- Orbit um Borleias - Ein-Mann-Jäger -
Mirjas Gesicht war leichenblass. Mit eiskalten Händen, die ihr nicht mehr richtig gehorchen wollten, setzte sie die Geschwindkeit herunter und ließ den Jäger in einer schwebenden Position verharren. Gebannt starrte sie auf die Stelle, an der sie gerade aus dem Hyperraum gesprungen war, doch die Zeit stand still. Wieder und wieder sah sie die Szene erneut vor Augen, wie Ryans Schiff plötzlich abglitt, wie etwas sein Schiff traf... und wie er dann plötzlich verschwand. Es war nur eine Sekunde gewesen, doch in diesem Moment hatte Mirja geglaubt, eine Ewigkeit wäre vergangen. Panisch hatte sie überlegt, was sie tun sollte, aber sie hatte nur den Kurs halten können. Jetzt, sicher am Ziel angekommen, musste sie gestehen, dass sie gar nicht wusste, wie man bewusst ein Schiff früher als geplant aus dem Hyperraum gleiten ließ.
Müde glitt ihr Kopf auf die Steuerungskonsolo.
Wo bleibst du, Ryan...
Presste sie hervor, sich fiebernd an den Gedanken klammernd, dass er jeden Moment auftauchen würde.
Eine Stunde verging, zwei Stunden vergingen. Das Leben zog an Mirja vorbei. Blicklos starrte sie durch das Sichtfenster des Jägers, steif in im Pilotensitz zurück gelehnt. Auf ihren Lippen tanzte eine leise Melodie, ein Kinderlied, das sie als kleines Mädchen gesungen hatte. Und irgendwann schlief sie ein.
Eine Stimme riss sie plötzlich wieder hoch. Hektisch sah sich Mirja um.
Ryan???
Er war nirgends zu sehen.
"Unbekannter Jäger, bitte antworten Sie. Ist bei Ihnen alles in Ordnung?"
Wiederholte die Stimme. Sie kam aus dem Funkgerät. Mirja sah aus dem Sichtfenster und konnte in der Ferne einen vorüberziehenden Frachter ausmachen. Willenlos drückte sie die Sprechen-Taste.
Alles in Ordnung. Danke für ihre Sorgnis.
Krächzte sie und legte automatisch ihre Hand an ihren trockenen Hals, bevor sie hinter sich griff und eine Trinflasche aus dem Laderaum hervor holte. Während die wohltuende Flüssigkeit ihre Kehle hinunter rann, schaute sie flüchtig auf die Zeitanzeige. Sie hatte einige Stunden geschlafen - und Ryan war noch immer nicht da.
Verdammt...
Kam es leise aus Mirja heraus und sie schloss die Augen. Sie hatte gesehen, wie etwas ihn getroffen und ihn aus dem Hyperraum geschleudert hatte... er war... er war wohl...
Mit voller Wucht landete die Trinkflasche auf der Steuerungskonsole
VERDAMMT!
Schrie Mirja und begann zu schluchzen. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Sie hatte ihn erst so kurz gehabt. Er hatte so viel in ihr verändert, ihre Gefühle zu etwas schönem gemacht... und jetzt ... war er tot.
In sich zusammen gesunken, zum Schutz vor allem Bösen zu einer Kugel zusammengerollt, kauerte Mirja auf dem Pilotensitz ihres alten Ein-Mann-Jägers, so wie sie ihre ganze Kindheit irgendwo ängstlich gehockt hatte. Noch immer traten ihr einzelne Tränen aus den Augen, ihr Kopf schmerzte und sie fröstelte. Die Kälte des Todes saß in ihr.
Du wirst nie wieder kommen... ich werde dich nie mehr wiedersehen...
Wimmerte sie vor sich hin, so dass ihre Stimme fast nur ein Hauchen war. Erneut überrollten sie ihre Gefühle und sie weinte aus ihren geröteten Augen heraus. Sie war alleine im Weltraum, es schien ihr, als wäre sie alleine in ihrem Leben. Langsam hob sie den Kopf, schaute aus dem Sichtfenster und sah aufeinmal wieder mit den Augen ihrer Kindheit. Wo war ihre Mama? Sie war tot, das hatte Vater ihr erzählt. Syanna war grausam, sie mochte Kinder nicht. Nefg hatte ihr etwas von seinen Reisen mitgebracht. Aber das Messer hatte sie von ihrem Vater. Er selbst benutzte immer nur die Fäuste. Mirja lag zu seinen Füßen und weinte. Mach, dass es aufhört.... mach, dass es aufhört...
Macht, verdammt nochmal, dass es aufhört!!!
Erneut flog die Flasche, die sie von irgendwoher zu fassen bekommen hatte, durch den winzigen Pilotenraum! Mirjas Herz schlug zum Zerspringen heftig. Ruckartig zurrte sie an ihrem Gurt und legte ihn sich wieder um. Sie wollte hier weg, nur von hier fort! Egal wohin, aber sie musste fliehen... weit fort von diesem Ort, der sie an dunkle Dinge denken ließ und der ihr Ryan genommen hatte! Wie aus Angst, jemand könnte sie verfolgen, sah sie sich um, setzte den Jäger wieder in Gang, drehte einen Kreis um sich selbst und wischte sich die feuchten Wangen am Ärmel ihres Pullovers trocken. Wohin... wohin nur... Mirja las die Namen der Systeme und Planeten auf dem Navigationsbildschirm, ohne sie wahr zu nehmen. Was sollte sie dort. Denk ordentlich nach! Aber sie konnte nicht denken, sie wollte nirgendwo hin! Sie wollte nirgendwo hin und sie wollte nicht hier bleiben... sie konnte nicht... Furcht kroch in ihr hoch, von der sie nicht wusste, woher sie kam.
Mummy.
Um den stechenden Schmerz in ihrem Kopf zu verbannen, presste sie die Fingerspitzen gegen die Schläfen. Gleichzeitig musste sie erneut weinen, als sie endlich an ihre Mutter dachte.
Komm zu dir, Mirja.
Befahl sie sich und es schüttelte sie. Mummy würde sie trösten!
Sei vernünftig, Mirja! Ich kann nicht zu ihr!
Wieder nach Corellia, zurück dahin, wo sie und Ryan...
Urplötzlich wanderten Mirjas Finger wieder über die Steuerungskonsole. Gespeicherte Daten... Koordinaten laden. Der Jäger setzte sich erneut in Bewegung, nahm an Geschwindkeit zu... und sprang in den Hyperraum. Erneut in der undurchdringlichen Hölle! Panik erfasste Mirja! Sie wollte nichts hören und nichts sehen! Benommen presste sie Augen zusammen und rollte sich wieder zusammen, die Hände auf die Ohren gepresst.
Eingenommen von Trauer und Angst wartete das Mädchen, weder Kind noch Erwachsene, bis die langen Streifen wieder zu Punkten, zu Sternen wurden. Wenn dies geschah, wäre sie in Sicherheit, dann wäre sie wieder zu Hause. Nein, sie wollte niemals mehr in die weite Galaxis hinaus. Sie wollte nur noch nach Hause, wo sie geborgen war, wo Ard sie in den Arm nehmen und sie wiegen würde, bis ihre Tränen versiegt waren.
- Hyperraum, auf dem Weg nach Hause - Ein-Mann-Jäger -