Linkspartei
Mehr Kommunismus wagen
Von FOCUS-Korrespondent Alexander Wendt, Leipzig
So etwas geschieht selten: Eine Politikerin schreibt ihre Doktorarbeit über genau das Thema, das kurz darauf zum Stoff ihres ganz persönlichen politischen Dramas wird. Genau das widerfuhr der hessischen SPD-Landtagsabgeordneten Carmen Everts: Die heute 40-Jährige promovierte vor acht Jahren über die linksextremistischen Strömungen in der PDS bei dem Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse: ?Politischer Extremismus. Theorie und Analyse am Beispiel der Republikaner und der PDS?.
Das, was Everts dort theoretisch zusammenfasste, nutzte sie am 3. November auch praktisch, als sie zusammen mit drei anderen SPD-Genossen das erste rot-rot-grüne Experiment im Westen platzen ließ. Eine in Teilen extremistische Partei, so Everts, dürfe nicht mitregieren. Jedenfalls werde sie diese Allianz nicht unterstützen: ?Ich kann das nicht.?
?Auf dem Boden des Grundgesetzes?
Prompt folgte der routinierte Aufschrei der Linkspartei: Extremistisch? Wir? Niemand spielt die verfolgte Unschuld mit so viel Hingabe wie Dietmar Bartsch, Geschäftsführer der Linkspartei. ?Ich vertraue ganz auf den Rechtsstaat Deutschland?, so Bartsch zu FOCUS Online, ?und darauf, dass spätestens das Bundesverfassungsgericht die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz stoppt.?
Dass der Geheimdienst Teile seiner Partei beobachtet, empfindet er als ebenso ungerecht wie überholt: ?Dieser ganze Verfassungsschutzzauber ist so was von funktional? ? sprich, ein Mittel, um seiner Partei etwas anzuhängen. Denn Bartsch wird nicht müde zu beteuern: ?Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes.?
Dritte Chance für die Links-Allianz
Die aus PDS und West-Linken zusammengewürfelte Linkspartei, so glauben auch viele linke Sozialdemokraten in Hessen und anderswo wohlwollend, sei doch eine linke Truppe, wie es viele in Europa gebe, etwas linker als die Sozialdemokratie, aber gemäßigt und mehr oder weniger koalitionsreif. Unter ihrem neuen Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel könnte ein Bündnis mit der Lafontaine-Truppe sogar eine ? je nach Zählweise ? zweite oder dritte Chance im Westen bekommen. ?Sag niemals nie?, verkündet der Vertraute von Landeschefin Andrea Ypsilanti. In Wirklichkeit hat sich die Linkspartei sogar noch kräftig radikalisiert ? vor allem durch den Zustrom extremer West-Genossen.
Eine West-Aktivistin prägt das Gesicht dieser neuen Linken mehr als alle anderen: Ulla Jelpke. Die ehemalige Mitbegründerin des Kommunistischen Bundes (KB), die leidenschaftlich Stasi, linke Diktaturen und Terrororganisationen verteidigt, ist keine Hinter- sondern eine Vorderbänklerin. In der Linken-Bundestagsfraktion besetzt sie den einflussreichen Posten der innenpolitischen Sprecherin. Als Innenpolitikerin ihrer Partei nahm Jelpke schon 2006 an einem Treffen alter Stasi-Offiziere teil, für das sie allerdings das schöne Wort ?Kundschaftertreffen? benutzt.
?Verdienstvolles Unterfangen der Stasi?
Die Mielke-Truppe bedenkt sie mit wohlwollenden Worten: ?Ein Teil der Kundschaftertätigkeit der DDR diente dazu, die Nazi-Connections der BRD-Politik aufzudecken ? aus meiner Sicht ein immer noch verdienstvolles Unterfangen.? Dass beispielsweise die stasigesteuerten NS-Vorwürfe gegen Bundespräsident Heinrich Lübke nichts ?aufdeckten?, sondern auf manipuliertem Material beruhten, unterschlägt Jelpke wohlweislich.
Jelpke verkündet auch in einer Pressemitteilung: ?Absolut fehl am Platz sind Vergleiche zwischen Staatssicherheit und Gestapo.? Einen ähnlichen Vergleich zog sie allerdings kürzlich selbst in einer Bundestagsrede, als sie das Bundeskriminalamt eine ?geheim ermittelnde Staatspolizei? nannte, und damit in die Gestapo-Nähe rückte.
Der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK begegnet die Linken-Politikerin dagegen mit großem Einfühlungsvermögen. Als die Rebellen im Juli am Ararat drei deutsche Bergsteiger entführten, sprach Jelpke in der linksextremen Postille ?Junge Welt? von ?Gefangennahme? der Touristen durch ?kurdische Guerillakämpfer?, als wäre die Verschleppung von Zivilisten eine legitime Kriegshandlung.
