Fresia (Fre'ji-System)

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Mit Exodus und Wingston Crew –

War es das, was sie sich für diesen Abend gewünscht hatte? Auf einmal war Exodus ihr so nah wie selten zuvor. Wenn sie zurück dachte, hatte sie es nicht unbedingt darauf angelegt – oder hatte sie? Wollte sie ehrlich zu sich selbst bleiben, so konnte sie nicht abstreiten, dass sie sich seine Nähe gewünscht hatte, dennoch hätte sie es nicht versucht zu erzwingen. Es war viel besser so, wie es jetzt war. Der Tanz mit ihm hatte sich ergeben, auch wenn Exodus es vielleicht bereits am frühen Abend darauf angelegt hatte, als er ihr dieses Märchen von uralten Gesetzen erzählt hatte, denen er folgen musste. Vielleicht hatte er es auch schlicht als Scherz gemeint, möglicherweise hatte er sie auf den Arm nehmen wollen, weil auch Jak sie um einen Tanz gebeten hatte. Letzten Endes war sie auf Exodus eingegangen, Scherz hin oder her. Sie hatte mit ihm tanzen wollen und jetzt wo es so weit war, brauchte sie nicht zweimal zu überlegen: Exodus Wingston gefiel es ebenso wie ihr. Seine Hände berührten sie jedes Mal länger als es notwendig und jedes Mal sanfter als es für seine Position angemessen gewesen wäre. Sie konnten sie vor dem Hintergrund der Musik nicht hören, doch es bestand kein Zweifel daran, dass sich bereits Stimmen hinter ihrer beider Rücken erhoben hatten. Dies waren jedoch Stimmen, die Giselle nicht kümmerten. Alles was sie wollte war, den Moment so bewusst zu leben wie es ihr möglich war.

Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals, noch ehe er zu ihr sprach. Seine Worte klangen dicht an ihrem Ohr, so dicht dass sie sich beinähe hätte einbilden können, das leichte Kratzen seiner Barstoppeln zu spüren. Seine Frage war einfach, doch sie überraschte sie. Einen Moment zuvor hatte er ihre Haare zur Seite gestrichen – eine innige Berührung wie von einem Liebenden. Giselles rechte Hand wanderte unwillkürlich in ihren Nacken, wo sich ihr Zeigefinger auf die dunklen Linien der Tätowierung legte, die sie besaß, seit sie zur Frau heran gereift war. Die Rhytmen der Musik waren langsam geworden und Giselle bewegte sich leicht auf der Stelle, ohne jedoch von Exodus fort zu rücken.


“Es ist das Zeichen meines Clans.“

Antwortete sie ihm, ohne sich zu ihm umzudrehen.

“Ich kenne kein Wort in deiner Sprache, das seine Bedeutung wieder gibt. Wir nennen es élnoun. Die obere Linie steht für die Eigenschaften, die unser Volk benötigt um zu überleben. Die Linie darunter, die ein wenig länger ist, symbolisiert die Familie und den Clan und die daran grenzende Sichel ist der Weg, den wir zurück legen, um unseren Bestimmungsort zu finden.“

Giselle lächelte, als sie an das élnoun dachte. Es war das, was den Clan zusammen hielt. Langsam wandte sie sich zu Exodus um.

“Dort, wo ich her komme, trägt jeder von uns das Zeichen seines Clans auf seiner Haut. Wir verdienen es uns an dem Tag unserer Reife – die Jungen mit 12, Mädchen mit 14. Du trägst deinen Clan und das élnoun ein Leben lang mit dir, wohin du auch gehst.“

Wohin man auch ging. Es waren nicht viele, die ihren Clan jemals verließen. Die Vahla waren ein Volk, das von Zusammenhalt lebte. Ausgegrenzt vom Rest der Galaxis, verstoßen und dazu verdammt auf ewig ihre verlorene Heimatwelt zu suchen, hatten sie nur einander. Den Clan zu verlassen galt als Verrat und Giselle hätte es niemals getan, hätte man sie nicht dazu gezwungen.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Mit Exodus und Wingston Crew –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp | mit Giselle, Haiur und Wingston Crew ]

Das Zeichen ihres Clans. Exodus, immer noch dicht hinter Giselle tanzend, strich intuitiv noch einmal ihren Nacken entlang, schob eine einzelne Strähne, die das Symbol halb verdeckte, wieder zur Seite. Sein Körper bewegte sich im gleichen Takt wie ihrer, zur jetzt langsamer werdenden Musik, doch sein Kopf dachte über ihre Worte nach. Élnoun hatte sie es genannt, das war der Name des Zeichens, für das es in Basic keine Übersetzung gab.

„Achso …“

sagte er leise, unschlüssig wie das alles zusammenpasste. Giselle war ein Mysterium, immer noch und vielleicht war das genau der Grund, wieso er so verrückt nach ihr war. Sie gab ihm nie das Gefühl, sie wirklich zu kennen – es gab immer etwas zu entdecken. Ihren Körper … oder ihre Geschichte. Der Rhythmus bestimmte den Gang seiner Gedanken. Alles schien langsamer zu laufen, zu benebelt war er von Giselles Präsenz, die sich immer noch so nah vor ihm bewegte, gelegentlich berührte, sich trennte und wieder berührte.

„Die Sichel ist der Weg zu eurem Bestimmungsort?“

echote er ihre Worte und sein Blick fiel erneut auf das Symbol.

„Du suchst deinen Bestimmungsort unabhängig von deiner Familie.“

stellte Exodus fest. Genau wie er selbst es lange getan hatte. Dann hatte er geglaubt, die Familie selbst sei sein Bestimmungsort – und jetzt war er sich nicht mehr sicher. Aber wollte er wirklich darüber reden? Bei seinem letzten Versuch etwas über sie zu erfahren, hatte sie abgeblockt. Er wollte auf gar keinen Fall eine Wiederholung von Rings Island. Wenn er diese Situation versaute, würde er in der nächsten Nacht wieder kein Auge zumachen können, trotz der Dunkelheit. Er würde sich ärgern, stundenlang wachliegen und sich fragen, wieso er ein solcher Idiot gewesen war. Und trotzdem: Er wollte es wissen, wollte alles von Giselle Givenchy erfahren. Diese Tätowierung gehörte dazu.

„Was hat dich nach Fingers Mark geführt? Ist er hier, dein Bestimmungsort?“

Die Frage von Rings Island – nun zum zweiten Mal. Er konnte nur hoffen, dass die Situation besser war, dass ihm die Nähe, die sie jetzt gewährte, nicht sofort wieder entzogen würde. Außer der Musik und seiner Tanzpartnerin blendete er alles aus, was sich um das Feuer herum abspielte – obwohl die leise Stimme in seinem Hinterkopf ihm flüsterte, er solle sich umdrehen, solle schauen, was passierte, sollte sehen, dass der Umgang mit Giselle gefährlich war. Doch er tat es nicht. Stattdessen beugte er sich noch ein Stück näher zu ihr herüber. Seine Nasenspitze berührte jetzt fast ihr Ohrläppchen.

„Gib mir einen kleinen Crashkurs in Giselle Givenchy … dieses Mal.“

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- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Mit Exodus und Wingston Crew –

Wo war ihr Bestimmungsort? Ob er hier auf Fingers Mark war, wollte Exodus wissen, doch so einfach war diese Frage nicht zu beantworten. Giselle war nicht sicher, ob sie selbst es jemals erfahren würde. Die Vahla waren bereits so lang auf der Suche nach diesem Ort. Warum sollte ausgerechnet sie ihn gefunden haben, hier auf Fresia? Giselle sah Exodus an. Er hatte nicht von ihrem Volk gesprochen, fiel ihr auf. Er hatte sich nur auf sie bezogen, auf sie und ihren Bestimmungsort, auf ihr Schicksal. Das war ein Thema, das sie zuletzt auf Rings Island angerissen hatten. Giselle hob die Schultern.

“Ich weiß es nicht.“

Antwortete sie und schaute zum ersten Mal seit Minuten wieder an ihm vorbei und hinein in ihre Umgebung. Haiur hatte aufgehört die Flöte zu spielen und unterhielt sich stattdessen. Die Trommeln dagegen schlugen noch immer. Ohne es zu beabsichtigen fing Giselle Jaks Blick auf. Der Nautolaner saß mit zwei anderen zusammen im Sand. Seine tiefen, schwarzen Augen waren für ihre Begriffe so ausdruckslos wie immer, doch die Unbewegtheit in seinem Gesicht und das leichte Nicken in Richtung einer weiteren Gruppe Nautolaner, die ebenfalls in ihre Richtung schauten, ließen Giselle endlich begreifen, das sie ungewollter Mittelpunkt des Interesses geworden waren. Nahezu jeder musste mitbekommen haben, dass die Luft zwischen Exodus und seiner Assistentin elektrisierend war. Ihre Augen kehrten zurück zu Exodus.

“Komm, wir gehen ein paar Schritte.“

Sagte sie und bewegte sich weg vom Feuer. Der Tanz war zu Ende, jedenfalls für diesen Teil des Abends. Widerspruchslos kam Exodus mit ihr. Auch er musste bemerkt haben, dass alle Blicke auf sie gerichtet gewesen waren. Als Projektleiter und Vorgesetzter musste dies für ihn eine unangenehme Situation sein. Die Crew hatte schon früher begonnen, dem Menschen und der Vahla eine Affäre nachzusagen, vermutlich vom ersten Moment an als sie beide ihr angekommen waren, doch bisher waren dies lediglich Gerüchte und Spekulationen gewesen. Und auch, wenn heute Abend nichts geschehen war, das einen sicheren Beweis für die Existenz einer Romanze lieferte, so hatte doch jeder der Anwesenden die Funken zwischen ihnen springen sehen können – Funken, die einen anderen Ursprung hatten als den des großen Feuers, das die inzwischen eingetretene Dunkelheit erleuchtete.

“Bevor ich hier her kam, habe ich – wie du weißt – der Neuen Republik gedient.“

Erzählte Giselle, mit einem kleinen Seitenhieb auf die Tatsache, dass Exodus sich über Teile ihres Werdegangs bereits informiert hatte, noch bevor sie zum ersten Mal miteinander gesprochen hatten. Mit diesem Wissen hatte er sie überrascht, als er sie auf einen Drink eingeladen und ihr angeboten hatte, ihn nach Fingers Mark zu begleiten.

“Ich war lange Zeit auf einem Kreuzer im Orbit von Mon Calamari stationiert, wo ich als erster Offizier fungierte. Danach wurde ich auf das Flaggschiff eines Commodores versetzt, dem ich als Adjutantin dienen sollte. Kurz nach meiner Beförderung zum Commander kamen mir allerdings Zweifel, ob dies wirklich das Richtige für mich war.“

Gemeinsam gingen sie den Strand entlang. Das große Feuer, die Nautolaner und das Camp hatten sie hinter sich gelassen, befanden sich allerdings noch immer in Sichtweite. Giselle blieb stehen.

“Es war nicht so, dass die Arbeit bei der Flotte keinen Spaß gemacht hätte. Es war eine Herausforderung und ich habe es gerne getan, doch es war auch schwierig. Manchmal hatte man für mehrere Wochen keinen Landgang. Ich mochte die Leere und Weite des Weltraums. Ich konnte dort Ruhe finden. Auf die Dauer war es jedoch... als fehlte etwas.“

Sie setzte sich hin, in den weißen Sand, winkelte ein Bein an und streckte das andere von sich. Ihr Blick fiel auf den abgerissenen Rock, mit dem Exodus Wingston kurzen Prozess gemacht hatte. Ohne Frage würde diese Aktion genau in diesem Augenblick das Gesprächsthema Nummer eins im Camp sein. Gleichgültig lächelte Giselle diesen Gedanken weg. Was machte es schon, worüber andere sprachen? In ihrem Leben ging es darum, dem eigenen Herzen zu folgen, das Richtige zu tun und dabei möglichst nicht noch mehr Regeln zu brechen als sie bereits getan hatte.

“Ich weiß nicht, ob ich so weit gegangen wäre den Dienst zu quittieren, wenn Morten mir nicht geschrieben hätte.“

Giselles Blick senkte sich hinunter auf den Sand, in den sie mit einer Hand begann Muster zu malen.

“Morten ist der Mann, den ich geheiratet habe. Wir hatten lange Zeit keinen Kontakt, haben es auch jetzt nicht. Hin und wieder schrieb ich ihm, doch er hat nie geantwortet, bis auf dieses eine Mal. Was er mir schrieb stellte alles in Frage, was ich in der Flotte tat. Er sagte... das sei nicht ich und er hatte Recht.

Giselles Blick hob sich und durch die Bewegung ihres Kopfes wippten die langen Ohrringe, die sie trug, leicht hin und her.

“Keine fünf Minuten später saß ich in Commodore Korus' Büro und teilte ihm mit, dass ich meinen Abschied einreichen würde. Er war sehr kooperativ und kurze Zeit später fand ich mich auf dem Weg nach Fresia wieder. Warum Fresia? Ich weiß nicht. Wir Vahla sind unser Leben lang auf der Suche nach unseren Wurzeln. Vielleicht hoffte ich einfach, hier etwas zu finden.“

Lächelnd und mit den Schultern zuckend sah Giselle Exodus an.

“Außerdem hatte ich von herrlichen Sandstränden und traumhaften Inseln gehört und beides klang verlockend genug, um einen Flug zu buchen. In Hill City habe ich schließlich einen Freund gefunden, der mir von dieser abgeschiedenen, paradiesischen Inselgruppe erzählte, die sich Fingers Mark nennt und so kam eins zum anderen.“

Zuerst war sie auf Rings Island gewesen, war alleine durch den Dschungel gewandert, hatte auf den Spuren von Carm Orty die Insel erkundet und Freundschaft mit den Mon Calamari geschlossen. Danach war sie zurück nach Hill City gefahren, Jem hatte ihr einen Job besorgt und nur kurz darauf hatte Exodus vor ihr gestanden und sie gefragt, ob sie ihn nach Fingers Mark begleiten wollte. Fingers Mark, der Ort an dem Giselle das Gefühl hatte, ihre Seele berühren zu können. Wie hätte sie dieses Angebot jemals ablehnen können?

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp | mit Giselle, Haiur und Wingston Crew ]

Seine Frage beendete den Tanz tatsächlich, doch anders als Exodus befürchtet hatte, schien diese Unterbrechung nichts Schlechtes zu sein. Giselle schritt voran, weg vom Feuer, weg von der Crew und damit weg von den vielen Augenpaaren, die ihnen offenbar gefolgt waren, seit er den Rock seiner Assistentin auf ihren Wunsch hin zerrissen hatte. Es war unangenehm, auf eine Weise, und es würde viel Gerede geben. Gleichzeitig spürte Exodus in sich wieder das altbekannte Gefühl des Trotzes: Er wollte sich Giselle nicht nehmen lassen – nicht von ein bisschen Gerede irgendwelcher Nautolaner.

