Das FIFA WM Dicke Ding, oder:Augen zu beim Kartenkauf
Mit dieser Kolumnenüberschrift habe ich nun also auch die letzte winzige Chance verwirkt, mich jemals als umgarnter Dichter zu verdingen. Okay, beim nochmaligen lauten Vormichhinlesen ist mir schon klar: ?Augen auf beim Kartenkauf!? wäre reimtechnisch eine viel gelungenere Option gewesen. Wohlklingend, rund, leicht zu merken! Jetzt ist es zu spät: Der Untertitel hakt.
Aber das ist es ja eben: Der Kauf von WM-Tickets, um den es hier gehen soll, hakte auch an allen Ecken und Enden und ist genau das Gegenteil von ?wohlklingend, rund und leicht zu merken?: Die Bemühungen um WM-Tickets gestalteten sich für die Fans aus aller Welt schrill, sperrig und kompliziert. Ich gestehe:Ich habe
mich um dieses komische Auswahlverfahren für WM-Tickets nie so recht gekümmert. Ich weiß nur, dass Franz Beckenbauer es permanent als ?Ticketing? bezeichnet, was bei ihm immer klingt wie ?Dickeding?. Grob vereinfacht funktionierte es dem Vernehmen nach etwa so: Man musste acht schwer verständliche und technisch mangelhaft konfigurierte Internetseiten besuchen und auf diesen Seiten ca. 20 Formulare ausfüllen. Dabei musste man sich entweder a) für alle Spiele der deutschen Elf (preislich etwa in der Höhe eines Mittelklassewagens angesiedelt, Erfolgschance: ungefähr null), b) für gezielte Spiele, etwa das Finale (preislich etwa in der Höhe einer Raumstation, Erfolgschance: ungefähr null) oder c) für irgendein Deppenspiel (preislich erschwinglich, wenn man eine Weile wie Mahatma Gandhi lebt, Erfolgschance immens höher als bei a) und b), nämlich: gering) entscheiden. Dann noch hurtig eine Schufa-Auskunft, eine Spermaprobe und den Personalausweis eingesendet, und schon war man drin in der Verlosung um die begehrten WM-Tickets. Eigentlich ja doch ganz einfach.
Ein Kollege von mir hat Variante c) gewählt und für ein erkleckliches Sümmchen WM-Tickets bekommen. Bzw.: Zunächst bekam er nur eine Benachrichtigung. Nach mehreren Wochen unbändiger Freude erfuhr er dann, dass er immerhin die Kracherbegegnung Ukraine ? Saudi Arabien schauen darf. Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht mal, ob ich das im Fernsehen anschaue, oder ob ich an diesem Tag lieber etwas spazieren gehe.
Genau diese Tickets werden nun auf jedem Sender und in jeder Sendung verlost. Meistens so: ?Heeeey, wir haben WM-Tickets zu verlosen!!! Und zwar, huuuh, für die brisante Begegnung Iran gegen Angola!? Positiv: Wer die gewinnt, ist wenigstens etwas an der frischen Luft.
Eigentlich komisch, dass nicht mal mit den höchst fragwürdigen Dickeding-Methoden à la WM-Organisationskomitee solche Spiele auszuverkaufen waren. Denn die Komplizen des Kaisers hatten ja die durchaus hochkarätige Idee, die Tickets (für Franz: die Dickets) so zu verkaufen, dass man als Normalsterblicher einfach das nächstbeste Spiel nehmen muss- te, um überhaupt in den Genuss eines WM-Spiels kommen zu können. Theoretisch wäre es ja immerhin möglich gewesen, mit dem Verkauf der Eintrittskarten bis nach der WM-Auslosung zu warten. Aber dann hätten die Fans ja gewusst, für was sie ihr Geld ausgeben sollen. Nicht auszudenken.
1974, bei der letzten WM in Deutschland, durfte man sich tatsächlich noch aussuchen, welches Spiel man gerne sehen wollte! Klingt völlig abgedreht, war aber so. Im Jahr 2006 hingegen wurden wegen ein bisschen Angst vor halbleeren Stadien und Schwarzmarkt Millionen von Fußballfans veralbert, indem man sie auf dem Weg zum WM-Ticket, siehe oben, durch einen kaum zu bezwingenden Hindernisparcours gejagt hat, um am Ende wahrscheinlich kein Ticket zu bekommen, oder wenn doch, dann allerhöchstwahrscheinlich nicht das, was man haben wollte. Um das ein bisschen sonniger darzustellen wird bei dieser WM erstmals so getan, als sei ein Fußball-Ticket generell und grundsätzlich etwas ungeheuer Kostbares und Erstrebenswertes, beinahe Anbetungswürdiges ? ganz egal, um welches Spiel es geht. Etwa so, als würde man in der Bundesliga künftig beim Dauerkartenkauf erst nach Bezahlung erfahren, ob man für seine
600 ? eine Saisonkarte für Bayern München oder eine für Rot-Weiß Erfurt bekommt. Oder, vielleicht etwas anschaulicher: Das WM-Dickeding à la WM Organisationskommitee 2006 ist moralisch in etwa vergleichbar mit einer Supermarktkette, die aus Angst vor dem Sitzenbleiben auf verderblicher Ware ihre Kunden ausschließlich mit Augenbinde einkaufen lässt, damit niemand sehen kann, was er kauft. Den Kunden wird derweil erzählt, dass überteuerte, abgelaufene Zwiebelmettwurst auch dann gar nicht so schlecht ist, wenn man eigentlich Hautcreme kaufen wollte.
Einziger Unterschied zur WM: Die Zwiebelmettwurst wird nicht im Fernsehen verlost.
Hoffentlich.