Die Ereignisse der letzten Tage veranlassen mich, noch mal ein paar Dinge Revue passieren zu lassen:
Halten wir also fest: Auf einer Strategiekonferenz der Linkspartei in Kassel im Jahr 2020, also einer ernst gemeinten Veranstaltung, in der das Profil der Partei mitgestaltet werden soll (kein politischer Aschermittwoch) spricht ein Partmitlied, das in der LAG Betrieb und Gewerkschaft & BAG Klimagerechtigkeit tätig ist, davon, dass man nach einer einer geglückten Revolution, bei der die reichsten 1 % der Deutschen erschossen wurden, natürlich immer noch heizen und sich fortbewegen muss. Die Aussage wirkt unbedingt nicht wie ein Scherz und niemand erhebt besonders deutlich Widerspruch dagegen. Bernd Riexinger, Parteivorsitzender, der daneben sitzt, feixt nach kurzer Pause, dass man diese Menschen natürlich nicht erschießen werde, sondern einer nützlichen Arbeit zuführen werde. Gelächter, Gemurmel, hier und da Applaus.
In anderen Worten: Locker-entspannt redet man darüber, dass im Rahmen eines gewaltsamen Umsturzes (Revolution) in Deutschland ca. 800.000 Menschen mit ihren Familien nachts aus ihren Häusern gezerrt, enteignet, an die Wand gestellt und ermordet werden sollen. Doch, halt, Genosse Riexinger zeigt sich gnädig: Sie sollen
nur nachts aus ihren Häusern
gezerrt, enteignet und dann zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Na, dann ist ja alles halb so wild, was für ein saukomisches Bild, oder? Gerade vor dem historischen Hintergrund des real existierenden Sozialismus ist das ja alles bestimmt nicht so ernst gemeint und wenn doch...na ja, das sind halt die paar Radikalen, die Linkspartei hat sich doch "demokratisiert" und so...
Merke: Wer laut Definition der Linkspartei reich ist - unabhängig davon, ob er diesen Wohlstand legal erworben hat, ob er diesen Glück, harter Arbeit oder beidem verdankt, ob er ordnungsgemäß seine Steuern zahlt, ob er spendet, ob er für seinen Wohlstand lange gelernt hat - ist jemand, dem man alle Rechte absprechen kann. Mit einem demokratischen Rechtsstaat ist so etwas unvereinbar.
Interessant in diesem Zusammenhang auch weitere Redebeiträge wie der von Tim Fürup von der "Antikapitalistischen Linken":
"Wir müssen diesen parlamentsfixierten Abgeordnetenbetrieb schwächen. Und das machen wir damit, das wir feststellen, was die Aufgaben einer Linken sind. Staatsknete im Parlament abgreifen, Informationen aus dem Staatsapparat abgreifen, der Bewegung zuspielen, den außerparlamentarischen Bewegungen das zuspielen, und dann braucht man natürlich noch das Parlament als Bühne, weil die Medien sind so geil auf dieses Parlament, dass sollten wir doch nutzen. Aber alles was darüber hinaus geht, brauchen wir nicht unbedingt."
https://www.spiegel.de/politik/deut...amagen-a-9336f98f-40ec-428a-bc17-bdb2c4a241aa
Man gönne sich auch mal einige Beiträge zur Strategiekonferenz, als PDF verfügbar:
S. 77: "Mit Reform und Revolution kämpfen wir gegen das Privateigentum an Produktionsmitteln [...]. Soziale Verbesserungen zu erkämpfen ist für uns kein Aushandlungsprozess im sozialdemokratischen Appeasement oder dem gewerkschaftlichen Co-Managment der Klassen. Dies ist ein Kampf um die Verbesserung der Lebens- und Kampfbedingungen, für die Teilhabe an gesellschaftlichen Verfügung der Produktions- und Lebensbedingungen; auf dem Weg zum demokratischen Sozialismus.
S. 366: "Diese Umgestaltung der Gesellschaft bedeutet eine Revolution, und zwar eine im wahren Sinne des Wortes. Eine gesellschaftliche Revolution ist ein längerer Prozess, in dessen Verlauf sich alle Bereiche der Gesellschaft; Wirtschaft. Lebensweise, staatliche Ordnung, Kultur wesentlich verändern. In der bisherigen Geschichte hat ein solcher Prozess nicht mit einem Sturz des Staates begonnen, sondern mit der Veränderung der Wirtschaft - abgesehen vom Realsozialismus, dessen Lehren viele Fragen aufwerfen. Es ist möglich, z. B. in Deutschland unter Ausnutzung aller durch das Grundgesetz und juristische Regelungen möglichen Eigentumsformen an Produktionsmitteln Keimzellen einer neuen Produktionsweise zu entwickeln - auf regionaler Basis vorerst."
