Auch wenn es für eine langfristige Beurteilung des deutschen Einsatzes in Afghanistan noch zu früh ist, lässt sich mit dem Abzug zumindest eine Art Zwischenfazit ziehen.
Auf der Haben-Seite steht die Zerschlagung von Al-Qaida in der Region, die Terrororganisation kann Afghanistan nicht mehr als Rückzugs- und Operationsgebiet nutzen und hat dadurch enorm an Gefährungspotential auf der ganzen Welt verloren. Mit dem Tod von Osama bin Laden wurde zudem der Verantwortliche für den schlimmsten Anschlag der neueren Geschichte einer imo gerechten Strafe zugeführt, was einen hohen Symbolcharakter hat und dem islamistisch motivierten Terrorismus einen schweren Dämpfer verpasst hat. Die deutsche Bündnisolidarität mit dem angegriffenen Partner USA hat zudem bewiesen, dass die NATO auch gegenüber nicht-staatlichen Bedrohungen handlungsfähig ist.
In Afghanistan selbst zeigen humanitäre Kennzahlen dank der Arbeit Bundeswehr, Bundespolizei, THW und verschiedener NGOs und der afghanischen Regierung (die unter ihrem Schutz bzw. dem der neu aufgestellten einheimischen Sicherheitskräfte arbeiten) seit 2001 deutlich nach oben. Die Kindersterblichkeit ist drastisch gesunken, die Lebenserwartung um mehr als 7 Jahre gestiegen, der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Bildung hat, hat sich beinah verdoppelt (insbesondere Frauen und Mädchen), die Wirtschaftsleistung hat sich verdreifacht und damit vielen Menschen besonders in den urbanen Gebieten Chancen für ein Entkommen aus der Armut ermöglicht. Darunter fällt auch der Zugang zu Strom, fließenden Wasser und medizinischer Versorgung.
Was jedoch nicht gelang, ist die Etablierung eines wirklich im ganzen Land handlungsfähigen afghanischen Staates in Form einer Demokratie nach westlichem Vorbild und ein entscheidender militärischer Sieg über die Taliban bzw. deren Ausschaltung als politischer Faktor. Probleme wie Korruption, Warlords, Drogenhandel und regelmäßige Kampfhandlungen und Terroranschläge und mangelnde Akzeptanz für die Zentralregierung in Kabul bestehen fort. Es ist durchaus möglich, dass es den Taliban gelingt, wieder weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, auch ein Fall Kabuls und ein daraus resultierender Bürgerkrieg mit noch weiteren Fraktionen ist vorstellbar - was viele der oben genannten Erfolge wieder zunichte machen würde. Angesichts der geographischen und demographischen Situation in Afghanistan könnte man allerdings auch das Fortbestehen eines von der Regierung kontrollierten "Kerngebiets" zumindest als Teilerfolg werten.
Viel ist über die Länge des Einsatzes geschrieben und diskutiert worden, aber diese Diskussion führt in meinen Augen in die Irre. Ein Beispiel: Im Rahmen der sogenannten "Operation Banner" waren britische Truppen von 1969 bis 1998 (bzw. 2007) in Nordirland stationiert und sorgten dafür, dass die IRA ihre Ziele nicht mit Gewalt und Terror durchsetzen konnte, sondern im Rahmen eines politischen Prozesses eine Friedenslösung für die Region gefunden werden und ein Versöhnungsprozess in Gang gesetzt werden konnte. Das war ein Einsatz von mehr als 30 Jahren, mit hohen Verlusten, und das mitten in Europa. Es ist in meinen Augen daher merkwürdig, wenn man Afghanistan als "ewigen Krieg" bezeichnet oder düster raunt, es wäre unmöglich, dort eine Verbesserung der Zustände zu erreichen - angesichts der anderen Bedingungen dort wäre dafür schlicht mehr Zeit und Aufwand notwendig und man müsste bereit sein, weitere Verluste zu akzeptieren. Dass man nun Afghanistan mehr oder weniger sich selbst überlässt, mag sich vielleicht als die richtige Entscheidung erweisen - aber ich habe da so meine Zweifel, ob man mit dem Abzug den Menschen in Afghanistan und der weltweiten Sicherheit wirklich einen guten Dienst erweist.