[New Brigia-System | Weltraum | DRD Volcanic] Gordon Aaronson, Aviendha Cain, Tom West; Mance Hackett (Predator) und Melinda Farlander alias Elisabeth Campton (Exogorth) in der Nähe
Commander Camptons Beteuerung, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, klang gut in Gordon Aaronsons Ohren. Doch sie genügte nicht, um ihm die immense Last von den Schultern zu nehmen, die mit seiner übergroßen Verantwortung in dieser Lage einherging.
»Das werden wir sehen, Commander«, antwortete er müde. »Wir werden sehen.«
Dann erlosch das Hologramm. Die Verbindung wäre ohnehin in Kürze abgebrochen, denn die Schiffe legten die letzten Kilometer bis zum Sprungpunkt zurück. Es war geschafft. Die feindlichen Schiffe ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Verfolgung nicht aus eigenem Willen aufgeben würden, aber bald wollten die Imperialen ihnen die Entscheidung abnehmen. Vielleicht waren die Yevethaner in der Lage, ihren Sprungvektor nachzuvollziehen und festzustellen, dass sie nach Kutag unterwegs waren. In diesem Fall würden sie ihnen vermutlich folgen. Aber vielleicht waren sie dazu einfach nicht intelligent oder erfahren genug oder hatten nicht die nötige Technologie. Doch selbst im schlimmsten Fall erhielten die Schiffe ein wenig Aufschub - solange der Sprung eben dauerte.
Aviendha Cains Fall konnte der Commander nicht verhindern, aber zum Glück war einer ihrer Leute in der Nähe, um sie aufzufangen. Die Legatin war erschöpft, das war kein Wunder. Als man sie wegbrachte, erwischte Gordon sich bei dem Wunsch, er könnte sich ebenfalls den Luxus leisten, einfach ohnmächtig zu werden. Aber das stand nicht zur Debatte. Jetzt, da sowohl der Kampf als auch die Diskussionen mit den anderen Entscheidungsträgern vorbei waren, konnte er seine Aufmerksamkeit endlich der nächsthöheren Priorität widmen: Der Volcanic!
Die Zeit im Hyperraum verbrachte er damit, die wenigen zur Verfügung stehenden Kräfte zu organisieren und kanalisieren, so gut es möglich war. Dazu gehörte, dass er seinen Ersten Offizier von der Brücke schickte. Er konnte Malcolm Wood hier eigentlich gut gebrauchen, denn der war einer der erfahrensten Männer an Bord, aber er konnte nicht alles haben. Er brauchte jemanden mit möglichst viel Kommandoerfahrung und Durchsetzungskraft, also auch mit einem möglichst hohen Rang, um aus dem zusammengewürfelten Haufen von Soldaten und Matrosen, Dockarbeitern und Flüchtlingen so etwas wie eine Mannschaft zu formen. Diese Aufgabe traute er im Moment niemandem zu außer Wood - auch deshalb, weil dieser das Schiff besser kannte als die meisten anderen an Bord.
»Machen Sie sich ein Bild davon, welche Fähigkeiten die Leute mitbringen, und teilen Sie jedem eine geeignete Aufgabe zu«, ordnete er an. »Halten Sie auch nach Leuten Ausschau, die Führungs- oder Aufseherqualitäten haben, und setzen Sie sie entsprechend ein. Versuchen Sie, so etwas wie eine Kommandostruktur aufzubauen. Ränge und Uniformen zählen dabei erst einmal nicht, nur das Talent und die Erfahrung. Vergeben Sie provisorische Ränge, wenn nötig.«
»Aye, Sir. Ich werde mich darum kümmern.«
»Teilen Sie die Leute in Trupps ein und lassen Sie das Schiff noch einmal durchsuchen. Die letzten Yevethaner sollten von Wests Leuten aufgestöbert worden sein, aber ich will wissen, wie es sonst um das Schiff steht. Sie sollen Schäden und den Stand der Wartungsarbeiten katalogisieren und, besonders wichtig, Vorräte, Waffen und alle brauchbaren Materialien zusammentragen, die sie finden können.«
»Ja, Commander.«
»Beeilen Sie sich. Wegtreten.«
Der dunkelhäutige Mann verließ die Brücke und ließ Gordon allein. Natürlich waren auch noch andere Leute hier, nicht einmal wenige; aber es fühlte sich so an. Allein mit der Verantwortung, allein mit der Befehlsgewalt. Nun durfte er sich erst recht keine Schwäche mehr erlauben, denn es war niemand mehr da, der im Notfall seinen Platz einnehmen konnte. Ein zentnerschweres Gewicht schien ihn zu Boden zu drücken - so sehr, dass er sich bereits vergewissert hatte, ob die künstliche Gravitation des Kreuzers richtig funktionierte. Aber es war doch der mentale Druck, der sich körperlich bemerkbar machte. Er war zum Sterben müde, doch er musste die Last noch eine Weile tragen.
