Ich muss mal sagen, ich bin so froh, dass ich euch hier habe! Ihr seid die einzigen, mit denen ich mich ernsthaft und auf Basis der aktuellsten und fundierten Informationen über das Thema austauschen kann! Coole Truppe, die Star Wars-Fans!
So, jetzt zum Thema:
Ich denke, wie vernünftig sich die Leute verhalten, hängt sehr stark davon ab, wo man sich aufhält und wann.
"Auf dem Land" und in kleinen Städten bzw. eher ruralen Stadtteilen, wo man eine durchmischte Bevölkerung hat mit Familien, Senioren etc., und bei Alltagsdingen wie dem notwendigen Einkauf erlebe ich nach wie vor viel Vorsicht und Rücksichtnahme. Als ich vorletzte Woche unter der Woche vormittags in einer größeren Stadt einkaufen war, wurde sich auch sehr selbstverständlich an alle Vorgaben gehalten, so dass ich mich sehr sicher gefühlt habe.
Wenn man sich zu irgendwelchen Freizeitaktivitäten begibt, sieht es dagegen schon anders aus. Gestern abend habe ich mich in ein Open Air-Kino gewagt (nach Zusicherung, dass ich einen separaten Platz mit Abstand von den anderen bekommen kann) und beim Beobachten der Besucher hatte ich - abgesehen von der weitestgehend befolgten Maskenpflicht im Gebäude und beim Schlangestehen sowie dem Abstand in den Schlangen - den Eindruck, dass sich niemand mehr um Corona schert. Also beispielsweise was das Abstandhalten beim Vorbeilaufen oder das Ausgehen in Gruppen, übrigens auch inkl. älterer Leute, betrifft. Und Geschichten, dass an Badeseen oder im Schwimmbad aufeinandergedrängt wird, habe ich auch schon mehrfach gehört.
Am krassesten ist es aber wohl in den Großstädten und insbesondere natürlich abends bzw. am Wochenende (nicht, dass ich mich da aufhalten würde - u. a. aus genau diesem Grund!), wenn sich dort vorwiegend junge Leute ansammeln, deren Lebensmittelpunkt das Feiern ist. Die sich vielleicht auch kaum mit Nachrichten beschäftigen, für die Corona "abgehakt" ist, die das Risiko für sich persönlich als minimal abtun oder die sogar der Verschwörungstheorie-Fraktion angehören.
Am extremsten scheint das in Berlin zu sein, wo eben durch sein Image und Angebot ein überdurchschnittlich großer Anteil der Bevölkerung diesem hedonistischen Partyvolk angehört, so dass deren Verhalten auch das Alltagsleben viel stärker prägt als anderswo. Riesige Freiluft-Partys mit hunderten von Menschen sind da quasi ander Tages- (oder vielmehr Nacht-)Ordnung und uneinsichtige, geradezu aggressive Maskenverweigerer scheinen den ÖPNV auch tagsüber zu bevölkern. Letzteres ist natürlich extrem blöd für die vernünftige Normalbevölkerung, die sich da eben nicht fernhalten kann!
Im Großen und Ganzen, wenn man nicht gerade das Pech hat, in Berlin zu leben, und man sich dann eben doch Freizeitaktivitäten, die unter Leuten stattfinden, versagt, scheint das Verhalten der Leute noch ganz OK zu sein, aber ich befürchte, dass die "es-ist-ja-eigentlich-vorbei"-Einstellung und damit eine gewisse Laxheit nach und nach in immer mehr Bevölkerungsgruppen einsickert. Weil, wie ich schon vorher geschrieben hatte, die Nachrichten sich mittlerweile wieder deutlich anders orientieren und die Corona-Infektionslage nur mit "Sonderfällen" wie den Fleischbetrieben und prekären Wohnhäusern vorkommt, wo sich Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller sagen können, das hat ja nichts mit mir zu tun.