Exodus hörte still zu, was Giselle zu erzählen hatte. Sie schlenderten den Strand entlang, verließen das Camp als wäre nichts gewesen und setzten sich schließlich gemeinsam in den Sand. Er war der schweigsame Zuhörer, doch in ihm arbeite es bei jedem weiteren Satz von ihr. Morten, so hieß er, ihr Mann. Seine Worte waren es gewesen, die Giselle dazu bewegt hatten, die Flotte zu verlassen. Er hätte diesem Fremden dankbar sein sollen und dennoch verspürte er aufkeimende Wut. Diese Typ hatte nichts Besseres zu tun, als sich alle Jubeljahre mal bei seiner Ehefrau zu melden und ihr dann Ratschläge zu geben, die ihr komplettes Leben auf den Kopf stellten?! Dass sei nicht sie, hatte er ihr geschrieben und daraufhin hatte sie den Dienst quittiert. Was, wenn er ihr noch einmal schrieb, jetzt wo sie auf Fresia war? Was, wenn er ihr wieder sagte: „Das bist nicht du, Giselle“? Würde sie dann wieder seinen Worten folgen, obwohl er ansonsten nichts mehr von ihr wissen wollte? Die Falte zwischen Exodus‘ Augenbrauen vertiefte sich für einen Moment. Er hatte schon häufig darüber nachgedacht, ob er ein eifersüchtiger Mann war. In seiner Jugend war er es nicht gewesen. Er hatte immer gewusst, wenn ein Mädchen gehen wollte, würde er eine andere bekommen. So war es gewesen, bis er Yuna kennengelernt hatte. In Yuna hatte er sich Hals über Kopf verliebt, sie damals schon als seine große Liebe bezeichnet. Diese Liebe war zerbrochen und Exodus hatte im Sith-Orden Gefühle für Arica entwickelt, die er schließlich mit dem Ausstieg aus dem Orden auch wieder verlassen hatte. Manchmal hatte er daran gedacht, ob Arica nach ihm wohl einen anderen gehabt hatte, doch da sich auf Coruscant die Dinge mit Yuna wieder mit besser entwickelt hatten, war er nie wirklich eifersüchtig gewesen. Seit Yuna ihn schlussendlich für einen anderen Mann verlassen hatte, klaffte jedoch eine große Wunde in seinem Herzen und immer wenn er an diesen anderen, ominösen Mann dachte, versetzte es ihm einen Stich. Er konnte Yuna das bieten, was Exodus ihr nie hatte geben können. Er war eifersüchtig – und dieser Schmerz war Teil des Puzzles gewesen, das ihn nach Fresia geführt hatte. Doch Yuna – und auch Arica – hatte er geliebt. Giselle liebte er nicht, er begehrte sie. Der Gedanke, dass dieser Mann sie haben konnte – und auch gehabt hatte – und jetzt nichts mehr von der Vahla wissen wollte, schien ihn für einen kurzen Moment fast zu übermannen.
Doch der Moment verging und Exodus hatte seine Gefühle wieder im Griff. Er war es, der hier mit Giselle saß, er war es, dem sie gerade ihre Geschichte erzählte, er war es, mit dem sie Haut an Haut vor dem Feuer getanzt hatte. Es war alles genau so, wie es sein sollte.


„Du hast also die Flotte verlassen und bist hier her gekommen.“

Wiederholte Exodus ihre Worte und die Informationen, die er ohnehin schon besaß. Die Flotte passte nicht zu Giselle, dass sah auch er jetzt, wo er sie besser kannte, ein. Die Vahla war ein Kind der Natur, nur hier schien sie sich wirklich wohl zu fühlen. Seine Erzählungen von Coruscant hatten in ihre keine Sehnsucht nach der großen Stadt wecken können und ähnlich musste es sich wohl mit dem Glas und Stahl eines Sternenkreuzers verhalten. Dort gab es keinen Sand, keine Wälder, kein Meer und keinen blauen Himmel. Aber wieso hatte sie dann überhaupt ihr altes Leben zurückgelassen? Wieso hatte sie ihre Familie verlassen, wenn ihr dort genau das geboten worden war, was sie sich so sehr zurückwünschte? Der Wind strich ihm kühl durchs Gesicht, als er zu Giselle hinübersah und die Zehen in den Sand vergrub.

„Ihr Vahla seid euer Leben lang auf der Suche nach euren Wurzeln, hast du gesagt? Dann … wieso … wieso hast du dich dazu entschlossen, dich alleine auf die Suche zu machen?“

Vielleicht hatte sie gegen ihre Eltern rebellieren wollen, vielleicht hatte sie nicht den Weg gehen wollen, den ihre Mutter und ihr Vater für sie vorgesehen hatten. Bei Exodus war es so gewesen und jetzt war er schlussendlich doch wieder dort gelandet, wo sein Vater ihn immer hatte sehen wollen. So schlecht war die Entscheidung nicht gewesen.

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- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –

Die wenigsten Dinge, hatte Giselle Givenchy gelernt, lagen im Bereich dessen, worauf man Einfluss ausüben konnte. Manchmal fühlte sie sich nur als Gast in dieser großen Galaxis, ein Gast der zum Leben gebeten worden war und sein Bestes tat um auf die Schwierigkeiten und Probleme zu reagieren, die man seines Weges warf. Manchmal gelang es, die Weichen eines bereits vorher bestimmten Pfades umzustellen, doch meistens kam es lediglich darauf an, wie man Hindernisse erklomm und umging, die sich vor einem auftaten. Sie selbst hatte einige dieser Hindernisse überwinden müssen und manchmal fragte sie sich, ob sie ihr Auftauchen von vorn herein hätte verhindern können.

Der Himmel war inzwischen dunkel und über ihnen begannen die ersten Sterne ihr Angesicht zu zeigen. Vom Camp her schallte nun eine gänzlich andere Musik zu ihnen hinüber und der Gesang von Frauenstimmen war zu hören. Das Feuer loderte noch immer in all seiner Pracht und in seinen Flammen konnte Giselle die Gestalt der Göttin erkennen, die mahnend über ihr wachte und sie an die Fehler der Vergangenheit erinnerte. Beschämt wandte Giselle den Blick ab und sah stattdessen zu Exodus.


“Ich habe mich nie freiwillig dazu entschlossen.“

Antwortete sie ihm.

“Ich habe meinen Clan verlassen, weil ich keine andere Wahl hatte.“

Trotz der Dunkelheit, die inzwischen herrschte, war das Schimmern in Giselles Augen deutlich zu erkennen. Über diesen Teil ihres Lebens zu sprechen war nicht einfach. Es gab nur eine einzige Person in dieser Galaxis, der sie jemals die ganze Geschichte erzählt hatte. Exodus jedoch war mehr als nur ein Fremder, den sie in einer Bar kennen gelernt hatte. Er war mehr als nur ihr Arbeitgeber, mehr als ein bloßer Freund. Er hörte ihr zu, er vertraute ihr. Er sprach ebenso über sich, wie er sich nach ihr erkundigte. Ihm gegenüber ehrlich zu sein war fast erschütternd einfach. Es fühlte sich richtig an.

“Weißt du, ich habe nie verstanden, warum sich Familien streiten.“

Sagte sie und richtete ihren Blick in die Ferne, hinaus aufs Meer.

“Warum sie sich streiten, sich trennen und den Rest ihres Lebens wie Fremde verbringen. Familie ist das Kostbarste das wir haben. Familie, Freunde... das ist selbst dort Zuhause, wo es keine Heimat gibt.“

Giselle hob die Schultern und schlang die Arme um ihren Körper.

“Aus freien Stücken wäre ich niemals gegangen. Ich musste meinen Clan verlassen, weil ich verbannt wurde. Ich wurde verbannt und darf niemals zurück kommen.“

Kälte kroch in Giselle hoch und ließ sie für eine Sekunde erschauern. Es war lange her, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Sie aus ihrem eigenen Mund zu hören, verdeutlichte ihr, dass sie noch immer Realität waren und es immer sein würden. War es leichter zu akzeptieren, wenn man sicher war, nichts am Lauf der Dinge hätte ändern können? Für Giselle machte es so gut wie keinen Unterschied. Der Verlust war das größte Leid, ebenso wie die Schuldgefühle. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf in den Himmel. Wie groß war die Entfernung, die sie von hier bis zu ihrer Familie trennte? Die Frage war müßig. Selbst wenn sie einander direkt gegenüber stünden, wäre der Abstand unüberwindbar. Giselle schüttelte den Kopf. Sie hatte bereits vor langer Zeit gelernt zu akzeptieren. Die Vergangenheit konnte man nicht ändern, man konnte lediglich aus ihr lernen.

“Was gäbe ich jetzt für ein Glas Wein.“

Dachte sie laut und das abwesende Lächeln, das ihre Lippen formten, lenkte ab von der einzelnen Träne, die sich in ihren Wimpern verfangen hatte. Es gab Tage, an denen sie sich wünschte, einen Blick in die Zukunft werfen zu können, nur um sicher zu gehen, dass sie wirklich dazu gelernt hatte und nicht noch mehr zerstörte als sie bereits getan hatte.

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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | mit Giselle ]

Die Stimmung kippte mit Giselles Worten vollständig und Exodus spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Die Heiterkeit war weg, der Flirt, die Funken zwischen ihnen. Stattdessen stand er plötzlich vor einer traurigen Geschichte von der Liebe zur Familie und dem zwangsläufigen Kappen dieser Bande. Anders als er selbst hatte Giselle ihre Familie nicht freiwillig verlassen und hätte es auch niemals getan – sie war verbannt worden. Er hatte immer die Wahl gehabt, hätte nicht zu den Jedi und nicht zu den Sith gehen müssen, hätte sich nicht in seine Arbeit vertiefen und die Familie vernachlässigen müssen. Jetzt hatten sie ihn verlassen, einer nach dem anderen, aber er war es selbst schuld, weil er sie vorher alle im Stich gelassen hatte. Giselle hatte niemals gehen wollen …
Exodus spürte an ihrer Aura, Körperhaltung und Stimme, wie sehr sie das Thema mitnahm. Er hatte ihren Lebenslauf nur grob vor Augen, aber wenn er richtig zurück rechnete, musste ihre Verbannung wenigstens fünf Jahre her sein, vielleicht länger. Zumindest war das der Zeitpunkt gewesen, wo sie in die Flotte eingetreten war. Dann war da noch die Ballet-Ausbildung, die sie mal erwähnt hatte. Also vielleicht noch früher? Wie lange war sie schon nicht mehr im Kreise ihrer Familie gewesen? Unsicher, was er sagen und fragen konnte, rutschte er über den Sand zu ihr hinüber, legte seinen Kopf, ebenso wie die Vahla, in den Nacken und sah hoch zum Himmel. Ihre Arme berührten sich und Exodus spürte wie immer das Kribbeln, das von jeder dieser Berührungen ausging. Er verlagerte sein Gewicht, damit sein rechter Arm ihn nicht mehr stützen musste, klopfte sich kurz die sandigen Handflächen an seinem Oberkörper ab und legte seinen Arm dann um Giselles Schulter. Er drückte sie leicht, als sie erwähnte ein Glas Wein gebrauchen zu können.


„Ich könnte dir eins holen.“

sagte er leise, unsicher, was er wirklich tun sollte. In seinem Kopf echote vor allem eine Frage wieder: Was hatte sie getan? Wieso war sie verbannt worden? Er kannte die Regeln der Clans nicht und so konnte es eine Lappalie gewesen sein oder etwas wirklich Schlimmes. Es lag nicht an ihm, moralische Urteile zu fällen und andere für die Untaten ihrer Vergangenheit zu verurteilen. Aber es interessierte ihn. Er wollte Giselles Persönlichkeit auf den Grund kommen, wollte verstehen, wieso ihr Leben sie nach Fresia geführt hatte. Sollte er es fragen oder nicht? Sie wirkte so traurig – konnte er verantworten ihre Wunden noch weiter aufzureißen? Unsicher streichelte er sacht ihren Oberarm, drückte sie erneut freundschaftlich.

„Ich würde aber lieber hier bei dir bleiben, wenn das okay ist.“

Sein Blick wanderte ganz kurz zurück zum Camp. Die Crew, das ganze Projekt hier, interessierte ihn in diesem Moment nicht so sehr, wie die Frau, die er an sich gedrückt hielt. Giselle war seine Freundin und Exodus wusste, wie selten Freundschaften dieser Tage geworden waren. Er war in der Vergangenheit auch für seine Freunde häufig nicht dagewesen – jetzt wollte er es besser machen. Wie so vieles.
Nur diese Frage …


„Was kann Eltern nur dazu bewegen, ihre eigenen Kinder zu verstoßen?“

murmelte er nachdenklich, in der Hoffnung gleichzeitig Beistand zu leisten und eine Antwort zu bekommen. Adrian und Alisah hätten die Frage vermutlich beantworten können. Wahrscheinlich sahen sie das, was Exodus in der Vergangenheit getan hatte, als einen Verstoß an, auch wenn er diesen Gedanken so nie gehabt hatte. Er hatte einfach andere Priorität gesetzt, hatte sich für den Orden aufreiben wollen, um später alles in Ordnung zu bringen. Später war nur nie gekommen …
Wenn Giselles Eltern die Regeln des Clans über das Wohl ihrer Tochter gestellt hatten, war die Antwort ganz ähnlich. Aber befriedigend, das war sie nicht.


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Giselle spürte Exodus Arm um sich, war sich jedoch nicht sicher, ob sie ihn spüren wollte. Sie war so lange alleine mit ihrer Bürde zurecht gekommen, dass sie keinen Trost benötigte. Sie wusste, wie die Dinge lagen, denn sie hatte lange genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Alle Dinge waren so, wie sie waren. Traurigkeit gehörte dazu, doch sie verging wieder, wenn ein neuer Tag anbrach. Giselle Givenchy holte tief Luft, atmete die frische Luft ein, die das Meer aus fernen Landen zu ihnen herüber wehte. Hier auf Fingers Mark konnte man fast alles vergessen. Dies war Teil der Magie der dieser geheimnisvollen Inseln. Nur die Vergangenheit, jene Momente, die die größten Veränderungen bewirkt hatten und die selbst am längsten nach wirkten, ließen sich nicht vergessen. Solche Dinge vergaß man nie.

“Danke, du kannst ruhig hier bleiben.“

Sagte Giselle, als Exodus anbot ihr ein Glas Wein zu besorgen, gleichzeitig jedoch angab, lieber bei ihr zu bleiben. Die Vahla stand auf.

“Ich gehe selbst. Wartest du hier auf mich?“

Ihre Frage war rein rethorisch und sie wandte sich um ohne eine Antwort abzuwarten, doch anstatt über den Strand den kurzen Weg zurück zum Camp zu finden, ging sie in Richtung Wald. Sand rieselte von ihrem Kleid hinab. Flüchtig fragte sie sich, ob die Stoffreste, die Exodus von ihrem Kleid getrennt hatte, noch immer auf dem Boden neben dem Feuer lagen. Es war ein gelungenes Fest, das sie ausgerichtet hatten. Selbst aus der Entfernung war nicht zu übersehen und schon gar nicht zu überhören, wie sehr sich alle amüsierten. Giselle aber wollte niemandem begegnen. Sie war nicht mehr in der Stimmung, mit irgendwem aus dem Camp zu sprechen. Es gab Momente, in denen man alleine sein musste. Die einzige Person, die sie um sich haben wollte, wartete in der Dunkelheit auf sie. Sich durch die Büsche und Bäume von der Rückseite her zum Versorgungszelt zu schleichen, fiel Giselle nicht schwer. Die Nautolaner hatten sich fast alle in der Nähe des Feuers versammelt und niemand sah, wie sie in das etwas abseits gelegene Zelt schlüpfte, für einen kurzen Moment Licht machte und mit einer Flasche Wein unter dem Arm und zwei Gläsern in der Hand wieder verschwand. Nach nur drei Minuten kam sie an der gleichen Stelle des Waldes wieder hinaus auf den Strand, an der sie vor wenigen Momenten erst verschwunden war. Exodus war noch genau dort, wo sie ihn zurück gelassen hatte.

“Ich weiß nicht, wer den Wein ausgesucht und besorgt hat.“

Kündigte sie ihre Rückkehr an.

“Aber ich hoffe, er ist gut. Es war die einzige Sorte, die da war.“

Giselle reichte Exodus die Flasche, damit er sie öffnete, setzte sich wieder neben ihn und hielt die beiden Gläser. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte man von einem romantischen Picknick unter einem aufgehenden Sternenhimmel sprechen können. Aus der Ferne sah es mit Sicherheit so aus. Giselle jedoch war nicht nach Picknick und auch nicht nach romantischen Gefühlen. Der Augenblick dafür war vorbei.

“Es waren nicht meine Eltern, die mich verstoßen haben.“

Sagte sie, als Exodus begann ihre Gläser zu füllen. In der Dunkelheit war die Farbe des Weins nicht zu erkennen.

“Erinnerst du dich daran, dass ich dir mal erzählt habe, dass mein Volk nach bestimmten Regeln lebt, jeder einzelne von uns seine Aufgaben hat und wir uns nach den Gesetzen des Zirkels richten?“

Fragte sie, konnte jedoch nicht einschätzen, ob Exodus wusste, auf welches Gespräch mit ihm sie sich berief. Sie dachte an den ersten Abend auf Palm Island zurück und ihren ersten Sparziergang hier am Strand. Es war noch nicht lange her, doch kurioser Weise kam es ihr vor, als läge es bereits eine Ewigkeit zurück.

“Ich habe eine dieser Regeln gebrochen.“

Ihr Glas war gefüllt, doch Giselle hatte noch nicht von dem Wein probiert. Sie senkte ihren Kopf und roch an der dunklen Flüssigkeit, um den Duft in sich aufzunehmen.

