- Chiss'Al'Vana - Schlachtfeld -
Wenn jemand einen Wasserfall hinunterfiel, was war dann deutlicher zu hören: Das laute Rauschen, Lachen und Singen der todbringenden Fluten oder der letzte Schrei der Verzweiflung, gemischt mit Schmerz und der Erinnerung an all jene schönen Momente im Leben...?
Lavinia schloss die Augen. Die letzten Jahre war sie auf sich allein gestellt gewesen, hatte gelernt nur auf sich selbst zu reagieren und einzig ihrem eigenen Verstand und dem von wenigen engen Freunden Vertrauen entgegen zu bringen... Gefühle hatte sie unterdrückt, Schmerzen bei Seite geschoben, Erinnerungen in ihrem Herzen wie hinter einer gut verschlossenen Tür aufbewahrt. Manchmal hatte sie selbst den Schlüssel zu dieser Tür verloren geglaubt, als sie Chiss'Aria'Prime zum ersten mal betreten hatte, als sie Zaos zum ersten Mal begegnet war, hatte sich die Tür auf wundersame Weise wie von Geisterhand geöffnet. Und ans Tageslicht getreten waren all jene Empfindungen, die sie aus ihrer Kindheit kannte, aus ihrem glücklichen Leben mit Papa... mit Wyllard. Es war schwer für sie, mit all diesen Gefühlen umzugehen, nachdem sie sie so lange im Verborgenen gehalten hatte. Zu akzeptieren, dass sie jemand liebte, war zu schwer zu begreifen...der pure Wunsch nach Familie erschien ihr wie ein verblassender Regenbogen, der den Lauf einer Nebelbahn streift, blasser und blasser wird...und schließlich verschwindet.
Sie hatte einmal geweint, an Zaos' Bett, in der Angst, er könne sterben. Davor waren Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal Tränen vergossen hatte. Lavinia's Blick wurde verschwommener und die scharfen Konturen der Chiss und Phol's vor ihr schwanden. Den Kopf zur Seite drehend blinzelte sie sich die Tränen aus den Augen und legte haltsuchend eine Hand auf Jeff's Schulter. Der Wandel Lavinia's Gesichtzüge war immer ein interessantes Schauspiel, in den letzten Tagen hatte sie öfter Schmerzen, Trauer und auch Zorn freien Lauf gelassen. Diesmal jedoch schien sich mehr zu verändern, als der bloße Ausdruck ihres Gesichts. Ihre Seele war im Wandel. Liebevoll blickte sie zu Zaos, der soeben seinen Sohn wieder gefunden hatte. War es möglich, dass sie ihm so viel bedeutete? Den Kopf zur Seite legend sah sie zu Phol. Das Gespräch mit ihm am Balkon des Palastes... in diesem Gespräch hatte sie ihre ewigen Vorurteile fortgelegt und zum ersten mal mit klarem Verstand über die Jedi und die Macht zugehört. Stumm schüttelte sie den Kopf. Was hatte sie so geblendet, dass sie ewig ein so einsames Leben dem mit Liebe gefüllten vorgezogen hatte? Außer Jeff und Hyde, die ihre besten Freunde waren, hatte sie niemals mehr jemand anderem so vertraut wie Wyllard - und natürlich Papa, wobei sie damals noch so jung gewesen war. Selbst Valara...ja selbst ihr hatte sie nicht alles von sich gegeben. Erneut schloss Lavinia kurz die Augen. Die Erinnerung schmerzte, wie so oft. Doch befand sie sich jetzt woanders, in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Und es galt, neue Tore zu öffnen. Ihr Misstrauen hatte ihr des öfteren ihr Leben gerettet, ebenso wie ihre Disziplin. Manchmal jedoch, galt es eben doch nur, auf sein Herz zu hören... und dies hier war kein Kampf. Es ging nicht um Leben und Tod... auch wenn sie das nicht gewöhnt war. Es gab Zeiten, da musste man sich auf neues Terrain begeben. Sie blickte zu Zaos, erneut drohten Tränen in ihr aufzusteigen und mit einem Satz lag sie in seinen Armen. Leise schluchzend vergrub sie ihren Kopf an seiner Brust.
"Ich könnte mir nichts schöneres vorstellen, als hier zu bleiben...Tio."
Sprach sie und ihre Stimme zitterte.
Ihr Misstrauen war verschwunden, ihr Ärger hatte sich in Luft aufgelöst. Was geblieben war, war ein Gefühl der Geborgenheit, der Erleichterung, - und vielleicht sogar der Erlösung. Verlegen wischte sie sich die Augen trocken und strich sich einige verklebte Stränen aus dem Gesicht.
"Ich weiß nicht, was Du mit mir gemacht hast, Phol. Seit ich Dir begegnet bin, bin ich die reinste Heulsuse."
Stelle sie bitter fest, wobei ein Schmunzeln jedoch ihre Mundwinkel zierten. Tief durchatmend löste sie sich aus Zaos' Umarmung, der sie fest an sich gedrückt hatte und sah sich unsicher um. Das Gefühl, nur unter Freunden zu sein, war noch nie so befreiend gewesen wie jetzt. Vielleicht, weil sie den wahren Wert einer solchen Situation nie zu schätzen gewusst hatte.
"Wenn meine Zukunft hier liegt,"
begann sie und ging ein paar Schritte von den anderen weg, den Blick auf den weiten Horizont gerichtet
"so will ich hier bleiben und lernen was es heißt, gemeinsam stark zu sein."
Denn schließlich war jeder Ton, ganz gleich ob ein Schrei, oder ein höhnisches Lachen schwächer zu hören, je länger man lauschte.
- Chiss'Al'Vana - Schlachtfeld -