~~~ Bandomeer-System ~ Orsikos ~ Speeder ~ allein ~~~
Das Land flog unter ihr hinweg, zog sich in langen Streifen an ihr vorbei, verschmolz zu einem Film aus Formen und Farben. Die Repulsoren des Speeders gaben alles. Wie in der Erinnerung an die stürmischen Winde der Klippen letzte Nacht wirbelte Jibrielles haselnussbraunes Haar im Fahrtwind, der ihr durch das heruntergeklappte Dach des Speeders ungeschützt um die Ohren toste. Doch weder jener Wind noch Wetter, noch die sonstigen Leiden des Planeten durften sie jetzt ablenken. Als sie Chesara in die Augen gesehen hatte, dort am Fuße des Frachters, hatte sie plötzlich eine Entschlossenheit und Überzeugung gepackt und seit dem nicht losgelassen. Es war wie schon einige Male zuvor: Die Macht hatte ihr einen kleinen Schubs gegeben, doch nun war es ganz an ihr den Abhang hinunter zu laufen und aufzupassen, nicht zu stürzen. Und so raste sie über die in dieser Gegend ziemlich verlassenen Straßen von Orsikos ihrem Ziel entgegen: Die Miene, in der Nylia und Kaiba verschüttet um ihr Leben kämpften.
Das Jibrielle nicht mal wusste, wo genau diese Miene lag, hatte ihrem Antrieb von der ersten Sekunde an keinen Abbruch getan. Instinktiv bog sie an den Kreuzungen in die richtige Richtung ab, wich Hindernissen aus und überfuhr Ampeln kurz bevor sie auf rot schalteten. Sie ließ sich in der Macht treiben. Und doch war es anders als sonst. Diesmal bekam sie nicht nur "Ahnungen", was zu tun war. Es war mehr als Machtinstinkt. Die Macht hatte ihr nie zuvor auf so eine Art und Weise gezeigt, wann die Ampel schalten und mit wieviel Meilen pro Stunde sie genau richtig unterwegs war. Die Macht hatte sie die Dinge nie so klar sehen lassen, hatte ihr nie zuvor einen Umweg gezeigt, der sie schließlich schneller ans Ziel bringen sollte. Denn sie fühlte dieses mal nicht nur, welche Entscheidung die richtige war, sie konnte es sehen. Auch wenn die Bilder unscharf waren, sah sie die Wege doch deutlich vor sich, der eine, wie er sie in einen furchtbaren Stau schicken würde, und der andere, der sie durch verwüstete Häuserschluchten direkt der Miene näher brachte. Es war, als sähe sie undeutlich, wie sich die Linien ihrer Handlungen vor ihr wie Bindfäden ausstreckten. Als sähe sie die Punkte, die den Unterschied machten. Aber nein, dachte Jibrielle. Das war nicht das erste Mal. Etwas ähnliches war doch damals auf Coruscant schon einmal geschehen, als sie für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte, wie diese Söldner sie töten würden, wenn sie selber angreifen täte, oder aber, wie sie alle leben würden, wenn sie den Geistestrick einsätze. Und so hatten sie gelebt. Und so folge Jibrielle, die Augen auf dem vorbeirauschenden Weg vor sich geheftet, den Fäden schnurstracks bis zur Miene.