“Darüber zu sprechen ist für mich nicht einfach, doch wenn du mir zuhören möchtest...“

Sie ließ den Satz unbeendet. Stattdessen begann sie, vorsichtig ihr Glas zu schwenken um die tieferen Aromen des Weins an seine Oberfläche zu bringen. Sich auf etwas anderes als nur die Erinnerung zu konzentrieren, tat gut. Für einen kurzen Moment lenkte es ab. Giselle hob den Blick und sah Exodus direkt an.

“Vielleicht ist es mehr, als du dir vorgestellt hast zu erfahren, als du um einen Crash-Kurs in Sachen Giselle Givenchy gebeten hast.“

Sagte sie nachdenklich und suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen für Zustimmung. Es wäre leicht für Exodus, jetzt zu sagen, dass sie Recht hatte. Er konnte ihr sagen, dass sie es besser dabei beließen und einfach ihren Wein tranken, bevor sie zurück zum Camp gehen und sich wieder dem Fest anschließen würden. Ein Teil von Giselle hoffte, dass er das sagte.

"Es ist nicht so, dass ich ein grausames Geheimnis mit mir herum trage."

Fügte sie an und zeigte mit einem traurigen Lächeln, wie lebendig die Ereignisse noch immer in ihr waren.

"Es ist nur einfach keine schöne Geschichte."

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Ein Puzzleteil nach dem anderen schien sich zusammenzufügen. Auch wenn Giselle sich dabei Zeit ließ und nur langsam die Teile Preis gab, so war sie doch bereit, ihm ihre ganze Geschichte zu erzählen. Keine schöne Geschichte, wie sie sagte, doch immerhin ihre Geschichte. Exodus hatte schon zuvor gespürt, dass heute etwas Bedeutsames passieren würde und dieses Gefühl schien sich jetzt zu bewahrheiten. Zuerst der Sonnenuntergang, dann der Tanz am Feuer, jetzt das Gespräch am Strand. Sie trug kein dunkles Geheimnis in sich, hatte sie gesagt, doch genau davon versuchte ihn die leise Stimme in seinem Hinterkopf schon eine ganze Weile zu überzeugen. Er hatte den Gedanken immer unterdrückt, ihn als unsinnig abgetan. Doch wenn er es jetzt erführe …

„Weißt du …“

sagte Exodus gedehnt, auf ihre Anmerkung, er hätte sich unter einem Crashkurs in Giselle Givenchy vielleicht etwas anderes vorgestellt. Er machte eine Kunstpause, beobachtete, wie die Vahla das Weinglas schwenkte, nach dem es sie eben so plötzlich verlangt hatte, und tat es ihr dann mit langsam kreisenden Bewegungen gleich. Der Geruch des Weines stieg langsam in seine Nase, vermischt mit dem Duft des Meeres und der Frau an seiner Seite.

„Ich habe mir gar nichts vorgestellt.“

Ein Hauch von Scheinheiligkeit durchzog seine Stimme. Sie beide wussten es besser. Auch Giselle konnte nicht entgangen sein, wie stark er sich von ihr angezogen fühlte. Er lächelte.

„Nur dich.“

Es war nicht einmal gelogen. Was nach einem romantischen Spruch eines verliebten Paares klang, das sie nicht waren, war schlicht die Wahrheit. Exodus dachte seit seiner Ankunft auf Fresia an nichts anderes mehr, nur an Giselle. Die Vahla füllte jeden seiner Gedanken aus oder war zumindest immer präsent. Er spürte in der Macht nach ihr, tagsüber und nachts, wenn er wach lag. Sie hatte sogar die meisten Gedanken an Yuna verdrängt.

„Aber ich erinnere mich an das, was du über Regeln in deinem Clan erzählt hast.“

So viele Worte hatten sie schon gewechselt, so häufig ihre Geschichten angedeutet und dann doch nie zu Ende erzählt. Der rote Faden ihrer Gespräche führte hier her: Zu Giselles Geschichte – der Geschichte einer jungen Frau, die eine Regel gebrochen und verstoßen worden war. Nur welche Regel? Die Trauer in ihrer Aura und ihrer Stimme machte ihm ein schlechtes Gewissen. Er sollte nicht so neugierig sein, sollte ihre Trauer nicht herausfordern. Er Teil von ihm wollte ihr Trost spenden und gab ihm doch das Gefühl, es wäre am besten, sie nicht dazu zu bringen, ihre Geschichte zu erzählen. Es war ein schwieriger Drahtseilakt – zwischen Freundschaft und der absoluten Begierde nach mehr.

„Ich höre dir gerne zu …“

sagte er leise und unterdrückte den Impuls, seinen Arm ein weiteres Mal um sie zu legen.

„Du hörst dir meine Geschichten schließlich auch immer an.“

Es klang richtig, der Austausch von Vertrauen, obwohl dieses Spiel hier vielleicht andersherum lief. Er konnte nur schwer einschätzen, ob Giselle wirklich darüber sprechen, ob sie es sich von der Seele reden wollte – oder ob er derjenige war, der diese Dinge forcierte. Der nach ihrer Tätowierung fragte, nach ihrem Clan, nach ihrer Familie, nach ihrer Verbannung. Gleichzeitig hatte er seine eigene Geschichte ebenfalls noch nicht erzählt – niemals vollständig. Würde er es jemals tun? Wenn sie ihn so direkt danach fragte, wie er es bei ihr tat? Vielleicht hing das von ihrem eigenen Regelbruch ab, von der Schwere ihrer Schuld. Auch Exodus hatte Regeln gebrochen und würde niemals zu dem Zustand von früher zurückkehren können. Gegenüber seinem Bruder, der die gleichen Dinge getan hatte wie Exodus, konnte er sich stets öffnen. Wenn Giselle und er sich am Ende sogar noch ähnlicher waren, als er gedacht hatte …?

„Mit traurigen Geschichten … und mit Regelbrüchen … bin ich bestens vertraut.“

sagte er schließlich über das Rauschen des Meeres hinweg, ehe er beschloss, nun zu schweigen und zuzuhören, so wie er es eben angekündigt hatte. Auch in seinem Lächeln fand sich ein trauriger Zug. So wie immer, wenn er an früher dachte, an heute und an das, was noch kommen mochte.

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- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –

Gerade eben noch hatte die Sonne geschienen. Mittlerweile war es stockfinster. Sie hatte an einem warmen Feuer gesessen, der Musik gelauscht und getanzt. Sie hatte Spaß gehabt. Es war wie der Anfang eines Abends gewesen, der wunderschöne Erinnerungen versprach, und der Anfang einer langen Nacht, in der es einzig darum ging, eine gute Zeit zu verbringen. So schnell konnte sich alles ändern. Giselle befand sich abseits der Feier und obwohl das Lachen noch immer zu ihr herüber drang, war ihre eigene Freude einem bedrückenden Gefühl gewichen, das dabei war, eine schwere Kette um ihren Brustkorb zu legen.

“Dort wo ich her komme verehren wir die Göttin des Feuers.“

Begann sie und noch klang ihre Stimme normal. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge.

“Ihr Name ist Vahl. Sie hat mein Volk unter ihren Schutz genommen und uns einst Leben verliehen. Ohne sie wären wir nichts und ohne ihr Wohlwollen würden wir noch heute zu Staub und Asche zerfallen.“

Giselle hatte beide Beine nahe an ihren Körper heran gezogen. Ihr Weinglass hatte sie auf ihren Knien abgestellt, während sie den Stiel mit der rechten Hand umklammerte. Es war, als hielte sie sich an dem Glas fest, fast so als drohte sie unterzugehen, ließe sie es los. Das Meer, fiel ihr auf, war so dunkel wie der Himmel. Einzig die weißen Schaumkronen hoben sich von dem schwarzen Hintergrund ab, wenn sich die Wellen brachen. Ihr Rauschen klang lieblich und tröstlich.

“Bereits kurz nach meiner Geburt wurde ich dazu bestimmt eine Beschwörerin der Vahl zu werden. Beschwörerinnen sind die direkten Dienerinnen der Göttin. Mit Ausnahme des Zirkels sind sie die einzigen, die in der Lage sind direkt mit ihr zu kommunizieren. Es gab nur ein paar von uns und wir wurden von den Älteren unterwiesen. Ich habe meine Kindheit damit verbracht die alten Rituale und Tänze zu lernen. Wenn abends das Feuer entzündet wurde, sind wir es gewesen, die um die Flammen getanzt sind, um der Göttin unsere Ehrerbietung zu überbringen und wenn ihr Zorn auf dem Clan lag, lag es an uns sie milde zu stimmen.“

Vor Giselles innerem Auge erwachte das Bild eines Lagers zum Leben. Sie sah die Zelte, gestützt von langen Holzbalken, und die Felle, die zu Schlafstätten hergerichtet wurden. Musik erklang, ein Ruf ertönte. Sie war ein Kind, nicht älter als sieben und sah den Frauen zu, wie sie Schmuckstücke anfertigten. Manchmal durfte sie helfen. Qing'dao, ihre Schwester, die eine Twi'lek und von dem Stamm adoptiert worden war, schlich sich von hinten an sie heran, kniff sie in die Seite und rannte weg. Giselle folgte ihr, so schnell sie konnte. Kreischend rannten sie zwischen Feuerstellen und Zelten umher. Wenn die anderen Kinder sich ihnen anschlossen, war der Spaß am größten. Das Lager war erfüllt von Unbeschwertheit und am Abend saßen sie gemütlich beisammen, müde von der Anstrengung des Tages und glücklich, den Geschichten der Älteren zuzuhören, die von den Gefahren der Galaxis berichteten und von ihren Vorfahren, die Helden gewesen waren.

“Ich war fünfzehn, fast sechzehn, als ich verbannt wurde“.

Die Zeiten verschwammen und das Bild aus Giselles Kindheit zerfiel in tausend Glassplitter, deren scharfe Kanten von Meer und Sand gemahlen wurden, bis sie so perfekt gerundet waren, dass man mit dem Finger darüber streichen konnte, ohne sich einen Schnitt zuzuziehen. Was einst war, hatte sich verändert. Es war ein naiver Gedanke, doch manchmal wünschte Giselle sich, sie hätte damals die Zeit einfangen und für immer anhalten können.

“Es gab einen jungen Mann in unserem Clan. Wir waren Freunde. Zeit miteinander zu verbringen war normal und wir erkundeten oft zusammen die Wälder, zu zweit oder gemeinsam mit anderen. Dann aber verliebten wir uns.“

Giselle atmete tief ein und aus. Ihre Kehle war so trocken wie die heißesten Wüsten Ambrias. Sie sah das Gesicht eines unschuldigen Jungen vor sich, das sie niemals los lassen würde, und kostete endlich zum ersten Mal von ihrem Wein. Der Geschmack war süß und voll, doch es gelang ihr nicht, ihn zu genießen.

“Als Beschwörerin der Vahl besaß ich innerhalb unseres Clans einen besonderen Status: ich war unantastbar.“

Dies zu erklären war schwierig. Ihr Blick huschte flüchtig zu Exodus hinüber. Wie er es angekündigt hatte, schwieg er. Er ließ sie sprechen, gab ihr den Raum und die Zeit, die sie benötigte, um ihre Geschichte zu erzählen. Gleichzeitig sah er sie so aufmerksam an, dass Giselle das Gefühl hatte, ihm alles erzählen zu können. Sie schluckte und nippte ein weiteres Mal an ihrem Wein.

“Um die Wünsche der Göttin zu erfüllen, ihre Nachrichten zu übermitteln und sie zu ehren, muss eine Beschwörerin ein reines Wesen sein. Jede unzüchtige Berührung ist eine Entweihung und eine Schändung und daher müssen Beschwörerinnen ihr Leben lag für sich bleiben. Für sie gibt es kein körperliches Begehren. Jeder Kontakt, der mehr suggeriert als Freundschaft, ist untersagt.“

War es möglich, dass es noch dunkler wurde? Giselle hatte das Gefühl, dass die Nacht ihr Sichtfeld trübte. Vielleicht aber war es auch nur der Schleier der Vergangenheit, der sich über ihre Augen gelegt hatte. Erinnerungen vermischten sich mit der Gegenwart. Sie sah Exodus und sie sah Kaneshi, der ihre erste Liebe gewesen war.

“Wir haben uns heimlich getroffen, wenn wir wussten, dass uns niemand suchen würde. Uns war klar, dass man uns bestrafen würde, sollte man uns erwischen, also waren wir vorsichtig.“

Sie hatte gemeinsame Sparziergänge unternommen, hatten sich in den Ästen der großen Bäume versteckt und so manches Mal hatte Giselle Kaneshi beim Jagen geholfen. Anfangs war ihre Freundschaft unschuldig gewesen und sie waren lediglich froh gewesen über die gemeinsame Zeit, die sie hatten. Dann, irgendwann, hatten sie begonnen einander unbeholfen zu berühren. Es waren die süßesten, zärtlichsten Momente gewesen an die Giselle sich erinnern konnte. Sie hatte ihn geküsst, seine Lippen auf den ihren gespürt und in ihrem Bauch hatte etwas geflattert, das sie sich unglaublich leicht und schwerelos hatte fühlen lassen. Bereits nachdem sie sich das erste Mal so nahe gewesen waren, hatte sie gewusst, dass sie aufhören mussten. Es war verboten und sie hatten es beide gewusst, doch keiner von ihnen hatte es über sich gebracht zu beenden, was noch nicht einmal richtig begonnen hatte. Wenn sie nachts in ihrem Zelt gelegen hatte, hatte Giselle ununterbrochen an ihn gedacht. Manchmal hatte sie mit dem Gedanken gespielt, zu ihm hinüber zu gehen und unter seine Deckezu kriechen. So weit war es nie gekommen. Sie hatte sich vorgestellt, wie es wäre, Hand in Hand mit ihm durch das Lager zu laufen und die Zustimmung aller zu erhalten, doch das waren nur Träume. Wenn sie sich tagsüber sahen, im Beisein anderer, hatte sie sich nach ihm verzehrt, weil sie ihn nicht so berühren durfte, wie sie es gerne getan hätte.

“Es ist nie wirklich ernst zwischen uns geworden.“

Sprach Giselle mit belegter Stimme.

“Bevor es so weit kommen konnte, kamen sie uns zuvor. Sie entdeckten uns, als wir uns wieder einmal davon gestohlen hatten. Wir hatten sie nicht kommen sehen, hatten sie nicht gehört. Auf einmal waren sie da. Sie... packten Kaneshi an den Armen, zerrten ihn von mir weg. Ich war wie betäubt.“

Zurück in dem Wald, in dem Giselles Leben eine Wendung genommen hatte, hörte sie noch immer das Rufen und Schreien der Männer. Sie hörte die Vorwürfe und die Drohungen und Kaneshis verzweifelte Bitten.

“Sie waren zu dritt gewesen und brachten ihn fort. Ich blieb alleine zurück. Keiner von ihnen hatte sich getraut mich anzufassen. Auf mir ruhte der Zorn der Göttin. Ich habe lange dort gesessen, geweint und gebetet. Irgendwann habe ich mich rein gewaschen. Qing'dao erzählte mir später, dass sie kommen wollte um mich zu suchen, doch sie ließen sie nicht. Irgendwann erst bin ich von selbst zurück zum Lager gekommen. Sie hatten gewusst, dass ich kommen würde und mich erwartet. Niemand sprach mit mir. Stattdessen führten sie mich vor den Rat der Ältesten.“

Es fiel ihr schwer, zu sprechen. Jedes einzelne Wort kostete sie enorme Anstrengung und immer wieder nippte Giselle an ihrem Wein, in der Hoffnung, er möge ihr Mut und Stärke schenken – Mut um die Geschehnisse zu Ende zu erzählen und Stärke, um nicht unter der Last der Schuld zusammen zu brechen. Es war einfacher, wenn sie die Ereignisse nur für sich, in ihren eigenen Gedanken, aufrecht erhielt. Sie mit jemandem zu teilen war eine Tortur.

“Es bestanden keine Zweifel, dass ich mich versündigt hatte. Ich hatte das Gesetz gebrochen und meinen Körper verunreinigt. Leugnen war zwecklos, denn man hatte uns gesehen, also gestand ich alles. Kaneshi hatte nichts gesagt. Ich wusste nicht, wo sie ihn gefangen hielten, doch man sagte mir, dass er sich weigerte zu sprechen. Auch er hatte gesündigt. Er hatte eine Dienerin der Göttin berührt. Noch in der selben Nacht vollzogen sie ein Ritual, damit ich für meine Sünden um Vergebung bitten konnte. Kaneshi sollte am nächsten Tag der Göttin geopfert werden. Ich schrie. Ich schrie und bettelte um sein Leben, obwohl sie sagten, er habe seine Strafe bereits akzeptiert. Ich wollte es allerdings nicht und war überzeugt, einen anderen Weg finden zu können.“

Gefangen in ihrer eigenen Erzählung schüttelte Giselle den Kopf. Je weiter ihre Geschichte voran schritt, umso stärker zog sich die Kette, die um ihren Brustkorb lag, zu.

