Türkischer Militärchef legt sich mit Erdogan an
Leiter des Generalstabs warnt vor Angriffen auf die Armee und vor der Islamisierung des Landes
Der neue türkische Generalstabschef Yasar Büyükanit geht gleich zu Beginn seiner Amtszeit auf Konfrontationskurs zur Regierung von Ministerpräsident Erdogan.
Athen - Er sei ein "Falke" heißt es von Yasar Büyükanit. Und es scheint, als wolle der designierte türkische Generalstabschef, der am heutigen Montag sein Amt antritt, keine Zeit verlieren, diesem Ruf gerecht zu werden. Am Wochenende nutzte der bisherige Heereschef die Amtseinführung seines Nachfolgers Ilker Basbug zu markigen Worten. "Jene, die davon träumen, die türkische Republik in einen anderen Staat zu verwandeln, werden scheitern", warnte Büyükanit, "sie werden, wenn ihre Zeit gekommen ist, zur Rechenschaft gezogen." Angesprochen fühlen durfte sich ein Herr, der bei dem Festakt mit versteinerter Miene in der ersten Reihe saß: Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Die Generäle, Wächter über die vom Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk vor über acht Jahrzehnten etablierte weltliche Verfassungsordnung, misstrauen dem Premier wegen dessen Verwurzelung im politischen Islam. Sie fürchten, Erdogan verfolge die schleichende Islamisierung der Türkei.
Büyükanits Vorgänger als Generalstabschef, Hilmi Özkök, galt als ein Mann des Ausgleichs. Zwar gab es auch zu seinen Zeiten manche Reibereien zwischen der Militärführung und der Regierung, aber Özkök vermied die offene Konfrontation mit Erdogan; und der achtete seinerseits darauf, die Generäle nicht unnötig zu provozieren. Doch unter dem 66-jährigen Büyükanit wird wohl ein schärferer Wind wehen. Wer die Soldaten und die Offiziere angreife, "die jeden Tag ihr Leben einsetzen, um das Land zu schützen", werde unnachsichtig bestraft, warnte der General: "Niemand kann sich hinter den Menschenrechten oder der Demokratie verstecken, die türkische Republik und ihr Militär sind entschlossen, diese Gruppen zu eliminieren".
Von Angriffen auf das Offizierskorps kann Büyükanit ein Lied singen. Im März brachte ihn ein Staatsanwalt in Verbindung mit einem Mordanschlag auf ein mutmaßliches Mitglied der kurdischen PKK. Büyükanit selbst hatte sich kompromittiert, als er einen der inzwischen verurteilten Attentäter, einen Offizier der paramilitärischen Gendarmerie, als "guten Mann" lobte. Staatsanwalt Ferhat Sarikaya sah darin den Eingriff in ein schwebendes Verfahren. Er beschuldigte Büyükanit außerdem, an der Bildung einer kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein. In Kreisen der Streitkräfte sah man in diesen Anschuldigungen den Versuch der Regierung, den Aufstieg des Hardliners Büyükanit zum Generalstabschef zu durchkreuzen. Wenn das der Plan gewesen sein sollte, schlug er fehl. Zur Anklage kam es nicht. Das wäre nur mit Billigung des Generalstabs möglich gewesen. Stattdessen wurde der Staatsanwalt seines Amtes enthoben.
Die erste Kraftprobe mit der Regierung hatte Büyükanit damit bereits gewonnen, bevor er sein Amt als oberster Soldat überhaupt antrat. Und Ministerpräsident Erdogan muss sich wohl auf weitere Konflikte einstellen: "Die türkischen Streitkräfte sind kein kleines Flämmchen, das beim geringsten Windstoß erlischt", belehrte Büyükanit die Festversammlung bei der Amtseinführung des neuen Heereschefs, "sondern ein Feuersturm, der immer stärker wird, je heftiger der Wind weht". Gerd Höhler