Wenn man vom Connery-Bond als (Film)Original ausgeht, dann muss man leider Sexismus und Allmächtigkeit dazuzählen. Aber ich verstehe, wenn man das wohlwollend verdrängt.
Für mich gehören zu den Elementen, die den Charakter - auch von Connery ausgehend - ausmachen: Charme (der auch die Anziehungskraft auf Frauen einschließt) und trockener Humor. Wenn ich nun den Vergleich zu Daniel Craig ziehe, findet sich Letzteres insbesondere im meiner Ansicht nach verkannten "Spectre" wieder. Weiterhin war der James Bond, den Craig spielt, von Anfang an mit einer hohen Anziehungskraft auf Frauen ausgestattet, was zu James Bond auch gehört. Daniel Craigs Bond hat es aber nicht nötig, Frauen mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen, der 60er- bis 80er-Bond hat das durchaus getan. Das kann man zu einem großen Teil dem Zeitgeist zuschreiben, in heutigen Filmen wäre das wohl undenkbar und das ist meines Erachtens nach auf gut so. Ich finde aber nicht, dass das untrennbar zum "alten" Bond dazugehört. Ja, es gab da gewisse sexistische Szenen und Äußerungen, aber Bond war in den alten Filmen ja nicht ausschließlich sexistisch. Seine Reaktion auf den Tod Jill Mastersons in "Goldfinger" und sein Wunsch nach Rache zeigen, dass er durchaus Gefühle für sie hatte - insbesondere gilt das auch für Tracy in "Im Geheimdienst Ihrer Majestät", die Bond am Ende bekanntermaßen heiratet und für sie sogar den Dienst quittiert. Mit Pussy Galore oder Domino präsentiert die Reihe darüber hinaus schon sehr früh auch betont starke Frauenfiguren.
im Übrigen finde ich den klassischen Bond auch gar nicht so übermächtig, wie oft getan wird. Oft genug scheitert er auch, ich meine wie oft wird Sean Connerys Bond denn gefangen genommen (auch wenn ihm am Ende natürlich die Flucht gelingt)? Oft genug. Ein gutes Beispiel ist der Film "Feuerball", sein Versuch, Emilio Largos Anwesen unbemerkt zu infiltrieren geht nach hinten los, wenig später wird er sogar angeschossen und muss am Ende, ähnlich wie schon in "Liebesgrüße aus Moskau", vom Bond-Girl gerettet werden.
Von daher: Ja, man kann natürlich die Tendenz beobachten, dass sich mit dem Zeitgeist auch die Figur James Bonds verändert hat. Aber man darauf mitnichten ein Schwarz-Weiß-Schema à la "Alter Bond = vollkommen sexistisch und übermächtig" anwenden. Überhaupt finde ich ja, dass jede Bond-Inkarnation anders war. Bereits George Lazenby stellte einen Bond dar, der sich zwar durchaus am Charme und Witz Connerys orientiert hat, insgesamt aber bedeutend menschlicher und damit näher am literarischen Bond aus den Ian-Fleming-Romanen war. Roger Moore ist auch wieder ein ganz anderer Bond als Connery, Timothy Dalton und Pierce Brosnan waren wieder auf ihre Art anders etc. Sie alle hatten Bond-Elemente, die gleich blieben und dazu ihre Eigenheiten. Und so ist es heute mit Daniel Craig und seinem James Bond eben auch.