Der Gleiter trug sie soweit, wie er konnte, bis schließlich Geröll, große Risse im Untergrund und andere Fahrzeuge den Weg versperrten. Hastig sprang die Jedi aus dem Speeder, und lief auf den Eingang der Miene zu, vorbei an Menschen und Nicht-Menschen verschiedenster Art und Zustand. In diesem Moment hatte sie sogar vergessen, dass sie diese Jedi-Robe trug, die alle Augen nach und nach auf sich zog. Überall war Mienenpersonal und Rettungskräfte auf den Beinen, versorgten Verletzte oder schafften Trümmer davon, doch diejenigen, die sie zu Gesicht bekamen, strahlten Erstaunen und Hoffnung aus. Schlagartig wurde Jibrielle sich wieder ihres Standes bewusst und drosselte ihren Schritt. Was erhofften sich diese Leute von ihr? Sie war keine Superheldin. Konnte sie überhaupt jemanden darin retten? Und war sie nicht wegen ihren Jedi-Kollegen gekommen? Konnte sie den anderen überhaupt helfen? Was erwarteten sie von mir? dachte Jibrielle und sah sich um. Sie brauchen keine Jedi - sie brauchen Räumungsfahrzeuge! Doch von schwerem Gerät keine spur. Wie sie in den Nachrichten sagten, stellte Jibrielle grimmig fest. Aber sie war immernoch eine Jedi. Unter den Jedi war sie wahrscheinlich einer der schlechtesten Bager - aber immernoch mehr als diese guten Leute, denen die Macht verschlossen blieb.
Jibrielle entdeckte ein Zelt in der Nähe, in dem Kommunikationsgeräte aufgestellt waren und in dem sich einige Leute tummelten, heftig in Diskussionen verstrickt. Für einen Augenblick erwog sie, dort zu dieser vermutlich provisorischen Kommandozentrale herüber zu laufen, doch würde sie dort gewiss nur kostbare Zeit verschwenden. Sie brauchte keinen Wegweiser außer der Macht. Und so hielt folge sie direkt dem Strom an mit Erde und Asche beschmierten Rettungskräften über das abschüssige Gestein, hin zum Mieneneingang.
Ein paar Schritte weiter brachten sie unter die Erde. Was auch immer die zweite Erschütterung verursacht hatte: Jibrielle erkannte sofort das Riesenproblem der Helfer. Mehrere gewaltige Brocken waren im Inneren der Miene, in den Weg gestürzt und verhinderten jegliches weiterkommen. Jibrielle kannte sich kein Stück mit Geologie aus, aber offenbar handelte es sich bei dem Boden in dieser Miene um recht kompaktes Gestein, dass in langen Platten durch die Erde zog, den Linien und Färbungen der Decke und Wände nach zu folgern. Mehrere dicke Splitter dieses Gesteins mussten sich gelöst und in die Tiefe gestürzt sein. Während die Rettungskräfte schon einiges an Schutt beiseite geräumt haben mussten, versperrten doch noch immer diese riesen Felsscherben den Weg. Unter dem Haufen, der sich vor dem Geröll gesammelt hatte, waren mehrere Männer, die wie alle Anwesenden hier Schutzhelme trugen, in eine Diskussion darüber verstrickt, was als nächstes zu tun war. Jibrielle schnappte nur ein paar Worte auf, doch war das Thema klar: Sie hatten Sprengstoff, um den Weg frei zu machen, zögerten aber offensichtlich, weil jede Erschütterung durch eine Explosion weitere schlimme Einstürze nach sich ziehen konnte. Nichts desto trotz befestigten bereits einige Männer etwas von dem Sprengstoff an einer der gewaltigen Gesteinsscherben. Die Jedi-Ritterin schnappte Halbsätze auf, irgendwas von "wir müssen es versuchen" und "sobald der Gang evakuiert ist, sprengen wir" und "das ist die einzige Chance" schnappte Jibrielle auf. Besorgt besah sie den Wall aus Gestein vor sich, war wieder ganz versunken in ihrer Aufgabe, ihrem Ziel, und sah plötzlich vor sich, was passieren musste. Sie sah jedes der kleinen Filzstiftkreuze einzeln, die mögliche Sprengstellen markiert hatten, sah wie bei jeder dieser Stelle eine Explosion den Weg freimachen würde - und wie danach eine noch schlimmere Lawine an Erde, Staub und Gestein herabstürzen und jede Rettung unmöglich machen sollte. Es war Wahnsinn. Jibrielle hatte gar keine Zeit sich darüber zu wundern, wie sie schon wieder die Bruchpunkte des Schicksals vor sich gesehen hatte, wie sie gesehen hatte, wie die kleinen Risse im Raum die Zukunft an die Gegenwart verrieten, das Notwendige an die Möglichkeit. Denn hektisch lief sie auf die Männer zu und rief:
"Nein, nicht! Es wird alles einstürzen!"
