Quarzite

Quarzite || Velrinax Distrikt || Bauabschnitt Peth || Calix Maro und Bauarbeitende

Er hatte schon viele Tunnel gesehen. Aber keiner war wie dieser. Die Station unter dem Velrinax-Distrikt lag wie eine offene, geschundene Wunde im lebenden Gestein Quarzites. Was einst natürliche Adern aus violett schimmernden Kristallen gewesen waren, die im Atem des Planeten leuchteten, war heute ein unterirdischer Brückenkopf des Imperiums. Nicht mit Gewalt gebaut, sondern mit Gleichgültigkeit. Es war nicht das, was zerstört worden war, das Calix so tief berührte. Es war das, was erstickt worden war.
Der Agent des Geheimdienstes der Neuen Republik stand auf einer erhöhten Versorgungsplattform, verborgen im Schatten eines stillgelegten Lüftungsaggregats. Von hier aus übersah er die halbfertige Trasse, auf der Arbeiter in tristen Uniformen sich wie bleiche Insekten zwischen metallischen Rippen bewegten. Der Lichtschein war künstlich und kalt, flackernd auf den glattgeschliffenen Tunnelwänden, deren natürlicher Glanz von Staub und Laserschnitt überdeckt war. Trägerbalken spannten sich wie eiserne Kiefer über die Strecke. Jede Bewegung schien unter Beobachtung zu stehen, und dennoch, niemand sah wirklich hin.

Der Kage richtete das Sichtmodul seines Helms. Der Blick schärfte sich, überlagerte thermale Marker mit digitalem Rauschen. Zwei Ingenieurstrupps, drei automatisierte Versorgungsdroiden, ein Offizier in Zivil. Seine Uniform nicht sichtbar, aber der Gang, der Blick, das Verhältnis zur Umgebung verrieten ihn. Ein Mann, der nicht arbeitete, sondern kontrollierte. „Der Apparat bleibt träge, bis du ihm einen Dorn setzt. Dann dreht er sich. Dann reißt er alles nieder, was er nicht versteht.“ dachte er süffisant. Das war etwas, dass er sich nicht oft erlaubte, doch lebte man wahrscheinlich nur einmal. Sein Herz schlug ruhig. Kein Adrenalinschub, keine zittrige Erwartung. Nur diese seltsame, stählerne Klarheit, die ihn jedes Mal überkam, wenn der Moment kam. Es war keine Gier nach Gefahr, sondern eine seltsame Vertrautheit, als würde er erst im Zentrum des Risikos vollständig anwesend sein.

Die Dienstkleidung, die er trug, war grau, schmucklos, mit dem Schweißgeruch echter Arbeit durchzogen. Seine Papiere waren perfekt, sein Ausdruck kontrolliert, seine Bewegungen zwischen unauffällig und unsichtbar. Er war einer von ihnen. Nur ein Schatten mit Aufgabe. Der Zugang zum Rechenknoten befand sich hinter einer unscheinbaren Versorgungswand, maskiert durch Stapel aus Energiezellen und defekten Verteilerkabeln. Calix öffnete die Klappe mit einem gezielten Impuls aus seinem Imitationsgerät. Kein Ton. Kein Alarm. Nur ein leises Klicken wie der Atem eines sterbenden Tieres. Dahinter: Ein kleiner Serviceraum, kaum größer als eine Kabine, erfüllt vom monotonen Summen still arbeitender Kernmodule. Der Geruch war metallisch, alt, elektrisch geladen. Licht kam nur von einem blinkenden Statusfeld in der Wand. Die Luft war abgestanden. Für andere wäre dieser Ort ein Schacht gewesen. Für Agent Onyx war er Bühne und Zuflucht zugleich.

Der Rechenknoten lag hinter einer einfachen Zugangsklappe, flankiert von zwei ungenutzten Energiekammern. Ein Ort, der auf keiner offiziellen Liste erschien, weil er nicht existieren sollte. Genau deswegen war er perfekt. Calix ließ die Klappe lautlos einrasten. Er öffnete eine schwarze Transportbox, die er mitgebracht hatte. Der Impulsgeber darin sah harmlos aus. Eine konturlose, matte Scheibe mit eingelassener Klinge für das Fusionsgitter.
Mit geübten Bewegungen befestigte er das Gerät am zentralen Verstärkerknoten. Er montierte das Gerät mit präzisen Griffen. Jeder Handgriff war vorab hundertfach im Kopf durchgespielt worden. Er kannte die Sequenzen besser als die Linien auf seiner eigenen Handfläche. Als der letzte Kontakt eingerastet war, trat er zurück und prüfte ein letztes Mal.
Kein Licht, keine akustischen Signale. Wenn das Modul seine Arbeit tat, würde man es nicht hören. Man würde es auch nicht gleich sehen. Man würde es erst spüren, wenn es bereits zu spät war. „Kein Knall. Keine Flammen. Nur ein Verstärker, der langsam seinen Takt verliert. Ein System, das sich selbst infrage stellt.“ dachte sich der Agent und überprüfte das Gerät nochmal ausgiebig. Der Impulsgeber, den er bei sich trug, war kaum größer als ein Datenmodul, jedoch mit einem eingebetteten thermischen Transduktor ausgestattet. Kein Sprengsatz. Kein Blitz. Nur ein unmerklicher Stromausbruch, der die Signalverstärker nicht zerstören, sondern langsam überhitzen und ausfallen lassen würde. Wie ein Virus, der sich nicht bemerkbar machte, bevor es zu spät war. Die Temperatur würde steigen. Die Übertragungsrate fluktuieren. Fehlerprotokolle würden aufploppen, dann wieder verschwinden. Dann würde Stille einkehren. Nicht die meditative, sondern die alarmierende Stille. Die Informationsadern würden versiegt. Kein Signal. Kein Monitoring. Kein Rückkanal. In einer imperialen Infrastruktur war das schlimmer als eine Explosion. Denn es bedeutete: Kontrollverlust. Der schlimmste Feind des Galaktischen Imperiums. Und das, wusste Calix, war der Anfang von allem.