Mit ihren Ansichten steht Jelpke in der Partei nicht allein, im Gegenteil. Terrororganisationen ist auch Parteichef Oskar Lafontaine freundlich gesinnt, solange sie sich einen linken Anstrich geben, wie die kolumbianische FARC, die sich durch Drogenhandel und Entführungen finanziert. Lafontaine behauptete vor kurzem wahrheitswidrig, die FARC stünde gar nicht auf der EU-Terrorliste. Auch Allianzen mit Extremisten in Deutschland, wie sie Jelpke fordert, werden von vielen Genossen unterstützt. So fordert eine parteiinterne Gruppierung mit dem Titel ?Antikapitalistische Linke?, die Linkspartei solle überall Bündnisse mit der DKP und anderen linksextremen Trüppchen eingehen. Den Erfolg im Westen, so der Aufruf, habe die Linkspartei schließlich auch ?der Solidarität der DKP? zu verdanken.
Zu den Unterstützern dieses ?Mehr-Kommunismus-wagen?-Aufrufs gehören neben Jelpke etliche Mitglieder der Linkspartei-Landesvorstände von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, zwei West-Mitglieder des Bundespartei-Vorstandes, und die aus dem Westen stammende Bundestagsabgeordnete Nele Hirsch. Einzige prominente Unterzeichnerin aus dem Osten: Die ewige Ikone der ?Kommunistischen Plattform?, Sahra Wagenknecht.
Die Nähe zur linksextremen DKP pflegt Jelpke ganz praktisch: In dem ?Linken Zentrum Münster? residiert ihr Wahlkreisbüro mit dem ortsansässigen DKP-Kreisverband unter einem Dach. ?Frau Jelpke kann diese Meinung gern haben, aber sie entspricht nicht den Beschlüssen?, meint Partei-Sprecherin Alrun Nüßlein matt. In Wirklichkeit toleriert die Parteiführung den Kurs von Jelpke und anderen Linksaußen-Genossen mit wohlwollendem Schweigen.
Lob für Ostblock und Stasi
Auch die Stasi- und DDR-Lobhudelei geht vielen Genossen der angeblich geläuterten und gewandelten Partei in Ost und West locker von den Lippen. So referiert etwa Andreas Heidrich von der ?Kommunistischen Plattform? des Linkspartei-Landesverbandes NRW in einem Internetbeitrag verständnisvoll über die DDR-Staatssicherheit: ?Der erste Versuch eines sozialistischen Staates auf deutschem Boden hatte natürlich Gegner, welche eine reale Bedrohung darstellten. Diese Feinde des Sozialismus gab es nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb des Landes.?
Und der ?Ältestenrat? der Linkspartei, in dem unter anderem der einstige Erste Sekretär der SED-Bezirksleistung Dresden, Hans Modrow, rastlos wirkt, gab vor kurzem ?Anregungen zum Umgang mit der Geschichte?. ?Wer sich im 21. Jahrhundert für einen demokratischen Sozialismus einsetzt, wird ... reale Leistungen des Sozialismus im 20. Jahrhundert nicht übergehen oder gar pauschal ablehnen dürfen.? Stasi, DDR und Ostblock als Blaupause für neue Taten? Den nostalgischen Erguss des Ältestenrats konnte man noch bis vor kurzem über die offizielle Website der Linkspartei anklicken.
Von Parteichef Lafontaine gibt es kein kritisches Wort über den Linksruck der Linkspartei. Es würde auch seltsam klingen von einem Politiker, der in immer neuen rhetorischen Verrenkungen die Zwangsübernahme der SPD durch die KPD in der einstigen sowjetischen Besatzungszone schönredet, oder sogar die ?Rückenteignung? von Familienunternehmen fordert.
Zu den wenigen, die sich überhaupt noch der Radikalisierung unter Lafontaine entgegenstellen, zählt der aus dem Osten stammende Europaabgeordnete André Brie. Bis heute habe sich die Linkspartei kein formales Programm gegeben. ?Dieses Vakuum?, klagt Brie, ?füllen nun Fundamentalisten und rückwärtsgewandte DDR-Nostalgiker aus?.
er mächtige Vorsitzende Lafontaine macht unmissverständlich klar, welche Genossen-Sorte er bevorzugt. Für ein DDR-seliges Erinnerungsbuch des einstigen Funktionärs Modrow spendete er ein warmherziges Vorwort. Den Kritiker Brie straft Lafontaine dagegen mit demonstrativer Nichtachtung.