Die drei Stufen des Pro-Putinismus in der aktuellen Krise:
Stufe 1: "Es wird keine Invasion geben. Alles, was auf eine mögliche Invasion hindeutet, ist Panikmache, Propaganda und böse Lügen."
Stufe 2: "Ein Truppenaufmarsch ist eigentlich, technisch gesehen, nicht dasselbe wie eine Invasion, wenn man es Truppenaufmarsch nennt."
Stufe 3: "Es ist keine Invasion, aber wenn es eine ist, dann hat die Ukraine sie absolut verdient. Außerdem sind alle schuld, nur nicht der Angreifer."
Es lohnt sich, die Rede Putins und die Anerkennung der ostukrainischen "Republiken" genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Ukraine wird darin sämtliche Souveränität und Eigenstaatlichkeit abgesprochen, ihr Existenzrecht als Staat nicht bloß angezweifelt, sondern komplett negiert und ihr Staatsgebiet schlicht zu russischem Territorium erklärt. Knapp 40 Millionen Menschen, die sich aus leidvoller historischer Erfahrung heraus in einem demokratischen Prozess dafür entschieden haben, sich außenpolitisch weg von Russland zu orientieren (ironischerweise wurde bis zur Invasion der Krim 2014 das "gute nachbarschaftliche Verhältnis zu Russland" immer im selben Atemzug wie diese Politik genannt), werden zum Spielball für eine Wiederherstellung der Sowjetunion - dieses Mal nicht unter dem Vorzeichen des Kommunismus, sondern eines reaktionären, pseudo-christlichen, ultranationalistischen Groß-Russlands.
Mit Gewalt werden mitten in Europa Grenzen verschoben und Gebiete annektiert. Der Krieg, den Russland seit 8 Jahren gegen die Ukraine führt, ist nun ganz offiziell geworden - denn was soll es sein wenn nicht Krieg, wenn russische Truppen in ukrainisches Gebiet einmarschieren und dieses unter russische Kontrolle bringen? Das Budapester Memorandum, für das die Ukraine ihre Atomwaffen aufgab? Wertlos. Die NATO-Russland-Grundakte? Das Papier nicht wert, auf dem sie unterschrieben wurde. Das Minsker Abkommen? Dito.
Ein Worst of:
"Die moderne Ukraine wurde vollständig von Russland geschaffen, genauer gesagt vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann unmittelbar nach der Revolution von 1917."
"Als Ergebnis der bolschewistischen Politik entstand die Sowjetukraine, die man auch heute noch mit gutem Grund als 'Wladimir Iljitsch Lenins Ukraine' bezeichnen kann. Er ist ihr Autor und Architekt. Dies wird durch Archivdokumente gänzlich bestätigt. Und nun haben dankbare Nachfahren Lenin-Denkmäler in der Ukraine abgerissen. Das nennt man Entkommunisierung. Wollen Sie die Entkommunisierung? Nun, das passt uns ganz gut. Aber es ist unnötig, wie man sagt, auf halbem Wege stehen zu bleiben. Wir sind bereit, Ihnen zu zeigen, was echte Entkommunisierung für die Ukraine bedeutet."
"Die Ukraine hatte nie eine Tradition echter Staatlichkeit."
Die ukrainische Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, die linguistischen und kulturellen Unterschiede, die Unabhängigkeitskämpfe, die brutale Repression der Stalin-Zeit, die Entfremdung nach 1991- alles nie gegeben, wenn man Putin fragt. Stattdessen wirft er der Ukraine vor, dass sie "undankbar" für die "großzügige Behandlung" sei, die ihr zuteil wurde, und skizziert das Land als Verbrecherstaat, der einen Genozid an russischen Minderheiten plane und als Aufmarschbasis für NATO-Angriffspläne gegen Russland dienen soll. Wahrscheinlich hielt Putin diese Rede vor einem Spiegel...
Wenn dies aus russischer Sicht für die Ukraine gilt, dann wohl auch für die anderen "verwaisten", "abtrünnigen" ehemaligen Sowjetrepubliken, die man, so Putin, damals so großzügig "gehen ließ". Estland. Lettland. Litauen. Moldau. Georgien. Zusammen mit der Ukraine sind das 50 Millionen Menschen, die in der bitteren Realität aufgewacht sind. Ich befürchte, dass die Annexion der Ostukraine nicht der letzte Schritt sein wird - wenn man sich derart äußert, dann begnügt man sich nicht mit einigen Landstrichen. Möglich ist, dass Putin anstrebt, die Ukraine politisch, militärisch und wirtschaftlich so sehr zu schwächen, dass sie auch ohne eine konventionelle Invasion der westlichen Landesteile als Staat kollabiert und dann bequem annektiert werden kann.
Vieles wird davon abhängen, ob man in Europa endlich erkennt, dass man Freiheit nicht ohne Sicherheit haben kann - und dass ein Verhandlungspartner, der die Gegenseite als dekadent, schwach, dumm und käuflich empfindet, kein verlässlicher Lieferant für Rohstoffe sein kann, sondern durch eine effektive Abschreckung zumindest daran gehindert werden muss, noch mehr militärische Abenteuer durchzuziehen.