„In vier Stunden werden sie keine Signale mehr senden. Keine Standortdaten. Keine Logistikweiterleitungen. Kein taktischer Rückkanal. Die Kommunikationsader dieser Sektion wird nicht zerreißen. Sie wird einfach verschwinden. Leise. Und genau das wird das Imperium in Panik versetzen. Sie werden Ressourcen verschieben. Truppen umlenken. Verantwortliche degradieren. Ihre eigenen Leute verdächtigen. Und während sie intern zu bröckeln beginnen, entstehen Lücken. Öffnungen für das, was kommen muss.“ dachte er weiter, ermahnte sich selbst zur Konzentration und besah sein Werk nochmal abschließend.
Die imperiale Verwaltung auf Quarzite war bereits überdehnt, von Widerstandsnestern im Umland und Streiks unterdrückter Arbeiter geschwächt. Eine unterbrochene Bahnverbindung mitten in einem strategischen Sektor würde alles ins Wanken bringen. Es würde Personalverlagerungen geben. Notfallkomitees. Misstrauen unter den Offizieren. Und vor allem würde es neue Lücken schaffen. Er richtete sich auf, überprüfte ein letztes Mal die Umgebung. Alles war dort, wo es sein sollte. Niemand hatte ihn gesehen. Keine Kameralinse, kein Sensor war auf ihn gerichtet. Nur die Systeme atmeten, gleichmütig, als würden sie schlafen.

Mit einer flinken Handbewegung schloss der Agent die Zugangsklappe, drehte sich um und sah das Flackern. Es kam von oben. Die Paneele des Seitengangs pulsieren. Zuerst dachte er an einen Energieschub. Drei Impulse. Kurze Pause. Drei weitere. Quarzite war alt, und selbst imperiale Technik bückte sich irgendwann vor Geologie. Aber etwas an der Frequenz war nicht zufällig. Es war kein Ausfall. Gleichmäßig. Und wiederholt. Doch dann erkannte er das Muster.

Nicht zufällig.

Er folgte dem Licht mit den Augen. Da war sie, eine kleine, schwebende Wartungsdrohne, reglos unter dem Dach der Förderstrecke. Kein Standardmodell. Keine Seriennummer. Nicht imperial. Nicht blind. Die Linse auf ihn gerichtet. Nicht aggressiv, aber aktiv. Kein Schuss. Kein Alarm. Nur Blickkontakt. Ein digitales Auge in einem analogen Moment. Er wandte sich ab. Keine Hast. Keine Panik. Doch in ihm arbeitete bereits die nächste Entscheidung.

Die Sequenz war ausgelöst, die Spur verwischt. Niemand würde das Gerät finden, nicht in den nächsten Stunden. Und wenn doch, würde es längst zu spät sein. Alles lief weiter. Die Station atmete. Die Menschen arbeiteten. Der Weg nach oben war eng. Wie ein Raubtier auf der Pirsch verschmolz der ehemalige Kage Warrior mit dem Schatten der Infrastruktur, schlüpfte in die Versorgungsröhre, aus der er gekommen war. Kein Blick zurück. ein Beschleunigen des Schrittes. Nur der feste, kontrollierte Gang eines Mannes, der sich an das Licht gewöhnt hatte, weil er wusste, dass es ihn nicht schützen würde. Eine Reihe Wartungstreppen führte ihn zurück auf die mittlere Serviceebene. Dort stand, unscheinbar geparkt, was wie ein Wartungsfahrzeug aussah. Doch unter der Hülle verbarg sich ein umgebautes Fluggerät ziviler Bauart. Eine alte STAP, entwaffnet, entmilitarisiert, aber schnell, wendig und vor allem: leise. Er hatte sie selbst modifiziert, angepasst an die engen Schächte und spärlichen Öffnungen Quarzites. Keine Offensivsysteme, aber genug Schub, um dem Zugriff zu entkommen, wenn er kommen sollte.

Der Kage stieg auf, aktivierte die Schwebefunktion. Das Triebwerk brummte, kaum hörbar. Die Konsole flackerte kurz, dann stabilisierte sich der Energiefluss. Die STAP stieg empor, als wäre sie nur eine weitere Reparatureinheit auf Patrouille. Unter ihm verschwand der Rechenknoten. In der Tiefe arbeitete der Impuls bereits. „Die Ruhe wird täuschen. Die Unruhe wird wachsen. Und wenn sie nach dem Lärm suchen, werden sie ihn nicht finden.“

Er schwenkte in eine Nebenschlucht, ließ den Luftraum hinter sich. Nur noch Stille. Nur noch Dunkelheit. Der Tunnel nahm ihn auf wie einen verlorenen Sohn.

Der Anschlag war erfolgreich. Doch während er in der Dunkelheit verschwand, blieb ein Gedanke zurück. Ein schmaler Schnitt durch die makellose Oberfläche des Plans. Irgendwo da draußen, das wusste Calix Maro nun, war jemand wach. Nicht ein System. Nicht ein Protokoll.

Jemand.

Und wer zusieht, beginnt irgendwann, Fragen zu stellen.


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