“Was danach kam, hätte ich nicht vorher sehen können. Die älteste Beschwörerin unseres Clans, eine Frau, die seit über sieben Jahrzehnten der Göttin gedient gedient hatte, trat vor, um Kaneshis Strafe an seiner Stelle anzunehmen. Sie bot an, sich zu opfern, damit er leben konnte.“

Es hatte nichts gegeben, das sie tun konnte. Machtlos war Giselle zu einer Beobachterin in ihrer eigenen Tragödie verkommen. Stimmen wurden laut, sprachen über sie, kaum einer richtete das Wort direkt an sie. Sie wusste noch, dass sie ihre Familie hatte sehen wollen, doch man hatte niemanden zu ihr gelassen. Es war ein Albtraum gewesen.

“Schließlich willigten die Ältesten ein, Kaneshis Strafe zu mildern. Man brachte ihn hinaus auf den großen Platz in der Mitte unseres Lagers. Seine Hände waren ihm auf den Rücken gebunden und er war an einen Pfahl gefesselt, den sie tief in die Erde gerammt hatten. Ich wurde ebenfalls hinaus gebracht um der Strafvollziehung beizuwohnen. Es war das erste Mal, dass ich ihn wieder sah. Ich sehe es jetzt noch alles vor mir...“

Laute Rufe und Tränen, das war das Deutlichste, an das Giselle sich erinnerte. Das leere Weinglas lag nur noch schwach in ihrer Hand. Unter ihrem starren Blick, der geradeaus auf das dunkle Meer gerichtet war, war Giselles Gesicht leichenblass geworden.

“Sie näherten sich ihm mit heißen Kohlen.“

Berichtete sie mit einer Stimme, die längst nicht mehr ihre eigene war.

“Kaneshi weinte. Von dort wo ich stand, konnte ich seine Tränen sehen. Er war so tapfer, sagte kein einziges Wort. Ich glaube, er hätte jede Strafe akzeptiert.“

Lebendige, nicht zu ertragende Erinnerungen übermannten Giselle und sie schloss die Augen. Warum konnte sie nicht fliehen? Es war wie damals, als sie hatte laufen wollen, aber es nicht gekonnt hatte.

“Als es so weit war, sah er mich direkt an. Es war sein letzter Blick. Dann nahmen sie ihm das Augenlicht.“

Mit beiden Händen hielt sich Giselle die Ohren zu, damals wie heute, doch die Schreie hielten an, schmerzverzerrt und zu Tode verängstigt. Sie hörte ihre eigene Stimme und sie hörte Kaneshi, der wie ein wildes Tier klang, das man folterte, im Versuch es zu zähmen. Und dann war es plötzlich totenstill.

“Sie zwangen mich, zuzusehen. Es war... es war das Schlimmste. Das absolut Schlimmste.“

Angestrengt legte Giselle ihren Kopf auf ihren Knien ab. Das Weinglas war längst achtlos in den Sand gefallen.

“Einen Tag später verbrannten sie Nuema Versail auf dem Scheiterhaufen und schickten mich fort.“

Es hatte nach verbranntem Fleisch gestunken. Seit Jahren hatte Giselle diesen Geruch nicht mehr in der Nase gehabt, doch jetzt war er auf einmal wieder da, erinnerte sie an die Tränen, die sie vergossen hatte und an die Meilen, die sie gelaufen war. Doch das Schwierigste hatte sie hinter sich gebracht. Sie hatte ausgesprochen, was so schwer war in Worte zu fassen. Leid und Elend kannten keine Beschreibungen.

“Es war die einzige Strafe, die sie mir auferlegen konnten. Ich war eine Beschwörerin der Vahl gewesen und stand, wenn ich mich auch versündigt hatte, noch immer unter dem Schutz der Göttin, von der sie nicht wagten, sie noch weiter zu erzürnen.“

Langsam hob Giselle den Kopf. Sie hatte nicht geweint. Alle Tränen waren längst vergossen worden.

“Ich hatte noch die Gelegenheit mich zu verabschieden. Meine Mutter war sehr beschämt. Alle waren enttäuscht, am meisten ich selbst. Ich hatte genug Proviant, um die nächsten Tage zu überstehen und genug Geld, um einen Flug zu bezahlen. Die Bedingung war, dass ich den Planeten verließ. Ich sollte so weit fort wie möglich. Daran habe ich mich gehalten.“

Es war das Ende gewesen und eine traurige Lektion zugleich. Kaum ein Tag war seitdem vergangen, an dem sie sich nicht gewünscht hatte, bereits vorher nach den Gesetzen gelebt zu haben, die man ihr bereits als Kind beigebracht hatte. Doch dazu war es längst zu spät gewesen. Geblieben war ihr nur diese eine letzte Möglichkeit, die einzige Regel zu befolgen, die man ihr noch auferlegt hatte. Die Erkenntnis, wie schnell sich Dinge ändern konnten, hatte nie so sehr geschmerzt wie an diesem Tag.

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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | mit Giselle ]

Es dauerte eine Weile, bis sich zwischen all den Worten und Bildern ein klarer Gedanke heraus kristallisierten konnte. Die Farben vermischten sich in seinem Kopf und wirbelten unkontrolliert durcheinander: Alte Frauen wurden auf Scheiterhaufen verbrannt, jungen Männern brutal die Augen heraus gebrannt, ein junges Paar lief durch den Wald, ein kleines Mädchen wurde verstoßen, weinte bitterlich, tanzte plötzlich wieder um das Feuer herum, bis sie ansehen musste, wie der Junge erneut sein Augenlicht verlor. Es war keine schöne Geschichte, die Giselle ihm erzählt und zum Leben erweckt hatte. Doch ein Gedanke schälte sich zwischen all den erschütternden und bewegenden Bildern hervor, ein Gedanke hämmerte in Exodus‘ Kopf wie ein Pulsschlag. Nur ein Gedanke: Sie war völlig unschuldig.
Giselle hatte sich in einen Jungen verliebt und die beiden hatten einander berührt. Das war ihr Vergehen. Das war der Grund für ihre Verbannung! Urplötzlich erwachte in Exodus wieder der Groll, den er zuvor schon dem Vahla-Clan gegenüber verspürt hatte. Sie hatten ein junges Mädchen weggeschickt, weg von Familie und Freunden, weg von allem, dass sie bis dahin gekannt hatte, bloß weil es sich verliebt hatte. Sie hatten Giselle für das Natürlichste auf der Welt bestraft. Aber nicht nur das: Ein Junge hatte sein Augenlicht verloren und eine Alte war verbrannt worden. Das war absurd! Er spürte, wie sich sein ganzer Körper anspannte. Das war … einfach ungerecht. Seine Schultern senkten sich und die Spannung wich wieder. Er konnte nichts tun. Er konnte nur hier sitzen und für seine Freundin da sein. Wenn es doch so einfach war – er wusste schlicht nicht, was er tun oder sagen sollte. Das Meer rauschte nur dumpf in seinen Ohren und das Lachen des Camps klang, als wäre es tausende Kilometer entfernt. Unwillkürlich fragte er sich, wie in diesem Moment, in dieser Galaxis, überhaupt jemandem zum Lachen zu Mute sein konnte. Ihm fehlten die Worte. Er saß nur da und scharte ratlos mit den Füßen im Sand, ließ die Körner langsam über seine Zehen rieseln. Die Sekunden verstrichen quälend, bis es ihm endlich gelang, die vielen Gedanken in einem einzigen kurzen Satz zusammen zu bringen. Exodus sog scharf die Luft ein und atmete langsam wieder aus.


„Es tut mir leid.“

Er sagte es nicht, weil er musste. Nicht, weil man sein Beileid üblicherweise bekundete, wenn man eine schlimme Lebensgeschichte zu hören bekam. Er sagte es, weil er es wirklich fühlte.

„Was dir passiert ist, meine ich. Und dass ich dich wieder daran erinnert habe.“

Sein Blick traf sie von der Seite. Giselle wirkte noch immer wie in einer eigenen Welt gefangen, fern von diesem Strand, fern von Fingers Mark und von Fresia. Das Weinglas, für das sie eben noch zurück zum Camp gelaufen war, hielt sie nicht mehr in den Händen. Exodus konnte auf Anhieb nicht erkennen, ob sie es abgestellt oder es ihr einfach heruntergefallen war. Er selbst hielt das kühle Glas in seiner linken, doch hatte er während Giselles Erzählung keinen einzigen Schluck daraus getrunken. Auch jetzt war ihm nicht nach der Süße des Weines. Der Wein schmeckte nach einem Versprechen, dass er nicht halten konnte. Die süße Leichtigkeit des Lebens …

„Es tut mir Leid, gerade weil ich das Gefühl hatte, dass wir den Tanz beide genossen haben.“

Diese Leichtigkeit war verschwunden. Er hatte die Stimme gesenkt, traute sich kaum, einen möglicherweise unangemessen Satz zu sprechen. In seinen Lippen fand sich für einen Moment der Ansatz eines Schmunzelns wieder und er verspürte den wohlbekannten Impuls, Giselle zu berühren, sie in den Arm zu nehmen und ihr so Trost zu spenden. Doch er unterdrückte es und blieb still sitzen.

„Trotzdem … danke. Danke, dass du deine Geschichte mit mir geteilt hast.“

Die Überwindung, die es sie gekostet hatte, die Erlebnisse noch einmal zum Leben zu erwecken, war fast physisch greifbar gewesen. Das war der dunkle Fleck in ihrer Vergangenheit. Sie war eine Unberührbare gewesen und hatte berührt. Der Junge, der sich in sie verliebt, der sie vielleicht sogar begehrt hatte, war dafür bestraft worden. War das der Grund für die Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn seit ihrer ersten Begegnung begleitete? Exodus glaubte nicht an irgendwelche Götter, nicht an Sonnen- oder Feuergötter … und trotzdem. Er hatte Giselle berührt und wollte es immer wieder tun, wollte ihre Haut spüren, wollte ihren Duft riechen. Jede Faser seines Körpers begehrte sie. War das sein Fehler? Würde auch er bestraft werden, früher oder später, weil er Giselle so nahe gekommen war und ihr kommen wollte? Von einer Feuergöttin? Exodus versuchte den Gedanken abzuschütteln. Wenn es das wirklich war, dann gab es keinen Grund, sich schlecht dabei zu fühlen, die Stimme weiterhin zu ignorieren. Giselle war aus dem Dienst der Göttin entlassen worden, auf gewisse Weise. Sie war bestraft worden, auch wenn Exodus das Gefühl beschlich, das Leben als Beschwörerin der Vahla selbst konnte als Strafe angesehen werden. Keine Berührung – sie mussten reine Wesen bleiben. Wieder fiel sein Blick auf Giselle, die nur wenige Centimeter von ihm entfernt saß und die er doch immer noch nicht berührt hatte, seit sie mit den Weingläsern zurück zum Strand gekommen war. Er war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt wollte. Sie wirkte so abwesend, dass er fürchtete, sie selbst mit der kleinsten Berührung zu erschrecken. Reine Wesen sollten die Beschwörerinnen sein und vieles davon hatte Giselle sich auch jetzt noch bewahrt. Sie hatte kein Verbrechen begangen, sie setzte sich für ihre Umwelt ein, für die Lebewesen und die Natur. Sie versuchte Streite zu schlichten, wenn sie konnte. Sie verbreitete positive Stimmung – in ihrer Anwesenheit konnte man sich nur gut fühlen. Jeder hier mochte sie.
Seine Überlegungen über die Ähnlichkeit ihrer beiden dunklen Geheimnisse konnte er damit wieder verwerfen. Nicht, dass er sich wirklich gewünscht hätte, Giselle hätte ähnliches getan, wie er. Doch es hätte es ihm leichter gemacht, seine eigene Geschichte zu erzählen. Er fühlte, dass er Giselle gerne die Wahrheit gesagt hätte. Aber er konnte nicht.
Eine Parallele konnte er in ihren Geschichten aber doch noch finden: Sie beiden teilten eine besondere Gabe. Er sprach mit der Macht und Giselle wurde von den Vahla die Fähigkeit zugesprochen, in direktem Kontakt mit der Feuergöttin zu stehen. Sie waren beide etwas Besonderes in ihrem Kulturkreis und wurden entsprechend anders behandelt. Es gab Vor- und Nachteile und diese schienen ihm auf den ersten Blick relativ ähnlich. Mit der Gabe waren besondere Regeln verbunden und der Bruch dieser Gesetze war unverzeihbar. Die Berührung eines Jungen – oder der Schritt zur dunklen Seite.


„Wie war das damals, als du ausgewählt wurdest, eine Beschwörerin zu sein?“

Seine Machtbegabung hatte er nie als Auswahl verstanden. Sie war einfach da gewesen, vererbt von den Vorfahren der Wingstons, eine natürliche Gegebenheit. Manchmal hatte er sich gefragt, ob er ohne diese Begabung besser dran gewesen wäre und nicht selten war die Antwort positiv ausgefallen. Trotzdem besaß er die Fähigkeit, konnte sie nicht abstellen oder sich dazu entschließen, die Macht nicht mehr zu hören. Er war erst als Erwachsener zu den Jedi gekommen, doch der Orden nahm auch Kinder auf und bildete sie aus. Die Jünglinge wurden von klein auf nach den Idealen der Jedi erzogen. Sie kannten vermutlich nicht viel von der Welt da draußen und der Vahla musste es ganz ähnlich gegangen sein. Giselle war als Privilegierte aufgewachsen, doch Exodus fragte sich ernsthaft, ob dies ein gutes Schicksal gewesen war. Es hatte Giselle nach Fresia gebracht, doch ebenso viel Leid und Trauer.

„Warum gerade du?“

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Seltsam, wie man manche Erlebnisse über die Jahre vergaß, während man sich an andere ein Leben lang erinnerte. Giselle kannte das Gefühl, wenn man versuchte etwas zu vergessen, es jedoch nicht abschütteln konnte. Es war wie eine Klette, die man sich im Wald einfing und die sich an der eigenen Haut fest saugte und sich nicht wieder entfernen ließ. Streifte man sie mit der Hand vom Bein ab, griff sie auf die Hand über. Sie legte sich um den Arm und um die Finger und wollte nicht los lassen. Genau so verhielt es sich mit Giselles Erinnerungen an die letzten Stunden, die sie bei ihrem Clan verbracht hatte. Sie hatte gehofft, über die Jahre würden ihr die Details entschlüpfen und die Bilder würden weniger intensiv, doch es hatte sich rein gar nichts geändert.

“Es muss dir nicht Leid tun.“

Sie wandte ihren Kopf in Exodus' Richtung.

“Du hast mich nicht erinnert. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke.“

Giselle beugte sich vor und griff nach dem Weinglas. Sandkörner perlten von der glatten Oberfläche, als sie es hoch hob. Nur dort, wo der Rand feucht von der Berührung ihrer Lippen gewesen war, blieben die Körner kleben. Mit einem Finger strich sie sie ab.

“Ich wurde auserwählt, als ich noch ein Säugling war. Folglich kann ich mich natürlich nicht erinnern.“

Allmählich begannen sich die Schleier, die die Welt hatten dunkler erscheinen lassen, wieder zu lichten. Giselle merkte, wie sie wieder zurück fand aus den fernen Landen, in die ihr Geist zuvor unter getaucht war.

“Es ist eine normale Prozedur, die bei jedem neugeborenen Mädchen durch geführt wird: die älteren Beschwörerinnen rufen die hohe Göttin und bitten sie, das Kind zu prüfen. In den meisten Fälle wird das Kind abgelehnt. Nur wenige werden von der Göttin erwählt. Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien sie geht. Ich weiß nicht, warum gerade ich erwählt wurde. Sie muss etwas in mir gesehen haben.“

Vielleicht war es Giselles Talent für den Tanz, das Talent für die perfekte Körperbeherrschung gewesen, dachte sie manchmal, das die Göttin schon damals in ihr erkannt hatte. Vielleicht hatte sie ihr auch beides erst geschenkt. Wer konnte das wissen? Qing'dao hatte einmal gesagt, Giselle tanzen zu sehen musste der Göttin das Herz aufgehen lassen. Ein Lächlen huschte über das Gesicht der Vahla. Qing'dao war über die Jahre ihre einzige Verbündete geblieben. Sie war als kleines Mädchen zu ihrem Volk gestoßen, als man sie mutterseelenallein durch die Wüsten Ambrias hatte streifen sehen. Ihre Eltern waren getötet worden. Zuerst hatte man es nur angenommen, später hatte man ihre Leichen gefunden. Die Vahla hatten Qing'dao aufgenommen, ein quirliges Twi'lek Mädchen, das unter ihnen optisch hervor stach wie ein bunter Bantha, und sie wie eine der ihren aufgezogen.

