Sich im Bezug auf die Russische Föderation Hoffnungen darauf zu machen, dass das repressive, ultranationalistische Regime namens VR China (das selbst fleißig danach strebt, "abtrünnige Provinzen" wieder einzugliedern) in irgendeiner Form einen mäßigenden oder vermittelnden Einfluss ausüben ist, halte ich für milde formuliert nicht von der Realität gedeckt. Das ist ähnlich naiv wie das Konzept vom "Wandel durch Handel", intensivere Wirtschaftsbeziehungen haben nicht dazu geführt, dass sich die VR China politisch grundlegend liberalisiert hat, unter Xi Jinping ist sogar das komplette Gegenteil der Fall. Die VR China steht an der Seite der Russischen Föderation und wird die Situation sehr wahrscheinlich nutzen, um ihren Einfluss auszubauen und Testballons steigen zu lassen, wie weit man im Bezug auf Taiwan und andere "ureigene chinesische Gebiete" gehen kann. Vielleicht findet man ja mal wieder ein paar alte Seekarten, die "beweisen", dass die Philippinen zu China gehören.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dem russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine Einhalt zu gebieten: Zeigt man hier Schwäche, fühlen sich auch andere Autokraten ermutigt, mit Gewalt Grenzen nach ihren Vorstellungen neu zu ziehen.
Auf RIA Novostoi und Sputnik, den Sprachrohren der russischen Regierung (wo Ende Februar ja auch schon der Sieg verkündet wurde) erschien die Tage ein Artikel mit den russischen Zielvorstellungen im Bezug auf die Ukraine (Quelle, in russischer Sprache
https://web.archive.org/web/20220403141357/https://ria.ru/20220403/ukraina-1781469605.html).
1. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung wird vom "Nazi-Regime" "nazifiziert".
2. Odessa, Charkiw, Dnipro und Mariupol werden offen als "russische Städte" bezeichnet.
3. Die ukrainische Zivilbevölkerung muss für ihre "passive Unterstützung der Nazis" bestraft werden, zunächst durch die anhaltenden Härten des Krieges, dann durch die Unterdrückung "nazistischer Haltungen" und eine "harte Zensur" in allen Bereichen.
4. Ein Land, das "entnazifiziert" wird [die Ukraine], kann kein souveräner Staat sein.
5. Der Westen ist der Architekt, die Quelle und der Sponsor des "ukrainischen Nationalsozialismus", daher kann die Ukraine nicht in die EU aufgenommen werden.
6. Der "entnazifizierte Staat" darf nicht den Namen "Ukraine" tragen.
7. Auf den "entnazifizierten" Gebieten müssen mehrere "Volksrepubliken" gegründet werden, die sich dann dafür "rehabilitieren" würden, dass sie Russlands Feinde waren.
8. Die "Entnazifizierung" wäre unweigerlich eine "Entukrainisierung".
9. "Fünf Regionen" der Westukraine würden eine "russlandfeindliche", entmilitarisierte und "zwangsneutrale" Ukraine mit russischen Streitkräften auf ihrem Territorium bleiben.
Wie die "Entnazifizierung" der Ukraine ganz konkret aussieht, hat sich in den letzten Wochen und Tagen auf besonders schreckliche Weise gezeigt: Gezielte, absichtliche Angriffe auf rein zivile Einrichtungen, Erschießungen von "Männern im wehrfähigen Alter", die Bombardierung von humanitären Korridoren, der Einsatz von Streumunition in zivilen Wohngebieten, das Legen von Minen ohne Einhaltung der Regeln des Kriegsvölkerrechts, massenhafte Plünderungen, das Kursieren von "Todeslisten" mit den Namen ukrainischer Bürgermeister und ihrer Familien. Die Streitkräfte der Russischen Föderation erweisen sich als
erbärmliche Soldaten, die fehlende militärische Kompetenzen und Erfolge durch schiere Brutalität "ausgleichen" und die Bilder aus dem Jugoslawien der 90-Jahre wieder heraufbeschwören.
Wir sprechen hier nicht von den Kollateralschäden eines Krieges, die ich trotz aller Sympathien für die Ukraine auch den russischen Streitkräften nicht vorwerfen würde. Wir sprechen nicht davon, dass Infrastruktur, die zivilen und militärischen Zwecken dient (wie beispielsweise Kraftwerke, Treibstofflager, Brücken, etc.) bombardiert wird und dabei in einem proportionalen Verhältnis zum militärischen Vorteil Zivilisten getötet werden. Wir sprechen nicht davon, dass bestimmte Munitionsarten gegen militärische Ziele eingesetzt werden oder in unübersichtlichen Situationen versehentlich Menschen ins Kreuzfeuer geraten. Das ist moralisch bedauerlich, aber vom Kriegsvölkerrecht gedeckt.
Nein. Wir sprechen von dem systematischen Versuch, die Ukraine als Nation auszulöschen, wir sprechen von Massakern, die keinerlei militärische Rechtfertigung haben, wir sprechen davon, dass dieser Krieg gegen einen demokratischen, freiheitlichen und souveränen Staat mitten in Europa, von dem keine konkrete Bedrohung gegen die Russische Föderation ausging und der diesen Konflikt nicht begonnen hat, ein Verbrechen ist - sowohl die Tatsache, dass er geführt wird, und wie er geführt wird.
Aber sicher: Stattdessen kann man sich darüber beklagen, dass der ukrainische Botschafter das enge Verhältnis Deutschlands zur Russischen Föderation unverblümt kritisiert und energisch Hilfe fordert. Man kann verzweifelt versuchen, irgendeine moralische Äquivalenz herbei zu konstruieren und munter der russischen Propaganda nachplappern. Man kann sogar hoffen, dass bald die russische Fahne über die Kiew weht, und wird dafür anders als in der Russischen Föderation nicht verhaftet oder zensiert. Kann man alles machen.
Aber man kann nicht erwarten, dass ich den Bütteln, Wasserträgern und Lakaien dieser auch der Bunderepublik Deutschland und ihren Partnern und Verbündeten feindlich gesonnen Nation, deren Bevölkerung (leider) den Krieg mehrheitlich unterstützt, große Achtung oder Verständnis entgegenbringe. Der Menschenschlag, der "Putin hilf" skandiert, würde im Fall des Falles auch mit Z-Armbinde und russischer Flagge am Straßenrand stehen, wenn die Panzer nicht Richtung Kiew, sondern Richtung Berlin rollen. Da habe ich mehr Achtung vor den Menschen, die einen genuin ethisch motivierten Pazifismus vertreten, auch wenn ich deren Ansichten nicht teile -
die sind immerhin (in vielen Fällen) keine fünfte Kolonne für ausländische Diktatoren.
https://www.spiegel.de/ausland/ukra...rechen-a-3e309e81-3fd2-4de6-a3af-e6a5d0e6165f
https://www.spiegel.de/wissenschaft...-putin-a-29d60316-282b-4545-b4c6-642c32f92399
https://www.srf.ch/news/international/krieg-in-der-ukraine-butscha-die-hoelle-des-21-jahrhunderts