Un flic/Der Chef (F, 1972)
Inspektor Edouard Coleman (
Alain Delon) führt nicht gerade ein Leben, um das man ihn beneiden könnte: die Nächte verbringt er damit, von Tatort zu Tatort zu tingeln, tagsüber sitzt er dagegen in seinem trostlosen Büro an der Schreibmaschine und protokolliert brav, was er auf den Touren gesehen hat, um Ermittlungen beginnen zu können. Die spärliche Freizeit verbringt Coleman im Nachtclub seines Freundes Simon (
Richard Crenna), wo auch dessen Freundin Cathy (
Catherine Deneuve) häufig anzutreffen ist. Simon weiß nicht, dass der Inspektor und Cathy eine Affäre am Laufen haben -- während dieser wiederum nicht weiß, dass Simon Oberhaupt eines Trios gefährlicher Bankräuber ist, die das Land gerade in Atem halten..
Es ist der letzte Film von Regielegende
Jean-Pierre Melville (1917-1973), und böse Zungen - aber auch eingefleischte Fans seines filmischen Schaffens, wie ich - würden sagen: er hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits längst überlebt. Die typischen Melville'schen Markenzeichen, an denen man die Handschrift erkennt, sind im Grunde da: der Untergrund. Wortkarge Typen (die eigentlich dringend in Therapie gehören). Zigarettenrauch. Spärlich eingesetzte Dialoge. Zigarettenrauch. Der berühmte Blau-Filter (der alles noch einmal kälter, abweisender, abstoßender wirken lässt, wie eine Art Kamerabrutalismus). Zigarettenrauch. Das zur lieblosen Routine gewordene und sich eher selbstironisch feiernde Nachtleben von Paris. Der Showdown zum Schluss. Kein Happy End. (Ein Freund merkte einmal - bzgl. eines anderen Melville-Streifens - an: "homosexuelle Untertöne". In Szenen hier, zwischen dem Inspektor und seinem Informanten, wird der Gedanke deutlich greifbar, ja.)
Und das, in aller Kürze, ist das Problem. Alles bereits dagewesen, ideenlos, wirkungslos, in früheren Filmen weitaus besser inszeniert worden. Selten sieht man Delon dermaßen lustlos bei der Arbeit -- seine Augen, in
Le samouraï noch so ausdrucksstark, wirken völlig tot. Zwischen beiden Rollen liegen gerade einmal fünf Jahre. Auch Catherine Deneuve darf wenig mehr als Objekt der Begierde spielen. Den Bösewicht - wozu einen nachzusynchronisierenden Amerikaner, und wenn, weshalb dann keinen bekannteren, dessen Name die Kosten dafür problemlos wieder reinholt? - vergisst man sogar noch vor dem Abspann.
Trauriger Tiefpunkt dann der eigentlich als Höhepunkt gedachte Überfall von Simons Bande via Helikopter auf einen fahrenden Zug; zu keiner Sekunde verliert man die Illusion, dass es sich um ein Spielzeug handelt, eine schlichte Modelleisenbahn. Die stümperhaft gedrehte - und in dieser Form unglaublicherweise freigegebene - Szene steht stellvertretend für den gesamten Film.
Nach zwei genialen Vorgängern - dem großartigen Résistance-Drama
L'armée des ombres/Armee im Schatten (1969) und dem Gangsterepos
Le cercle rouge/Vier im roten Kreis (1970) ist
Un flic der denkbar unwürdigste Abgesang (und nicht einmal als solcher geplante) eines Meisters. Hätte Melville den für eine kreative Wiedergeburt notwendigen Bruch, einen Genrewechsel, irgendwann selbst vollzogen? Neue, spannende Geschichten mit charismatischen Protagonisten erdacht? Oder hätte er trotzig weiter Gangsterfilme - und sich, gemessen an dem Vorgeschmack des vorliegenden Films, in die Bedeutungslosigkeit - gedreht? Hätte er den Schritt von den 50ern/60ern ins neue Jahrzehnt gewagt? Stand er überhaupt am Scheideweg?
Wir werden es nie erfahren, denn das Leben nahm die Antwort mit seinen unvorhersehbaren Wendungen vorweg.
4/10 durch die Gegend gewatschten transsexuellen Polizeispitzeln