“Ich habe noch Kontakt zu einer meiner Schwestern.“

Sagte Giselle.

“Heimlich. Sie hat mich dazu überredet, ihr hin und wieder zu schreiben, obwohl es für sie gefährlich ist. Aber sie ist vorsichtig, hoffe ich. Ich schreibe ihr von meinen Reisen, von den Leuten die ich treffe, von den Orten die ich besuche. Sie löscht jede Nachricht, sobald sie sie gelesen hat. Das war meine Forderung an sie. Ich möchte nicht, dass sie wegen mir Ärger bekommt.“

Obwohl sie da draußen nichts erkennen konnte, richtete Gisellen ihren Blick wieder hinaus auf das Meer. An einem Tag wie heute, an dem es überwiegend windstill gewesen war, waren die Wellen nicht besonders hoch gewesen, doch an anderen Tagen schienen sie alles unter sich begraben zu können. Auf den Tiefen des Meeresbodens mochten viele Schätze ruhen, an die seit Jahrzehnten oder sogar seit Jahrhunderten niemand gedacht hatte. Giselles Sünden, so wusste sie, würden für lange Zeit unvergessen bleiben.

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Nachdem sich der wilde, rauschartige Bildersturm in seinem Kopf beruhigt hatte und es Exodus gelang, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – auf das Flüstern des Meeres und das Funkeln der Sterne – wurden seine Gedanken rationaler und klarer. Giselle hatte ihm einige neue Informationen gegeben. Nichts davon war in ihrem Lebenslauf erwähnt, nur die Tatsache, dass sie einem Vahla-Clan entstammte. Alles andere … wie hätten bloße Bulletpoints in einem tabellarischen Lebenslauf irgendetwas davon widerspiegeln können? Sie war fünfzehn gewesen, bei ihrer Verbannung. Über 10 Jahre lagen die Ereignisse zurück und dennoch erklärte sie, jeden Tag daran zu denken. Wie häufig waren die Bilder in ihrem Kopf wohl schon abgespult worden – wieder und wieder und wieder? Exodus scharte mit den Füßen im Sand, verspürte den Drang sich in das Meer zu werfen, zur Abkühlung. Dabei war ihm gar nicht warm.

„Wieso hat sich deine Schwester dazu entschlossen, die Regeln zu missachten? Ich meine … so wie du es beschrieben hast, muss sie jederzeit mit Bestrafung rechnen. Vom Clan und von der Göttin.“

Wieder zog er gedanklich die Parallele zu seiner eigenen Vergangenheit. Exodus war noch nie ein Freund von Regeln gewesen und Giselles Geschichte unterstrich diese Abneigung nur. Er hatte sich damals selbst den Regeln des Jedi-Ordens widersetzt und mit seinem Bruder Kontakt aufgenommen, obwohl dieser auf der falschen Seite gestanden hatte. Den Jedi hatte das nicht gefallen … und doch waren manche Bande stärker, musste manche Regeln gelegentlich gebrochen werden. So sah es wohl auch Giselle Schwester und Exodus war froh darüber. Dieser Kontakt musste ihr über die Jahre Hoffnung gespendet haben. Die Tatsache, dass sich noch jemand um sie kümmerte.

„Kam so etwas häufiger vor? Die Verbannung von Beschwörerinnen …“

Bei den Jedi war er nicht der einzige gewesen, der sich von der dunklen Seite hatte verführen lassen. Es hatte immer wieder solche Fälle gegeben: Padawane, Ritter, auch Meister. Wie konnte der Rat nie erkannt haben, dass die Regeln nutzlos gewesen waren? Es hätte eine bessere Vorbereitung auf die dunkle Seite geben müssen, nicht die bloße Verteufelung, zu dieser Erkenntnis war Exodus schon vor Jahren gekommen. Die Vahla schienen ähnlich blind zu handeln wie die Jedi es getan hatten – eine Berührung hatte ausgereicht und schon war Giselle ein beflecktes Wesen gewesen. Befleckt und verstoßen. Er presste die Lippen vor Bitterkeit zu einem dünnen Strich zusammen.

„Ich kann mir das nur schwer vorstellen.“

gestand er leise ein und obwohl es klang, als meinte er die Verbannung von Beschwörerinnen, bezog er sich doch auf etwas anderes, etwas über das er schon die ganze Zeit nachdachte. Sie war fünfzehn gewesen. Fünfzehn! Jung, allein und unschuldig. Ein halbes Kind, fortgeschickt von allem, was sie gekannt hatte.

„In meiner Kultur werden fünfzehnjährige noch als Kinder bezeichnet. Erst drei Jahre später, mit achtzehn, gilt man als erwachsen.“

Sie hatte ihre Tätowierung mit vierzehn erhalten. Selbst nach den Maßstäben der Vahla hatte sie damit gerade erst ihre Reife erreicht. Exodus blickte vom Meer hinüber zu Giselle, diesmal eindringlicher.

„Wie hast du das gemacht? Wie hast du es geschafft, dich so jung alleine durch die Galaxis zu schlagen?“

Seine Stimme enthielt einen Hauch Bewunderung, obwohl er noch viel mehr Respekt vor ihr verspürte, als er es ausdrücken konnte und wollte. Zu diesem Teil der Geschichte gab es in seinem eigenen Leben keine Parallele. Er war behütet aufgewachsen und später aus eigenem Willen zu den Jedi gegangen. Er hätte immer zurückkehren können, konnte es auch heute noch. Nach nur wenigen Monaten bei den Jedi, war er bei seinem Vater zu Besuch gewesen – sie hatten gegessen und geredet wie früher, so als wäre nichts geschehen. Diese Möglichkeit hatte man Giselle verwehrt. Sie hatte diese Chance niemals bekommen. Und so wie es bei ihr geklungen hatte, würde es die Gelegenheit ihre Schwester oder ihre restliche Familie wiederzusehen, auch nie mehr geben.

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Ein Stern nach dem anderen war inzwischen am Himmel aufgegangen. Wo zuvor nur vereinzelte Lichter im Dunkel gefunkelt hatten, war nun an ganzes Meer von glitzernden Steinen zu sehen. Leuchtende Inseln inmitten der Nacht. Giselle liebte diesen Anblick. Über jedem Planeten, den sie bereits besucht hatte, sah der Nachthimmel anders aus. Es waren andere Sterne, andere Konstellationen, fremde Bilder mit ihr unbekannten Namen und dennoch lag eine Vertrautheit in ihnen, die sie als beruhigend empfand. Auch wenn sie noch so weit von Kashyyyk entfernt war, konnte sie sich unter den weiten Sternenhimmel legen und sich vorstellen, sie wäre wieder zurück. Es war nicht das selbe und würde nie das selbe sein, aber es war so nah wie sie eben heran kam um die Vergangenheit nicht verschwinden zu lassen.

“Verbannungen kamen bei uns nie vor, jedenfalls nicht so weit ich mich zurück erinnern kann und es wurde auch nie von ähnlichen Fällen erzählt.“

Beantwortete Giselle Exodus‘ Frage. Natürlich war es möglich, dass solche Geschehnisse unter Verschluss gehalten worden waren, doch darüber zu spekulieren war müßig und vollkommen sinnlos. Von dem, was Giselle selbst erlebt hatte und was sie wusste, war eine Verbannung, außer ihre eigene, nie vorgekommen.

“Meine Schwester ist… fürsorglich.“

Redete sie weiter.

“Das war sie schon immer. Sie hat sich früher um mich gekümmert, als wir noch klein waren, und nie damit aufgehört.“

Giselle lächelte. Sie konnte sich daran erinnern, als sie einmal hingefallen war und sich die Hände aufgeschürft hatte. Ihre Handflächen waren mit Blut und Dreck verschmiert gewesen und sie hatte gebrüllt wie am Spieß. Qing’dao hatte sie am Arm gepackt, zur nächsten Wasserstelle gebracht und sie gewaschen, bis sie wieder wie neu aussah. Sie waren ein ulkiger Anblick gewesen: zwei kleine dünne Mädchen, die eine eine braun gebrannte Vahla mit dunklen Haaren, die ihr bis zum Bauchnabel hinunter reichten, und die andere eine Twi’lek mit blassblauer Haut und einem Staga-Kälbchen an ihrer Seite, das ihr überall hin folgte.

“Sie ist eigentlich nicht meine richtige Schwester.“

Nur für einen Moment löste Giselle ihren Blick ab vom Himmel, um kurz zu Exodus hinüber zu sehen, bevor sie sich zurück lehnte, sich in den Sand sinken ließ und auf dem Rücken liegend die Lichter über sich betrachtete.

“Qing’dao ist eine Twi’lek. Der Clan hat sie adoptiert, als wir noch Kinder waren. An die Zeit ohne sie kann ich mich gar nicht erinnern, aber sie weiß noch Bruchstücke aus ihrem früheren Leben. Ich glaube einfach, es fällt ihr schwer los zu lassen, weil sie schon so viel verloren hat.“

Die Erklärung erschien Giselle einleuchtend. Qing’dao wollte sich, das konnte sie ab und zu in ihrer Korrespondenz zwischen den Zeilen heraus lesen, noch immer nicht damit abfinden, dass sie sich nie mehr wieder sehen würden. Der Kontakt und die Bindung zu Giselle waren ihr so wichtig, dass sie sich dafür sogar über die Wünsche der Ältesten hinweg setzte, wenn auch nur heimlich. Giselle hoffte nur, dass dies niemals heraus kommen würde. Sie könnte es sich nicht verzeihen, würde Qing’dao wegen ihr leiden. Giselle setzte sich aus ihrer liegenden Position wieder auf, den Körper in Exodus‘ Richtung gewandt. Er hatte gefragt, wie sie sich damals alleine durch die Galaxis hatte schlagen können, dabei war das gar nicht schwierig gewesen. Die Vahla waren ein Volk, das die Gemeinschaft und den Zusammenhalt schätzte, doch man lernte auch alleine zurecht zu kommen und vor allem, in der Wildnis zu überleben. Außerdem war es nicht so, als wäre Giselle lange alleine gewesen. Sie war gut darin, neue Bekanntschaften und Freundschaften zu schließen.

“Am Anfang hatte ich natürlich Angst.“

Gestand sie.

“Die Wälder auf Kashyyyk sind nicht ungefährlich, aber es gelang mir, mich zu einer der größeren Städte durchzuschlagen und dort habe ich mit dem Geld, das die Ältesten mir mitgegeben hatten, einen Flug nach Alderaan bezahlt. Es war das nächstliegende Ziel, die nächstbeste Möglichkeit den Planeten zu verlassen, also habe ich nicht lange überlegt.“

Seltsamerweise erschien Giselle diese Reise viel weiter zurück zu liegen als die Geschehnisse, die noch einige Tage weiter zurück lagen und die sie gerade erst wieder in ihrer Erzählung nach erlebt hatte. Das mochte daran liegen, dass sie diese Zeit wie durch einen Nebelschleier wahr genommen hatte. Sie war traurig, verzweifelt und verwirrt gewesen, aber auch wütend. Es waren eine ganze Menge Dinge gewesen, die sie hatte verarbeiten müssen. Vermutlich hatte ihr Verstand es nicht geschafft, diese Flut von Gefühlen und neuen Eindrücken komplett lückenlos zu verarbeiten, sodass ihre Erinnerung getrübt war.

“Auf Alderaan habe ich mich eine Weile am Rande der Städte und in den Wäldern herum gedrückt, ehe ich mich getraut habe mich unter die Menschen zu mischen. Ich sprach kein Basic, was es mir anfangs schwer machte und ich schloss mich einer Gruppe von Straßenkünstlern an. Dort passte ich ganz gut hinein, denn ich sah anders aus als die meisten.“

Im Gegensatz zu den gut kleideten Alderaanern in ihren langen, edlen Gewändern, hatte Giselle damals gewirkt wie ein dürres Mädchen in Lumpen. Ihre langen Haaren waren struppig und ungepflegt gewesen, ihre Kleidung fleckig und freizügiger als es auf Alderaan üblich war.

“Ich habe ein paar Tage für sie getanzt, während sie Musik machten. Das war das einzige, das ich konnte. Dann entdeckte mich Madame Eloise. Sie unterrichtete Ballett, fragte wer ich sei und woher ich kam und nahm mich mit nach Belleau-a-Lir.“

In diesem Moment hatte Giselles neues Leben begonnen. Sie hatte eine Ausbildung im klassischen Ballett absolviert, neue Freunde gefunden und die Sprache gelernt, die der Rest der Galaxis sprach. In dieser Zeit hatte sie begonnen ihr Schicksal zu akzeptieren und die Göttin jeden Abend in ihrem Gebet um Vergebung zu bitten. Es hatte noch lange gedauert, bis sie wirklich wieder glücklich war, doch es war jeden Tag ein bisschen besser geworden. Ihre Liebe und ihre Leidenschaft zum Tanz und zum Ballett hatten ihr dabei geholfen und später, natürlich, Morten. Erneut fiel Giselle auf, was für ein guter Zuhörer Exodus war. Er war ein Mann, der seine starken Arme um eine Frau legen und ihr das Gefühl geben konnte, dass nichts in der Galaxis ihr etwas anhaben konnte. So war es gewesen, als er sie aus dem Wasser getragen hatte, nachdem sie von den Klippen gesprungen waren. Exodus Wingston war ein Beschützer.

“Hast du schon einmal das Gefühl gehabt, alles hinter dir zu lassen und vollkommen neu anzufangen?“

Wollte sie von ihm wissen und sah ihn interessiert an.

“Es ist mir zuerst schwer gefallen, weil ich mir gewünscht hätte die Zeit zurück zu drehen und alles ungeschehen zu machen, doch später habe ich es als neue Chance empfunden. Ich kann nicht ändern was geschehen ist – ich kann nur ändern, was geschehen wird.“

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | bei Giselle ]

So wie Giselle von ihr erzählte, klang Qing’dao wie das Idealbild einer großen Schwester: Stets fürsorglich, auch als Kind schon, und nun über alle Widerstände hinweg immer noch. Trotz der traurigen Geschichte, in die diese kleine Episode eingewoben war, musste Exodus lächeln. Aramân war ihm ein ebenso guter großer Bruder gewesen, nachdem sie sich als Erwachsene gefunden hatten. Es war schon kurios: Giselle hatte in ihrer Kindheit und Jugend eine Schwester gehabt, die eigentlich keine war, denn Qing’dao war eine von den Vahla adoptierte Twi’lek – Exodus hatte einen leiblichen Bruder und ihn trotzdem erst viel später kennengelernt. Vielleicht überging Qing‘dao die Regeln der Clan-Ältesten auch deshalb und hielt den Kontakt zu Giselle – weil sie nicht von klein auf die Lehren der Vahla aufgesogen und zuvor andere Dinge gelernt hatte. Giselles eigene Überlegungen gingen in eine andere Richtung: Qing’dao hatte zu viel verloren, als dass sie noch mehr Verluste erleiden wollte – und deshalb hielt sie Kontakt. Das klang nach einer weiteren traurigen Geschichte …

Seine Frage nach weiteren Verbannungen im Clan beantwortete Giselle ziemlich eindeutig: Es hatte keine gegeben. Entweder hatten andere, die ähnliche ‚Verbrechen‘ wie Giselle begangen hatten, es besser verborgen oder die Ältesten des Clans hatten sehr viel Sorgfältigkeit bei der Verbergung solcher Geschichten gehegt. Möglich war beides – die Tatsache, dass sich alle anderen Beschwörerinnen seit jeher an die Regeln gehalten hatten, schloss Exodus allerdings aus. Es war fast egal, welche Kultur man sich ansah: Heranwachsende der beiden Geschlechter entwickelten früher oder später ein Interesse füreinander, verliebten und berührten sich. Bei den Vahla war das mit Sicherheit ganz genauso. Exodus stutzte, als ihm ein neuer Gedanke kam: Wie wäre es wohl mit Giselle weitergegangen, wenn sie den Clan nicht verlassen hätte? Wäre sie auf ewig eine Unberührbare und damit auch Unberührte geblieben? Wie waren wohl die Regeln für erwachsene Beschwörerinnen?
Er würde später darauf zurückkommen und Giselle fragen müssen. Zunächst war sie es, die, nachdem sie von ihren Erlebnissen auf Alderaan erzählte, eine Frage stellte. Ihre Zeit ohne den Clan hatte sie zuerst grauenhaft gefunden und später als Chance aufgefasst, erklärte sie. Eine Chance zum Neuanfang. Sie wollte wissen, ob Exodus sich jemals ähnlich gefühlt hatte. Er legte seine Stirn in Falten.


