 Millionen afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt (hauptsächlich aus dem Nachbarland Pakistan).
Statt einer Million besuchen nun 8 Millionen Kinder Schulen, davon ca. 3 Millionen Mädchen, denen es unter den Taliban unmöglich war, sich Bildung anzueignen.
Statt 5% haben nun 60% der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Die Lebenserwartung ist von 56 auf 60 Jahre gestiegen und die Kindersterblichkeit hat sich halbiert (von 180/1000 auf 90/1000).
Dank Impfungen wurden Krankheiten wie Polio nahezu ausgerottet.
Die afghanishe Wirtschaft und Infrastruktur beginnt, sich zu entwickeln, statt 25.000 Mobiltelefonen gibt es nun 22 Millionen (das Handy ist in Afghanistan das wichtigste Kommunikationsmittel) und statt 40 Meilen gepflasterter Straßen mehr als 7.000 Meilen (der Ausbau des Straßennetzes ist eine der größten Herausforderungen in Afghanistan).
Die afghanischen Sicherheitskräfte sind mittlerweile auf ca. 400.000 Mann angewachsen und übernehmen mehr und mehr Verantwortung. Größere Angriffe der Taliban sind ausgeblieben (bis auf einige spektakuläre Ausnahmen), sie versuchen über Terroranschläge in den Schlagzeilen zu bleiben, sind aber zu Großoffensiven nicht mehr fähig. Al-Qaida kann von Afghanistan aus nicht mehr operieren.
Bei demokratischen Wahlen fand 2014 ein friedlicher Machtwechsel statt, was beweist, dass das Vertrauen in die staatlichen Institutionen wächst. Bemerkenswert ist dabei die trotz mehrer Anschläge und schlechter Infrastruktur hohe Wahlbeteiligung von 60%.
Eine ganze Reihe von Problemen besteht allerdings weiterhin:
Etwa 36% der Afghanen leben unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit liegt bei ca. 35%.
Die Opiumproduktion ist nach wie vor die "Haupteinnahmequelle" des Landes, ca. 90% des Opiums weltweit stammt aus Afghanistan. Dieses lukrative Geschäft ermöglicht es den Taliban, weiterhin Anschläge durchzuführen, mit dem Auftauchen des IS in Afghanistan hat sich die Sicherheitslage in manchen Regionen wieder signifikant verschlechtert.
Korruption und Amtsmissbrauch bleiben erhebliche Probleme bei den Sicherheitskräften, jedoch weniger bei den Streitkräften und der Bundespolizei als bei regionalen Polizeikräften, die zudem auch oft am Opiumhandel beteiligt sind.
Verlustzahlen (Tote, Schätzungen bzw. gerundet):
Afghanische Zivilbevölkerung: 31.000 (davon 75% durch Anschläge der Taliban)
Afghanische Sicherheitskräfte: 20.000
Taliban, Al-Qaida und Verbündete: 25.000 bis 40.000
International Security Assistance Force (ISAF): 3.400
Rechtlich basiert der Afghanistan-Einsatz zum einen auf einer Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 12. September 2001, in dem die Anschläge des Vortags als bewaffneter Angriff gewertet und damit den USA als verletzte Partei das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden wurde. Am 20. Dezember 2001 wurde die Aufstellung der ISAF ebenfalls durch den Sicherheitsrat gebilligt, als sogenannte friedenserzwingende Maßnahme unter Leitung der NATO. Der NATO-Rat hatte am 12. September 2001 die Vorgänge des 11. September 2001 als Angriff auf einen der NATO-Staaten erklärt, womit der Bündnisfall gemäß Artikel 5 eingetreten war. In den Mitgliedsstaaten der NATO wurden die Mandate für Einsatz jeweils einzeln beschlossen.
Im Fall Deutschlands beruht der Afghanistan-Einsatz auf der regelmäßig erneuerten Genehmigung durch den Bundestag und auf dem Grundgesetz. Gemäß Artikel 87a, Abschnitt 2 darf die Bundeswehr außer zur Verteidigung nur dann eingesetzt werden, wenn es das Grundgesetz ausdrücklich zulässt. Laut Verfassungsgericht ist dies unter anderem im Fall Afghanistan erfüllt, die Begründung dafür bezieht sich auf Artikel 24, der den Bund zum Eintritt in ein System kollektiver Sicherheit wie UN und NATO ermächtigt und so auch die Grundlage für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden, bietet.
Quellen:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-07/afghanistan-zivilisten-tote-kaempfe
http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verteidigungspolitik/199281/wehrrecht
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-06/stichwahl-afghanistan-wahlbeteiligung-anschlag
http://www.faz.net/aktuell/politik/...sten-punkte-der-neuen-verfassung-1147872.html
http://www.bbc.com/news/world-asia-26747712 (auf Englisch)
https://www.forbes.com/sites/lorent...oming-an-american-success-story/#3bac72b456b2 (auf Englisch)