Wir, als Leser/Zuschauer, Rezipienten, interpretieren ein Werk auf Werkbasis. Der Autor hat(te) mit Sicherheit eine Intention, die er auch gerne äußern darf. Man kann als Rezipient diese Intention als Grundlage für die Interpretation herannehmen. Man muss aber nicht.
Martin Walser darf gerne behaupten, dass er Marcel Reich-Ranicki nicht in seinen 'Tod eines Kritikers' geschrieben hat. Wenn ich als Leser das anders sehe, sehe ich das eben anders, und da kann Walser auch nichts daran ändern. Genauso muss es (mal als extremes Beispiel) einem modernen Theaterregisseur gestattet sein, Goethes 'Faust I' mit eindeutigen pornographischen Elementen (in der Walpurgisnachtszene beispielsweise) zu inszenieren, obwohl Goethe sich deswegen vielleicht im Grabe herumdreht (obwohl, vielleicht auch nicht; der Lüstling, wie meine ehemalige Deutschlehrerin ihn zu nennen pflegte

).
Was bedeutet das nun in Bezug auf den Krieg der Sterne? Es bedeutet, dass jede Interpretation zulässig ist, solange sie auf dem Werk selbst basiert. Welche Fassung des Werks und welche Zusatzinformationen man als Interpretationsgrundlage verwendet, sollte man dabei freilich dazuschreiben. Eine rechte Analyse von Büchners 'Woyzeck' ist schwierig, wenn nicht festgelegt wird, welche Reihenfolge der Szenen man zugrundelegt.
Im Falle von 'Star Wars' muss eben klargestellt werden, was man zur Interpretation heranzieht. Eine
reine Auslegung ist tatsächlich nur dann möglich, wenn man alles Äußere (im Fall der Filme die Meinung von GL, im Fall eines Romans die Meinungen von Autor und LFL) ausklammert. Dass eine solche Interpretation meist recht theoretischen Charakter hat, will ich nicht bestreiten. Aber auch sie kann einen Wert haben.
Selbstverständlich gibt es soetwas wie den "offiziellen Kanon", ebenso wie es George Lucas' persönlichen Kanon gibt (die übrigens nicht immer kongruent sind, siehe "Greedos" oder auch seine Sturmtruppen-Kommentare). Sie sind die typischen kanonischen Diskussionsgrundlagen. Weder muss man sich aber an sie halten noch sich davon abschrecken lassen, wenn andere versuchen, durch Aussagen wie "im [soundso] Kanon ist das soundso festgeschrieben" eine Diskussion zu beenden. Das mag ja so sein. Deswegen ist eine Auseinandersetzung darüber, wie man eine Sache
auch interpretieren kann, noch lange nicht sinnlos.
Wenn jemand begründet darlegen kann, warum er glaubt, dass Palpatine Anakins Vater ist, dann muss er das glauben dürfen. Wenn jemand meint, aus der Rasse der Sith könnten die Gunganer entstanden sein, ist es sehr unhöflich, wenn ihm Dummheit vorgeworfen wird, weil doch jeder wisse, dass dem nicht so sein kann, weil dieses und jenes Buch das so sagt oder George Lucas in einem Interview erklärt hat, dass die Gunganer selbstverständlich degenierte Astrodroiden sind.
Ebenso klar ist, dass bestimmte Diskussionen nur dann geführt werden können, wenn alle Teilnehmer auf der gleichen Ausgangsbasis - dem gleichen Kanon - argumentieren. In der Regel ist das auch kein Problem, weil der offizielle Kanon (im EU-Bereich) bzw. der GL-Kanon (in den Filmforen) mehr oder weniger allgemein akzeptiert sind. Eine Diskussion über GLs Ansicht davon, an wen Leia sich erinnert, ist effektiv vorbei, wenn GL diese seine Ansicht äußert. Eine Diskussion darüber, was man selbst glaubt, nur auf Basis der Filme, darf sich davon aber nicht aufhalten lassen. Man muss es halt dazuschreiben, wenn man nicht davon ausgehen kann, dass auch der dümmste User versteht, worum es geht.
Im EU-Forum, das nur am Rande, ist übrigens nicht nur die eine, offizielle Meinung zugelassen. Sonst dürfte FanFiction da gar nicht gepostet werden. In einer Diskussion ist prinzipiell alles möglich, solange von vornherein klargestellt wird, dass man sich nicht von der offiziellen Sicht der Dinge einschränken lässt. Wer sich das gerne diktieren lässt, muss ja nicht mitdiskutieren. Er mag die von den Diskutierenden postulierten Theorien persönlich ablehnen, sogar kindisch finden; aber es geht ihn schließlich nichts an.
Etwas anderes ist, wenn jemand eine Frage stellt, die sich auf den offiziellen Kanon bezieht. Dann gibt es üblicherweise nur eine richtige Antwort. Oder es findet eine Diskussion statt, der eine Entwicklung des offiziellen Kanons zugrundeliegt. Aber darüber reden wir hier ja gar nicht. Hier geht es nur um die Frage, ob Diskussionen auf einer anderen Grundlage (sei es der reine oder ein beliebiger persönlicher Kanon) prinzipiell
erlaubt sind. Und dazu sage ich: selbstverständlich. Sie waren nie verboten.