„Hmm …“

Er begegnete nur kurz ihrem Blick und sah dann wieder hinaus auf das Meer, lauschte für einige Sekunden schweigend dem Klang der Wassergewalten. Was war das nur mit dem Ozean, das einem immer das Gefühl vermittelte, besonders gut nachdenken zu können, wenn man den Wellen bei ihrem ewigen Spiel der Gezeiten zusah und -hörte? Vermutlich war es die Unendlichkeit, die das Meer ausstrahlte. Aber nicht in einem Sinn, dass man sich darin verlieren könnte. Nein, das Meer war einfach immer da. Es war etwas beständiges und damit irgendwie … beruhigend.

„Ich glaube, ich hatte bisher immer nur das Gefühl, der Vergangenheit hinterher zu laufen. Fehler auszubügeln. Ich habe das alles mit mir herumgeschleppt, all die Dinge, die nicht hätten passieren dürfen.“

Nur kurz, als er zu den Jedi gegangen war, hatte er an einen Neuanfang geglaubt. Aber auch da hatte er niemals alles zurück- und loslassen wollen. Den Kontakt zu seinem Vater hatte er stets gehalten.

„Ich habe nie losgelassen, habe immer versucht alles in meinem Leben zu einem großen Bild zusammenzusetzen. Ein Bild, das am Ende meiner Idealvorstellung entsprechen sollte.“

Er zuckte mit den Achseln und sein Blick begegnete Giselles.

„Dazu kam es aber nie. Stattdessen bin ich jetzt hier.“

Mit seiner rechten Hand fuhr er langsam durch den abkühlenden Sand, bis er nach einer Faust voll griff und die Körner langsam durch die Finger gleiten ließ.

„Aber Fresia …“

Mit einem Mal öffnete er die Faust wieder und entließ alle Sandkörner aus seinem Griff. Erneut sah er zu Giselle, diesmal lächelnd.

„Fresia fühlt sich tatsächlich nach einem Neuanfang an. Zum ersten Mal. Ich kann zwar nicht alles hinter mir lassen, … aber mehr als ich gedacht hätte.“

Auch in der tiefsten Dunkelheit konnte es Hoffnungsschimmer geben. Als gebrochener Mann war er hierher gekommen – oder zumindest hatte er sich so gefühlt – dann hatte er diese Tänzerin in Hill City gesehen und plötzlich …
Giselle war für ihn wie das Feuer, das sie am Strand entzündet hatten. Ein Licht in der Dunkelheit, in dessen Nähe er sich immer gern aufhielt, das gute Laune verbreitete, das Wärme spenden konnte.


„Das ist übrigens auch dein Verdienst.“

Er zwinkerte ihr lächend zu, beobachtete sie noch einen Moment und sah dann wieder hinaus aufs Meer. Wenn Giselle bei den Vahla geblieben wäre, hätten sie sich niemals getroffen. Vermutlich wäre der Flirt mit seiner Begleiterin der Red Square Bar ohne große Folgen geblieben. Sie hätten ein-, zweimal das Bett geteilt und wären danach wieder ihrer eigenen Wege gegangen. Bei Giselle hatte er es noch nicht so weit geschafft und trotzdem bereute er keine Sekunde der Zeit, die er mit ihr verbracht hatte.

„Wie verläuft das Leben einer Beschwörerin normalerweise weiter? Bleibt sie auf ewig unantastbar? Muss sie bis zum Ende … rein bleiben?“

Seine Stimme sprach für aufmerksames Interesse, auch wenn es ihm schwer fiel den Gedanken hinter den Bräuchen der Vahla zu folgen. Aber wenn Giselle seine Nachfrage bestätigte, hätte er zumindest einen weiteren Grund für den Glauben, dass nicht alles an ihrer Geschichte schlecht war. Dass sie doch noch berühren durfte, dass es so etwas wie ein Happy End geben konnte. Es hätte alles ganz anders kommen können. So war es immer. Doch Giselles Weg hatte nach Fingers Mark gefühlt – genau wie Exodus‘.

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | bei Giselle ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –

Zwei Dinge, die Exodus sagte, brachten Giselle zum Lächeln. Das erste war, dass sich Fresia für ihn nach einem Neuanfang anfühlte, was durchweg positiv war, wenn er im gleichen Atemzug über die Fehler seiner Vergangenheit nachgedacht hatte, denen er sein Leben lang mit sich getragen hatte. Giselle hatte ihren Anteil daran, dass es ihm besser ging. So etwas zu hören war schön und es veranlasste die Vahla, sich vorsichtig zu fragen, ob er vielleicht doch mehr in ihr sehen konnte. Sie beabsichtigte nicht, sich Hoffnungen zu machen, doch wenn er sagte, dass sie einer der Gründe dafür war, dass es ihm besser ging, dann konnte sie ihm nicht vollkommen gleichgültig sein, auch wenn dies noch immer nicht ausschloss, dass er lediglich von Freundschaft sprach. Das Zweite, das er sagte war eigentlich eine Frage. Giselles Mundwinkel hoben sich, als er wissen wollte, ob Beschwörerinnen ihr Leben lag unantastbar waren. Die Art wie er es formulierte, klang, als wäre es etwas schlechtes. Auf eine sympathische Art und Weise passte es zu ihm, dass er so dachte.

“Die Reinheit einer Beschwörerin ist keine Bürde.“

Klärte sie ihn auf, auch wenn sie vermutete, dass es ihm schwer fallen würde, dies zu verstehen.

“Der Göttin zu dienen ist eine Ehre und für eine Bindung mit ihr erwählt zu werden ist das Höchste, das eine Frau innerhalb des Clans erreichen kann.“

Giselle veränderte ihre Sitzposition und fuhr sich durch die Haare.

“Du magst denken, es wäre etwas schlechtes, nicht zuletzt weil ich mich widersetzt habe, aber ich habe es nicht getan weil ich mich von einem Zwang lösen oder einem Gesetz ausweichen wollte, von dem ich mich unterdrückt fühlte. So war es nicht. Ich habe es getan ohne nachzudenken. Es war egoistisch und dumm und ich habe meine Strafe zu recht erhalten.“

Giselle Givenchy zeigte erneut ein Lächeln. Es war kein fröhliches Lächeln, sondern das einer Frau, die viel dazu gelernt hatte und bereit war zu akzeptieren. Die vergangenen Jahre hatten ihr dabei geholfen. Jede Station ihres Lebens hatte sie etwas gelehrt.

“Aber um deine Frage zu beantworten: ja, unter normalen Umständen bleibt eine Beschwörerin ihr Leben lang unberührt. Sie ist eine Unantastbare von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod, denn sie dient Zeit ihres Lebens unserer Feuergöttin - es sei denn, sie wird ihres Amtes enthoben und von ihrem Volk verbannt.“

Mit den Händen fuhr sich Giselle über die bloßen Beine. Die Hitze der vergangenen Tage war noch nicht aus der Luft gewichen, sodass es noch angenehm lau war, doch schon bald würde es kühler werden. Mit dem Verschwinden der Sonne und der andauernden Dunkelheit würden auch die Temperaturen die nächsten Tage über fallen.

“Ich wünsche dir, dass du noch eines Tages das Bild deiner Idealvorstellung findest, Exodus Wingston.“

Sagte Giselle und wandte ihren Kopf in seine Richtung. Drüben im Camp hatte die Musik aufgehört zu spielen.

“Ob es existiert oder nicht, es schadet nicht danach zu suchen. Wer weiß, vielleicht stellen wir in ferner Zukunft, wenn wir alt sind, fest, dass wir es für einen Moment unseres Lebens in den Händen gehalten haben, ohne es zu wissen. Rückblickend ist immer alles viel leichter.“

Sie hob die Schultern und ließ sie ein paar Mal kreisen um sie zu lockern. Die dunkle Nacht wurde nur erhellt von den Sternen am Himmel und dem munter tanzenden Feuer im Lager der Wingston Corporation. Man würde über sie reden, hinter ihrem Rücken. Der Geschäftsführer und seine Assistentin hatten sich abgesetzt und auch wenn sie sich noch in Sichtweite befanden und die Crew theoretisch sehen konnte, dass sie nicht dabei waren, im Sand übereinander herzufallen, würde man sich sicherlich fragen, was sie so vertrauliches zu besprechen hatten, dass sie die Zweisamkeit hatte suchen lassen. Giselle hörte lautes Rufen, die Stimmen der Nautolaner und sah die schattigen Umrisse der Mitarbeiter vor dem Feuer. Obwohl die Musik zu spielen aufgehört hatte, war die Stimmung noch immer ausgelassen. Gleich würden die Instrumente wieder einsetzen und vielleicht würde wieder jemand tanzen. Giselle lächelte, als sie an ihren Tanz mit Exodus dachte und sah im gleichen Moment, wie sich eine Gestalt aus der Menge löste und sich in ihre Richtung bewegte. In der Dunkelheit konnte sie nicht viel erkennen und es dauerte einige Sekunden bis sie begriff, dass sich die Stimmung im Camp sehr wohl verändert hatte. Es war kein Gelächter mehr zu hören. Die Stimmen, die zu ihnen herüber schallten, wirkten aufgeregt.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Exodus –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand | bei Giselle ]

Es gab Momente, in denen man die offensichtlichsten Dinge in Frage stellen musste. Die einfachsten Rechnungen. Eins plus eins ergab zwei. Das wusste Exodus sicher. Giselle hingegen erklärte ihm gerade, dass es drei ergab. Drei, nicht zwei. Exodus stutzte bei ihren Worten, auch wenn er fast mit der Antwort gerechnet hatte. Die Beschwörerinnen der Vahla waren ihr Leben lang unberührte, unbefleckte Wesen. Es war eine große Ehre, sagte Giselle und entspechend waren die Frauen zufrieden damit. Und das war etwas, das Exodus nicht verstehen konnte. Das war die drei in der Rechnung, die eigentlich eine zwei hätte sein sollen. Er konnte nachvollziehen, dass es etwas Besonderes und Schönes war, auserwählt zu sein – diesen besonderen Draht zu der Feuergöttin Vahl zu haben. Hier konnte er wieder die Parallele zu den Jedi ziehen: Ein Machtnutzer zu sein, vom Orden für die Ausbildung ausgewählt zu werden – darüber hatte auch er sich gefreut. Es war eine Ehre gewesen, es hatte ihn mit Stolz erfüllt. Für diese Ehre aber auf die natürlichsten und schönsten Dinge des Lebens zu verzichten, konnte er sich nicht vorstellen. Es gab Jedi, die der Ansicht folgten, ein Machtnutzer solle nicht lieben und darin den Ältesten der Vahla ähnelten. Denn Liebe, so argumentierten sie, führte zu Hass. Und Hass führte zur dunklen Seite. Doch Exodus‘ Erfahrung widersprachen dieser Auffassung. Die Liebe zu Arica war es gewesen, die ihn im Sith-Orden davor bewahrt hatte zu einem Monster zu werden. Über das Gefühl der Liebe hatte er sich seine Menschlichkeit bewahrt. Wie konnte das etwas schlechtes sein?
Nun, anders herum betrachtet … wenn er Yuna nicht kennen und lieben gelernt hätte …
Er verwarf den Gedanken, fast grimmig darüber, ihn überhaupt gehabt zu haben. Ohne Yuna und ohne die Kinder wäre sein Leben nicht besser gewesen. Möglicherweise hätte er manches Leid nicht erfahren – aber auch viele Freuden nicht. Giselle sagte, sie hätte sich nicht durch die Regeln der Vahla unterdrückt gefühlt und ihre Tat war eine Dummheit gewesen. Exodus glaubte ihr und dachte trotzdem insgeheim, dass sie, trotz des Leids, das ihre Verbannung gebracht hatte, auch etwas Gutes dafür eingetauscht hatte. Und wenn es nach ihm ging, teilte er diese guten Dinge gerne mit ihr. So wie ihren kurzen Tanz am Feuer.


„Es fällt mir etwas schwer, das nachzuvollziehen.“

gab er schließlich zögerlich zu. Er wollte nicht respektlos erscheinen und er hoffte, das Giselle es nicht so auffasste. Und dennoch wollte er die Vahla auch nicht anlügen, zumindest nicht in diesem Gespräch.

„Aber ich bin auch nicht in deiner Kultur groß geworden, mit deiner Religion. Und ich habe gelernt, dass es so viele Unterschiede, Meinungen und Glaubensrichtungen in der Galaxis gibt, dass man nur aufmerksam zuhören und daraus lernen kann – auch wenn man es nicht auf Anhieb versteht.“

Es war ein schwieriges Terrain, auf dem er sich hier befand. Gespräche über Religion und Glauben konnten schnell die heftigsten Emotionen auslösen – und vieles zerstören, was zuvor mühsam aufgebaut worden war. Er lächelte sie an.

„Also … danke für die Erklärung. Und vielleicht werde ich, wenn ich genug zugehört und gelernt habe, auch wirklich das Bild meiner Idealvorstellung finden.“

Giselle hatte Recht: In der Vergangenheit Fehler zu erkennen, war leicht. Die Fehler vorauszuahnen und sie gar nicht erst zu machen: Das war die Schwierigkeit des Lebens. Manche Fehler wiederum musste man erst machen, bevor man sie beim nächsten Mal vorhersehen konnte. Sein Blick traf wieder die Vahla, die neben ihm im Sand saß und ein Schauer lief ihm den Rücken hinab. Etwas war anders. Die Stimmung war anders. Ihr Blick fing weder seinen auf, noch verlor er sich im Meer. Sie sah zurück zum Camp. Exodus folgte ihr zaghaft – und plötzlich sah er eine Gestalt auf sich zu rennen. Überall war Bewegung. Die Musik hatte aufgehört zu spielen. Stattdessen wilde Rufe und Panik in der Luft. Was war los? Wie hatte ihm das nicht auffallen können?!

„Sir, schnell! Die Plattform – dort ist ein Feuer!“

Dan’els Stimme. Der Pilot hastete über den Strand und Exodus sprang ebenso schnell auf die Füße. Sein Körper reagierte schneller als der Kopf. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er registriert hatte, was Dan’el gesagt hatte. Ein Feuer. Auf der Plattform. Die Lumium Plattform.

„Was?!“

fragte Exodus reflexhaft, ehe er sich zu Giselle umdrehte, als erwartete er, sie würde ihn darüber aufklären, dass Dan’el wirr redete. Dann suchte sein Blick den Horizont ab. Die Plattform. Normalerweise konnte man sie von hier aus gar nicht sehen. Heute Nacht schon. Obwohl nur ein kleiner Teil von ihr in der Dunkelheit leuchtete, war es kaum zu übersehen.

„Verdammt!“

Exodus‘ Pulsschlag beschleunigte sich, doch für den Moment stand er still im Sand. Seine Zehen verkrampften sich, als suchten sie Halt. Ruhig bleiben. Konzentriert bleiben. Ein Feuer … ein Feuer. Was konnten sie tun?

„Wir müssen sofort zur Plattform!“

bestimmte er und plötzlich setzten sich auch seine Beine wieder in Richtung Camp in Bewegung, fanden Halt im weichen Sand. Giselle tat es ihm gleich und auch Dan’el wechselte die Richtung und lief jetzt neben ihm her. Er war der Chef. Er musste die Zügel in die Hand nehmen. Er wusste, dass er dazu in der Lage war. Exodus Wingston war ein Anführer. Der Sand wirbelte unter ihren schnellen Schritten auf.

„Dan’el, mach den Gleiter startklar. Giselle, du kommst mit uns.“

Seine Füße trugen ihn zurück zum Camp und zu ihrem Lagerfeuer, das mit einem Mal gar nicht mehr romantisch und heimelig wirkte. Die Plattform brannte. Wie hatte das passieren können? Wie in aller Welt hatte das passieren können?!