"Was? Wer sind sie?"
rief der Sprengmeister, der sich langsam durchzusetzen schien, und ein zweiter antwortete ungläubig:
"Eine Jedi?"
Der Sprengmeister schaute erstaunt angesichts dieser Offenbarung, schließlich jedoch unbeeindruckt. Immerhin war er der Sprengmeister.
"Es geht nicht anders ... werte Jedi. Entweder wir gehen dieses Risiko ein, oder wir werden hier niemanden mehr retten."
"Nein!"
sagte Jibrielle, ging an dem Mann vorbei und näher an den Wall heran. Irgendwas sprach der Sprengmeister noch zu ihr, doch hörte sie es nicht mehr. Ihre ganze Aufmerksamkeit lag nun auf dem ungeordneten Konstrukt aus Stein. Die Macht hatte ihr einen Blick auf die Bruchpunkte des Walls gewährt, hatte ihr gezeigt, wo sein Tod alles mit sich reißen sollte. Jibrielle schloss die Augen und versuchte den Wall mit den Machtsinnen zu durchdringen, ihn zu fühlen, ihn abzutasten. Da er so gewaltig und unbelebt war, schien diese Aufgabe nahezu unmöglich. Nie im Leben konnte sie etwas derartig in Gänze fühlen! Doch richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf eine Stelle an der Seite, auf eine Stelle am Boden, wo eine der gewaltigen Felsscherben sich hineingebohrt hatte. Und da erkannte sie die Schwachstelle: Dort war die Scherbe nicht nur relativ dünn - dahinter waren viel weniger andere Brocken herunter gekommen und mit ein bisschen Einsatz, ließe sich dort ein Durchgang schaffen. Wenn nur diese Felsscherbe nicht im Weg wäre ...
Mit einem Mal riss Jibrielle die Augen auf und fixierte die Stelle bei der Felsscherbe. Noch einmal blickte sie um sich, warnte die Umstehenden zurück zu treten, und unter lautem Protest schritt sie an das Gestein heran. Abermals prüfte sie den Fels in der Macht, suchte nach Bruchpunkten, doch das einzige Bild, dass sie vor sich sehen konnte, war, wie sie Nylia und Kaiba aus einem Loch tief unter der Erde zog. Die Jedi-Ritterin schluckte, nickte und griff zu ihrem Lichtschwert. Gaara erwachte mit seinem markanten Summen zum Leben, bereit schwingend eine Melodie anzugeben. Ein Raunen befiel die Umstehenden und Jibrielle spürte, dass die lautesten Stimmen von eben schon zu ihr und sie aufhalten wollten, doch bevor ihnen dies gelang, stieß Jibrielle die kanariengelbe Klinge das Gestein, biss der dünne weiße Laser mit der breiten Corona gänzlich darin verschwunden war. Zögern, letztlich aber hilflos, schmolz das Gestein unter Gaara dahin. Mit Entsetzen wichen die Störer davon und Jibrielle hörte sogar einige panische Rufe, den Schacht zu räumen, doch war dies der Moment der Wahrheit. Sie musste weitermachen. Und so fuhr sie mit der Kling ein großes Oval in die monströse Felsscherbe und nach ein paar Minuten fiel ihr krachend das herausgeschnittene Stück Stein entgegen. Geschickt sprang die Jedi rechtzeitig zur Seite und blickte anschließend hindurch. Es hatte geklappt!! Sie hatte das chaotische Gerüst nicht in seiner Stabilität geschädigt, war doch nur ein Stück aus einem einzigen Stein herausgefrässt wurden. Und hier war der Fels dünn genug gewesen, um ihr nun den Weg hindurch zu ermöglichen. Während noch überraschte und freudige Rufe um sie laut wurden, sprang Jibrielle auch schon hindurch und quätschte sich an den Steinen vorbei, die auf der anderen Seite lagen. Sie wusste, dass die Helfer diese Brocken erstmal zur Seite schaffen mussten, um mit den Tragen und kleineren Gerätschaften weiter zu kommen, doch die Jedi konnte mit ein bisschen Quätschen und Klettern weit genug kommen - und den Wall schließlich hinter sich lassen.
