Kurz: Es geht um die Rückabwicklung von progressiven Maßnahmen, die die Union in der Regierungsverantwortung mitgetragen hat.
Und der Streit erwächst natürlich dort, wo es Politiker der Union gibt, die diese Errungenschaften beibehalten wollen.
Nach dieser Woche dürfte klar sein, dass man sich auch ohne nennenswerte Wahlanteile bundesweit inszenieren kann. Diese ganze Farce um Ottes Kandidatur in der Wahl zum Bundespräsidenten ist eine Verhöhnung von institutionellen Einrichtungen dieses Staates und der Parteiausschluss ist geradezu erpresst worden. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Otte das vorher nicht klar gewesen wäre.
Die Entwicklung der CDU auf inhaltlicher Ebene unter Merz steht an und ja, du hast recht. Es gibt und gab in der Union immer wieder Personen, welche versucht haben, die schrittweise Transformation unter Merkel zurückzudrehen. Friedrich Merz ist da als „letzter Überlebender“ sogar eine Gallionsfigur der mitte-rechts Mitglieder gewesen, mit dem man sich wieder mehr „Profil“ und einen „echten“ Konservativen erhofft(e). Er war bei der Wahl des Parteivorsitz 2018 gegen AKK wie auch 2021 gegen Laschet jeweils der Gegenentwurf zum, nennen wir es merkelschen Establishment. Beide Male hat er nur knapp verloren und das ist meines Erachtens ein Beweis, dass in der Partei um die Ausrichtung gerungen wurde, was aber nach 16 Jahren Zuschnitt auf eine Person irgendwo normal ist. In diese Zeit fällt für mich, was du Implosion nennst, wobei zumindest in meinen Augen Inhalte als solche nicht wirklich im Fokus standen, sondern mehr die Sehnsucht nach einem Neuanfang.
Das Thema ist noch lange nicht durchgestanden. Aktuell geht es der Union vor allem um ein geschlossenes Auftreten und den Aufbau einer starken Führung. Friedrich Merz war in der Partei immer umstritten und hat mit seinem Ergebnis von 95,3 ein sehr starkes Mandat bekommen, auf dem Niveau von Angela Merkel auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Einige Tage nach deinem letzten Beitrag dazu hat er sich den Fraktionsvorsitz gesichert, die Wahl steht noch aus. Vor diesem Hintergrund finde ich es irreführend, gerade jetzt Ottes öffentlichkeitswirksamen Auftritt als Zeichen einer schrittweisen Implosion zu interpretieren. Das interessiert heute doch schon wieder keinen mehr.
Viel entscheidender sind die anstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz und dann die kommenden Landtagswahlen. Aus seinen letzten Beiträgen lässt sich jedenfalls nicht erkennen, dass Merz den Krawallmachern in irgendeiner Form Raum geben möchte. Ganz im Gegenteil, seine Rede nach dem Sieg auf dem digitalen Parteitag klang sehr versöhnlich und manch einer würde vielleicht sogar
still und heimlich sagen, dass Merz sich in den letzten 3 Jahren langsam in die Mitte bewegt hat, gegen die man ihn mal hat konkurrieren sehen ...
Evident ist, dass der derzeitige Chef der CDU die Themen, die der Werteunion wichtig sind, wieder breit in der ganzen CDU diskutieren lassen möchte. Wie viel wird demnächst wieder sag- und diskutierbar sein? Die Ausländermaut als nationalistischer Vorstoß in einer sehr gemäßigten Union dürfte da nur ein Vorgeschmack gewesen sein und dieses mehr oder wenige harmlose Debakel hat bereits viele Jahre an Zeit und unvorstellbare Finanzmittel aufgefressen. Alles nur, weil hier der europäische Gedanke wegen eines egoistischen Hirnfurzes konterkariert werden sollte und zwar koste es, was es wolle. Von solchen Lattenschüssen erwarte ich unter einer CDU eines Friedrich Merz noch deutlich mehr.
Trotz Merz schlussendlichem oder je nach dem vorläufigen Sieg ist die WerteUnion personell weder aufgestiegen, noch hat sie sich verfestigt. Ganz im Gegenteil: Rücktritte, Distanzierungen, Auflösungserscheinungen, Radikalisierung (Merz nicht mehr konservativ genug) und dieser selbst hat schon letztes Jahr klar dazu geraten, diese Organisation zu verlassen (
SpOn). Otte ist für mich kein gutes Beispiel, Ausreißer gibt es in jeder Partei; immer wieder.