Weiterhin habe ich oben in meinen Beitrag zu Amerika mir die Mühe gemacht, zu schreiben, warum ich weitere Verfallsstadien in den USA und ihrer Identitätskrise ausmache und dass Kallens Theorie von der "Salatschüssel" immer weniger aufgeht und nein, Fotos vom fahnenschwänkenden Parteitag der Democrats im Wahlkampf ändern gar nichts an diesen Problemen, wenn die "Schüssel" zunehmend Erosionen ausgesetzt ist, die Fliehkräfte in der Gesellschaft sie also zwischen Vorstellungen eines schrankenlosen Individualismus städtischer Eliten und tribalen Solidarismus vieler Einwanderergruppen sie langsam aufreiben.
Dann ist ja alles klar. Nicht der von dir geäußerte Vorwurf von doppelten Loyalitäten, nicht die Behauptung, mexikanische Einwanderer würden im Verbund mit Nationalisten in Mexiko die Abspaltung ganzer Bundesstaaten betreiben, nicht die Bezichtigung, sie würden sich bewusst von der amerikanischen Gesellschaft abkapseln, und nicht einmal die These, sie hätten - weil "falsche" Herkunft und Kultur - keinen Anteil an dem von überlegenen Weißen* geschaffenen Erfolg Amerikas, ist Schuld an einer tatsächlichen oder auch nur herbei geschriebenen (oder herbei gesehnten, weil dann endlich wieder "ethnisch rein", gell?) Erosion der Vorstellung von den USA als Schmelztiegel, sondern diese dreisten Latinos.
*Interessant, wie die ganze Zeit spezifisch von der "weißen" Arbeiterklasse die Rede ist, die offenbar ausschließlich wirtschaftliche Wohl und Wehe zu spüren bekommt und den Wohlstand erwirtschaftet. Ich dachte, am Fließband ist die Hautfarbe erst mal grundsätzlich egal? Tatsächlich können auch Weiße Opfer von Rassismus werden und nicht jedes Mal, wenn das Wort "Diskriminierung" im Raum steht, sind davon Minderheiten betroffen - aber die Wahrscheinlichkeit, dass es Nichtweiße trifft, ist zumindest in einem mehrheitlich weißen Land höher. Man denke auch an den Rassismus in Südafrika, der sich gegen Einwanderer aus Nigeria richtet - keine Frage der Hautfarbe, sondern der Herkunft und Anzahl.
Ich teile übrigens die Kritik der Marxisten, dass wir gegenwärtigen Zeitalter in westlichen Breitengraden der hochindustrialisierten Länder eine übersteigerten Egotismus und Subjektivismus verfallen sind, der das Individuum völlig entwurzelt - mit schlimmen Konsequenzen. (ich halte ihre Vernachlässigung der nationalen Frage neben der Klassenkategorie für fatal, aber da gibt es ja auch andere Marxisten wie Ché oder viele Sozialdemokraten)
Wie schön, eine Querfront der Leute, die der Meinung sind, wir sollten alle entweder für die "Rasse" oder die "Klasse" im Stechschritt marschieren und gerne auch krepieren. Und ich hatte schon die wie sich jetzt zeigt völlig unberechtigte Sorge, es würde die ganze Zeit dieser ranzige Geruch des Kollektivismus in der Luft liegen, der sich ja insbesondere auf deutschem Bogen gleich zweimal als "Erfolgsmodell" erwiesen hat.
Wie sehen eigentlich die schlimmen Konsequenzen dieser angeblichen Entwurzelung aus? Dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen, sondern Partner in gleich mehreren transnationalen Bündnissen sind und nicht
nur nationale Interessen ihre Entscheidungsprozesse bestimmen? Dass Menschen mehr als eine Sprache sprechen? Dass sich Leute dafür entscheiden, keine oder weniger Kinder zu haben? Dass Menschen die Möglichkeit haben, im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats ihr Leben weitestgehend selbst zu gestalten?
Das Lustige ist, in dieser ganzen Rhetorik steckt eine gehörige Mischung aus Kleinkariertheit und der linksaußen wie rechtsaußen so verbreitete Drang, alles und jeden in den Dienst einer vermeintlich höheren Sache zwingen und jeden Aspekt des Lebens kontrollieren zu wollen. Muss einem gehörig Angst machen, dass es tatsächlich Leute gibt, die man mit Argumenten
überzeugen muss statt einfach zu sagen "Los, für das Vaterland/unsere Rasse/das Proletariat!".
Liberale sind in dieser Gleichung ja immer die Schwachen, weil so tolerant und zahnlos und permissiv, also will ich kurz ausholen...Ich schätze Deutschland und seine Werte, ich bin hier daheim, aber ich bin
auch Europäer und Mensch und fundamentale Rechte sollten nicht verweigert werden, weil jemand nicht hier lebt. Ich glaube, dass unser Grundgesetz die Grundlage für das Zusammenleben bilden soll, dass in diesem Grundgesetz aber nicht steht, dass wir eine Kampfgemeinschaft im ewigen Ringen der Völker seien und dem alle persönlichen Freiheiten unterzuordnen sind. Ich mag die deutsche Sprache, spreche aber auch weitere und denke, dass wir davon profitieren, gegenüber anderen Kulturen und Einwanderung zumindest grundsätzlich aufgeschlossen zu sein, ohne grundsätzliche Prinzipien zu verleugnen. Ich denke, dass wir nicht alle als Einheitsdrohnen durch die Gegend laufen müssen, sondern unseren eigenen Entscheidungen treffen sollten. Und ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher liberaler Staat nach außen und innen wehrhaft gegen seine Feinde sein muss - durch Abschreckung, und wenn nötig auch durch Selbstverteidigung und Unterstützung von Verbündeten und Partnern bei der Verteidigung ihrer eigenen Freiheit. Und wenn man
unbedingt der Meinung sein will, damit würden wir im globalen Kampf ums Überleben antreten, dann wage ich zu behaupten, dass wir damit nicht schlecht aufgestellt wären.