„Fleetfire soll den zweiten Gleiter fahren. Wir müssen so viel von dem Lumium da runter schaffen, wie möglich!“

Er richtet seine Worte an niemand bestimmten, am ehesten noch an Giselle und Dan’el, die ihm eiligen Schrittes folgten. Er blickte kurz über alle Anwesenden und erhob die Stimme: Die folgende Worte, sollte jeder hier mitbekommen. Sie mussten verstehen, was auf dem Spiel stand. Schnelles Handeln war jetzt das allerwichtigste, hatte oberste Priorität

„Wir müssen jetzt schnell handeln! Lumium reagiert heftig auf große Hitze. Wenn das Zeug Feuer fängt – dann wird es völlig wertlos.“

Die Schwere seiner Worte war fast greifbar. Vermutlich hatten das nicht viele von ihnen gewusst, doch es war eine der Informationen gewesen, die Bas Goarland in seinem Dossier hinterlassen hatte. Wenn sie die Plattform nicht retten konnten, war der ganze Aufwand umsonst – alle Arbeit der letzten Wochen und Monate. Einfach weg. Verbrannt, zu Kohle verkommen, keinen Credit mehr wert.

„Haben wir irgendwelche Feuerlöscher hier? Irgendetwas, das wir dem Feuer entgegen stellen können?!“

Dan’el zögerte nur einen Moment. Auch der ehemalige Soldat war solche Situationen gewohnt. Schnelle Reaktionen, aber nichts Überstürzen. Konzentriert bleiben. Es war nicht die Unsicherheit, die ihn zögern ließ – er dachte nach.

„Nein, Sir.“

„Dann muss es so gehen.“

Wieder erhob Exodus die Stimme, über das Gewirr und Geplapper der anderen hinweg.

„Maximal sechs Mann pro Gleiter. Teilt euch nach Schichten auf – Schicht A kommt mit Dan’el, Schicht B mit Fleetfire. Sechs Leute! Wir brauchen den restlichen Platz für das Lumium.“

Exodus klatschte in die Hände und trieb die Crew an.

„Los, los, los! Alle zur Bucht!“

Er gab sich selbst einen Moment, um die Lage noch einmal zu sondieren. Zwei Gleiter, mehr hatten sie nicht. Jeweils sechs Leute, andernfalls würden sie nicht genug des Lumiums transportieren können. Es musste reichen. Es musste einfach. Mit zusammengekniffenen Augen ließ er seinen Blick über das Meer fahren. Das gleißende Licht am tiefschwarzen Horizont war nur ein kleiner leuchtender Punkt und trotzdem fast blendend hell. Selbst von hier aus, hatte er das Gefühl erkennen zu können, wie die Flammen langsam größer wurden. Die Flammen … wie konnte auf der Plattform überhaupt ein Feuer entstehen?! Das Ding schwamm mitten im Ozean! Es war unmöglich, das dort ein Feuer ausbrechen konnte! Exodus‘ Blick fiel auf Giselle, die den Nautolanern gerade in Erinnerung rief, wer sich in welcher Schicht befand und damit zu welchem Gleiter musste. Eine kluge und schnelle Reaktion. Und trotzdem musste er schlucken. Giselle war eine Beschwörerin der Feuergöttin Vahl. Die Feuergöttin. Er wusste, dass es Unsinn war – und trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, das ihn eine höhere Macht für irgendetwas bestrafen wollte.
Er riss sich von dem Gedanken los und landete wieder im Hier und Jetzt.


„Fleetfire! Verdammt, wo ist Fleetfire?!“

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp | mit Giselle und Wingston-Crew ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand - Camp – Mit Exodus und Wingston Crew –

Alles ging schnell. Innerhalb von nur zwei Minuten waren sie nicht nur wieder zurück im Camp, sondern hatten auch schon alle Nautolaner zusammen getrommelt und einen Plan aufgestellt. Exodus hatte einen Plan aufgestellt. Die Plattform im Meer, auf der das Lumium lagerte, das sie in den letzten Wochen mühsam abgebaut hatten, brannte. Feuer. Wie war das möglich? Giselle war hinter Exodus und Dan'el zurück zum Camp gelaufen. Sie hatte neben Exodus gestanden, als er seine Leute angewiesen hatte sich mit zwölf Mann auf die beiden Gleiter zu verteilen. Feuerlöscher besaßen sie nicht. Gedanklich machte sich Giselle eine Notiz. Warum besaßen sie keine? Das war eine große Lücke in den Sicherheitsmaßnamen für das Camp und die Mitarbeiter und konnte zu einem Problem werden, wenn die Wingston Corporation gegenüber ihrer Versicherung Verluste beklagen würde. Doch solche Überlegungen mussten warten. Jetzt mussten sie handeln.

“Taku! Bring ein paar Behältnisse mit! Ein paar Eimer!“

Rief Giselle dem Nautolaner zu, dessen schnelle Beine ihn gerade zum Versorgungszelt trugen. Die Hektik im Camp war groß und für einen Moment konnte Giselle Exodus nicht mehr sehen. Er war schon auf dem Weg zur Anlegestelle. Zu ihrer rechten Seite tauchte plötzlich Jost Fleetfire aus irgendeiner dunklen Ecke auf. Er war noch dabei seine Hose zuzuknöpfen und stolperte fast über seine eigenen Füße. Der Himmel allein wusste, was er getrieben hatte.

“Schnell, Jost, lauf! Wir müssen hinunter zur Bucht. Auf dich kommt es jetzt an!“

Trieb Giselle den Piloten an, der die Beine in die Hand nahm und so schnell lief wie er konnte. Die Vahla und auch Taku waren ihm dicht auf den Fersen.

“In welcher Schicht bin ich? In welchen Gleiter soll ich?“

Rief Taku außer Atem, als sie die Anlegestelle erreicht hatten. Die anderen waren bereits dabei sich auf die Gleiter zu verteilen.

“Schicht A. Du gehst mit Fleetfire. Beeilt euch! Dez, du bist ebenfalls A. Los, rüber!“

Die Verlässlichkeit in Person hatte Da'nel bereits die Antriebe des Gleiters gestartet. Exodus' Stimme erkundigte sich nach Fleetfire.

“Er ist hier!“

Antwortete Giselle, lief die letzten Meter über den von der Natur auslegten Steg und sprang von den Steinen in den Gleiter, in dem auch Exodus sich befand. Es war die natürlichste Entscheidung, dass sie in seiner direkten Nähe bleiben würde.

“Wir sind vollzählig. Dan'el, volle Kraft voraus! Kurs auf die Plattform!“

Unter sich hörte Giselle ein Aufheulen, als sich das Gefährt in Bewegung setzte. Sie packte sich mit einer Hand an der Reeling fest und schob sich an den Nautolanern vorbei in Richtung Bug, wo Exodus an der Spitze des Wassergleiters stand wie ein Aussichtsposten, der den Blick nicht von ihrem rot glühenden Ziel am Horizont wenden konnte. Noch waren sie zu weit entfernt um etwas erkennen zu können. Alles was sie sahen war ein schimmernder Flecken weit draußen auf dem Meer, der die schwarze Nacht durchbrach.

“Exodus.“

Giselle stand direkt neben ihrem Chef.

“Bei höchster Geschwindigkeit erreichen wir die Plattform in drei Minuten und einundzwanzig Sekunden.“

Teilte sie ihm mit. Es war ihre Erfahrung als erster Offizier, die Giselle solche Berechnungen automatisch tätigen ließ. Sie kannte die Entfernung von der Bucht zur Plattform und auch zu Big Pearl aus dem Kopf. Sie warf einen kurzen Bick zurück.

“Fleetfire liegt mit seinem Gleiter etwas hinter uns. Das andere Team hat einen Wasserschlauch und eine Pumpe an Bord.“

Wenn sie Glück hatten und rechtzeitig eintrafen, konnten sie versuchen den Brand zu löschen, doch oberste Priorität hatte zweifellos die Bergung des Lumiums. In diesen Ressourcen steckten nicht unwesentliche Investitionen der Wingston Corporation. Giselle richtete den Blick nach vorne. Das rote Leuchten gewann an Intensität. Feuer auf der Plattform. Wie hatte das geschehen können? Es war doch niemand dort gewesen.

- Fresia – Fingers Mark – Meer – Wassergleiter – Mit Exodus und Wingston Crew –
 
[ Fresia – Fingers Mark – auf dem Gleiter | mit Giselle und Wingston-Crew ]

Drei Minuten, Einundzwanzig Sekunden. Exodus sah auf sein Crono. Die abgekühlte Abendluft blies ihm stark ins Gesicht und er kniff die Augen leicht zusammen – sie fuhren absolutes Höchsttempo. Drei Minuten, Neunzehn Sekunden. Achtzehn. Siebzehn. Er sah auf, blickte zu dem größer werdenden Lichtpunkt, zwischen den Küsten von Rings und Pinkie Island. Zu lange. Es dauerte einfach zu lange. Exodus‘ Stirn legte sich in Falten.

„In Ordnung.“

Fleetfire befand sich hinter ihnen, in einem zweiten Gleiter. Irgendwo war er noch aufgetaucht, doch die Verzögerung hätte nicht sein müssen. Immerhin: Sie hatten einen Wasserschlauch und eine Pumpe an Bord, unterrichtete ihn Giselle. Das war gut. Das war besser, als zu hoffen gewesen wäre.

„Die Aufgabenteilung ist klar.“

teilte er seiner Assistentin mit und drehte sich schließlich auch zur restlichen Crew um, ließ den gleißend flackernden Lichtpunkt, der ihre Lumium-Plattform war, für einen Moment aus den Augen.

„Also Leute: Wir sind das Team, das für das Lumium verantwortlich ist. Wir legen an der Plattform an und versuchen zu retten, was noch zu retten ist.“

Mit jeder Sekunde, die verstrich, verbrannten ihre Credits. Es war ein einziges Desaster. Ihr Kapital, ihre Arbeit, ihre Anstrengung – vom Feuer verschluckt.

„Das heißt, wir schnappen uns jeden Lumium-Behälter, den wir kriegen können und müssen mit Händen und mit Hilfe des Krans versuchen, die beiden Gleiter zu beladen. Das andere Team – das im Gleiter von Fleetfire sitzt – hat Möglichkeiten, das Feuer in Schach zu halten. Sie werden versuchen, den Brand zu löschen, während wir beschäftigt sind.“

Er drehte sich mit dem Oberkörper herum, sah wieder zur Plattform. Sie kamen näher, doch das Feuer schien schon jetzt unglaublich groß. Mindestens ein Drittel der Plattform brannte lichterloh …

„Sicherheit hat höchste Priorität.“

erkärte er mit fester Stimme, wieder an die Nautolaner, Giselle und Dan’el gerichtet.

„Wir haben keine Schutzkleidung – seid also vorsichtig. Das Lumium ist wichtig, denn es steht für all das, was wir hier bisher geleistet und erreicht haben. Aber ihr alle seid wichtiger.“

Und dennoch … wenn sie all ihre Erträge verlören – was würden sie dann tun? Lohnte es sich danach überhaupt noch, die Operation hier weiter durchzuführen? Es hatte schon so viele Widrigkeiten gegeben und es gab sie noch – überforderte Projektleiter, scharfe Umweltauflagen, aggressive Mon Calamari. Möglicherweise würde sein Vater davon absehen wollen, noch mehr Geld in das Projekt Fingers Mark zu investieren – und möglicherweise müsste Exodus ihm zustimmen. Doch was hieße das für ihn? Sein Zuhause und sein Arbeitsplatz war Coruscant. Giselle würde ihren eigenen Weg gehen. Sie war auf der Suche nach ihrer Bestimmung und vielleicht würde sich Fresia als diese erweisen – auch ohne Exodus Wingston. Auch ohne ihn.

Die Frau, die er so sehr begehrte, sprach ihn von der Seite an. Noch eine Minute. Exodus nickte stumm, blickte wie hypnotisiert zur Plattform, bemerkte kaum, wie ihm die Gischt ständig ins Gesicht fegte und seinen nackten Oberkörper mit kleinen Tropfen benetzte. Er wollte nicht weg von Fresia, er wollte Giselle nicht wieder gehen lassen, er wollte zuende bringen, was er angefangen hatte. Die Plattform kam nun immer näher, wurde immer größer in ihrem Sichtfeld. Und das Feuer mit ihr.


„Wir sind gleich da – haltet euch bereit!“

Seine Stimme schallte über den Fahrtwind hinweg über das Deck. Obwohl sie mit einigem Vorsprung gestartet waren, hatte der andere Gleiter tatsächlich Boden gut gemacht und fast zu ihnen aufgeschlossen. Wie hatte Fleetfire das angestellt? Ob er heimlich an seinem Gleiter herumgeschraubt hatte – oder vielleicht doch gar kein so übler Pilot war? Exodus runzelte die Stirn. Dass er Fleetfire schon so bald dankbar sein würde, hätte er noch vor einer Stunde nicht gedacht. Andererseits hatte er dort auch noch eng an Giselle gedrückt vor dem Feuer getanzt, das Leben und all seine Vorzüge genossen …

Er blickte auf sein Crono, erkannte, dass es noch zwanzig Sekunden waren. Sein Blick huschte von der heruntertickenden Zahl und ihrem Ziel hin und her … und dann waren sie da. Exodus‘ Augen weiteten sich, als sich vor ihnen die Details der Wasserplattform aus der Dunkelheit schälten. Das Feuer gewann an Struktur, war nicht mehr nur ein einziges blendendes Licht, sondern ein Meer aus Tausend gierigen Flammen. Der Wind trug die Wärme des Feuers bis zu ihrem Gleiter hinüber. Es war eine Strafe. Eine einzige Strafe.


„Tempo drosseln!“

Exodus schrie so laut, dass es auch Fleetfire auf dem anderen Gleiter hatte hören müssen. Doch die beiden Piloten waren routiniert genug in solchen Situationen auch ohne seine Kommandos auszukommen und hatten die Geschwindigkeit ohnehin schon heruntergefahren. In seinem Kopf erhöhte sich das Tempo stattdessen. Die Gedanken rasten und seine Augen huschten von Ecke zu Ecke, saugten die Informationen in sich auf. Er versuchte zu verstehen …

„Oh nein …“

Der Ausdruck des Entsetzens kam fast tonlos über seine Lippen. Unwillkürlich legte er Giselle seine Hand auf die Schulter. Es war jemand auf der Plattform. Die Vorderseite der Plattform brannte – dort wo keine Lumium-Behälter standen. Es war noch nicht zu spät. Aber dort stand jemand. Eine Person, eine kleine Person.

„Es ist ein Kind …“

Die Erkenntnis traf ihn im selben Moment, in dem seine Lippen die Worte formten. Seine Augen weiteten sich – vor Schreck und vor Zorn, als sich die Konturen der Person deutlich vor dem Feuer abzeichneten. Dan’el lenkte das Schiff langsam näher an die Plattform heran.

„Verdammt nochmal, es ist ein Kind! Es ist ein Mon Calamari Kind!“

Das war es also. Das war der Auslöser für diese Katastrophe. Es war Brandstiftung. Eine andere Möglichkeit gab es nicht – nicht hier auf dem Meer. Sabotage eiens Mon Calamaris. Wut und Hass, das waren die Gefühle, die ihnen die Ureinwohner von vorneherein entegegen gebracht hatten. Ihre Reise nach Rings Island – völlig umsonst. Die Mon Calamari waren nicht bereit zu Reden. Sie wollten Krieg.

Scheiße!”

Seine Augen klebten noch immer an der Plattform. Er wollte nicht zulassen, dass ihn die Wut oder die Verzweiflung übermannte. Das Feuer hatte von weit weg sehr groß ausgesehen, weil die ihnen zugewandte Seite brannte – doch die Lumium-Behälter waren noch größtenteils unversehrt. Sie konnten es noch schaffen. Es war möglich.