Dass es mittlerweile täglich Fälle in Schulen und Kindergärten irgendwo in Deutschland gibt oder in der Eifel ein Ausbruchsherd auf einen Imbiss zurückgeführt wurde, das Virus also ganz schnell wieder ganz nah am Leben des Normalbürgers sein kann, kommt leider nur in den Regionalmeldungen vor. Und der allmähliche Anstieg der Neuinfektionszahlen in mehreren Bundesländern seit 1-2 Wochen wurde von den großen Ausbrüchen zugedeckt und wird möglicherweise zu spät ins Bewusstsein rücken.
Manche Leute sind auch einfach erschreckend naiv oder schlecht informiert. Letztens sagte mir jemand, sie hätte keine Angst in ihrer Sportgruppe, da würde ja schließlich keiner krank hinkommen. Äh, asymptomatisch Infizierte? Ansteckungsgefahr vor Symptomausbruch? Auch die Geschichte mit den Aerosolen scheint Monate nach ihrer wissenschaftlichen Bestätigung weder in der Wahrnehmung der Leute noch in der Festlegung von Sicherheitsmaßnahmen angekommen zu sein.
Als jemand, der nach wie vor sehr vorsichtig ist und die Grundregeln doch gerne eingehalten haben möchte, kommt man sich mittlerweile vor wie der letzte Depp und traut sich oft nicht, das einzufordern (insofern kann ich Deine Reaktion gut verstehen,
@Crystal). Ich bin mal gespannt, wie das bei mir auf der Arbeit weitergeht, wo auch immer weiter "gelockert" wird, die Leute sich immer mehr entspannen. Sicherlich wird es bald den ersten Konflikt geben über eine dienstliche Aufgabe, z. B. mit vielen Leuten in einem Raum oder Nahkontakt mit jemandem, bei der ich mich weigern muss, weil ich sie als zu riskant ansehe...
Wenn ich das von Drosten noch richtig im Kopf habe, sind die Antikörper, die man im Test nachweist, aber gar nicht entscheidend für die Abwehr einer weiteren Infektion, sondern irgendwas im "Gedächtnis" des Immunsystems, was man aber nicht so leicht nachweisen kann.
Das hat übrigens Kekulé in seinem Podcast vom letzten Dienstag auch noch einmal genau so erklärt: Der Antikörper, über den der Nachweis geführt wird, und die Fähigkeit des Immunsystems, das Virus bei einem erneuten Kontakt gleich platt machen zu können, sind zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe. Angst-Schlagzeilen zu nicht bleibender Immunität sind also nicht angebracht. Blöd ist es allerdings für die Antikörperstudien, die die länger zurückliegende Durchseuchung und somit die schon bestehende Bevölkerungsimmunität erfassen sollen. Da wird es dann wohl eine deutliche Unterschätzung geben (was aber natürlich immer noch besser ist als umgekehrt).
Schließlich wollte ich auch nochmal auf Drostens Aussagen zum Thema Schule im vorerst letzten Podcast vom letzten Dienstag eingehen: Dass man sie natürlich aus gesellschaftlichen Gründen irgendwann wieder aufmachen muss und sie dann aber nicht virenfrei bekommen wird und auch nicht ständig wieder schließen kann, wenn es Fälle gibt. Dass man sich dementsprechend über den Sommer überlegen muss, wie man damit umgeht, was das bedeutet für die Lehrer, für gefährdete Schüler und Schüler mit gefährdeten Angehörigen, für die Schulpflicht. Statt herumzuspekulieren, ob es nun gefährlich oder ungefährlich ist.
Ich würde da noch einen weiteren Aspekt hinzufügen: Da zu erwarten ist, dass es durch Schulöffnungen zu einer verstärkten Verbreitung des Virus kommen wird, müsste man außerdem schauen, ob man das an anderer Stelle "ausgleichen" kann, damit die Gesamtsituation trotzdem halbwegs beherrschbar bleibt. Mit anderen Worten, Schule ja, dafür aber wieder strenge Kontaktbeschränkungen und Verbot von Freizeitaktivitäten, die zu einer Weitergabe an andere Personenkreise führen können.
Wenn man das zuende denkt, landet man bei einer knallharten "Notwendigkeitsstrategie" für die gesamte Gesellschaft. Leider ist zu bezweifeln, dass die Bevölkerung das mitmacht...
Micah