München - Es war keine leichte Woche für den deutschen Fußball - und auch nicht für Oliver Bierhoff.
Zunächst musste der Manager der deutschen Nationalmannschaft die 1:4-Pleite in Florenz mitverantworten, dann in seiner alten Wahlheimat das Aus von Werder Bremen und Bayern München gegen Juventus Turin und den AC Mailand mitansehen.
Sport1.de sprach mit Oliver Bierhoff über die Situation des deutschen Fußballs, die heftige Kritik an der DFB-Auswahl und Bundestrainer Jürgen Klinsmann und die WM-Aussichten.
Sport1: Die letzten acht Tage dürften ziemlich heftig für Sie gewesen sein, oder?
Oliver Bierhoff: Sie waren sicherlich bewegt und auch sehr anstrengend, vor allem der WM-Workshop war sehr zeitintensiv.
Sport1: Sportlich überwiegt vermutlich der Frust nach den deutsch-italienischen Wochen?
Bierhoff: Frust auf keinen Fall. Es ist natürlich Fakt, dass wir es mit drei Mannschaften nicht geschafft haben, die Italiener zu schlagen. Bremen hat da sicherlich das beste Bild abgegeben, aber insgesamt ist es schon ernüchternd. Andererseits ist es ja ein Prozess über mehrere Jahre, dass der deutsche Fußball ein bisschen hinterher hinkt. Trotzdem denken wir, dass wir bei der WM mit einer positiven Einstellung, Einsatz und der Unterstützung der Fans auch vieles wettmachen können, was andere Nationen uns momentan voraus haben.
Sport1: Wo steht der deutsche Fußball denn nach dieser bitteren Woche?
Bierhoff: Man darf sicher nicht immer nur auf Ergebnisse schauen. Andererseits haben wir eine Analyse vorliegen, wo sich bei den deutschen Mannschaften einige Schwächen im internationalen Vergleich erkennen lassen: Das Tempo ist zu niedrig, die Intensität und auch das Pass-Spiel ist nicht stark genug, teilweise wird zu wenig in die Zweikämpfe gegangen. Und das macht sich natürlich auch im Gesamtbild bemerkbar.
Sport1: Sehen Sie dennoch Licht am Horizont?
Bierhoff: Es macht Hoffnung, wie viele junge und hoch talentierte Spieler wir in unserem Kader haben. Und auch in den Junioren-Nationalteams sind sehr interessante junge Kerle dabei. Wir haben eben einfach ein Loch von fünf bis sieben Jahren, wo wir in den 90-ern einfach geschlampt haben. Diejenigen Spieler, die jetzt nachkommen, profitieren von den Maßnahmen der Nachwuchsförderung des DFB und der Liga seit 1998. Das braucht seine Zeit, aber ich bin guter Dinge.
Sport1: Sind Sie auch weiterhin guter Dinge, was die WM betrifft?
Bierhoff: Auf jeden Fall. Wir als sportliche Leitung sehen nicht immer so schwarz-weiß wie einige Medien. Wir wissen, dass dieses 1:4 gegen Italien nicht unseren wirklichen Leistungsstand darstellt. Bei der WM werden wir sicherlich eine andere Mannschaft sehen, weil wir eine willige und begeisterungsfähige Mannschaft haben. Und weil wir uns auf den Punkt konzentrieren können, wenn es drauf ankommt. Aber wir wissen auch, dass wir seit sechs Jahren keinen Großen geschlagen haben und deshalb sicherlich nicht zu den absoluten WM-Favoriten zählen.
Sport1: Wie gehen Sie und auch Jürgen Klinsmann mit der anhaltenden Kritik um?
Bierhoff: Man kann die Kritiken ja teilweise verstehen und nachvollziehen. Das Thema ist eben sehr emotional. Ärgerlich ist nur, dass vieles vermischt wird und jeder auf den Zug aufspringt, um sich zu profilieren. Damit müssen wir wohl in so einem WM-Jahr leben. Wir versuchen, uns auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren und die Mannschaft weiter nach vorne zu bringen.
Sport1: Geht das wirklich?
Bierhoff: Ich bin da relativ gelassen. Ärgerlich ist es aber, wenn sich Politiker auf einmal melden und dann Gerüchte in die Welt setzen, wie jetzt die angebliche Steuerflucht. Ich weiß, dass Jürgen Klinsmann oder auch Thomas Gottschalk insgesamt mehr Steuern zahlen, als wenn sie immer in Deutschland leben würden. Bei solchen Vorwürfen wird es unsachlich.
Sport1: Auch Fußballer melden sich zu Wort. Stefan Effenberg etwa hat die sofortige Entlassung von Jürgen Klinsmann gefordert.
Bierhoff: Dass ein Ex-Kollege seine Meinung sagt, stört mich nicht. Da bin ich nicht so empfindlich. Traurig finde ich viel mehr die Aussagen von jemandem wie Peter Neururer, der immer anprangert, dass sich Trainer oft nicht korrekt verhalten und dann selber ständig kluge Sprüche klopft.
Sport1: Wie wichtig ist angesichts der Trainerdiskussion die Rückendeckung von DFB-Präsident Dr. Zwanziger und DFL-Boss Hackmann?
Bierhoff: Natürlich enorm wichtig. Vor allem die Unterstützung der Liga freut uns sehr. Auch bei Dr. Zwanziger wissen wir zu schätzen, dass er uns auch nach so heftiger Kritik den Rücken stärkt. Die noch vor der WM anstehende Verlängerung meines Vertrags um weitere vier Jahre zeigt mir zudem, dass man mit mir unabhängig von Jürgen Klinsmanns Zukunft weiter zusammenarbeiten will.
Sport1: Gibt es noch zusätzliche Testspiele vor der WM?
Bierhoff: Wir werden das alles noch mal in Ruhe durchsprechen. Möglicherweise gibt es noch das ein oder andere Testspiel gegen einen Verein, ob es nun gegen ein U-21-Team oder A-Team ist, muss genau überlegt werden. Die Trainer wollen mit der Mannschaft im WM-Trainingslager am Genfer See zehn Tage am Stück arbeiten. Bei einem Länderspiel müsste auf jeden Fall der Trainings-Umfang speziell im Fitness-Bereich reduziert werden. Denn ein Länderspiel hat auf jeden Fall einen höheren Stellenwert als ein Testspiel.
Das Gespräch führte Martin Volkmar