S. 409: "Im Programm der Partei DIE LINKE findet diese revolutionäre Herausforderung bislang nicht statt. Wenn wir das nicht schnellstens ändern, hängen wir uns selbst von gesellschaftlichen Entwicklungen ab, die rasant laufen. Das kann keine moderne LINKE wollen, schon gar keine, die auch im 21. Jahrhundert mit und bei Karl Marx ist. Für ihn waren gravierende Veränderungen bei den Produktivkräften stets die entscheidende Basis für gesellschaftliche Umbrüche."
https://strategiedebatte.die-linke....ebatte2020/Reader/Reader_Strategiedebatte.pdf
Aber, Moment, es gibt doch noch die Gemäßigten in der Linkspartei, wie z. B. den honorigen Bodo Ramelow, oder? Ja, die gibt es - und die distanzieren sich nicht selten bestenfalls halbherzig von den Radikalen und Extremisten in der Partei. Für Bodo Ramelow war die DDR kein Unrechtsstaat und es gab an der innerdeutschen Grenze keinen Schießbefehl. Das lässt zwei Folgerungen zu: 1) Er glaubt das wirklich. Dann ist er vieles, aber nicht gemäßigt. 2) Er glaubt das nicht, aber will es sich nicht mit seinen Parteifreunden verscherzen. Dann ist er vieles, aber vor allem ein Heuchler.
Man beachte: Der Geschäftsführer der thüringischen Linkspartei, Mathias Günther, ist ein ehemaliger Offizier der Grenztruppen der DDR und ein Stasi-Spitzel.
https://www.spiegel.de/politik/deut...uehrer-werden-mathias-guenther-a-1300642.html
Die DDR, kein Unrechtsstaat?
300.000 politische Gefangene
Ca. 1.000 Tote an der innerdeutschen Grenzen - flüchtende, unbewaffnete Männern, Frauen und Jugendlichen, denen in den Rücken geschossen wurde, die von Selbstschussanlagen getötet wurden, die in Minenfeldern verbluteten.
Zwangsadoptionen
Zwangsumsiedlung
Einparteienstaat
Wahlfälschung
Und die Liste geht noch lange weiter!
https://www.personen-suche-ddr.de/allgemeines/rehabilitation-vom-§-249-stgb-der-ddr/zahlen-politische-haftlinge-der-ddr/
Kein Schießbefehl?
Erich Honecker erklärte am 3. Mai 1974 auf der 45. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates in seiner Funktion als Vorsitzender:
„Es muss angestrebt werden, dass Grenzdurchbrüche überhaupt nicht zugelassen werden […] überall muss ein einwandfreies Schussfeld gewährleistet werden […] nach wie vor muss bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen.“
In der Tat war es üblich, Grenzsoldaten, die durch das Erschießen von Flüchtlingen Grenzdurchbrüche verhindert hatten, zu belobigen. Auch wurde Sonderurlaub gewährt und Geldprämien gezahlt.
https://www.spiegel.de/panorama/zei...ch-nicht-bei-frauen-und-kindern-a-499434.html
Nicht falsch verstehen: In Thüringen haben sich CDU und FDP moralisch (Tolerierung durch eine rechtsradikale und teilweise offen rechtsextreme AfD) wie auch taktisch maximal falsch verhalten und sowohl die Wähler vergrault, die nach Links Abgrenzung wollten und die, die nach Rechts Abgrenzung wollten. Und dass die Linkspartei sich jetzt als staatstragende, gemäßigte Kraft der Mitte präsentieren kann...ganz ehrlich, ich finde das nicht gut, milde formuliert. Eigentlich ist jetzt das passiert, was am Anfang hätte passieren sollen - CDU und FDP hieven keinen Linken ins Amt, kooperieren aber auch nicht mit der AfD, und im dritten Wahlgang wird Ramelow eben gemäß der Wahlergebnisse und mit den Stimmen von SPD und Grünen MP. Das hätte von Anfang an so passieren sollen. Kein wie auch immer geartetes Paktieren mit der AfD, keine Stimmen von konservativen und liberalen Parteien für jemanden aus der Linkspartei. Das wäre konsequent gewesen.
Und irgendwie verstehe ich immer noch nicht, warum die Linkspartei in Thüringen auf so gute Werte kommt. Die Erfolgsgeschichte dieses Bundeslandes, das sich seit 1990 im Bereich Löhne, Beschäftigung, Bildung, etc. richtig gut entwickelt hat, ist eine Erfolgsgeschichte der Menschen dort, aber auch der CDU, die dort bis 2014 den MP stellte. Ramelow hat diese Erfolge - das mag man ihm zubilligen - ganz ordentlich verwaltet, profitiert vom Landesvater-Bonus und gibt sich bürgerlich, aber das genügt schon, damit er auf so hohe Zustimmung stößt und Aussagen wie zur DDR einfach unter den Tisch fallen? Hat die CDU - ähnlich wie in Baden-Württemberg - sich zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht? Das würde mich tatsächlich sehr interessieren, um die Ereignisse besser einordnen zu können.