Mir entzieht sich irgendwie die Grundlage für die passiv-fatalistische Haltung, die aus einigen dieser Aussagen herausklingt. Das größte Problem der Demokraten sind nicht ihre Kandidaten, sondern die special snowflakes unter ihren Wählern, die ständigen "Reinheitstests" und die zunehmende Radikalisierung der Republikaner, die seit dem Aufstieg der Tea Party immer häufiger nicht mehr staatstragend und kompromissbereit, sondern radikal, destruktiv und polarisierend auftreten.
Anders formuliert: Ein Kandidat der Demokraten kann "perfekt" sein - jung, dynamisch, charismatisch, revolutionär, 200% frei von echten oder vermeintlichen Skandalen, und selbst dann finden sich noch genügend Leute, die irgendein Haar in der Suppe finden und lieber nicht wählen gehen als einen vielleicht etwas biederen oder trockenen Kandidaten, der dafür aber gute Sacharbeit leistet und positive Reformen anstoßen könnte. Die Republikaner haben das Problem nicht - trotz einiger "never Trump"-Leute gelingt es da regelmäßig, die Wähler an die Wahlurne zu kriegen, und sei der Kandidat noch so fragwürdig.
Da wurden Leute ins Rennen geschickt wie Al Gore, der Ketchup-Lui John Kerry oder Hillary Clinton.
Was genau sind jetzt die Kritikpunkte an diesen Kandidaten? Al Gore zählt zu den US-Politikern, die früh die Bedeutung des Klimawandels erkannt haben, John Kerry war ein großer Befürworter einer besseren internationalen Zusammenarbeit in Krisenfragen, der zudem während seines Wahlkampfs viele Kleinspender für sich begeistern konnte und ein erfolgreicher Unternehmer war (ohne ein halbes Dutzend Pleiten und fragwürdige Geschäftspraktiken), und Hillary Clinton konnte trotz der jahrzehntelangen Schmutzkampagne ihrer Gegner mit Forderungen wie Erhöhung des Mindestlohns, höheren Steuern für Wohlhabende und dem Verweis auf ihre langjährige Erfahrung im Staatdienst die Mehrheit der Wähler von sich überzeugen. Dass es Donald Trump mit seinem gnadenlosen Populismus gelungen ist, sie zu schlagen, ist weniger ein schlechtes Urteil über die Demokraten als ein schlechtes Urteil über die Republikaner und Teile ihrer Wähler.
Was den "müden Joe" angeht, so zeigt sich in dieser Bezeichnung erneut eines: Donald Trump ist sehr clever darin, seine Gegner zu demontieren und an die niedersten Instinkte seiner Landleute zu appellieren und zu "unterhalten", aber sehr schlecht darin, Probleme und Krisen zu lösen - siehe die aktuelle Lage. Da ist mir persönlich ein Politiker, der sich ein paar Mal bei öffentlichen Auftritten verhaspelt (weitaus weniger schlimm als oft dargestellt), aber eher ruhig und bedächtig auftritt als lautstark, prahlerisch und der oberflächlich und vernünftige Vorschläge hat, weitaus lieber.
https://www.cnbc.com/2020/04/09/bid...care-and-student-debt-as-job-losses-soar.html