Der Sprung nach Doornik-881 war nicht weit. Nicht lang genug, um wirkliche Ordnung in die Volcanic zu bringen. Lediglich ein paar Berichte waren bisher eingetroffen. Unter den Frachten, die im Hangar gestapelt waren, lagen Materialien, die für notdürftige Reparaturen verwendet werden konnten: Viele der Leute an Bord waren Dockarbeiter und Techniker, die zum Kampf nichts hatten beitragen können, doch nun konnten sie wirklich etwas leisten. Aaronson drückte sich in seinen Befehlen klar aus: Er wollte nichts Perfektes und erst recht nichts Schönes. Flickschusterei mochte unter der Berufsehre des einen oder anderen Ingenieurs und Arbeiters sein, aber er brauchte möglichst viel in möglichst kurzer Zeit. Lieber zwei Provisorien als eine echte Reparatur, das war die Devise. Dabei sollten sich die Leute auf die Bereiche konzentrieren, die für das Schiff und seine Besatzung überlebenswichtig waren, und alle anderen Bereiche ignorieren. Viele rumpfnahe Sektionen waren dank zahlreicher Hüllenbrüche ohnehin unzugänglich und würden es auch bleiben, bis der Kreuzer das nächste Dock erreichte. Dort aber, wo man sich einigermaßen gefahrlos bewegen konnte, begannen die Suchtrupps, Werkzeuge und andere hilfreiche Gegenstände zusammenzutragen. Im Maschinenraum und der Krankenstation wurde unterdessen unter Hochdruck gearbeitet und Soldaten überwachten im Hangar, wer an Bord von Legatin Cains Lambda-Shuttle ging. Fliegen würde es die haarige Alien-Pilotin, die den Commander auf seinem umkämpften Schiff gelandet hatte. Das TIE-Shuttle, mit dem die beiden angekommen waren, würde an Bord bleiben: Es hatte keinen Hyperantrieb. Und auch die Astute würde nicht mehr ablegen. Sie hatte in dem Kampf einige schwere Treffer abbekommen. Bisher war niemand zu ihr gelangt, um sich anzusehen, wie groß die Schäden tatsächlich waren, aber die ersten Einschätzungen ließen vermuten, dass es dort - ebenso wie auf der Volcanic - Tote gegeben hatte. Der Transporter hatte seinen Zweck erfüllt und seinen Teil zum Kampf und zum Schutz des Kreuzers beigetragen. Doch der Preis war hoch.
