Mal was positives:
Warum fallen wir?
An Tagen wie heute stelle ich mir vor ich wäre Batman. Der dunkle Ritter der Nacht, Rächer der Unschuldigen und Schutzlosen, gedemütigt von seinem Erzfeind und hinabgeworfen in eine tiefe Grube, mit zerbrochenem Rückgrat.
Mein Rücken ist nicht zerbrochen, doch meine Seele fühlt sich so an. Ich fühle mich wie in einem Gefängnis, einem tiefen Loch. Ich blicke nach oben. Blass dringt von dort Tageslicht ein. Die Lichtstrahlen tragen kaum Wärme und kommen mir vor wie aus einer weit entfernten Galaxie, alt und möglicherweise längst erloschen.
Ich betrachte die Wände meines Verließes. Sie sind glatt und glitschig. Und doch, in die Wände eingelassen ist eine Leiter. Alt und morsch, voller gefährlicher Fallen, die man vorsichtig umgehen muss. Manche Stufen sehen aus wie Pergament, als ob sie bei der kleinsten Berührung unter meinen Händen zu Staub zerfallen würden. Weiter oben erkenne ich verworrene Irrwege, die einen Ausgang zum Licht versprechen, um dann doch im Nirgendwo zu enden, sodass man einige Stufen wieder zurück nach unten klettern muss.
Der modrige Geruch des Todes liegt in der Luft. An diesem Ort, diesem selbstgemachten Gefängnis für meine Seele, kann ich nicht bleiben. Ich beginne zu klettern. Erst eine Stufe, dann die nächste, dann die nächste. Holzmehl und Staub rieselt herab. Ich blicke nach unten und erblicke spitze, heimtückische Steine. Die Furcht, beim nächsten Sturz endgültig zerschmettert zu werden, übermannt mich. Ich möchte wieder zurückklettern.
"Eigentlich wollt ich ja...?" Wer kennt das nicht? Zu oft begleitete mich dieser Satz im Leben. Vor einigen Jahren entdeckte ich die Lust am bergwandern. Aus eigener Kraft einen Berg erklimmem, an einer Felswand hochklettern, unter freiem Himmel auf dem Gipfel zelten. Dies wurde mein Wunschtraum. Doch mein starkes Übergewicht verhinderte es. Ich beschloss mich zu ändern, aktiver zu werden. Ich war erfolgreich, die Pfunde purzelten. Erst 5 kg, dann 10 kg, irgendwann 25 kg. Am Ende hatte ich mein Wunschgewicht sogar unterschritten. Doch irgendwann über Nacht hatte ich das Ziel aus den Augen verloren. Der Traum, zu klettern, erfüllte sich nicht. Ich erfand immer neue Ausreden. "Alleine ist es doof. Es ist zu teuer. Ich bin k.o.", und so weiter. Letzendlich auch die Furcht, zu fallen? Am Ende blieb es ein Traum.
So erging es mir mit vielen Wünschen, und mit jedem nicht erfüllten Wunsch wurde die Leere noch erdrückender.
Mit diesen Enttäuschungen durch nicht erfüllte Träume muss Schluss sein. Ich darf verpassten Chance nicht länger hinterher trauern. Aus "eigentlich wollte ich ja..." muss "ich werde..." werden.
Ich werde wieder zeichnen und schreiben. Ich werde wieder aktiver und mich im Sportverein anmelden. Ich werde mich tätowieren lassen und Kontaktlinsen tragen. Ich werde meine Berührungsängste und mein überzogenes Schamgefühl abstreifen und tanzen lernen.
Ich schüttle zum letzten Mal meine Furcht ab und klettere weiter die Leiter hoch, dem Licht entgegen.
Warum fallen wir? Damit wir lernen, wieder aufzustehen.
Morgen erwartet mich die Kletterhalle.