Ich nicht.
Vielleicht versucht ihr einfach mal, Osteuropäer und Balten zu verstehen. Die Leute, die Jahrzehnte und Jahrhunderte unter russischer Fremdherrschaft gelitten haben.
Was ich zu verstehen glaube, ist, dass es als Betroffener ziemlich schwer sein kann, die eigene Betroffenheit nicht als Maß für Entscheidungen zu nehmen. Du schreibst es selbst: Es geht um ein kollektives Trauma, das dir und anderen widerfahren ist. Auch mit Blick auf, wer denn auf Putin folgen könnte, wird die Situation nicht einfacher.
Ich leide nicht unter diesem kollektiven Trauma, das stimmt. Aber heißt das dann, dass ich dazu nichts sagen darf? Oder sagen
kann, nur weil ich es
anders sehe oder verstehe?
Leider ist es wohl in der gesamten Geschichte so, dass bestimmte Systeme furchtbares Leid über andere gebracht haben.
Bosniaken, Tutsi, Rumänen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Wichtig finde ich, dass dieses Leid anerkannt wird und das Täter hier auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Gleichzeitig finde ich wichtig, zu versuchen, zu sehen, dass es neben all diesen Tätern eben auch jene gibt, die nicht dazu zählen, die das System nicht unterstützen, etc.
Ja, es wäre wünschenswert, wenn es viel, viel mehr Russen wären, die offen auf die Straße gehen. Und natürlich kann die Frage erlaubt sein, ob es nicht feige ist, wenn sie es nicht tun. Gleichzeitig lässt sich das von unserer Position aus auch sehr einfach sagen, eben weil wir sehr frei unsere Meinung äußern können. Ich kann hier und heute felsenfest behaupten, dass ich, wäre ich Russin in Russland, protestieren würde gegen den Krieg. Wenn ich auch ziemlich überzeugt davon bin: Würde ich das auch dann tun, wenn man nicht nur mir, sondern denen, die ich liebe, mit dem Tod droht?
Und hier fängt es vermutlich an, ganz besonders anstregend zu werden, weil es so wirkt, als wolle man Russen schützen - und deswegen sage ich erneut: Mir geht es nicht um die, die den Krieg befürworten. Mir geht es um das pauschale "alle". Ich mag dieses "die" nicht, dass alle einschließt.
Geht es hier um Kriegstreiber und um Befürworter von Putin: Da schlagen mindestens zwei Herzen in meiner Brust, das gebe ich zu.
Das, was sagt, dass diese Leute gefälligst bleiben sollen, wo sie sind. Dann wiederum das, was mir sagt, dass sich Menschen vielleicht ändern. Und dann, ganz wesentlich das, dass sich fragt, wie es denn testen soll, welche Gesinnung Menschen haben? Wie will ich das feststellen? Und WEIL ich es nicht richtig finde, eine Liste (oder was auch immer) zu führen, Menschen auf Herz und Nieren zu testen, einen "Gesinnungstest" zu machen, komme ich am Ende doch wieder zum gleichen Schluss.
Bei alldem ist meiner Meinung nach auch unerheblich, ob in einem anderen Land Leute mutiger sind. Vermutlich wird es
immer Leute geben, die mutiger sind als andere. Aber was bringt dieses Wissen? Was ändert es? Gar nichts, weil ich nicht voraussetzen kann, dass alle gleich sind.
Würde ich einzig das Leid betrachten, dass Systeme und Institutionen über andere gebracht haben... Dann müsste ich vermutlich die halbe Welt hassen. Begonnen mit Religionen, über Institutionen.