Schließlich näherte sich der Hyperraumflug seinem Ende. Gordon ließ eine entsprechende Meldung durchgeben, damit die Leute sich vorbereiten konnten: Auf den Rückfall in den Normalraum, der dank beschädigter Dämpfer wohl ziemlich ruppig ausfallen würde, und auch auf das, was sie dort vielleicht erwartete. Er hatte während des Spruns kaum Zeit zum Nachdenken gehabt, aber seine Gedanken waren doch immer wieder bei der Frage gelandet, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie würde schwerwiegende Folgen haben, soviel war klar. Zum Guten oder zum Schlechten. Aber ganz gleich wie es ausging und wie sehr sie den Kolonisten tatsächlich helfen konnten... es würde nichts daran ändern, dass er sein neues Schiff und alle Leben an Bord in eine weitere, vermeidbare Gefahr brachte. Er hatte seine Pflicht, sie in Sicherheit zu bringen, missachtet und war stattdessen ins Ungewisse gesprungen. Allein das genügte eventuell schon für ein Kriegsgerichtsverfahren, falls jemand ihm Böses wollte. Mit den Konsequenzen daraus musste er leben. Aber die größte Sorge war natürlich, dass sie vom Regen in die Traufe kamen und bei Kutag eine ebenso schlimme oder gar noch schrecklichere Lage vorfinden würden als bei N'Zoth und New Brigia. Als dann jedoch der blauweiße Lichttunnel vor dem Dreadnaught endete, gab schon die erste Sondierung Anlass zur Zuversicht. Im System konnten keine großen Schiffe geortet werden, es gab keine Anzeichen für Kämpfe auf der Oberfläche, das Leben auf Kutag schien seinen normalen Gang zu gehen. Der Krieg war hier offenbar noch nicht angekommen. Die Exogorth und die Predator hingegen schon. Sie hatten es alle geschafft!
Fast zeitgleich tauchten Legatin Cain und das Hologramm von Commander Campton wieder auf seiner Brücke auf. Beide sprachen ihn sogleich an: Sie wollten Aufgaben haben. Die Offizierin schlug vor, dass ihr Schiff die Nachhut übernehmen und Minen auslegen sollte, um eventuelle Verfolger von der Kolonie abzuhalten. Und die Politikerin wollte der ortsansässigen Veraltung möglichst schonend ihre derzeitige Lage beibringen.
»Einverstanden«, antwortete Gordon den beiden. »Commander, fallen Sie nicht zu weit zurück - wir dürfen unsere Kräfte nicht über die Maßen aufteilen und müssen uns stets für einen geordneten Rückzug bereithalten. Legatin, die Kommunikationsstation gehört Ihnen. Bieten Sie an, dass jeder, der die Kolonie verlassen will, an Bord der Volcanic gehen kann. Wir können auf dem Planeten landen, um sie aufzunehmen.«
Dann ließ er sich mit dem Hangar verbinden. Er wollte, dass das Shuttle diesen so schnell wie möglich verließ. Bevor eventuelle Verfolger hier auftauchten, und bevor der Kreuzer sich hinunter auf den Planeten begab, wo er noch wehrloser war als hier oben.
»Ist alles bereit?« wollte er wissen.
»Sir, wir haben hier ein Problem...« antwortete eine junge Männerstimme. »Ein Mann besteht darauf, an Bord zu gelangen. Er sagt, er heißt Ellis und ist Präfekt; Legatin Cain hätte ihm ihre Passage angeboten.«
Gordon fixierte die Verwalterin mit einem fragenden Blick, gab seine Antwort jedoch, ohne ihr die Möglichkeit für Erklärungen zu lassen:
»Ich hatte gesagt, nur Kinder und Verwundete, dabei bleibt es. Wenn Miss Cain auf ihren Platz verzichtet, verfällt er. Sagen Sie der Pilotin, sie hat Startfreigabe, sobald sie bereit ist. Sie soll auf dem schnellsten und direktesten Weg aus dem Sternhaufen heraus, die Leute in Sicherheit bringen und erzählen, was bei N'Zoth und New Brigia passiert ist.«
›Nur für den Fall, dass wir dazu keine Gelegenheit mehr haben‹, dachte er.
Falls doch, würde die Weigerung, den Präfekten zu evakuieren, vermutlich ein Nachspiel haben. Aber der Commander war emotional einfach zu ausgelaugt, um sich darüber noch Gedanken zu machen. Wenn jemand seiner Karriere ein Ende machen wollte, hatte er bereits genug Material geliefert. Und wenn er überhaupt lange genug lebte, um sich ob seiner unehrenhaften Entlassung bedauern zu können, dann würde er wissen, dass es viel schlimmer hätte kommen können.
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