28 Years later
Wenn man an
28 Days Later denkt, hat man wahrscheinlich rennende Infizierte, brutale Überlebenskämpfe und eine permanente Grundspannung im Kopf.
28 Years Later schlägt da einen ganz anderen Ton an, und gerade das macht ihn so besonders. Statt pausenloser Action erzählt der Film leise, intensiv und oft sehr traurig von einem Jungen, der in einer völlig zerstörten Welt erwachsen wird.
Die Geschichte beginnt auf einer kleinen Insel vor der nordenglischen Küste. Dort lebt der zwölfjährige Spike mit seiner schwer kranken Mutter Isla (Jodie Comer) und seinem Vater Jamie (Aaron Taylor-Johnson). Die Inselgemeinschaft hat sich völlig vom Rest der Welt abgeschottet, ohne Strom, ohne Technik, fast wie im Mittelalter. Die britische Insel selbst ist schon lange unbewohnbar, komplett verseucht vom Rage-Virus, und der Rest der Welt hat Großbritannien längst aufgegeben. Das ist nicht nur ein kluger erzählerischer Kniff, sondern auch ein ziemlich bitterer Kommentar auf die britische Insellage nach dem Brexit.
Spike soll nun seine "Feuertaufe" bestehen. Zusammen mit seinem Vater geht er auf einen gefährlichen Ausflug aufs Festland, um Nahrung und Waffen zu suchen und um seinen ersten Infizierten zu töten. Die Erwachsenen verkaufen das als mutige Heldentat, aber Spike merkt schnell, dass hinter all dem Gerede von Ehre und Überleben viel Angst, Heuchelei und Selbsttäuschung steckt.
Der Film zeigt diesen Perspektivwechsel unglaublich eindrücklich. Spike ist kein Actionheld, sondern ein unsicherer, nachdenklicher Junge, der langsam erkennt, dass die Erwachsenen vieles falsch gemacht haben. Alfie Williams spielt das großartig. Ganz fein, ganz ehrlich, ohne Pathos. Man glaubt ihm jede Reaktion. Er trägt den ganzen Film auf seinen Schultern und das mit einer erstaunlichen Ruhe.
Die Bilder sind roh, manchmal wackelig, aber oft wunderschön komponiert: verlassene Häuser in goldgelbem Licht, dichte Nebel, leuchtende Augen im Dunkeln. Die Kamera ist ganz nah an den Figuren und bringt uns mitten ins Geschehen. Man hat oft das Gefühl, selbst dabei zu sein.
Was
28 Years Later auch auszeichnet, ist die Liebe zum Detail. Die Welt, die hier gezeigt wird, das einfache Leben auf der Insel, die improvisierte Ausrüstung, der verstörende „Bone Temple“ auf dem Festland, ist durchdacht und glaubwürdig. Man merkt, dass hier jemand wirklich etwas erzählen will und nicht nur irgendeine Zombiegeschichte abspult.
Der Film stellt viele große Fragen. Was bedeutet Menschlichkeit in einer Welt, in der das Töten Alltag ist? Wer entscheidet, was richtig oder falsch ist? Und wie wird man erwachsen, wenn die Erwachsenen um einen herum ihre Moral längst verloren haben? All das spiegelt sich in der Beziehung zwischen Spike, seiner Mutter Isla und dem rätselhaften Dr. Kelson (Ralph Fiennes), den sie später aufsuchen, in der Hoffnung, dass er Isla heilen kann. Kelson ist ein seltsamer, fast philosophischer Charakter. Mit seinem Knochentempel und seinen Reden über Tod und Erinnerung wirkt er vielleicht etwas übertrieben, aber genau das macht ihn auch faszinierend.
Natürlich funktioniert nicht alles perfekt. Einige symbolische Spielereien, etwa Szenen aus alten Shakespeare-Verfilmungen oder patriotische Fahnenbilder, wirken ein bisschen zu gewollt. Und das Ende ist, nun ja, seltsam. Plötzlich kippt der Film in einen ganz anderen Ton, der nicht allen gefallen wird. Aber auch das passt irgendwie zu einem Film, der sich von Anfang an gegen klare Muster wehrt.
Unterm Strich ist
28 Years Later kein klassischer Horrorfilm. Es gibt Spannungsmomente und Infizierte, aber im Zentrum steht die Entwicklung eines Jungen, der lernen muss, wer er sein will in einer Welt, die nicht mehr funktioniert. Der Film ist poetisch, traurig, wütend und manchmal wunderschön.
Für alle, die sich für ungewöhnliches Genre-Kino interessieren, für starke Figuren, für gute Schauspielkunst, vor allem für Alfie Williams als Spike, und für Filme, die einen auch nach dem Abspann noch beschäftigen, ist
28 Years Later absolut sehenswert.