Ich bin Sympathien für den "demokratischen Sozialismus" gewiss unverdächtig und hab aus meiner Antipathie gegen Sanders und seine Opfermentalität und Selbstinszenierung als Messias der 99% nie einen Hehl gemacht, aber ob er das
größere Übel als Trump gewesen wäre, will ich dann doch bezweifeln.
In der aktuellen Situation ist ein Kandidat, der die Mitte der Amerikaner anspricht, der tatsächliche Kompromissbereitschaft gezeigt hat und der auch Trump-Wähler anspricht, wichtig, und da lohnt sich ein Blick auf Joe Bidens Positionen:
- Er unterstützt sowohl den Erhalt des Affordable Care Act ("Obamacare") als auch dessen schrittweisen Ausbau und bietet dabei Optionen an, was diejenigen Wähler anspricht, die z. B. über ihre Gewerkschaft bereits eine gute Krankenversicherung haben und daher anfällig für die republikanische Argumentation waren, man wolle sie in ein universelles System mit Nachteilen für sie
zwingen.
- Er lehnt die Steuervergünstigungen für Wohlhabende und Unternehmen unter Trump ab und befürwortet sowohl das bereits bestehende Hilfsprogramm für verschuldete Studenten als auch dessen Ausbau. Anders als Sanders, der mal flott 1,6 Billionen US-Dollar für
alle Studenten erlassen will, basiert Bidens Plan auf Einkommen und Vermögensverhältnissen - wer mehr verdient, hat geringere Chancen, dass sein Kredit erlassen wird. Das ist imo die gerechtere Variante, denn Studienschulden sind besonders für untere und mittlere Einkommen und Minderheiten ein Problem, nicht für die weißen Wohlstandskids, die besonders eifrig in den sozialen Medien für Sanders unterwegs waren, aber es deutlich seltener zur Wahlurne geschafft haben - da muss man ja tatsächlich Kompromisse eingehen und Verantwortung tragen, in der Regierung, wie uncool...
- Die Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis zählt ebenfalls zu Bidens Positionen
- Beim Waffenrecht tritt Biden teilweise sogar schärfer auf als Sanders, der immer viel Rücksicht auf die Waffenbesitzer in seinem Heimatstaat Vermont genommen hat.
- Außenpolitisch ist Biden weitaus weniger isolationistisch und blauäugig gegenüber autokratischen Staaten
Kurzum: Wer realistische Reformen und einen Kitt für die tiefen Risse in der amerikanischen Gesellschaft will und Politik nicht als Entertainment versteht, sondern frei nach Max Weber als geduldiges Bohren von dicken Brettern mit Augenmaß, der sollte eher auf Biden setzen. Ich kann nur für mich sprechen, aber Politiker müssen mich weder begeistern oder unterhalten noch sonderlich charismatisch sein oder perfekt (sowieso ein Ding der Unmöglichkeit), sondern in der Lage sein, die ihnen gestellten Aufgaben möglichst gut zu bewältigen.
https://www.washingtonexaminer.com/news/biden-comes-out-in-support-of-medicare-buy-in
https://www.forbes.com/sites/zackfr...-loans-joe-biden-bernie-sanders/#11bd57af3189