Sie hatte es geschafft! Nun aber weiter! Noch waren sie nicht gerettet. Und so lief Jibrielle. Lief und lief die staubigen, hier und da halb eingestürtzen Schächte entlang und wäre beinahe kopflos dem Hauptweg weiter gefolgt, wenn ihr die Macht nicht einen kleinen Schubser gegeben und einen kleinen Seitenarm entlang gesandt hätte. Hier war es eng und feucht, drang doch von irgendwoher das Wasser des Ozeans in die Miene und drohte, alle Eingesperrten früher oder später zu ertränken. Aus einer Ahnung heraus konzentrierte sich Jibrielle wieder verstärkt auf ihre Machtsinne, während sie sich den dunklen - hier gab es keine elektrische Beleuchtung mehr - Gang entlang schob. Wenn es ihr jetzt vielleicht schon gelang, ihre Auren aufzuspüren, dann wüsste sie vielleicht auch wohin sie ... und plötzlich lief sie immer schneller, schneller und schneller, auch wenn sie sich mittlerweile in der Hocke vorwärtsbewegen musste. War das hier überhaupt ein Schacht, oder hatte sich hier einfach der Boden aufgetan, hatte seinen riesigen Schlund geöffnet und einen gewaltigen Riss in die Erde gezeichnet? Weiter und weiter ging es, bis Jibrielle angekommen war, wo sie hingehörte. Sie spürte es so deutlich wie die Feuchtigkeit auf ihrer Haut, wie das Tropfen von der Decke, das Rauschen in den Wänden, den Schmutz in der Luft und den Schmerz in ihrer Lunge: Nylias starke, strahlende Aura war dort unten, die Aura, die irgendwie nach Lilien roch, und gleich daneben, Kaiba. Und beide nur wenige Meter unter ihr. Jibrielle brauchte gar nicht erst zu überlegen was sie zu tun hatte, hatte sie den gleichen Trick doch gerade eben erst aufgeführt, und alles was sie von den beiden Padawanen trennte war eine weitere massive Gesteinsplatte, die zum Glück keine anderthalb Meter dick war. Gaara schoss in Jibrielles rechte Hand und erwachte zum Leben. Die Jedi-Ritterin presste die Handfläche ihrer Linken auf den Boden, steckte alle Kraft und Konzentration in diesen Machtgriff - jene Fähigkeit, die sie von allen am wenigsten beherrschte - setzte alle Hoffnungen darin, dieses Mal nicht zu versagen, und rammte Gaara in den Boden. Zischend wich der Stein vor dem Laser davon, bis schließlich eine viele viele Dutzend Kilo schwere Steinscheibe mit keinem Meter Durchmesser nur von Jibrielles Levitation gehalten an ihrer Hand heftete. Jibrielle keuchte und schnaufte. Schweißperlen fielen von ihrer Stirn auf den unverhältnismäßigen Steindiskuss, als sie ihn nach oben zog und schlussendlich neben sich mit einem Krachen zu Boden fallen ließ. Geschafft, dachte Jibrielle, atmete tief ein, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und richtete sich schließlich wieder auf, um mit Gaara ins Innere des Lochs zu leuchten. Lächelnd blickte sie auf das kanariengelb beschienene Gesicht von Nylia.
~~~ Bandomeer-System ~ Orsikos ~ Miene ~ mit Nylia und Kaiba ~~~