„Wasserwerfer startklar machen! Wir müssen das Feuer sofort löschen! Dan’el – fahr uns noch näher heran!“

Und dieses Kind würde er gleich als erstes von der Plattform schmeißen. Verflucht sollten die Mon Calamari sein. Brandstiftung! Und das nach all ihren Anstrengungen, nach all dem guten Willen, den sie gezeigt hatten. Exodus‘ Blick wanderte rastlos die Plattform entlang, analysierte weiterhin die Situation, ehe sie nah genug zum Übergriff waren. Einige Nautolaner würden die Behälter mit bloßen Händen tragen müssen und einer von ihnen musste den Kran betätigen. Damit würden sie schnell vorankommen, damit würden sie es schaffen –
Exodus zuckte instinktiv zusammen, als es auf der Plattform einen lauten Knall gab. Ein großer Stapel an leeren Lumium-Behältern hatte Feuer gefangen und war umgekippt – quer über die Plattform hinweg. Die Funken stoben, wirbelten wie kleien Feuerteufel durch den Nachthimmel. Es rauchte und qualmte, die Flammen züngelten hoch. Der Junge, der eben noch auf der Mitte der Plattform gestanden hatte, war plötzlich nicht mehr zu sehen. Das Feuer breitete sich schneller und schneller aus, die leeren Behälter brannten lichterloh – quer über die Plattform verteilt. Einer von ihnen war gefährlich nahe an den Kran heran gerollt. Der Kran! Es dauerte nur einen Moment, ehe er schaltete.


„Alle zurück! Alle sofort zurück! Macht kehrt!“

Seine Stimme überschlug sich fast, als er zur Crew herumwirbelte. Wenn der Treibstofftank des Krans Feuer fing …

„Hier fliegt gleich alles in die Luft! Sofort umkehren!“

Es war noch nicht verloren. Das musste es nicht gewesen sein. Es gab eine Chance. Eine kleine Chance. Wenn er nur schnell genug dorthin käme – die Macht war sein Verbündeter. Mit ihr konnte er es schaffen, konnte das Unglück verhindern, konnte das Projekt am Leben erhalten. Und würde Giselle nicht verlieren. Für einen winzigen Moment fing er den Blick der Vahla auf, während er hörte, wie die Nautolaner anfingen zu rufen und zu schreien und Dan’el den Gleiter so schnell es ging in Bewegung setzte. Das Feuer spiegelte sich in ihren haselnussbraunen Augen wider. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Bring dich in Sicherheit.“

Ihre Blicke lösten sich und Exodus sah nach vorne zur Plattform. Sie war gut fünfzehn Meter entfernt. Fünfzehn Meter. Ihm blieben vielleicht zwanzig Sekunden. Mit dem rechten Fuß voran stieg Exodus auf die Reling des Gleiters. Ohne einen weiteren Gedanken, ohne weitere Zögern stieß er sich ab, hechtete hinaus in die Dunkelheit, schmiss sich in die Fluten. Das Wasser empfing ihn in kalter Umarmung. Es gab noch eine letzte Chance. Alles oder nichts.

[ Fresia – Fingers Mark – vor der Plattform ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Meer – Plattform – Wassergleiter – Mit Nautolaner -

“Exodus! NEIN!“

Giselles Hände hatten sich fest um die Reeling gekrallt, doch ihr Ruf erfolgte zu spät. Exodus' Körper tauchte ein in das schwarze Wasser unter ihnen und schien im Nichts zu verschwinden. Vor ihnen stand die Plattform in Flammen, mitten im Meer. Für einen Augenblick hatte es so ausgesehen als seien sie noch nicht zu spät, doch dann hatte es einen lauten Schlag gegeben und neues Feuer war geboren – Feuer, das sich in einer einzigen großen Explosion entladen würde, sobald es das Treibstofflager des Krans erreichte. Es war nicht mehr aufzuhalten. Es war alles verloren. Flammen bäumten sich auf in Richtung Himmel und erstreckten sich nach links und rechts wie zwei lange Arme, die alles an sich rissen und verschlangen. Was auch immer sie berührten, würde sterben. Giselle stand regungslos auf dem Deck des Wassergleiters. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Vor ihr regierte Vahl, die Göttin des Feuers und der Zerstörung. Funken stoben und begleitet von einem lauten Krachen brach das Dach des Führerhauses in sich zusammen.

Dann sah sie Exodus wieder. Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, seine Arme erhoben sich in einer ausholenden Bewegung um das Wasser vor ihm zu verdrängen. Er schwamm so schnell er konnte in Richtung der Plattform, dort wo alles dem Untergang geweiht war. Im selben Moment spürte Giselle, wie der Gleiter, auf dem sie stand, bei drehte. Ihr Kopf flog zurück in Richtung des Piloten.


“Da'nel, was machen Sie?“

Verbissen zuckte der Blick des Menschen zwischen der Steuerkonsole vor ihm und der Plattform hin und her. Er wendete den Wassergleiter. Er wendete, um den Rückzug anzutreten.Er wendete, um sie alle in Sicherheit zu bringen. Und Exodus zurück zu lassen.

Wie in Zeitlupe sah Giselle wieder nach vorne. Die Plattform zog an ihr vorbei. Wütende Flammen leckten kraftvoll in die Schwärze der Nacht hinein. Sie konnte Exodus nicht mehr sehen, doch da war noch jemand: das Mon Calamari Kind. Die Augen Giselles weiteten sich in Schock. Es war noch immer da. Das Kind war noch dort. Warum hatte es sich noch nicht in Sicherheit gebracht? Ein Sprung ins Wasser und es wäre gerettet... doch es konnte nicht. Die Flammen hatten ihm den Weg versperrt.


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[ Fresia – Fingers Mark – Meer – Plattform ]

Die scharfen Kanten des Metallgestänges schnitten Exodus tief in die aufgeweichte Haut seiner Finger und der Wind fuhr eisig kalt über seinen nackten, nassen Körper. Er zitterte und blutete, doch Exodus bemerkte die Signale seines Körpers kaum. Die Distanz zu den Säulen hatte er schnell überbrückt, jetzt galt es sie selbst zu überwinden. Er hatte nur dieses Ziel im Blick: Die Plattform. Noch etwa sechs Meter lagen zwischen ihm und der Rettung des ganzen Projekts. Er wagte keinen Blick zurück, sah nicht zu den Gleitern, die auf seinen Befehl hin eine Kehrtwende vollzogen hatten. Giselles verzweifelter Ruf klang in seinen Ohren nach, über das Rauschen des Windes und Meeres hinweg. Sie hatte seinen Namen gerufen, in dem Moment, wo er gesprungen war. Sie hatte ihn davon abhalten wollen, zu tun, was er gerade tat. Doch es war notwendig. Nur er war in der Lage, diese Katastrophe zu verhindern und nur er stand in der Verantwortung – und wenn es ihm nicht gelang, dann sollte sich wenigstens die restliche Crew in Sicherheit befinden. Doch es gab diese Chance. Die Macht war sein Verbündeter.
Mit großen Sprüngen hastete er die Streben der tief im Ozean niedergelassenen Säulen hinauf. Ein normaler Mensch hätte niemals solche Sprünge vollführen können – vor allem nicht mit dieser Präzision und Zielsicherheit. Exodus Wingston hingegen war kein normaler Mensch. Er wünschte es sich und hatte häufig vorgegeben, es zu sein. Er hatte die Macht aus seinem Leben verbannen wollen, um ein normales Leben zu führen – und doch war es unmöglich sie zu verleugnen. Sie war ein Teil von ihm und er von ihr. Diese sogenannte Gabe hatte er häufig für das Leid in seinem Leben verantwortlich gemacht, doch in diesem Moment war er froh sie zu besitzen. Die Macht ermöglichte ihm diese eine Chance: Das Feuer zu stoppen, bevor der Brand den Treibstofftank des Krans erreichte. Bevor alles explodierte. Bevor ihre Arbeit mit einem Schlag vernichtet würde. Dann wäre alles wieder gut, alles wieder im Lot. Der finanzielle Erfolg dieses Projekts war es, von dem so viel abhing. Sie konnten sich den Fehlschlag nicht erlauben, er konnte vor allem noch nicht weg von Fresia.
Doch manchmal gab es Momente im Leben, die alles veränderten. Der Moment, in dem Exodus die Plattform erklomm, gehörte dazu.

Die Anstrengung ließ ihn stöhnen, als er sich hochzog und erneut die Finger an der scharfen Kante aufschnitt. Die Schweißperlen auf seiner Stirn hatten sich vermischt mit dem Salzwasser des Ozeans und rannen ihm den Nasenrücken herunter. Der Qualm brannte in seinen Augen, erschwerte die Sicht und doch versuchte er sich einen schnellen Überblick über die Situation zu verschaffen. Zu seiner rechten befand sich der Kran, der sich fast majestätisch in den schwarzen Nachthimmel schraubte und über der Szenerie trohnte. Doch das Feuer hatte den Treibstofftank fast erreicht. Die alles vernichtende Explosion konnte nur noch wenige Sekunden bevorstehen. Sein Blick schwenkte nach links: Der Brand hatte fast die gesamte vordere Plattform eingenommen. Die Hitze schlug ihm unbarmherzig mit voller Wucht entgegen. Er wollte den Blick schon wieder abwenden, sich seinem eigentlichen Ziel zu seiner rechten zuwenden – doch plötzlich öffnete sich die Flammenwand, für einen Moment nur, und legte den Blick frei auf einen schmächtigen Mon Calamari Jungen. Auch wenn er ihn noch nie in seinem Leben gesehen hatte, erkannte er ihn doch sofort: Der Brandstifter. Exodus sog scharf die rauchige Luft zwischen den Lippen ein. Der Mon Calamari war noch hier oben, war gefangen zwischen den Flammen. Er war fast stehend ohnmächtig, die Augen waren ihm schon zugefallen. Wieso hatte er die Plattform nicht verlassen? Wieso war er nicht gesprungen? Jede Sekunde konnte seine letzte sein, so schwach und kraftlos wirkte er. Es war zu spät, er würde für seinen Fehler bezahlen. Doch dann, plötzlich, sah der Mon Calamari auf, blickte mit seinen großen runden Augen zwischen den Flammen hindurch. Es war, als spürte er, dass jemand gekommen war. Er suchte ihn nicht – er sah Exodus sofort. Als sich ihre Blicke trafen, blieb die Welt für einen Augenblick stehen.

Der Junge war spindeldürr – so dünn, dass Exodus das Gefühl hatte, sein wild schlagendes Herz unter der ledrigen rotbraunen Haut ausmachen zu können. Der Mon Calamari Junge, den er eben noch verflucht hatte und am liebsten mit eigenen Händen zurück ins Meer geschmissen hätte … er war eben doch nur ein Junge. Ein Junge, der nicht wusste, was er hatte tun sollen, der vielleicht das Gerede der Erwachsenen mitbekommen und beschlossen hatte, auf eigene Fast zu handeln. Der noch nicht verstand, was in der Welt um ihn herum vor sich ging. Er war eben nur ein Junge …
Und plötzlich blickte er durch den Mon Calamari hindurch und sah einen ganz anderen Jungen. Auch er hatte dünne Ärmchen. Auch er sah verängstigt unter dem blonden Haarschopf hervor, blickte zu ihm hoch, fragend und erwartungsvoll. Er hatte Adrian in natura nie in diesem Alter gesehen – Yuna hatte ihm später Holoaufnahmen gezeigt, doch das Bild in Exodus‘ Kopf war so klar, als hätte er jeden Tag mit dem blonden Jungen verbracht. Sein Sohn aber war ohne ihn aufgewachsen, weil Exodus sich am Scheideweg falsch entschieden hatte. Jetzt stand er wieder an diesem Scheideweg. Es ging um die alte, um die eine Frage.

Früher hatte immer das „Geschäft“ im Vordergrund gestanden. Dieses Geschäft war zuerst das Imperium gewesen, später dann die Wingston Corporation. Es hatte immer etwas gegeben, für das Exodus gearbeitet hatte, doch die Familie war es in den seltensten Fällen gewesen. Geld, Anerkennung, das Gefühl etwas Sinnvolles mit seinem Leben anzustellen und der Galaxis seinen Stempel aufzudrücken – das waren seine Antriebsmotoren gewesen. Deshalb hatte er sich immer wieder für das Geschäft entschieden – und immer wieder gegen die Familie. Dabei hätte er einen Sohn und eine Tochter aufziehen können, gemeinsam mit einer liebenden Ehefrau. Wäre das nicht mindestens genauso sinnvoll gewesen? Hätte das Lächeln eines Kindes nicht ebenso viel Anerkennung spenden können – oder lobende Worte seiner Frau? Wieso hatten es immer die Superlative sein müssen? Der größte, beste, stärkste hatte er werden wollen und tatsächlich war er diesem Ideal sehr nahe gekommen. Doch die Zwillinge hatten von diesem erfolgreichen Vater nichts gehabt und nichts davon konnte er rückgängig machen. Es gab nur die Chance, es besser zu machen; Jetzt und in Zukunft. Der Blick des Jungen hatte genau in sein Herz getroffen – dort wo Credits, Ruhm und Titel nichts zählten. Exodus realisierte wieder den Mon Calamari Jungen zwischen den Flammen, dessen schweren Augenlider sich plötzlich schlaf hinab senkten. Der Moment war vorbei und die Zeit lief wieder in normalen Bahnen.

Exodus zögerte nicht. Mit einem mächtigen Sprung katapultierte er sich auf die Plattform, landete mit nackten Füßen auf dem heißen Metall und sah der Flammenwand auffordernd entgegen. Er konnte Adrian aus dem Feuer holen, dieses eine Mal. Er konnte der Vater sein, der er nie gewesen war. Er konnte es, wenn er nur wollte.
Seine rechte fuhr scharf durch die Luft und mit einem Mal öffnete sich ein kleiner Spalt in der Wand aus Feuer. Die Macht war sein Verbündeter. Explosionsartig sprintete er los, hinein in die Flammen, die sich gierig auf ihn stürzten, die kleinen Härchen auf Armen und Brust verbrannten und ihn einschließen und verschlucken wollten, wie den Jungen zuvor. Exodus‘ Augen konnten nichts sehen als das Feuer, doch in der Macht spürte er die schwache Aura des kleinen Mon Calamari. Mit der letzten Konzentration, die ihm noch blieb, schuf er eine Blase um sich herum, trieb das Feuer weg von ihm und dem Jungen, versuchte die letzten Meter zu überbrücken, während seine Fußsohlen bei jedem Schritt zu verbrennen schienen. Sein Brustkorb wollte bersten, sich den Flammen ergeben, einfach niederfallen und es geschehen lassen, doch Exodus erlaubte es nicht. Es gab diese eine Chance, nur deshalb war er von dem Gleiter gesprungen und die Plattform hinauf geklettert. Er würde sie nutzen.

Und endlich erreichten seine Fingerspitzen den Mon Calamari Jungen. Bei der Berührung durch den Menschen kippte er zur Seite weg, als hätte er nur ausgeharrt, um von Exodus erreicht zu werden. Er fiel Exodus in die Arme und der Mensch drückte ihn fest an sich, versuchte ihn vor den Flammen und der Hitze zu schützen. Exodus rannte weiter, rannte durch das Feuer hindurch, als hätte er in seinem Leben nichts anderes getan – und dann erreichten sie das Ende der Plattform. Die Beine des Jungen hatten schon längst ihren Geist aufgegeben. Er lag fast friedlich in Exodus‘ Armen, so wie er Adrian nie hatten halten können. Regungslos, doch er lebte. Für einen Moment erlaubte sich Exodus stehen zu bleiben und spürte gleichzeitig das überwältigende Bedürfnis, sich einfach hinzusetzen. Er hatte die unversehrten Lumium-Behälter erreicht. Das wertvolle Gestein funkelte ihm mysteriös und voller Versprechen entgegen. Es gabe eine Menge Leute in der Galaxis, die für diese Steine Unsummen zahlen würden. Doch es war zu spät. Er schloss die Arme fest um den Mon Calamari, als das Feuer den Treibstofftank erreichte und es die Plattform in einer mächtigen Explosion zerriss.
Die Druckwelle trieb ihm die Luft aus den Lungen, ließ seine Beine einknicken wie Strohhalme und schleuderte ihn mit all ihrer Kraft hinaus aufs Meer. Einer der massiven Pfeiler barst ohrenbetäubend und die Plattform selbst begann knarzend zu kippen. Das Lumium verkohlte bei der Reaktion mit dem Feuer und verwandelte sich innerhalb von Sekunden in wertlosen Stein. So wertlos wie die ganze Operation auf Fresia nun war. Sie hatten alles verloren. Wochenlange schweißtreibende Arbeit – einfach weg. Vom Feuer erfasst, im Meer versenkt. Exodus Wingston bekam davon nichts mehr mit. Er schlug mit dem Rücken auf der harten Wasseroberläche auf, kam kaum dazu, Luft zu holen, während er sich mit dem Jungen im Arm in den Ozean bohrte. Er hätte all das verhindern können. Doch er hatte sich anders entschieden.


[ Fresia – Fingers Mark – Meer ]
 
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