Wenn man jemandem, der den Film noch nicht gesehen hat, die Empfehlung ausspricht, sich "Spiel mir das Lied vom Tod" anzusehen, ist die erste Frage, die meist darauf folgt "worum geht es denn da?" Und genau da kommt man zum ersten Mal ins Stocken...
Ja worum geht es da eigentlich?!...lasst mich versuchen, einige mögliche Antworten zu erörtern:
Es geht um einen Mann, dessen Bruder vor langer Zeit ermordet wurde und der jetzt loszieht, um Rache zu üben...160 Minuten Rache üben?
so oder so ähnlich dürfte das Gesicht des Gegenübers bei dieser Antwort aussehen..."und das soll ich mir jetzt ansehen?" Versuchen wir es noch mal...
Es geht um den Fortschritt der Technik im wilden Westen und um die aussterbende Rasse "Cowboy", quasi um einen Epochenwechsel in den USA. Dies ließe sich auch schön am Titel dokumentieren, wäre er nicht bei der Übersetzung ins Deutsche verhunzt worden. Aus dem italienischen Original (sinngemäß: "Once apon a time, there was a West") wurde im Englischen "Once Upon a time a Time IN the West" und bei uns kam dann schließlich nur noch der Titel "Spiel mir das Lied vom Tod" an, was wir wahrscheinlich einem Hirnfurz eines Marketingchefs zu verdanken haben...Aber zurück zum Thema. Es geht also um diesen Epochenwechsel...hm, nicht ganz falsch, aber wenn sie ihrem Gegenüber diese Antwort auftischen, dürfte er noch skeptischer gucken als George W. Bush vor dem Öffnen eines tickenden Briefes mit arabischem Absender...das kriegen wir besser hin...
Es geht um unerfüllte Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte. Im Mittelpunkt stehen 5 Charaktere, und ihre jeweiligen Vorstellungen des Begriffs "Lebensaufgabe". Bestes und symptomatischstes Beispiel hierfür ist wohl Morton. Morton hat alles! Ansehen! Geld! Macht! Und Knochentuberkulose.
Der letzte Wunsch in seinem schon sehr fortgeschrittenen Lebensabend ist es, den Pazifik mit seiner eigenen Eisenbahn zu erreichen, und sein Ableben im Kontrast zu diesem Herzenswunsch gehört zu den eindrucksvollsten Szenen, die ich kenne...filmübergreifend! Frank hingegen träumt davon Mortons Platz einzunehmen, und wird von seiner Vergangenheit dahingerafft... Cheyenne merkt erst gegen Ende, dass sein persönliches Glück in einem Leben mit Jill gelegen hätte...doch als er ihr vorschlägt, bei ihr zu bleiben, zeigt sie ihm die kalte Schulter...und er reitet zum Sterben in die Einsamkeit. Ja, die unerfüllten Sehnsüchte ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film und sind dennoch nur Beiwerk, nicht Anschauungsmittelpunkt..."Um unerfüllte Sehnsüchte??" wird ihr Gegenüber sagen "da guck ich lieber Gute Zeiten, Schlechte Zeiten....noch nicht die gewünschte Antwort, aber wir nähern uns an...
Hmm...je mehr ich über den Inhalt des Films nachdenke, desto mehr drängt sich mir ein Gedanke auf: es geht nicht um die Story, die erzählt wird, es geht eher darum, was der Film schafft daraus zu machen...mir fehlt nur noch der treffende Begriff...
"eine Oper der Gewalt" ist wohl der Untertitel, den man am häufigsten im Zusammenhang mit "Spiel mir das Lied vom Tod" zu Gesicht bekommt. Und eine Oper ist er wirklich. Leones einzigartiges Talent, immer genau im richtigen Moment auf die grandiosen Gesichtszüge seiner Schauspieler zu fokussieren, zeigt sich in keinem seiner Filme so deutlich wie hier. Er wechselt extreme Nahaufnahmen (Bronsons Augen füllen in einer Schlüsselszene kurz vor Schluss die gesamte Leinwand aus) mit ebenso extremen Weitwinkelshots, die die unendlichen Weiten der Prärie sehr schön einfangen. Er zieht den Fokus an, und lässt ihn locker, und das auf unvergleichliche Art und Weise. Und die Übergänge sind auch nicht ohne, siehe hier Jills Ankunft am Bahnhof, mit dem Zoom über den Bahnsteig durchs Fenster auf die Westernstadt...die Wahl der Schauspieler ist ebenfalls Leone-typisch akribisch bis in die Statistenrollen. Jedes Gesicht unverwechselbar, keiner ähnelt dem anderen, achtet mal darauf!
Das übrige zum Opernfeeling tut dann noch Ennio Morricones legendäre Musik. Vier Stücke beinhaltet der Soundtrack, jeder Hauptcharakter hat sein Theme zugeordnet bekommen, und wird dadurch auch immer akustisch eingeführt; Gruß an Star Wars. Diese Methode erlaubt es durch die Musikwahl dem Zuschauer verständlich zu machen, aus wessen Perspektive er die Geschehnisse im Moment wahrnimmt. "Jills West" ist nicht "Cheyennes West", beim mehrmaligen Ansehen fallen einem diese Perspektivenwechsel irgendwann auf.
Musik, Kamera, Schauspieler, und vor allem Regie, alles greift ineinander, alles bildet eine Einheit, zusammengehalten durch eine unvergleichliche Liebe zum Detail (Leone hat echten Staub aus der Prärie nach Spanien einfliegen lassen, weil die Farbe des einheimischen Staubs nicht gestimmt hat!).
Alles wirkt perfekt inszeniert, nichts sticht, nichts beißt, nichts kneift, und das ist wirklich selten... wenn der Film etwas NICHT schafft, dann hat man den Eindruck er WOLLTE es nicht schaffen. Manche mögen sagen er hat Längen, er erzählt wenig Story in vielen Minuten (der längste Vorspann der Filmgeschichte), aber diese Meinung teile ich nicht, ich sage der Film nimmt sich die Zeit, die er braucht, um das auszusagen, was er will, Zeit für eine perfekte Inszenierung...Inszenierung...das ist es! Genau das ist der fehlende Begriff...
Wenn man also mal gefragt werden sollten "worum geht es denn eigentlich in Spiel mir das Lied vom Tod?", könnte man ruhigen Gewissens antworten: "es geht um die Kunst filmischer Inszenierung"!
PS "Leichen pflastern seinen Film" ist ein weiterer, hier bisher nicht genannter Italiowestern.